{#goretober} alyssé & avien • »tanz.«

Oct 07, 2018 22:03

Story: RPG storyverse (AU)
Genre: lowkey gore I guess eigentlich eher so creepy supernatural shit
Warnings: Alkohol, Gewalt (graphic), Blut, Tötung diverser Leute (aber irgendwie ist es dieses Mal Notwehr I guess?), generell Zwang/Erpressung/Gefangenschaft I dunno sowas in der Art halt??
Rating: 18+
Charaktere: Alyssé & Avien (mit kleinen Auftritten von Cae, Alexandre & Ophélie)

Ficathon: not over
Prompt: [234], aus "Hölle" von K.I.Z
Challenge: Goretober (nightmare)

Sonstiges: Für Jay, der sich vor ner Weile Avien/Alyssé zu diesem Prompt gewünscht hat. <3 Ok es ist wieder etwas am Prompt vorbei, nicht richtig korrekturgelesen (ich könnte wetten, ich hab irgendwo beim umschreiben die Zeitform abgefuckt), irgendwie lowkey geschummelt (weil es schon vorm Oktober angefangen war) & ich bin nicht 100% happy mit dem Ende, aaaber ich wollte euch unbedingt Ophélie vorstellen & diesem absurden Szenario, das mir da in den Sinn kam, irgendeinen Sinn geben. (Aber lbr, ich habe trotzdem zero Ahnung, ob irgendwas in diesem Text wirklich einen Sinn ergibt.) Ich hoffe, ihr (also vor allem mein King of Gore!!) enjoyt es. <3 P.S.: Gore-y shit zu K.I.Z-Lyrics ist diesen Oktober anscheinend m1 jam, don't @ me

80 Stunden barfuß tanzen, bis die Füße bluten


»Tanz.«

Avien lehnte sich zurück. Ihre Haut schien schneeweiß im Kontrast zu den weinroten Polstern ihres Sessels und den mit Schnitzereien verzierten Lehnen aus Ebenholz. Auf einer Seite ruhten ihre Finger darauf, während sie mit der anderen Hand eine goldbraune Flüssigkeit in einem Glas hin- und herschwenktet. Sie betrachtete den Whisky dabei eindringlich, als gäbe es nichts interessanteres in dem kerzenerhellten Raum, und an ihren Mundwinkeln zupfte ein mattes Lächeln.

Alyssé hörte ihre eigenen Ketten klirren, als sie sich aufrappelte, obwohl dabei die Welt vor ihren Augen verschwamm und sie das Gefühl hatte, an einem kilometertiefen Abgrund zu stehen, in den sie jeden Augenblick fallen könnte. Ihr Blick wanderte durch den Raum. Viele kleine Flammen tauchten alles in einen warmen Schein - die nackten Wände, Aviens Gesicht und Körper, die reflektierenden Fensterscheiben, die fremden Gestalten rings um sie herum, die alle ihren festen Platz zu haben schienen. Sie alle trugen Masken, dazu teure Kleidung; schick, aber nicht unpraktisch. Die meisten von ihnen hielten Instrumente bereit. Wie ein kleines Orchester, dachte sie, bloß, dass sie nicht auf einer Bühne oder im Orchestergraben standen, sondern in diesem Raum verteilt verharrten und Alyssé anzustarren schienen, und dass sie nicht auf das Kommando eines Dirigenten warteten, sondern auf Aviens.

Langsam kehrte Alyssés Blick zu Avien zurück. Ihr Mund und ihre Kehle fühlten sich staubtrocken an, als sie die Lippen öffnete und versuchte, Worte hervorzubringen. Verärgert schüttelte sie ihre Hände, dann nacheinander ihre Füße, um die Ketten erneut zum Klirren zu bringen. »Dafür müsstest du mir die hier schon abnehmen«, entgegnete sie, jede Silbe vor Trotz triefend.

Avien hielt ihrem Blick mit stoischer Ruhe stand; schnipste mit den Fingern der freien Hand, ohne auch nur für den Bruchteil einer Sekunde wegzusehen.

Von irgendwo her hörte Alyssé das Quietschen einer Tür. Sie drehte sich sofort um, um das Geräusch besser orten zu können, doch es half ihr nicht, wie erhofft, dabei, ihre Orientierung in diesem fremden Gebäude zu verbessern. Wenig später schwang eine der großen Flügeltüren des Saals, in dem sie sich befinden, auf, und ein weiterer maskierter Mann trat ein. Alyssé dachte für den Bruchteil einer Sekunde darüber nach, ob sie an ihm vorbeikommen und nach draußen rennen könnte, verwarf den Plan aber schnell wieder, nachdem sie realisiert hatte, dass sie keine Ahnung hätte, wie es weitergehen sollte, selbst, wenn ihre Fesseln sie nicht zu sehr zurückhielten. Sie war erst vor wenigen Minuten aus der Bewusstlosigkeit wieder aufgewacht und hatte nicht die leiseste Ahnung, wo man sie hingebracht hatte.

Der Neuankömmling durchquerte den Raum und blieb neben Aviens Sessel stehen, nun ebenfalls Alyssé zugewandt.

Dann öffnete sich die Flügeltür erneut, doch dieses Mal deutlich zurückhaltender. Alyssé drehte sich in Richtung Ausgang - und sah die letzte Person hereinschleichen, die sie hier erwartet hätte: Caedes. Für einen flüchtigen Moment trafen sich ihre Blicke - und das genügte. Alyssé wusste, was er dachte, kaum dass sie seine in seine Augen gesehen hatte. Ohne zu zögern wandte sie sich ganz in seine Richtung; imselben Moment riss er die zweite Hälfte der Tür auf und trat aus dem Weg.

Lauf.

Es war eine stumme Bitte gewesen, aber eine unmissverständliche. Und Alyssé hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, wie es danach weitergehen würde.

Die Fußfesseln schränkten sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein, doch sie waren locker genug, dass sie den Sprint zur Tür schaffte; nicht zuletzt, weil niemand damit gerechnet zu haben schien. Sie wirbelte so schnell an Caedes vorbei, dass kaum Zeit für einen zweiten Blick blieb, und spürte dann den Luftzug, als die Türen hinter ihr zuschlugen. Sie schob den Gedanken an Caedes beiseite und rannte weiter. Es blieb keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, welche Folgen diese Aktion wohl für ihn haben würde.

Ihr Weg führte sie einen schier endlos langen Gang entlang, von dem rechts etliche Türen und mehrere andere Flure abgingen. Alyssé rannte immer weiter geradeaus, doch irgendwann war der Gang zu Ende, und sie hatte keine Ahnung, in welchen Raum oder Gang sie abbiegen sollte. Denk nach, schalt sie sich selbst im Stillen. Denk verdammt noch mal nach. Sekunden später eilte sie zurück zu dem einzigen Gang, der ein wenig breiter angelegt war als die restlichen und mittig von dem langen Flur, auf dem sie sich derzeit bewegte, platziert zu sein schien. Sie bog ein, um dort einen Treppenaufgang vorzufinden. Scheiße. Das Laufen war mit den Fesseln schon schwer genug, aber Treppen … Versuchen musste sie es trotzdem, so viel stand fest.

Nach wenigen Stufen stolperte sie und schlug der Länge nach auf, konnte sich mit gefesselten Händen kaum abfangen. Ihr Kinn traf auf eine Kante und sie schmeckte Blut, während sie wieder nach unten schlitterte.

Auf dem Gang ertönten schwere, hastige Schritte aus der Richtung, aus der sie gekommen war.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Sie rappelte sich so schnell wieder auf wie sie konnte, krabbelte die Treppe mehr hinauf als dass sie ging, doch sie kam einfach nicht schneller voran als die Schritte ihrer Verfolger näherrückten.

Gerade, als sie den oberen Absatz der Treppe erreicht hatte, spürte sie einen festen Griff um ihr Fußgelenk. Sie blickte nicht zurück, sondern versuchte nur, die fremde Hand abzuschütteln, mit dem freien Bein auszutreten. Ihr Fußballen traf auf etwas festes und sie hörte ein Knacken, einen kurzen Schrei, während der Griff sich ein wenig lockerte. Doch sie wusste, dass es aussichtslos war. Dieser kleine Erfolg hatte ihr keinen großen Vorsprung verschafft.

Das nächste, was sie spürte, war das Gewicht eines Körpers über ihr. Ein Knie in ihrem Rücken, ein Unterarm, der gegen ihren Hals drückte und ihr die Blutzufuhr abschnürte. Der eiskalte Hauch fremden Atems an ihren Ohr; doch sie konnte nicht mehr verstehen, was Avien ihr zuflüsterte, bevor die Dunkelheit sie in ihre Arme zog und das Bewusstsein von ihr wich.

*

Als Alyssé das nächste Mal aufwachte, kam sie sich vor, als fiele sie aus dem wohltuenden Schwarz der Ohnmacht direkt in einen Albtraum. Zurück in denselben Albtraum, vor dem sie überhaupt erst geflohen war.

Derselbe Raum.

Dasselbe Szenario.

Avien saß vor ihr auf einem Sessel. Sie nahm sich nicht die Zeit, sich eine neuen Befehl, eine neue Formulierung zu überlegen, sondern sagte wieder nur: »Tanz.«

Nur von Caedes war nichts mehr zu sehen. Alyssé schon den Gedanken an ihn wieder beiseite. Nicht jetzt. Es war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um sich Sorgen zu machen.

Sie gab ein entnervtes Schnauben von sich, während sie sich mühsam hochdrückte und es immerhin bis auf die Knie schaffte. Kein Klirren dieses Mal. Kein Gewicht an den Hand- und Fußgelenken, das das Aufstehen noch schwerer machte als es ohnehin schon war. Ihr Körper fühlte sich noch träger an als zuvor, doch die Fesseln waren weg. Irritiert rieb Alyssé sich die Hand- und Fußgelenke. Dann blinzelte sie Avien wieder entgegen. »Ist das dein verdammter Er-«

Noch bevor sie aussprechen konnte, winkte Avien mit einer flüchtigen Handbewegung zwei der Maskierten heran. Sie kamen zielsicher auf Alyssé zu, jeder packte sie an einem Arm, und zusammen zogen sie sie hoch. Sie verharrten noch einen Moment lang, als wollten sie sichergehen, dass sie nicht gleich wieder auf die Knie sank; dann traten sie wie auf Kommando zurück an ihre Plätze.

Obwohl sie vollkommen still stand, fühlte Alyssé sich, als würde sie schwanken. Ihre Ohnmacht konnte nicht lange angehalten haben, aber es kam ihr vor, als sei sie tagelang weg gewesen. »Was willst du von mir?«, knurrte sie.

Avien lachte leise auf. Sie strich sich mit einer Hand betont beiläufig das Haar aus dem Gesicht und nippte dann an ihrem Getränk. Es war, als sei der gesamte Fluchtversuch nie geschehen - die Szenerie unverändert, Avien makellos wie eh und je, ohne auch nur eine Falte in ihrem eleganten Kleid. »Das sagte ich doch bereits«, säuselte sie, ihr Tonfall gleich dem einer Mutter, die ihrem Kind dieselbe Sache zum zehnten Mal erklärte - halb genervt und belehrend, halb liebevoll, beinahe sanft. »Du sollst für mich tanzen.«

Nun musste Alyssé selbst lachen ob der Absurdität dieser Aufforderung, doch das Lachen blieb ihr jäh im Hals stecken, als sie auf einen Schlag realisierte, dass ihr Gegenüber es ernst meinte. Todernst.

Einerseits, weil es eben Avien war -

Andererseits, weil sie sich mit einem mal der feinen Veränderungen im Raum bewusst wurde.

Es waren mehr Personen als vorher. Zwischen den maskierten Musikanten und Musikantinnen hatten sich noch ein paar weitere Zuschauer eingefunden. Fünf an der Zahl. Doch die neuen Zuschauer trugen keine Musikinstrumente bei sich. Sondern Waffen. Vier von ihnen Kurzschwerter, einer einen Dolch.

Alyssés Blick wanderte unruhig durch die Reihen anonymer Personen und dann zurück zu Avien.

»Na los.« Avien lächelte. »Bringt sie zum Tanzen.«

*

Der erste Hieb kam von hinten. Sie spürte ihn mehr als dass sie ihn kommen sah oder hörte; spürte dieses Kribbeln, diesen unruhigen Schauer, der ihr über den Rücken lief und den sie nach all den Jahren in ihrem Beruf ganz eindeutig als Warnung vor drohender Gefahr erkannte. Sie drehte sich nicht um, um zu sehen, was der Maskierte mit dem Dolch vor hatte, sondern wartete ab, für den Bruchteil eines Moments nur - bis sie seine Gestalt direkt hinter sich wahrnahm, seine zu ihr heraneilenden Schritte noch nicht ganz verklungen.

Alyssé wirbelte abrupt herum und wich um zwei Schritte zurück. Knapp vorbei an der Dolchspitze, die sich um eine Haaresbreite in ihre Schulter gebohrt hätte.

Wie auf Kommando begannen die Musikanten und Musikantinnen, eine Melodie zu spielen. Ob wirklich ein Kommando gegeben worden war, bemerkte Alyssé nicht.

Ihr ganzer Körper spannte sich augenblicklich an, doch sie war sich dessen kaum bewusst. Das Adrenalin pumpte mit einem Mal so schnell durch ihre Adern, dass sie zugleich körperlich kaum mehr etwas spürte und doch alles so viel intensiver wahrnahm - ihre fließenden Bewegungen, halb von Instinkt, halb von ihrem plötzlich wieder glasklaren Verstand geleitet, während sie den nächsten beiden Gegenern - einem, der sich von links näherte, und einem von rechts - entwischte; ihre Füße, die sie durch den Raum trugen, als sei sie mit einem Mal hellwach und federleicht, nicht mehr die schwerfällige, ausgelaugte Hülle von gerade eben; ihre Hände, die zuckten, die danach verlangten, selbst den Griff einer Waffe zu umfassen und zurückzuschlagen, das Wissen anzuwenden, das blitzschnell durch ihren Kopf schoss, jedes Mal, wenn sie eine der Klingen in einer beinahe elegant anmutenden Bewegung an sich vorbei durch die Luft sausen sah, ohne zu einem Gegenangriff ansetzen zu können.

Es glich tatsächlich beinahe einem Tanz, wie die Klingen sie hin und her trieben, während die feinen Töne verschiedener Instrumente durch den Raum hallten; einer Choreographie, der sie folgen musste, um nicht ihr eigenes Blut zu vergießen, ganz gleich wie widerwillig. Alyssé knirschte missmutig mit den Zähnen, doch sie hatte keine Zeit, allzu lange darüber nachzudenken; zu viel Konzentration erforderte es, den Attacken, die in Tempo und Ausführung mit der Musik mitzugehen schienen, auszuweichen, ohne einen Fehler zu machen.

Besser so. So musste sie wenigstens nicht Aviens überhebliches Schmunzeln über sich ergehen lassen; musste ihr nicht ins Gesicht blicken, während sie dabei zusah, wie Alyssé ihrem Befehl widerwillig folgte, auf ihre ganz eigene Art und Weise.

Sie tanzte weniger zu der Musik als zu den rhythmischen Angriffen, die sie über den Parkettboden jagten, und doch bewegte sie sich dabei so viel anmutiger, geschickter, lag mehr im Takt, als sie es in einem Ballsaal an der Seite eines schönen Tanzpartners je gekonnt hätte.

*

Der erste Hieb, der traf, traf sie in die linke Seite. Nicht tief genug, als dass sie sich hätte Sorgen machen müssen, aber tief genug, ärgerlich genug, dass sie dem Angreifer, ohne zu zögern oder auch nur darüber nachzudenken, das Handgelenk schmerzhaft verdrehte, noch bevor er seinen Arm nach dem Hieb zurückziehen konnte. Sie fing sein Schwert auf, das er abrupt fallen ließ, und lauschte der herrlichen Stille, die plötzlich eintrat, als alle innehielten und die Musik um sie herum verstummte - Stille, nur durchbrochen von einem vertrauten Klang: Einem verzerrten Schmerzenslaut.

Alle starrten sie an.

Der Verletzte fluchte vor sich hin und schien kaum zu begreifen, wie ihm geschehen war, geschweige denn, wie er reagieren sollte.

Alyssé ließ ihren Blick durch die Runde schweifen. Sie tanzte schon seit einer gefühlten Ewigkeit; es tat gut, einen Moment lang stillzustehen. Es tat noch besser, wieder zu wissen, dass sie dieses Spiel unterbrechen konnte, wenn sie es darauf anlegte.

»Noch jemand?«, fragte sie mit einem provokanten Lächeln in die Runde.

Als ihr Blick bei Avien angelangt war, rollte diese nur genervt mit den Augen und winkte den Verletzten beiseite. »Raus mit dir«, rief sie ihm hinterher, gefolgt von einem Deut auf die Tür. Und dann, an Alyssé gewandt: »Musst du mein Spielzeug denn unbedingt gleich kaputtmachen?«

Alyssé antwortete nicht, sondern erwiderte ihren Blick nur eisern.

Avien stellte für einen Moment ihr Getränk auf einer der Sessellehnen ab und klatschte zweimal in die Hände. »Fahrt fort. Ihr beginnt, mich zu langweilen.«

Die vier verbliebenen Bewaffneten nahmen wieder ihre Positionen ein. Alyssé spannte sich instinktiv an, stabiler Stand, gerade Haltung, Griff um das Schwert fest und unnachgiebig, Blick wachsam. Die Musik setzte wieder ein; die Musikanten spielten weiter, als sei nichts gewesen. Und die Angreifer fuhren damit fort, sie anzustacheln. Sie zum Tanzen zu bringen.

Gerade, als sie einem Stoß in Richtung ihrere Rippen auswich und herumwirbelte, um selbst nach einem der maskierten Männer auszuholen, durchdrang ein haarsträubendes Klirren den Raum. Glas, das auf den Dielen zersprang. Alyssé hielt irritiert inne und sah sich nach den Scherben um, die hinter ihr über das Parkett schlitterten.

Zu langsam. Zu spät. Zu lange gezögert.

Eine Wunde teilte die Haut über ihren Rippen in einem klaffenden Schnitt. Wieder nicht tief genug, um sie ernsthaft zu verwunden. Aber tief genug für einen brennenden Schmerz, und tief genug für dunkelrotes Blut, das sich Sekunden später in der Schnittstelle zu sammeln begann.

Alyssé taumelte zurück. Scherben bohrten sich in ihre Fußsohlen. Feine Splitter, die mehr kitzelten als wehtaten, aber auch stecken blieben. Und eine große Scherbe, die einen tiefen Schnitt von ihrer Ferse bis zu ihrem vorderen Fußballen hinterließ.

In ihrer Wahrnehmung verschwamm alles: Der Schmerz an zwei verschiedenen Stellen. Das Brennen, als sie in die kleine Alkoholpfütze auf dem Boden trat. Aviens herablassendes Lächeln und die Tatsache, dass sie kein Glas mehr in der Hand hielt. Der Blick nach unten, das eigene Blut auf dem Boden, zwischen Scherben, Whisky und Holzdielen. Die Musik im Ohr, die nächste Bewegung des Gegners schon im Augenwinkel.

Alyssé atmete tief ein und schloss die Augen.

Genug.

Genug, um sie jede Zurückhaltung vergessen zu lassen.

Zu viel.

Zu viel, um auch nur eine Sekunde länger mitzuspielen.

Dieses Mal hörten die Musikanten nicht auf, zu spielen. Die Melodie floss weiter, auf und ab, schnell und langsam, begleitete ihre flinken Bewegungen, als Alyssé dem Maskierten mit dem Dolch ihr gestohlenes Schwert zwischen die Rippen trieb und ihm gleichzeitig mit der freien Hand den Dolch entwand. Einen Fuß gegen seinen zuckenden Leib gestemmt, zog sie die Schneide wieder aus seinem Fleisch, hielt nicht inne, um dabei zuzusehen, wie das Blut durch sein Wams sickerte und er mit zitternden Händen nach der Wunde griff, als könnte er das warme Rot so in seinem Körper halten.

Einer weg, einer erledigt. Verblieben drei.

Sie wog den Dolch in ihrer linken Hand kurz hin und her, prüfte sein Gewicht, seine Balance; dann drehte sie ihn um, Griff vorsichtig, doch fest um die Klingt, und warf. Traf den zögerlichsten der verbliebenen Gegner, der, im Gegensatz zu den anderen beiden, noch nicht auf sie zustürmte. Die Klinge bohrte sich in sein Auge, Blut und milchig weißer Brei, kaum zu sehen in all der Hektik, während er auf die Knie sank und aufschrie.

Nicht unbedingt erledigt, aber auf jeden Fall außer Gefecht. Zwei noch auf den Beinen.

Sie lieferten einen guten Kampf. Zumindest dafür, dass sie, wie Alyssé glaubte, keine ausgebildeten Kämpfer waren wie sie; nur arme Seelen, die Avien irgendwo in der Welt aufgesammelt und für ihre Zwecke eingespannt hatte. Metall klirrte auf Metall, ihr ganzer Körper schien unter Spannung zu stehen zwischen flinken Ausweichmanövern, gezielten Angriffen und nie nachlassender Aufmersakmkeit. Sie ignorierte die Scherben und Splitter, die sich mit jedem Schritt weiter in die Fußsohle zu drücken schienen. Avien hatte sie längst aus den Augen verloren, genauso wie die Musikanten und Musikantinnen, die sich rundherum kaum vom Fleck rührten, scheinbar wenig beeindruckt vom Geschehen. All ihre Sinne richteten sich auf den Kampf - auf ihren Tanz mit den verbliebenen beiden Gegnern.

Einer verletzte sie am rechten Oberarm. Ihr Blut fühlte sich heiß und vertraut an auf ihrer Haut; wie Tränen, die sich nicht zurückhalten ließen. Sie nutzte den Moment, in dem er noch nah bei ihr stand, der Treffer gerade erst gelandet, um ihm zwischen die Beine zu treten und die Waffe selbst an sich zu nehmen. Ein flüchtiger Moment nur, ein paar Sekunden, ein etwas zu langes Zögern, bevor er zurückwich. Die Klinge machte sich gut in seinem Hals; drang problemlos durch seine Kehle, umspielt von dunklem, dickflüssigem Blut und zitternder Haut, bebend unter seinen letzten Atemzügen, seinem hilflosen Röcheln, während er an Stahl und Blut erstickte. Alyssé ließ sie stecken, behielt stattdessen das Schwert, das sie als erstes ergattert hatte, bei sich.

Verblieben noch: Der, dem sie ein Auge ausgestochen hatte, der immer noch außer Gefecht oder vielleicht sogar schon verschwunden zu sein schien.

Und einer, der sie mit einem Mal von hinten umfasste. Cleveres Bürschchen. Hatte bemerkt, was die anderen von ihren Frontalangriffen hatten. Versuchte es anders. Alyssé konnte förmlich spüren, wie er über ihre Schulter hinweg hoffnungsvolle Blicke in Richtung seines nun einäugigen Kameraden warf, während er mit Schraubstockgriff ihr Handgelenk umklammerte und versuchte, ihr das Schwert zu entringen, ohne sein eigenes zu verlieren.

Doch der letzte im Bunde war, wie Alyssé feststellte, als sie ihn einer genaueren Musterung unterzog, endgültig in sich zusammengesackt. Gut getroffen, musste sie sich selbst im Stillen loben. Gut genug für einen schnellen Tod, nicht bloß ein verwundetes oder ruiniertes Auge.

Sie nahm sich nicht lange Zeit, ihr Werk zu begutachten. Der letzte Verbliebene musste bemerkt haben, dass von seinen Kameraden keine Hilfe mehr zu erwarten war und würde sich bald etwas Neues einfallen lassen; Alyssé hatte nicht vergessen, dass auch er noch eine Waffe bei sich trug und sie jederzeit zücken könnte, auch wenn er es dann deutlich schwerer hätte, sie festzuhalten.

Und siehe da - ihm fiel es auch auf. Sein Griff lockerte sich ein wenig, er zog sein Schwert, hob es und -

Ehe er die Klinge an ihren Hals legen oder ihr damit anderweitig Schaden zufügen oder drohen konnte, brach sie ihm mit ihrem Hinterkopf die Nase. Wartete ab, dass er einen Schritt weit zurücktaumelte, und dann hatte er hat schneller einen klaffenden Schlitz in der Kehle, fein säuberlich von Ohr zu Ohr, als Avien auf ihrem Thron entnervt aufseufzen konnte.

»Musst du wirklich immer alles ruinieren?«, schnaubte die Vampiress - und zog damit erstmals Alyssés Aufmerksamkeit wieder auf sich. Auf etwas anderes als die Tanzfläche. Das Schlachtfeld.

Alyssés Atem ging schnell und ihre Herzschläge donnerten in ihrem Brustkorb wie der Hufschlag einer heraneilenden Kavallerie. Nur langsam hob sich der widersprüchliche Schleier aus Benommenheit und Fokus, hinter dem die ganze Welt abseits der Tanzfläche bis zu diesem Augenblick für sie verschwunden war. Das provisorische Orchester spielte noch, aber beendete die Melodie Avien schnell, indem sie zweimal in die Hände klatschte.

»Du solltest mit ihnen tanzen«, murrte sie, »nicht sie töten. Wie oft soll ich es denn noch sagen?«

»Du kannst mich mal«, fauchte Alyssé zurück. »Du hättest dir besser ausgebildete Schergen suchen sollen, hätten sie länger überleben sollen. Ich töte, wen auch immer ich töten will.«

Auf Aviens Zügen erschient ein belustigter Ausdruck und sie hob eine Augenbraue. »Ach ja?«

Eindeutig eine Herausforderung. Alyssé knurrte, umfasste den Griff ihrer Waffe fester. Während ihr Blick noch Details aufnahm, ihre Gedanken noch kalkulierten, spannte sich ihr Körper bereits wieder an, wartete auf den Sprung, die Attacke, das Zielen auf den Brustkorb - spannte sich an, während der Kopf das Szenario bereits bis ins kleinste Detail durchspielte.

Noch bevor Alyssé auch nur in ihre Richtung zucken konnte, sagte Avien ruhig: »Das würde ich lassen.«

»Ach ja?«, äffte Alyssé sie nach, ohne ihre Angriffshaltung aufzugeben. »Und warum?«

Als hätte sie bereits mit dieser Frage gerechnet, zeigte Avien ein träges Lächeln und schnipste mit den Fingern, nickte jemandem am gegenüberliegenden Ende des Raums zu. Alyssé tat sich schwer damit, ihren Blick nicht dorthin wandern zu lassen, sondern ihn auf Avien gerichtet zu halten. Bloß nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Egal, was dieses bösartige Miststück vor hatte, wenn sie erst einmal tot war -

Weiter kam sie in Gedanken nicht.

Sie wurde von einem unterdrückten Fluchen unterbrochen, von einem Schwall französischer Schimpfwörter, mit gesenkter Stimme hervorgestoßen; doch noch immer wagte sie es nicht, sich umzudrehen. Es waren nicht die Worte an sich, die sie aufhorchen ließen. Es war diese Stimme.

Das konnte nicht -

»Leiste uns doch ein wenig Gesellschaft, Alexandre!«, rief Avien durch den Raum. Schritte erklangen, Schritte von zwei Personen, einmal fest und bestimmt, einmal zögerlich und vom Klirren eiserner Fesseln begleitet. »Willst du deine Schwester nicht auch für uns tanzen sehen?«

*

Alexandre kniete neben Aviens Sessel, und Alyssé fragte sich insgeheim, ob ihn derselbe Ekel ergriff, den sie selbst empfand, als sie Aviens Finger beobachtete, die ihm ein paar der dunklen Strähnen aus dem Gesicht strichen. Aviens Finger, die die Konturen seines Gesichts nachfuhren, seinen Nacken streichelten - als sei es eine liebevolle Geste; nicht wie die wortlose Drohung, die es in Wirklichkeit war.

Der Untergebene, der Alexandre gebracht hatte - es war derselbe, der auch zu Beginn dieses grauenvollen Spiels gleich vor Caedes zu ihnen gestoßen war -, hatte unterdessen schräg hinter den beiden seinen Posten eingenommen, und obwohl er, wie alle anderen auch, eine Maske trug, war Alyssé sich sicher, dass sie ihm schon einmal begegnet war. Doch der Gedanke daran spielte keine Rolle mehr, als Aviens safte Berührung plötzlich endete und stattdessen messerscharf geschliffene Fingernägel sich in Alexandres Nacken bohrten.

Ohne den Blick von Alyssé abzuwenden, krallte Avien sich immer fester in die weiche, menschliche Haut. Blut trat hervor. Alexandre wimmerte nicht, aber er verzog das Gesicht, biss sich auf die Unterlippe.

Alyssé fühlte sich, als stünde sie in Flammen. Jede Faser ihres Körpers brannte darauf, etwas zu tun, dafür zu sorgen, dass das aufhörte, doch sie wusste nicht, wie, ohne ihren Bruder in noch größere Gefahr zu bringen.

»Tanz«, befahl Avien erneut. »Ob mit oder ohne Partner, ist mir egal. Aber du wirst tanzen, nicht töten, verstanden? So lange, wie ich es wünsche.«

*

Alyssé atmete hektisch und schwer, die Fingernägel in ihre eigenen Handflächen gekrallt. Sie blinzelte einige Male, bis die anfangs undurchdringliche Dunkelheit um sie herum sich ein wenig zu lichten begann.

Sie war zu Hause. In ihrem Bett. In ihrem Schlafzimmer. In ihrem Sichtfeld … keine Avien, kein roter Sessel, sondern nur das leere Zimmer und das Fenster, hinter dem sich hier im dritten Stock nichts weiter als der nachtklare Himmel erstreckte.

Und doch wollte das unangenehme Schaudern, das sie seit ihrem Albtraum ergriffen hatte, einfach nicht nachlassen. Reflexartig tastete sie nach dem Dolch an der Unterseite ihres Betts, setzte sich auf, ließ ihren Blick durch das dunkle, leere Schlafzimmer wandern. Ein paar Minuten lang konzentrierte sie sich darauf, ruhig zu atmen, konzentrierte sich auf sich und ihre Umgebung, ihre Wahrnehmung, vergewisserte sich dessen, dass sie wirklich in der Realität angelangt war.

Dann erst erlaubte sie es sich, erleichtert aufzuseufzen und sich zurück auf ihr Kissen sinken zu lassen.

Nur ein Traum, sagte sie sich. Ein absurder Traum ohne jeglichen Zusammenhang. Nichts, woraus man sich etwas -

Alyssé fuhr zusammen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Und war da nicht auch ein Geräusch gewesen? Nur ein vorüber huschender Schatten, ein Luftzug? Oder …

Wie versteinert starrte sie an die Decke, während sich jedes einzelne Härchen in ihrem Nacken aufstellte und eine Gänsehaut sie überlief; sie vermochte kaum, sich einen Millimeter zu rühren.

Schritte. Da waren Schritte auf dem Parkettboden.

Und der Schatten näherte sich. Vom Fenster her. Von jenem Fenster, das sie gerade eben noch betrachtet hatte - das geschlossen gewesen war. Und sich außerdem im dritten Stockwerk eines Turms befand.

Alyssé konnte sich nicht bewegen. Verdammt, wieso …? Sie war daran gewöhnt, heikle Situationen zu bewältigen. Sie hatte etliche Angreifer in die Flucht geschlagen. Etliche Gefahren ausgeschaltet. Wieso gehorchte ihr Körper ihr ausgerechnet jetzt nicht mehr?

Hilflos blinzelnd beobachtete sie, wie eine Gestalt an ihr Bett trat. Sie war nicht sehr groß, hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und das Gesicht, das Alyssé im Dunkeln nur halb ausmachen konnte, wirkte jung. Schön. Ebenmäßig. Rabenschwarzes Haar rahmte die blassen Züge ein, und auf den Lippen der fremden ruhte ein leichtes Lächeln.

»Gefällt dir der Stoff, aus dem deine Albträume gemacht sind?«, fragte sie mit leiser, ruhiger Stimme. »Gefällt dir die erste Geschichte, die ich für dich gewoben habe, Alyssé?«

Alyssé wollte etwas erwidern, wollte aufspringen und ihr an die Kehle gehen, doch es kam ihr vor, als ruhte ein tonnenschweres Gewicht überall auf ihr, drückte ihr langsam die Luft ab und nähme ihr jede Bewegungsfreiheit.

Die Fremde beugte sich leicht vor, strich ihr das Haar aus der Stirn. Alyssé wäre gern vor der Berührung zurückgezuckt. »Ich bin mir sicher«, flüsterte die Frau, »wir werden uns noch öfter sehen. Du bist ein ausgezeichnetes Objekt für meine neuen Versuche; übrigens lasse ich mich auch nur deshalb außerhalb deiner Träume bei dir blicken.« Ihre Mundwinkel wanderten ein Stück weit nach oben. »Aber für heute muss ich dich leider schon verlassen.«

Alyssé sah noch dabei zu, wie die Fremde sich von ihr abwandte und eine Hand hob, und im gleichen Moment wich endlich die Starre von ihr, die sie gefühlt minutenlang ergriffen hatte - doch die wiedererlangte Freiheit hielt nicht lange genug an, um etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Sie spürte nur noch, dass ihr der Dolch aus der Hand glitt, während all ihre Gliedmaßen furchtbar schwer wurden, und dann überfiel sie die bleierne Dunkelheit eines tiefen Schlafs, der sie, dieses Mal traumlos, gewiss bis zum Morgen nicht mehr loslassen würde.

relationship: alyssé & avien, oc: alyssé, rpg storyverse au, oneshot, relationship: alexandre & alyssé, 2018, oc: avien, oc: ophélie, challenge: goretober, ficathon: not over, rpg storyverse

Previous post Next post
Up