Prolog 1 |
Prolog 2 |
Fetzen |
Erinnerung |
Schmerz |
Verhandlung |
Neuigkeit |
Risiko |
Nacht |
Psyche |
Zwischenspiel |
Zeit |
Fremde |
Gewissen |
Treffen |
Rache |
Besuch |
Öffnung |
Fragen |
Epilog 1 |
Epilog 2 CHASING TED - BESUCH
Ich war mir sicher, dass er sich freut. Natürlich habe ich dem Kleinen nicht gesagt, was ihn hier erwartet, deshalb ist er auch nur widerwillig mitgekommen. Ich kann verstehen, dass er das Bisschen Zeit, das ihm noch bleibt, mit seiner Babysitterin verbringen will. Sie ist wahrscheinlich die einzige, die ihn hier halten kann.
„Virginia Mason Medical Center?“ Das ist wohl eines der ersten Male, dass ich verhaltene Skepsis in seiner Stimme höre. Er fragt sich, was er hier soll. Dass er kein Mensch für Überraschungen ist, habe ich bereits sehr früh herausgefunden.
„Du nervst mit deiner ewigen Fragerei. Wenn's dir nicht passt, können wir auch gern wieder gehen.“ Ich bin zwar ein geduldiger, aber kein freundlicher Mensch, je eher er sich das einprägt, desto besser. Meine Worte haben ihn zum Schweigen gebracht. Gut.
Angstschweiß hat sich inzwischen auf seiner Stirn und sein Rückgrat hinab gebildet. Ein klein wenig freut mich diese Beobachtung, auch wenn man fast schon Mitleid mit dem Kleinen haben könnte. Er weiß nicht was ihn erwartet und doch scheint er instinktiv zu spüren, dass es etwas Wichtiges ist. Was ihn wirklich wahnsinnig macht, ist wohl die Tatsache, dass man in einer Klinik nicht rauchen darf. Gerade vorher hat ihn schon eine der Schwestern darauf angesprochen. Er hat sich bereits die dritte Zigarette angesteckt gehabt, aber so panisch habe ich noch selten jemanden sowas ausmachen sehen. Zum Glück kenne ich die Schwester nicht, so dass mir sein unverständliches Gebrabbel und sein hochroter Kopf erst einmal nicht peinlich sein müssen.
Schließlich stehen wir doch vor der Tür. Sie ist kleiner als ich sie in Erinnerung habe. Klein und weiß und schmucklos. „Da sind wir. Tritt ein, na los.“ Ich werde aus dem Kleinen nicht schlau. Ich kann deutlich sehen, wie er sich dagegen sträubt, hier zu sein. Er vertraut mir nicht, aber das kann ich ihm nicht verdenken. Und trotzdem öffnet er langsam die Tür und tritt in den kleinen Raum.
Es ist alles noch so, wie ich es in Erinnerung habe. Die Vorhänge sind geschlossen. Der kleine Tisch darunter ist ordentlich, sauber und unbenutzt. Schlichte Zimmerdekoration, mehr nicht. Der Wasserhahn tropft immer noch, nach wie vor, leise vor sich hin und wechselt sich stetig mit dem Piepsen der medizinischen Geräte ab. Die Hektik und das Leben außerhalb werden ausgeschlossen, als sich die Tür hinter uns schließt.
Vorsichtig und nur sehr langsam wagt er sich auf das große Krankenhausbett zu. Wie gebannt bleibt sein Blick auf der zierlichen Gestalt darin hängen.
Er öffnet den Mund, doch komme ich ihm zuvor. Ich will seine Stimme in diesem Moment einfach nicht mehr hören! „Deanna?“ Behutsam nehme ich ihre schlaffe kleine Hand auf. „Deanna... Besuch für dich.“
Für einen Moment bezweifle ich, ob sie mich wirklich hört. Aber im nächsten Moment nehme ich das vertraute Ansteigen der Pieps-Frequenz wahr und kurz darauf erwidert auch die gehaltene Hand meinen vorsichtigen Griff.
Mit jedem Tag, der vergeht, sieht Deanna noch zerbrechlicher und schwächer aus. Wenn das so weiter geht, fürchte ich, dass meine Dienste bald nicht mehr gebraucht werden. Deshalb bin ich wohl hier. Sie hat ihre Augen geschlossen, wendet jedoch den Kopf leicht in meine Richtung.
Als sie sie schließlich öffnet, liegt in ihren glasigen Tiefen eine seltsam klare Frage. „Besuch?“
Na los, sag was, Dummkopf! Ich habe dich sicher nicht hierher gebracht, dass du jetzt wie erstarrt dastehst.
„Die Frau aus meiner Erinnerung...“ Fast schon ehrfurchtsvoll flüstert er diese Worte. Was auch immer sie bedeuten mögen. Tu endlich was, Kleiner! Er steht immer noch einfach nur so da, sein Blick starr auf Deanna geheftet.
In meinem Magen breitet sich ein fremder, dumpfer Schmerz aus, als Deannas Augen zum ersten Mal seit langem wirklich zu sehen scheinen. Mir wird bewusst sie erkennt ihn. Wäre ich allein mit dem Kleinen, könnte ich für nichts garantieren.
Das Sprechen strengt sie sichtlich an und sie muss mehrmals ihre farblosen, gesprungenen Lippen befeuchten. „Theodore...?“ Es fällt mir zum ersten Mal in meinem Leben schwer, einfach nur geduldig dabei zu stehen. „Du bist... zu einem stattlichen jungen Mann geworden...“
„Chase... hat mir etwas von seiner Kleidung geliehen...“ Er scheint immer noch nicht zu wissen, wer da vor ihm liegt. Ich hoffe, seine Verwirrung lässt ihn nicht irgend etwas Dummes anstellen. Er sucht nach einer rationalen, logischen Antwort. Die wird er nicht finden.
Deanna nickt nur wortlos. Tränen bilden sich in ihren Augenwinkeln. Es ist das erste Mal, dass ich sie so sehe. Nach einer kurzen Stille meint sie mit erstaunlich fester Stimme, „Ist er hier? Ich möchte mich bei ihm bedanken.“
Natürlich bin ich hier. Entschlossen ergreife ich wieder Deannas Hand, umschließe sie sanft. Am liebsten würde ich ihr jetzt sagen, dass sie sich ihren Dank sonstwo hin stecken kann. Am liebsten würde ich sie anschreien. Hat sie mit mir jemals so geredet?... „Ich bin hier.“
Sie schenkt mir ein Lächeln. Und für einen Moment sieht sie nicht in mir ihren verstorbenen Ehemann. Für einen Moment ist sie nicht mehr die schwache Existenz in diesem viel zu großen Krankenhausbett. Sie ist die Frau und Mutter, die sie vor Jahren einmal war. „Danke... Dass du auf uns aufgepasst hast.“
Ich habe getan, was ich tun musste. Und nicht getan, was ich nicht tun konnte. So einfach ist das. Nichts zu danken... Und jetzt sollte besser der kleine Eierkopf wieder herkommen. „Hey, wofür hab ich dich hergebracht? Wehe, du sagst deiner Mutter nicht endlich was Intelligentes, Eierkopf!“