avien & andré » dreizehn jahre

Dec 01, 2017 21:11

Story: Atrahorverse (Canonverse)
Genre: Dark Fantasy + irgendwie sowas wie ne Romanze?
Warnings: Blut, Vampirismus, Andeutungen auf Gewalt (aber nicht wirklich on-page), romantisierte ungesunde Beziehung
Rating: P16
Charaktere: André & Avien

Sonstiges: Ausnahmsweise mal kein Ficathon, nur eine selbst ausgewählte Songzeile aus "Heartless" von Kanye West & Kates Wunsch, mal was über André & Avien zu lesen, als Vorlage. <3

Projekt: Adventskalender 2017

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Dreizehn Jahre
Avien & André

Somewhere far along this road
He lost his soul
To a woman so heartless



I.

Dreizehn Jahre. Für einen Sterblichen fühlt sich das beinahe an wie eine Ewigkeit.

II.

»Hör auf damit.« Aviens Stimme ist wie splitterndes Eis, denkt André. »Bring dich nicht ständig in Schwierigkeiten.«

»Wieso sollte ich damit aufhören?« André zeigt ein blutverschmiertes Lächeln, seine aufgeplatzen Lippen spannen unangenehm über einem der lockeren Schneidezähne, und als Avien ihn beim Kragen packt, um ihn hochzuziehen und gegen die nächstbeste Wand zu drücken, verschwimmt sein Sichtfeld hinter einem schweren, dunkelroten Schleier.

»Weil ich es sage«, zischt sie, und André spürt, wie sie scharf die Luft einzieht und ihre Zunge der Blutspur an seinem Kinn folgen lässt.

»Du willst mir jetzt aber nicht weismachen, du würdest dich um mich sorgen, oder?«, schnaubt André.

»Ich sorge mich um genau zwei Personen«, entgegnet Avien. »Und du gehörst nicht dazu, André Reisser.«

»Wieso sollte es dich dann interessieren, was mit mir passiert?«

Avien leckt den Rest des dunkelroten Rinnsals auf und ihre Lippen sind plötzlich dort, wo sich bereits eine neue Blutspur zu bilden beginnt: Direkt an Andrés Lippen. Kaum einen Millimeter davon entfernt. »Dein Gesicht ist zu schön, um von jemand anderem als mir ruiniert zu werden«, flüstert sie. André hat die Augen geschlossen, doch er kann spüren, dass sie mit den Schultern zuckt und lächelt.

Er selbst hat plötzlich vergessen, wie das geht - wie man sich bewegt, wie man lächelt, wie man spricht. Alles. Für einen kurzen Moment sogar, wie man atmet.

III.

Avien schmeckt nach Leere. André hofft, dass er diese Leere vielleicht eines Tages füllen kann, wenn er nur oft genug Ja sagt, wenn ihre Fangzähne über seine Haut kratzen, wie die stumme Frage: Willst du mich?

IV.

Avien fragt nie, was er denkt. Sie beobachtet ihn nur, und irgendwann weiß sie es einfach.

»Du denkst daran, was sie wohl sagen würden«, stellt sie fest.

»Was wer wozu sagen würde?«, entgegnet er gespielt überrascht. (Fast, als wüsste er gar nicht, wovon sie spricht.)

»Deine Eltern. Deine Freunde. Alyssé. Die Straßenkinder. Alle. Was sie wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass du ein Monster liebst.«

»Das ist mir egal.« Die Lüge geht ihm ein Bisschen zu leicht über die Lippen, und er versucht, den bitteren Nachgeschmack mit einem Schluck Rotwein wegzuspülen. »Abgesehen davon: Tue ich das denn? Ein Monster lieben?«

»Ich bin zweifellos ein Monster.«

»Das würde ich nie bestreiten.«

»Also bestreitest du, dass du mich liebst?« Avien trinkt ebenfalls einen Schluck Wein, beobachtet ihn währenddessen über den Rand ihres Glases hinweg. Sie greift nach Andrés Hand, die er auf dem Tisch abgelegt hat, und streicht mit dem Daumen über seinen Handrücken. »Das ist zwecklos. Mit Herzen kenne ich mich bestens aus; ich spüre es, wenn mir eins gehört.«

V.

Manchmal sieht André in den Spiegel und versucht, darin zu erkennen, was Avien in ihm sieht. Er mustert alles ganz genau, jeden Zentimeter seiner selbst, den er in seinem Abbild erkennen kann, aber er findet nichts, was ihm das Unerklärliche erklären könnte.

Manchmal wiederum sieht er Avien an und versucht, in ihrem Anblick das zu entdecken, was er überhaupt an ihr findet. Er begutachtet sie ausgiebig, vom Scheitel bis zu den Zehen, und kommt zu dem Schluss, dass er eigentlich gar nichts an ihr findet, sondern vielmehr etwas in ihr sucht.

Was genau das ist, hat er noch nie verstanden. Aber sie scheint es zu wissen, und das genügt.

VI.

Wenn Aviens Puls unter seinen Fingerkuppen deutlich spürbar sein sollte, ist da nichts. Kein Puls. Keine Wärme. Kein Leben. André hofft insgeheim, ihr Leben einhauchen zu können, wenn er nur oft genug ihr Handgelenk mit den leeren, fast unsichtbaren Adern küsst, wie das stumme Versprechen: Ich wollte dich gestern, ich will dich jetzt, ich werde dich morgen wollen. Ich will dich für immer.

VII.

Avien schläft nicht oft, aber wenn sie schläft, dann redet sie im Schlaf. Immer von denselben Dingen, denselben Personen: Es geht um ihren Vater oder um Caedes. Während André die Arme ein Bisschen fester um sie schließt und versucht, ihr Murmeln, das ihn überhaupt erst geweckt hat, entweder in seiner Umarmung zu ersticken oder wenigstens auszublenden, fragt er sich, was er tun müsste, um auch Teil ihrer Träume zu sein. Ob er herzlos werden müsste, genau wie sie, oder ob es vielleicht genügen würde, ihre Narben überall an seinem Körper zu tragen, viele kleine, schmerzhafte Zeichen des Besitzanspruchs.

Er hasst sich dafür, dass sein Magen sich umdreht vor Neid, obwohl er ganz genau weiß, dass niemand, den Avien aufrichtig liebt, darum in irgendeiner Weise zu beneiden ist.

VIII.

Avien ist nicht immer wirklich anwesend, wenn sie wach ist. Manchmal ist sie mit den Gedanken ganz weit weg, ihr Blick geht durch André hindurch, und sie spricht ihn mit spanischen Kosenamen an, die er nicht versteht. Sie küsst seine Lippen und tastet mit zitternden Fingern nach seinem Puls und sagt Te quiero (das versteht er mittlerweile), aber wenn er ihr ins Gesicht sieht oder ganz genau auf den Unterton in ihrer Stimme lauscht (oder sich daran erinnert, dass sie ihm nie in einer Sprache, die er versteht, sagen würde, dass sie ihn liebt), dann weiß er, dass sie sich in einem ganz anderen Moment befindet als er; dass sie diesen Moment nicht teilen, weil Avien niemals alles mit ihm teilen wird.

IX.

Dreizehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, um hoffnungslos verliebt zu sein.

X.

Avien trägt jetzt Andrés Nachnamen, Reisser, und, als würde der gemeinsame Nachname nicht genügen, einen Ring aus Silber an ihrer rechten Hand, mit einem sündhaft teuren Edelstein und einer kleinen Gravur. André war es egal, dass der Preis dafür höher war als sein damaliger Monatslohn, von den Kosten der Hochzeit ganz zu schweigen.

Danke hat sie nie gesagt. Auch nicht Ich liebe dich. Aber manchmal sagt sie: »Komm zu mir.« Und manchmal fragt sie: »Willst du?« (Willst du mich?)

Und er antwortet noch immer jedes Mal mit: »Ja, natürlich.«

Die meiste Zeit über ist André sich nicht ganz sicher, ob er seinen eigenen Weg geht oder ihren. Fakt ist: Irgendwo auf diesem Weg, den er an ihrer Seite eingeschlagen hat und nun schon seit dreizehn Jahren beschreitet, hat er sein Herz an eine Frau verloren, die selbst kein eigenes mehr besitzt.

Avien schmeckt nach Leere, und Andrés Herzschläge füllen nicht die Stille zwischen ihnen, die immer dann entsteht, wenn er für einen kurzen Augenblick das Diesseits verlässt und nie genau weiß, ob er zurückkehren wird.

»Du schmeckst gut«, murmelt sie irgendwann, ihre Lippen an seinem Schlüsselbein oder an seinem Kiefer oder an seinem Ohr, und es ist jedes Mal das erste, was er wieder hören kann, zurück in seiner Welt, zurück im Hier und Jetzt, wo er so weit weg von ihr ist, dass er es kaum ertragen kann, obwohl er doch ihre Haut direkt auf seiner spürt.

Gut, denkt André. Was ist schon gut? Gut kann auch bedeuten: Nach endloser Leere, die nichts und niemand je verdrängen kann. Gut kann auch bedeuten: Nicht ganz so sehr nach Verzweiflung wie alles andere. Gut kann auch bedeuten: Nach Blut, nichts weiter.

»Danke«, erwidert er. Er lächelt, als sie ihn küsst, sein Blut noch auf den kalten Lippen.

XI.

Liebst du mich? So lautet die Frage, die er immer wieder stellen will. Aber die Antwort darauf lautet dann doch bloß: Mach dich nicht lächerlich. - Und deshalb fragt er erst gar nicht.

XII.

Unsterbliche Augen sehen anders. Klarer. Schärfer.

Der dichte, graue Vorhang namens Ohnmacht hebt sich langsam wieder, und die Frage, die André auf der Zunge liegt, lautet jetzt: Warum? (Später ist er froh, dass er nicht wirklich fragen konnte. Es ist eine dumme Frage, auf die er eigentlich nie eine Antwort wollte; wie so ziemlich alle Fragen, die er jemals an sie hatte.)

»Willkommen in der Ewigkeit«, flüstert eine vertraute Stimme ihm zu. André kann nicht antworten, er spürt seinen Körper nicht richtig und kann die Bewegungen nicht steuern, aber er ist sich ziemlich sicher, dass er in diesem Augenblick lächeln muss.

Aviens Hände fühlen sich nicht mehr kalt an, und ihre Gedanken und Gefühle nicht mehr ganz so fremd.

Sie fragt zum ersten Mal ganz offen: »Willst du mich? Willst du mir auf ewig gehören?«

Unsterbliche Herzen fühlen anders. Klarer. Schärfer.

XIII.

Dreizehn Jahre. André hofft noch immer. (Und wie lang kann eine Ewigkeit voller unerfüllter Hoffnung schon sein?)

adventskalender 2017, oc: andré, atrahor: canon, pairing: andré x avien, oc: avien, prosa: atrahor

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