aidan & jaro » irgendwo anders

Dec 05, 2017 20:37

Story: Whisper My Name
Genre: Hurt/Comfort (okay, eigentlich mehr hurt tbh)
Rating: P12
Charaktere: Aidan & Jaro

Ficathon: not over
Prompt: [091]; Zitat aus "Irgendwo anders" von Jennifer Rostock

Sonstiges: Eine Kleinigkeit über Aidan & Jaro, die kind-of-canon ist & canonically zwischen Band 1 und 2 spielen würde. (Hallo, habe ich eigentlich schon erzählt, dass es nun doch 2 Bände werden, weil ich einfach keine Standalones planen kann? Ups.)

Projekt: Adventskalender 2017

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irgendwo anders
Aidan & Jaro

Du bist irgendwo anders
Und ich spür dich nur noch schwach
Du bist irgendwo anders
Nacht für Nacht
Lieg ich neben dir wach
Wir leben doch schon längst nicht mehr
Unter einem Dach



I.

Aidan sitzt auf der Fensterbank und zeichnet. Den Rücken gegen das offene Fenster gelehnt, die nackten Füße auf das Bettgestell gestützt, einen Skizzenblock auf den Knien, kühle Nachtluft auf seiner Haut. Er legt den Kopf in den Nacken und starrt an die Stelle, an der die klare Linie der Dachkante seine Welt vom dunkelblauen, sternenbehangenen Nachthimmel trennt. Seine Welt - beschränkt auf x Quadratmeter Grundriss, viel zu viele Stockwerke, weiß-Gott-wie-viele Apartments plus Keller, Dach und Hinterhof.

Aidan zeichnet Jaro. Jaro beim Lesen, Jaro beim Schlafen, Jaro in seinem Lieblingspullover, Jaro, der lächelt. Etliche Skizzen, auf Papier gebannte Momente, zu persönlich für die Kamera und zu vergänglich, um sie gar nicht festzuhalten. Aidan zeichnet sie alle, die kleinen, wichtigen Momente, als könnte er sie dadurch für immer festhalten; eine schöne Erinnerung an das, was ihm langsam entgleitet, ohne dass er etwas dagegen tun kann.

»Warum bist du so weit weg?«, murmelt Jaro. Er dreht sich auf den Rücken und blinzelt unter langen, dichten Wimpern zu Aidan hinüber.

Aidan kann sich nicht gegen das Lächeln wehren, das sich auf seine Lippen schleicht.

Als er nicht sofort antwortet, richtet Jaro sich ruckartig im Bett auf und fährt sich mit dem Handrücken übers Gesicht, als könnte er so den Schlaf wegwischen. »Hast du wieder Schmerzen?«, fragt er vorsichtig, die Sorge in seiner Stimme und dem Blick seiner dunklen Augen überdeutlich.

»Mach dir keine Sorgen«, entgegnet Aidan sanft.

Jaro streift die Bettdecke ab und kriecht ans Ende des Betts. »Ich mache mir immer Sorgen um dich«, sagt er, während er Aidan aus großen Augen ansieht und nach seiner Hand greift.

Aidans Lächeln wird ein Bisschen wehmütig und ein Bisschen aufrichtiger, während er seinen Bleistift beiseite legt und die nun frei gewordene Hand ausstreckt, um mit seinen Fingern durch Jaros Haar zu fahren. »Keine Schmerzen«, versichert er, und fügt in Gedanken hinzu: Zumindest nicht mehr als sonst.

Jaro nimmt ihm vorsichtig den Block aus der Hand, legt auch diesen auf die Fensterbank und schließt dann seine Hände um Aidans. »Was dann?«, will er wissen, und Aidan fragt sich einmal mehr, wie es sein kann, dass Jaro in ihm lesen kann wie in einem offenen Buch, während zu seinen Lebzeiten niemand hinter seine Fassade aus falscher Fröhlichkeit zu schauen vermochte. Vielleicht, denkt Aidan, liegt es daran, dass Jaro als Erster wirklich hinsehen will.

»Lass uns wieder ins Bett gehen«, schlägt Aidan vor, um keine Antwort geben zu müssen.

Aber Jaro gibt nicht so schnell auf. »Sicher, dass du mir nicht zuerst verraten willst, was dich wach hält? Denk nicht, dass ich nicht weißt, wie oft du in letzter Zeit wieder wachliegst.«

Aidan seufzt erneut. Er hat eigentlich keine Lust, darüber zu reden, weiß aber, dass es nichts bringt, es zu verschweigen. »Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie viele Nächte mit dir mir noch bleiben. Das hält mich wach.«

Jaro seufzt ebenfalls und zieht Aidan dann sanft in Richtung Bett. Aidan schließt das Fenster hinter sich und lässt sich dann wieder auf die Matratze sinken.

»Dir bleiben so viele Nächte mit mir wie du möchtest«, murrt Jaro, während er sich wieder hinlegt und die Bettdecke über sich zieht und sie dann wieder zurückschlägt, um Aidan wortlos dazu aufzufordern, mit ihm darunterzuschlüpfen.

Aidan folgt dieser Aufforderung liebend gerne. Er schmiegt sich eng an Jaro, ihm zugewandt, sodass ihre Gesichter nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt sind. Er würde gern glauben, dass das wahr ist - dass er Jaro so lange behalten kann, wie er will. Aber auch, wenn er sich sicher ist, dass Jaro ihn nie absichtlich anlügen würde, was das angeht, ist er sich genauso sicher, dass niemand freiwillig den Rest seines Lebens in einem 21-Quadratmeter-Apartment in einem Plattenbau verbringen würde.

»Wenn es nach mir ginge«, flüstert Aidan, »würde ich jede einzelne Nacht der gesamten Ewigkeit mit dir verbringen.«

Jaros volle Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Na also«, sagt er und drückt einen leichten Kuss auf Aidans Nasenspitze.

Aidan versucht, das Lächeln zu erwidern, aber es gelingt ihm nicht richtig. Die Frage ist eigentlich nicht, wie viele Nächte mit Jaro er sich wünscht. Die Frage ist vielmehr, wie viele Nächte seines Lebens Jaro ihm noch schenken kann, ohne dafür sein eigenes Glück zu opfern. Aidan weiß, dass diese Anzahl begrenzt sein muss.

II.

Jaro kickt seine Chucks in eine Zimmerecke, lässt seinen Rucksack neben das Bett fallen und wickelt das Kabel seiner Kopfhörer sorgfältig auf, bevor er sie auf den Nachttisch legt und sich auf sein Bett fallen lässt.

Aidan beobachtet ihn, ohne sich zu zeigen. Er beobachtet, wie Jaro sich suchend umsieht - sich nach ihm umsieht. Aidans Herz macht einen Satz, als er sich dessen einmal öfter bewusst wird, genauso, wie es damals einen Satz gemacht hat, als Jaro ihn zum ersten Mal sehen konnte. Aber gerade hat er nicht die Kraft, Jaro zu begegnen; nicht, wenn seine Zweifel und Ängste präsenter sind denn je: Jaros Leben spielt sich dort draußen ab, in der Welt, deren Türen Aidan für immer verschlossen bleiben werden, und er kann rein gar nichts daran ändern.

Ein paar Monate nur, denkt Aidan, während er Jaro dabei zusieht, wie er seinen Laptop aufklappt und seinen Notizblock aufschlägt. Sie haben sich im Leben um ein paar Monate verpasst. Hätte Aidan das Leben nur diese paar Monate länger ertragen, hätte er Jaro vielleicht nicht erst nach seinem Tod kennengelernt. Hätte er nur eine kleine Weile länger durchgehalten, könnte er mit Jaro all das tun, was normale Paare tun, dort draußen, wo das echte Leben passiert, und müsste sich nicht Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrechen, ob er stark und selbstlos genug ist, um Jaro gehen zu lassen, wenn er eines Tages mehr zum Glücklichsein braucht als das hier.

III.

Als Jaro aus Berlin zurückkommt, bringt er Aidan Fotos mit. Wie immer, wenn er einen neuen Ort besucht. Fotos vom Brandenburger Tor, von verschiedenen Denkmälern, von einer Bar in Kreuzberg, vom Himmel über der Hauptstadt, mit Hochhäusern, die sich in der Ferne grau und kantig davon abheben. Polaroidaufnahmen für Aidans Album, in dem er all die schönen Dinge abheftet, die er sich selbst nicht in Wirklichkeit anschauen kann.

Aidan lässt die Umarmung, mit der er Jaro bergrüßt, ein Bisschen länger andauern als gewöhnlich. »Danke, mein Schatz«, flüstert er und küsst Jaros Hals, seine Lippen genau dort, wo eine Sehne deutlich unter der dunklen, weichen Haut hervortritt.

Jaros Finger streichen über Aidans Nacken, über die feinen Härchen, die sich bei der Berührung leicht aufstellen. Aidan spürt die Berührung noch; aber er weiß, dass er sie zu einem anderen Zeitpunkt viel deutlicher gespürt hätte. »Ich wünschte, ich hätte dich mitnehmen können«, murmelt Jaro.

Er meint es nicht so, aber für Aidan fühlt es sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

IV.

Aidan kann spüren, wie die Verbindung, die mit der Zeit zwischen ihnen entstanden ist, von Tag zu Tag schwächer wird. Jaro war der erste, der ihn sehen konnte; der erste, der ihn wieder richtig berühren konnte; der erste und einzige Mensch, der seinem Dasein einen Sinn verliehen und ihn wieder sichtbar gemacht hat. All das schwindet nun langsam dahin.

Die Berührungen sind nur noch flüchtig, fühlen sich zuerst an wie fließendes Wasser, und dann wie Nebel, den man zwar wahrnimmt, aber nicht greifen kann. Die Worte sind nur noch geflüstert, und die Blicke so durchdringend, dass Aidan wieder das Gefühl hat, sie gingen durch ihn hindurch.

Alles fühlt sich langsam immer mehr an wie damals - damals, als Aidan unsichtbar war. Für alle, auch für Jaro. Sie kehren Schritt für Schritt zu diesem Zustand zurück, und Jaro begreift nicht, wieso, und Aidan versteht, aber weiß nicht, wie er es aufhalten soll.

Am besten gar nicht, denkt er manchmal. Das wäre eigentlich nur fair.

V.

»Du musst weg von hier«, sagt Aidan.

»Wovon redest du?« Jaro stellt die Frage, aber in seinen Augen steht geschrieben, dass er die Antwort eigentlich kennt. Das Zittern in deiner Stimme, die bei der letzten Silbe beinahe bricht, bestätigt das.

»Du kannst nicht für immer hier wohnen. Du hast ein Leben, das auf dich wartet. Irgendwo anders.« Aidan schafft es irgendwie, dass seine Worte viel sicherer klingen als er sich selbst fühlt, während er spricht.

»Mein Leben ist hier«, antwortet Jaro. »Direkt vor mir.«

Aidan sieht dabei zu, wie die ersten Tränen über Jaros Wangen rinnen, während er eine Hand ausstreckt, die Aidan nicht ergreift, obwohl er schrecklich gerne würde.

VI.

Die Wahrheit ist: Eigentlich zieht Jaro nicht jetzt erst weg. Eigentlich leben sie schon längst nicht mehr unter einem Dach, und Aidan weiß das schon eine ganze Weile, aber Jaro begreift es erst, als er eine Umzugskiste aufstellt und seine Bücher und seinen klapprigen Wasserkocher und seine Winterklamotten nach und nach hineinräumt.

Aidan sieht ihm dabei zu. Aber er zeigt sich nicht. Wie so oft in letzter Zeit. Mittlerweile weiß er schon gar nicht mehr, ob er es nicht kann oder nicht will.

Einfach verschwinden - das ist es, was Aidan sein Leben lang wollte, und vielleicht musste er erst lernen, was das wirklich bedeutet, bevor er endlich damit anfangen konnte.

VII.

Aidan streift durch die Gänge, auf der Suche nach nichts. Das Haus scheint leerer denn je, trotz der vielen Menschen, die darin wohnen, und zum ersten Mal seit seinem Tod ist Aidan glücklich darüber, noch mehr unsichtbar zu sein als damals, als er nocht lebendig war.

Jaro ist jetzt irgendwo anders. Und vielleicht ist es besser so.

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