Chasing Ted - Treffen [15/21]

Dec 17, 2005 15:50

Prolog 1 | Prolog 2 | Fetzen | Erinnerung | Schmerz | Verhandlung | Neuigkeit | Risiko | Nacht | Psyche | Zwischenspiel | Zeit | Fremde | Gewissen | Treffen | Rache | Besuch | Öffnung | Fragen | Epilog 1 | Epilog 2

CHASING TED - TREFFEN

Harmonie. Ruhe. Entspannung. Seine eigene kleine Landschaft. Da war sie wieder. Er lag eine Weile nur so da, die Augen geschlossen, den Atem bewusst tief. Dann stand er inmitten der alten Burgruine, die er erschaffen hatte.

Ja, hier konnte er sich entspannen. Den Tag noch einmal verarbeiten und dann erst einmal ruhen lassen. Es fing an, zögerlich aber in dicken Tropfen zu regnen. In jedem dieser Tropfen spiegelte sich eine Szene des Tages, der hinter ihm lag. Ein Tropfen Chiara. Ein anderer sein Labor. Wieder ein anderer Chiara zu einem späteren Zeitpunkt... Ted suchte unter dem überhängenden Dach der Reste eines kleineren Gebäudes eine trockene Stelle aus, setzte sich mit dem Rücken zur Wand und beobachtete friedlich die Tropfen. Wie Regen die Luft säubert und den Boden und die Pflanzen darin für neues Wachstum vorbereitet, so säuberte dieser Regen auch Teds Geist und bereitete den Grund für neue Erfahrungen, einen neuen Tag.

Er wusste nicht, wie lange er dort gesessen und all die Tropfen beobachtet hatte, als er durch den Schleier des Regens eine Gestalt ausmachen konnte, die auf ihn zu kam. Eine Gestalt? In seiner Harmonie-Landschaft? War das möglich? Ted fragte sich, ob er vielleicht im Laufe des Beobachtens bereits eingeschlafen war.

Die Person, die da auf ihn zu kam, stellte sich als ein junger Mann, etwa im gleichen Alter wie Ted, heraus. Er sah schlank und muskulös aus, hatte kurzes, stacheliges braunes Haar und trug ein offenes rotes Hemd, darunter einen schwarzen, körpernah geschnittenen Rollkragenpullover (der das Licht auf seltsame Weise zu absorbieren schien), und eine auf den ersten Blick leicht verwaschen aussehende Bluejeans. Seine Augen waren von einer spiegelnden Sonnenbrille verdeckt, doch Ted konnte sehen, dass sie blaugrau waren, als der Fremde vor ihm stehen blieb und die Brille abnahm.

„Was suchst du hier?“ fragte Ted vorsichtig. Der Andere sah stärker aus, und er meinte ein gefährliches Funkeln in seinen Augen sehen zu können.

„Wenn ich das wüsste,“ erwiderte der Andere gereizt, und mit einem abschätzigen Blick fuhr er fort, „Und du? Was suchst du hier? Mitten in der Pampa und im Regen? Wer zum Teufel bist du überhaupt?“

Ted war verwirrt. Dieser Typ schien nicht nur gefährlich, sondern im Moment auch schlecht gelaunt. Außerdem kam er ihm irgendwie bekannt vor. Auch wenn das seine Fragen, die ihm alle gleichzeitig in den Kopf geschossen kamen, nicht einmal ansatzweise beantwortete, beschloss er, sein Gegenüber nicht noch weiter unnötig zu reizen. „Mein Name ist Theodore.“

Der Andere schien ein Lachen unterdrücken zu müssen, und meinte mit spöttisch gekünsteltem Oxford-Akzent, „Theodore...“ Mit breitem Grinsen fuhr er fort, „Was ist das denn für ein Name? Nennen dich die Leute wirklich so?“

Das war genug Beleidigung gewesen. Jetzt reichte es. Schluss mit lustig! „Ob du es glaubst oder nicht, das ist der Name, den mir meine Eltern gegeben haben, ja.“ Ted musste unerwartet schlucken, um dem Kloß vorzubeugen, der sich in seinem Hals zu bilden drohte. Etwas leiser meinte er noch, „Das ist das Einzige, das mir von ihnen geblieben ist.“ Und auch das Einzige, an das er sich klar erinnern konnte. Nicht einmal die Namen seiner Eltern weckten irgend einen Funken der Wiedererkennung in ihm, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass die Angaben in seinen Personalakten korrekt waren. Doch das alles wollte er niemandem, und schon gar nicht diesem Typen, unter die Nase reiben.

Das Grinsen des Anderen löste sich in einen ernsten aber unbarmherzigen Gesichtsausdruck auf. „Du bist also Waise? Eins sag ich dir: Sei froh, wenn du so gute Erinnerungen an deine Eltern hast.“

Was das zu bedeuten hatte, wusste Ted nicht. Und sein Gegenüber schien nicht gewillt zu sein, eine weitere Erklärung abzugeben. Hinter seinen harten, stahlblauen Augen schien ein unerbittliches Feuer zu lodern, und seine Miene war mehr als undurchsichtig. Ted wusste, eigentlich müsste er lügen. Doch er hatte das Bedürfnis, bei der Wahrheit zu bleiben, nur um dem Anderen klar und deutlich anzuzeigen, dass er besser war. Ganz egal, was der Andere dann denken mochte, Ted hätte Satisfaktion. „Das...“ Der Kloß in seinem Hals war hartnäckiger, als Ted angenommen hatte. Er schluckte ein paar mal in rascher Folge, bevor er erneut ansetzte. „Das bin ich auch, auch wenn es mehr ein Gefühl als wirkliche Erinnerungen ist.“ Nun, da es heraus war, schämte Ted sich dafür. Sicher, er war noch sehr jung gewesen (zumindest hatten ihm die Schwestern im Waisenhaus das immer wieder bestätigt), trotzdem empfand er all das als eine Schande, einen nie ganz greifbaren Verlust.

Ted konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, aufzuspringen, als der Andere noch näher auf ihn zukam und sich neben ihn unter das Vordach setzte. Ohne davon in irgendeiner Weise Kenntnis zu nehmen oder ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, meinte er nur, „Du kannst mich Chase nennen, Kleiner,“ und blickte hinaus in den Regen.

Chase, was war das denn für ein Name? Ted wollte diesen Gedanken besser nicht laut aussprechen. Und Kleiner? Hatte sich Ted so sehr verschätzt, oder sollte er froh sein, dass ihn der Andere nicht mit Freak oder Idiot angeredet hatte? Er zuckte die Schultern. Wie dem auch sei, Chase hatte ihn nicht angegriffen, und diesen Zustand wollte Ted lieber erhalten.

Eine Zeit lang - Ted wusste nicht, ob es nun Minuten oder Stunden oder lediglich Sekunden waren, doch in dieser surrealen Landschaft war das auch sehr schwer zu definieren - saßen die beiden einfach nur wortlos da und sahen den Regentropfen zu.

„Die meisten nennen mich einfach nur Ted,“ sagte er leise, nicht sicher, ob er es wagen wollte, das Schweigen zu brechen. Chase reagierte nicht. Er schien ihn nicht zu hören. Der Regen ließ langsam nach, und langsam aber sicher wurde die Stille bedrückend.

Als Ted aufstand und sich zum Gehen wenden wollte, nahm er von Chase ein leichtes Kopfnicken wahr. „Ich weiß,“ meinte der tonlos.

Dann versank Ted in der ungestörten Dunkelheit eines traumlosen Schlafes.

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