Story: Whisper My Name
Genre: kind of angst i guess?
Rating: P12
Charaktere: Jaro (& Aidan & Nina & 1 Char aus Band 2, der noch keinen Namen trägt)
Ficathon:
Write Your DarlingsPrompt: Zitat aus "Ghost" von Devi-Ananda
Sonstiges: Mal ne Kleinigkeit mit Fokus auf Jaro. 5 x 300 Worte. Bonuspunkte für Berlin, btw. Jaro in Berlin ist >>>>>>>>>>>
Projekt: Adventskalender 2017
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Irgendwann, wenn es klappt
Jaro
In der Nacht
Summ' ich heimlich deine Nachtmusik
Irgendwann, wenn es klappt
Schließt mein Herz hiermit mal ab
I.
Durch das offene Fenster dringen Stadtgeräusche herein, zusammen mit der warmen Sommerluft, die schon seit Wochen schwer in der ganzen Stadt hängt und einen manchmal regelrecht zu erdrücken scheint. Es ist eine heiße, lebendige Samstagnacht; hin und wieder rauscht noch ein Auto vorbei, die Nachbarn aus dem unteren Stockwerk haben auch das Fenster geöffnet und unterhalten sich lautstark über Belanglosigkeiten, und von irgendwo dröhnt Musik, oder, besser gesagt, der dumpfe, wummernde Bass - der Rest ist nicht genau auszumachen.
Jaro hat die Hände im Nacken verschränkt, die Bettdecke zum Fußende geschoben, und starrt im wabernden Halbdunkel an die Decke. Er schließt die Augen und zählt bis zehn, schließt die Augen und atmet konzentriert durch den Bauch ein und aus, schließt die Augen und versucht alles, um seine Gedanken abzuschalten; aber nicht zu viel zu denken, war noch nie eine seiner Stärken.
In seinem Kopf spielt eine Melodie (irgendwas von Chopin, glaubt er, aber eigentlich kann er diese ganzen Komponisten sowieso nicht auseinanderhalten), und dazu Aidans Stimme. Aidans Lachen. Aidan, der begeistert von etwas erzählt, das er liebt. Aidan mit leuchtenden Augen; Aidan mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen; Aidan, der sich leicht auf die Unterlippe beißt, während das Klavierstück über den Handylautsprecher läuft und er Jaro beobachtet, gespannt auf eine Reaktion wartend.
Aidan.
Jaro war noch nie gern allein, und er kennt die Sehnsucht nach Nähe nur zu gut, hat sich längst an sie gewöhnt; aber das hier ist anders. Er sehnt sich nicht nach etwas Unbestimmtem, nach einem theoretischen Glück, das er noch gar nicht kennt, sondern nach einer ganz bestimmten Person.
Mit einem Seufzen dreht er sich auf die Seite, und als er beginnt, die Melodie, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen will, vor sich hinzusummen, fragt er sich insgeheim, ob Aidan ihm vielleicht dabei zuhört.
II.
»Du bist heute irgendwie abgelenkt, kann das sein?«
Ach Quatsch. Jaro überfliegt die Notizen auf seinem Ringblock und stößt ein langgezogenes Seufzen aus. Seine mangelnde Konzentration geht ihm schon den ganzen Tag auf die Nerven. (Eigentlich schon seit Wochen.)
»Tut mir leid«, murmelt er, während er die Seite herausreißt, zusammenknüllt und damit auf den Papierkorb zielt. Natürlich trifft er nicht, aber er macht sich nicht die Mühe, deswegen extra aufzustehen, und nimmt sich stattdessen vor, das auf dem Weg nach draußen zu erledigen.
»Wenn du reden willst …« Nina blickt nicht von dem aufgeschlagenen Buch, über dem sie brütet, auf, während sie das sagt, aber Jaro weiß trotzdem, dass es ein ernst gemeintes Angebot ist.
»Ich weiß. Danke.« Eigentlich würde er wirklich gerne reden, und er ist sich ziemlich sicher, dass seine Lieblingskommilitonin eine gute Ansprechpartnerin in Sachen Liebeskummer wäre, aber was sagt man schon, wenn jemand fragt, was los ist, und die Wahrheit lautet: Ich zerbreche mir den Kopf darüber, ob ein lebendiger Mensch mit einem Geist zusammen sein kann und wie das funktionieren soll?
Nina hebt skeptisch eine Augenbraue und wirft ihm über den Rand ihrer Brille hinweg einen flüchtigen Blick zu. Einen Moment lang sieht sie aus, als wollte sie ihm eine Predigt darüber halten, dass er sich nicht bedanken, sondern aufhören soll, seine Probleme in sich hineinzufressen, aber dann zuckt sie doch bloß mit den Schultern, während sie sich eine grün-schwarze Haarsträhne hinters Ohr streicht. »Du kannst auch für immer schweigen, wenn dich das glücklich macht. Solange dich das nicht davon abhält, effizient zu arbeiten …«
Jaro muss lächeln und realisiert einmal öfter, wieso er so gut mit ihr zurechtkommt: Sie ist ihm in vielen Dingen so ähnlich, dass es schon fast gruselig ist. »Aye aye, Ma'am«, antwortet er scherzhaft, bevor er sich wieder den Projektnotizen zuwendet.
III.
»Aidan?«
Jaro kommt sich lächerlich dabei vor, mit seiner leeren Wohnung zu reden. Seine Worte gehen ins Leere, bleiben ohne Antwort, seit Tagen schon, und er weiß nicht, ob er mehr traurig oder wütend darüber sein soll, dass Aidan sich immer mehr zurückzieht und ihm scheinbar aus dem Weg geht. Traurig oder wütend - oder vielleicht versteht er es sogar irgendwie.
In seinem Inneren streitet sich seine Sturheit ständig mit der Resignation, die langsam, aber sicher ihren Platz in seiner Gefühlswelt findet. Er hasst es, aufzugeben. Er hasst es, zu verlieren. Er hasst es, eine Herausforderung nicht meistern zu können, egal, wie sehr er sich anstrengt. Aber er hasst es genauso, an Dingen festzuhalten, die einfach keinen Sinn mehr haben.
Sie haben es versucht. Sie haben es hinbekommen, irgendwie, zumindest für eine Weile. Eine ziemlich lange Weile, wenn Jaro es sich recht überlegt. Aber Aidan hat wieder angefangen, zu zweifeln, und obwohl es Jaro ärgert, dass diese Zweifel existieren, kann er sie nur zu gut nachvollziehen. Er hat sie auch, hatte sie schon von Anfang an; er spricht sie nur seltener aus, weil er eigentlich derjenige ist, der diese Beziehung mit seinem Optimismus am Leben hält, wann immer Aidan nicht die Energie dafür aufbringen kann, an ein Happy End zu glauben.
Jaro lässt die Playlist mit der Klaviermusik laufen, laut genug, dass die Nachbarn sich bestimmt daran stören könnten, wenn sie wollten, aber das ist ihm gerade egal. Die feinen Klänge verschmelzen mit dem Wind und dem Regenprasseln draußen vorm Fenster zu einer melancholischen Geräuschkulisse, und Jaro ist sich nicht sicher, ob er hofft, dass Aidan doch noch erscheint, oder ob er einfach nur mit seinen deprimierenden Gefühlen allein gelassen werden will.
Sie sollten reden. Dringend.
Aber das Gespräch, das sie führen sollten, ist eins, das Jaro definitiv nicht führen möchte.
IV.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass es sich immer seltsam anfühlt, umzuziehen. Manchmal auf die gute Art - mit freudiger Erwartung und sich überschlagenden Gedanken an die Umgebung, die einen bald willkommen heißen und hoffentlich zu einem neuen Zuhause werden wird. Manchmal auf die schlechte Art - als würde man ein Stück seiner selbst weggeben, indem man einen Ort verlässt, der ein Teil der eigenen Identität geworden ist und von dem man weiß, dass man ihn immer vermissen wird.
Jaro ist schon so oft umgezogen, dass es ihm mittlerweile eigentlich nichts mehr ausmachen sollte; aber seltsam ist es trotzdem, jedes Mal aufs Neue.
Er starrt auf die Umzugskisten. Sein ganzes Leben in Pappe gepackt, ordentlich zugeklebt und transportbereit.
»Können wir?« Als Jaro sich umdreht, schenkt sein Vater ihm ein aufmunterndes Lächeln, als wüsste er genau, was gerade in ihm vorgeht, obwohl Jaro kein Wort darüber verloren hat.
»Klar. Ich bin hier fertig.« Er zwingt sich dazu, das Lächeln zu erwidern, gibt sich einen Ruck und schnappt sich die erste Kiste, um sie zum Aufzug zu tragen, durch den sie am Vormittag schon ein paar kleinere Möbel nach unten transportiert haben.
Eigentlich sollte er sich freuen, aber es ist nicht das gute seltsame Gefühl, das sich in ihm breitmacht, als er realisiert, dass er an diesem Nachmittag zum letzten Mal durch diese Wohnungstür gehen wird. Kein vorfreudiges Kribbeln, keine fröhliche Leichtigkeit, kein Endlich. Es ist nur … sein Herz, das sich unglaublich schwer anfühlt. Und die unausgesprochene Frage, ob Aidan dabei sein wird, wenn er diese Tür zum letzten Mal schließt.
Berlin - das ist ein wahrgewordener Traum. Er ist auf dem Weg dorthin, wo tausend Möglichkeiten auf ihn warten. Dorthin, wo sein Leben endlich beginnt.
Aber die eine Möglichkeit, die er am liebsten von allen ergreifen würde, lässt er mit seinem 21-Quadratmeter-Apartment hier zurück.
V.
Es ist Winter in Berlin. Die Straßen sind nass , voller Schneematsch, der Nachthimmel wolkenverhangen und beinahe sternenlos. Jaro sitzt auf einer Bank und blickt auf die Spree hinaus. Seine Chucks sind völlig durchnässt und vielleicht war der Kapuzenpulli nicht die richtige Wahl für einen Spaziergang bei diesem Wetter, aber er merkt nicht, dass er eigentlich frieren müsste. Er hält eine Hand, die ebenso kalt ist wie seine eigene, aber ihm ein warmes Gefühl gibt, das sich in seinem Brustkorb und in seinem Bauch ausbreitet.
Er verflucht sich dafür, dass es nicht dasselbe ist wie damals. Dass er nie wieder das gefunden hat, was ein gewisser Geisterjunge ihm als Einziger geben konnte - dieses Zugehörigkeitsgefühl, das über bloße Zuneigung und die Definition einer Beziehung hinausgeht. Dieses Gefühl, wenn Zuhause plötzlich kein Ort mehr ist, sondern die Nähe einer bestimmten Person.
Geisterjunge. Jaro seufzt leise auf. Eigentlich sagt allein diese Bezeichnung alles aus, was man über diesen Teil seiner Vergangenheit wissen muss. Nämlich: Es war zum Scheitern verurteilt. Die Sache ist nur, dass Jaros Herz das immer noch nicht versteht.
»Alles in Ordnung?« Es ist nur Flüstern, aber es genügt, um Jaro aus seinen Gedanken zu reißen.
»Sicher.« Er dreht sich um und lächelt, und als sich kühle Finger unter sein Kinn und weiche Lippen auf seine legen, wird ihm ein klein wenig schwindelig, auf die bestmögliche Art.
Sein Herz schlägt mit jedem Kuss ein bisschen schneller und schmerzt mit jeder Berührung ein bisschen weniger, und vielleicht muss das fürs Erste genügen.
(Die Melodie von Chopin, die er vorhin in der U-Bahn noch gehört hat, spielt irgendwo am Rande seines Bewusstseins, aber er versucht, sie zu ignorieren, genauso wie die vielen Vergangenheitsgedanken, und in letzter Zeit gelingt ihm das immer besser. Irgendwann, wenn es klappt, schließt sein Herz damit mal ab. Ganz bestimmt.)