Ficathon:
dark ficathon Fandom: these are the ruins, original
Character: Mischa
Genre: drama, angst
Rating: P-16
Warning: alcohol, alcohol abuse, mental issues, self harm (mentioned)
Note: Fortsetzung von
left behind Prompt: A thousand colors invade | All different, all dark | A black sun is now rising | Reality unfolds von
king_of_kinks Es regnet so stark, dass schon allein die paar Meter bis zur Metrostation ausgereicht haben, um völlig durchnässt zu werden. Das Wasser sickert durch seinen Mantel und lässt ihn frösteln. Für einen Atemzug lang fragt sich Mischa, ob es überhaupt Sinn macht, nach Hause zu gehen, denn wie das Kleidungsstück, das ihn eigentlich vor der Kälte schützen soll, ist auch die Decke seiner derzeitigen Unterkunft alles andere als dicht und er kann sich ohne viel Phantasie vorstellen, wie es dort nach dieser Sintflut aussehen muss. Das will er sich nicht antun. Und ebenso viel Elan zeigt sein Verstand bei dem Vorhaben, sich in diesem durchnässten Zustand in die U-Bahn zu setzen. Die Fahrt ist nicht lang genug, um wieder warm zu werden und etwas zu trocknen. Die Menschenmassen, die sich dort um diese Uhrzeit mit Sicherheit einfinden, lassen auch den letzten Rest Motivation sterben. Mischa zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und trabt an der Unterführung vorbei. Ihm ist nach einem Drink. Oder nach ein paar sehr vielen Drinks. Diese seltsame Begegnung und das gemalte Bild haben ihn aufgewühlt. Es gibt nichts, was er dagegen tun kann. Nicht bewusst. Er kann sich nur mit Alkohol betäuben und darauf hoffen, dass sich irgendjemand an ihn heranmacht, damit er heute Nacht nicht in dem sicher sehr durchweichten Bett seines Zimmers schlafen muss. Ihm ist nichts geblieben und momentan arbeitet er noch an neuen Bildern, die er verkaufen kann, um seinen Kontostand aus den roten Zahlen zu holen. Aber für eine Flasche Wodka reicht sein Geld allemal. Und wenn nicht, dann muss er sein charmantes Lächeln aus der Versenkung holen und es etwas spielen lassen. Es ist durchaus fraglich, ob ihm das gelingen wird. Wann hat er verlernt, wie das geht? Er hat sich immer hinter seinen Fassaden versteckt. Nur deshalb lebt er noch. Diese kalte Arschlochattitüde scheint sich mit Killuas Tod davongemacht zu haben. Völlig ungefragt. Eine Frechheit ist das!
Mischa unterdrückt den Fluch, der einen Knoten in seine Kehle macht und sieht sich nur fahrig um. Als nach einem gefühlt ewig andauerndem Fußmarsch ein Irish Pub in seinem Sichtfeld auftaucht, weiß er, wo er an diesem Abend versacken wird. Geöffnet bis zum Morgengrauen. Nichts anderes hatte er lesen wollen. Da nunmehr auch sein Pullover und sein Shirt klamm an seinem Körper kleben - von den Jeans mal ganz abgesehen - sucht er sich im Inneren einen Platz neben der Heizung. Er hat Glück. Der große Andrang steht offensichtlich erst noch an, denn der Pub ist nicht einmal zur Hälfte voll. Mühselig kämpft sich Mischa aus dem Mantel und hängt ihn mit einem angewiderten Blick über den freien Stuhl an seiner Seite, ehe er seinen Blick nach draußen wandern lässt. Wäre es schon kalt genug, dann würde ein Schneechaos Moskau erwarten. So ertränkt nur jeder Tropfen den ganzen Dreck auf den Straßen und erstickt neuen gleich im Keim. Das nächste Mal sollte er vielleicht trotzdem einen Regenschirm mitnehmen. Er erschaudert, als Stimmen am Tresen lauter werden. Ihn interessiert das Geschehen nicht genug, um tatsächlich hinzusehen, aber was gesprochen wird, kann er trotzdem verstehen.
»Hey, Noy! Hast du das verdammte Bild endlich fertig? Die Gäste fragen mich schon, warum die Wand über dem Whiskeyregal so nackt aussieht.«
»Jetzt lass mich doch erst einmal ankommen! Und ja … ich habe dieses sogenannte verdammte Bild mit. Ich musste ein wenig warten, bis ich es holen konnte.«
»Und wo ist es?«
Ein genervtes Aufstöhnen ist zu hören. Weil er sich wundert, wie lange es wohl dauern mag, bis man hier gefragt wird, was man trinken will, sieht er nun doch in die Richtung der Stimmen und muss zugeben, dass der Besitzer des Pub - das nimmt er zumindest an - recht damit hat, dass die Wand hinter ihm sehr kahl aussieht. Kurz bleibt Mischas Blick an dem gedrungenen Mann hängen, der genauso hoch wie breit ist, aber die Falten in seinem Gesicht erzählen davon, wie oft er lacht und was er schon alles erlebt haben muss. Solch irische Urgesteine sieht man nur noch selten und mit einem Hauch von Melancholie denkt er an die Zeit in Amerika zurück und an den guten Rory, dem Gerichtsmediziner, dessen rote Haare - anders als bei dem alten Mann dort hinter dem Tresen - nur an den Ansätzen von ein paar grauen Haaren durchsetzt gewesen waren. Der andere Mann scheint sich zurückgezogen zu haben. Vielleicht holt er das Bild. Mischa muss zugeben, dass ihn die Aussicht darauf, es gleich zu sehen, etwas von den anderen Gedanken ablenkt, die ihm durch den Kopf gehen, auch wenn ihm das stetige Pochen in seiner Hand sehr intensiv daran erinnern will. Er hat nur fahrig einen Fetzen Stoff um die Verletzung gewickelt, weil ein dummer Teil in seinem Kopf meint, er müsse es jetzt darauf ankommen lassen. Er blinzelt, als eine weitere Person aus einem der hinteren Zimmer kommt und dabei eine eingepackte Leinwand trägt. Aber sie ist es nicht, die er entsetzt anstarrt. Er kennt den Kerl. Vor gut zwei Stunden hat er ihn schon einmal gesehen - in dem Raum, den er für seine kurze, kreative Eskapade genutzt hat. Der Snob, der meinte, er müsse das Gemälde von Killua interpretieren. Kurz schnürt ihm die aufkommende Wut die Luft ab und flüchtig ist da der Gedanke, seinen Mantel wieder anzuziehen und das Weite zu suchen, aber erstens ist ihm noch immer kalt und zweitens … interessiert ihn, was der junge Mann für ein Bild gemalt hat. Rein künstlerisches Interesse natürlich - mehr nicht. Das Knistern des Packpapiers hört sich vertraut an und ein Raunen geht durch die Menge, als die beiden Barmänner das Gemälde anheben und an den dafür vorgesehenen Platz über dem Whiskey hängen.
a thousand colors invade
Es sind nicht einmal Tausende Farben. Die Grundstimmung ist eher düster und doch ist das Bild so lebendig, das die Wut in Mischas Bauch verpufft und einem anderen Gefühl weicht. Ehrfurcht. Er hat immer geglaubt, Landschaften wären etwas für die Künstler, die noch in ihren Kinderschuhen stecken und sich erst einmal ausprobieren müssen, um einen eigenen Stil zu finden und besser zu werden. Das kann man bei diesem Ölgemälde nicht sagen. Obwohl es ganz offensichtlich eine Klippenkette in Irland zeigt, die man sicher auch auf herkömmlichen Fotos findet, wenn man Google danach fragt, spricht es doch eine ganz eigene Sprache. Auch der alte Mann lobt es in hohen Tönen, aber die Worte kommen nicht wirklich bei Mischa an. Sein Blick wandert über die vom Mondlicht angestrahlten Klippen, an deren Fuße sich das Meer der Brandung ergibt und Gischt in die Höhe wirbelt. Wolken tummeln sich am schwarzen Himmel und wollen das Licht tilgen, doch es gelingt ihnen nicht. Es ist einfach so intensiv, zu stark.
»Hey … hey, was willst du trinken?« Die Tonlage verrät ihm, dass es nicht das erste Mal ist, dass diese Frage ihm gestellt wird und das holt ihn unsanft ins Hier und Jetzt zurück. Vor ihm steht der Typ und schaut ihn teils amüsiert, teils irritiert an. »Na endlich. Ich dachte schon, du wärst gar nicht mehr hier. Hi! So sieht man sich wieder.«
Das erste Mal mustert Mischa den Fremden genauer. Alles, was ihm im Sinn geblieben ist, ist das verdammte Taschentuch, das der Andere ihm hingehalten hat. Und der Größenunterschied. Jetzt kommen dunkelbraune Haare und durchdringend blaue Augen dazu. Nein. Nicht ganz blau. Da mischt sich etwas Braun in das Rechte und Grün in das Linke. Mischa blinzelt und sieht weg.
»Wodka. Bring mir gleich eine ganze Flasche. Die Billigste, wenn möglich.«
»Klar.«
Er atmet auf, als der Kellner verschwindet, um ihm seine Bestellung zu holen. Schwer zu glauben, dass er diesem Kerl schon wieder über den Weg läuft, nachdem er ihn mit Schweigen aus der Akademie verjagt hat. Allerdings erklärt das, warum er vorhin zu seinem Vorgesetzten gesagt hat, dass er etwas warten musste, bis er das Bild holen konnte. Wenn Mischa so darüber nachdenkt, dann stand in dem Raum tatsächlich eine abgedeckte Leinwand, die er aber nicht wirklich zur Kenntnis genommen hat. Sein Blick wandert zurück zu dem Bild und verliert sich in der wüsten Landschaft. Wäre es ein Motiv voller Tageslicht, dann wären die Farben satter. Das Grün und das raue Dunkelgrau der Klippen. So aber ist es ein Zusammenspiel aus Schwarz- und Grautönen, auf einer Ebene, die man erst einmal bewältigen muss, um so viel Ausdruck erzielen zu können. Er hat den jungen Kerl gnadenlos unterschätzt, aber okay. Er hat ihn auch für einen Snob gehalten. Einen Derjenigen, die ihr Studium von ihren Eltern finanziert bekommen und sich keine Sorgen um ihren finanziellen Stand machen müssen. Die meisten Studenten an der Kunstakademie sind so. Er kennt das viel zu gut. Damals, als er das erste Mal an die Universität gegangen ist, wäre er auch so gewesen, hätte er seine Eltern damals nicht schon längst aus seinem Leben gestrichen. Sein Studium hat er sich anders finanziert. Er hat einfach den richtigen Männern hübsche Augen gemacht. Selbst das hat er verlernt. Irgendwo zwischen dem Projekt Phobia und Killuas Tod. Er weiß nicht mehr, wie das passiert ist. Vielleicht hat er sich ein Mal zu viel verliebt. Diese abwegige Erkenntnis lässt ihn wie einen Idioten grinsen, genau in dem Moment, als eine Flasche vor seiner Nase abgestellt wird. Dazu passend ein Stopka - das berühmte, typisch russische Wodkaglas, in das genau 100ml hineinpassen und das so um einiges mehr fasst als handelsübliche Shot- und Schnapsgläser. Aber das ist nicht alles. Verblüfft beobachtet Mischa, wie auch ein Krug mit Wasser, ein weiteres, normales Glas und eine Tasse Kaffee vor ihm abgestellt werden.
Noch ehe er den Mund aufmachen kann, folgt die Erklärung bereits. »Du siehst aus, als bräuchtest du etwas Warmes. Der Kaffee geht aufs Haus, keine Sorge.«
Mischa sieht flüchtig an sich hinunter. Der hellgrüne Hoodie klebt wie eine zweite Haut an ihm und das verheerend aussehende Shirt darunter fühlt sich noch mehr wie eine an. Zum Glück sieht niemand, wie dreckig es ist. Er betrachtet die Tasse mit dem tiefbraunen Inhalt und zuckt mit den Schultern, greift stattdessen nach der Wodkaflasche und dreht sie auf. Anstatt den Inhalt in das Glas zu gießen, setzt er sie direkt an und nimmt zwei große Schlucke. Das Brennen tut gut. Er wischt sich mit dem Handrücken über die Lippen, als er die Flasche wieder absetzt.
»Wow … dir geht es wirklich beschissen, oder?«
Wütend starrt Mischa zu dem Typen, der noch immer dreist neben dem Tisch steht. »Siehst du die anderen Gäste nicht, oder was? Zieh endlich Leine und lass mich in Ruhe trinken!«
Noy - so hat ihn der Besitzer schließlich genannt - hebt eine Augenbraue und dann die Schultern, so wie Mischa eben. »Wie du willst.«
Abermals wird der Tscheche sich selbst überlassen und als das Brennen in seiner Kehle weicht, greift er langsam nach der Kaffeetasse und nimmt einen Schluck. Auch da brennt es. Kaffee mit Schuss. Wenigstens kann diese Nervensäge mitdenken. Der heiße Alkohol steigt ihm sofort in den Kopf und verteilt sich auch wohlig in seinem Inneren. Das Schaudern lässt nach und Mischa sinkt etwas tiefer in den Stuhl, während er schon wieder das Bild ansieht. Man könnte fast meinen, er würde etwas auf diesem Abbild der Klippen suchen. Irgendetwas. Einen Schatten. Der von ihm. Er schüttelt den Kopf und gießt sich das Stopka mit Wodka voll, um den Inhalt dann in einem Rutsch zu leeren. Er zischt leise und schließt die Augen. Er wird sich sowas von abschießen! Und niemand ist hier, um ihn davon abzuhalten. Wie beruhigend.
-
Nach drei Stunden lässt der Regen nach. Vielleicht werden auch einfach nur alle Geräusche leiser. Gespräche dringen zwar noch an seine Ohren, aber ihre Bedeutung bleibt ihm mehr und mehr verborgen. Wenigstens weiß er jetzt, was dieses Gemälde darstellen soll. Es zeigt die Klippen von Moher. Wo auch immer sie sich befinden - es ist fast schön, dass sie tatsächlich existieren und vielleicht wird er eines Tages nach Irland fliegen und sie sich anschauen. So weit ist sein schwirrender Kopf schon. Fernweh brennt in seinem Verstand, ein heftiges Gefühl des Vermissens und der Einsamkeit frisst sich zur gleichen Zeit durch seine Eingeweide. Nach einer Flasche Wodka, die er auf nüchternen Magen getrunken hat, ist er an dem Punkt angekommen, an dem er einfach aufhören will zu existieren. Er will diese Dinge nicht fühlen. Er will nicht darüber nachdenken, ob er irgendetwas hätte tun können, damit sein wohl einziger Freund auf der Welt nicht sterben muss. Nein … das ist eine Lüge. Killua war nicht der Einzige. Da sind noch mehr. Vor allem einer, der ihm ab und zu schreibt, weil er den Kontakt wieder aufgenommen hat. Doch es sind nicht mehr als ein paar Nachrichten, die hin und her gehen, ehe es wieder ruhiger wird. Ihm ist danach, sein Handy aus der Tasche zu ziehen, doch als der erste Versuch nicht gelingt, lässt er es bleiben.
Mittlerweile ist er einer der wenigen Gäste, die noch hier sind. Die meisten sind längst nach Hause gegangen, weil sie morgen wieder arbeiten müssen. Theoretisch muss er morgen auch früh aufstehen. Praktisch geht es ihm am Arsch vorbei. Er wird einfach hier sitzen bleiben, dann die restlichen Stunden in der Metrostation ausnüchtern und danach direkt wieder in die Akademie gehen. Sein betrunkener Kopf findet diesen Plan ganz großartig, was nicht zuletzt daran liegt, dass er schon vorhin, als er auf Toilette gegangen ist, Probleme damit hatte, geradeaus zu laufen.
»Hast du morgen keine Uni?«
Mischa blinzelt. Diese Stimme schon wieder. Er nimmt Haltung an, stützt sich auf dem Tisch auf und braucht eine Weile, um die Augen zu fokussieren, die zu dem Kerl gehören, der sich ganz dreist auf den Stuhl gegenüber von ihm gesetzt hat. »Das geht dich 'nen Scheißdreck an …«
»Stimmt, aber als der Barkeeper deines Vertrauens sage ich dir, dass du genug hast und nach Hause gehen solltest.«
Mischa weiß nicht, ob es seiner Einbildung entspringt, aber alles Amüsierte, Herablassende ist aus dem eigentlich doch recht attraktiven Gesicht verschwunden und die blau-bunten Augen schauen ihn ernst an. Ein Glucksen bildet sich in seiner Kehle und dringt über seine Lippen, was ihn fast das Gleichgewicht verlieren lässt, das er so schwer auf seine Arme gelegt hat. »Redest du mit all deinen Gästen so?«
»Nein. Nur mit denen, die vermutlich nicht Anderes mehr verstehen.«
»Was du nicht sagst …« Mischa schüttelt den Kopf und für ein paar Sekunden dreht sich die Welt schneller als sie sollte. Vielleicht wäre es klüger gewesen, zu dem Wodka auch das bereitgestellte Wasser zu trinken … oder aber wenigstens etwas zu essen vorher … oder nebenbei. Es spielt keine Rolle. »Lass … mich einfach in Ruhe. Wie oft muss man dir das sagen, bis du es mal raffst?«
»Scheinbar nicht oft genug. Weißt du … ich mag dich eben irgendwie. Wie du da gestanden und gemalt hast - das Bild bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf und dann stolperst du in diese Bar und betrinkst dich. Ich weiß … wir kennen uns nicht, aber ich kann dich in dem Zustand echt nicht allein lassen.«
»Das ist dein Problem und nicht meins.« Ihm fehlt merklich die Energie, den Kerl zum Schweigen zu bringen. Er hätte es tun sollen, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Aber nein - der Moment war an ihm vorbeigezogen und nun hat er das Dilemma. Das ist mehr, als er gerade ertragen kann. »Bitte … geh einfach. Ich kann mich gerade wirklich nicht mit dir auseinandersetzen.«
»Musst du auch nicht. Ich werfe dich einfach raus und dann kannst du machen, was du willst. Oder aber du wartest noch, bis ich Feierabend habe und ich bringe dich, damit du heil ankommst. Allerdings serviere ich dir keine Drinks mehr.«
Was stimmt mit diesem Typen nicht? Mischa runzelt die Stirn und er versucht - er versucht es wirklich - zu verstehen, was hier gerade passiert und was Noy antreibt. Das ist eine Obsession, die er kein bisschen nachvollziehen kann. Irgendwo in deinem Hinterkopf erinnert sich ein kleiner Funken daran, dass er sich jemanden suchen wollte, bei dem er die Nacht verbringen kann, aber da sträubt er sich vehement dagegen. Er wird sich auf diesen Jungspund ganz sicher nicht einlassen, auch wenn er schon recht interessant ist. Durch seine nervige, aufdringliche Art macht er sich unbeliebt und er kann sich kaum vorstellen, dass es auch anders geht. Wer einmal so eine Grundhaltung an den Tag legt, der behält sie für gewöhnlich auch bei. Gott … sein Kopf ist so schwer …
»Ach … mach doch, was du denkst. Hauptsache du bist endlich still.«
Mischas Arme geben dem schweren Gewicht des Oberkörpers nach und das müde Gesicht vergräbt sich zwischen ihnen. Er hört Noys Stuhl, dann Schritte, die sich entfernen. Worte werden am Tresen gewechselt, aber er versteht sie nicht. Als die Schuhe abermals zu hören sind, gehen sie mit zwei Händen einher, die sich an seine Seiten legen und ihn zum Aufstehen animieren wollen. Mischa wehrt sich automatisch dagegen, aber der Griff ist überraschend fest und unbarmherzig. Als er gegen den größeren Körper sinkt, steigt ihm ein angenehmer Geruch in die Nase und die Körperwärme des Fremden tut ihr übriges. Er seufzt leise und sein Widerstand kommt zum Erliegen. Wieder sind da Stimmen. Seine Schritte fühlen sich nicht an, als wären es seine eigenen. Seine Augen finden keinen Fokus, also schließt er sie resigniert und lässt sich führen. Noy … es muss Noy sein, der ihn da führt, denn er redet auf ihn ein und es klingt so vertraut. Was sagt er? Er hat es mit dem Wodka übertrieben und das Gespräch von eben, das Aufstehen haben es noch schlimmer gemacht.
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Eine Ewigkeit scheint zu vergehen. Doch dann ist da eine weiche Unterlage und sein Kopf sinkt in etwas Weiches ein. Er seufzt leise und zieht die Beine an den Körper, doch da sind wieder die Hände.
»Du kannst die Klamotten nicht anlassen. Ich zieh sie dir aus und tue sie in den Trockner.«
Lebt der Andere hier? Die Frage taucht am Rand auf, aber verschwindet genauso schnell wieder wie sie aufgekommen ist. Die Finger kehren zurück, bringen ihn in eine aufrechte Position und ziehen an seinem Hoodie. Völlig automatisiert hebt Mischa die Arme und lässt es zu. Er hört ein leises Zischen, dann verschwindet auch das Shirt und er kann zurück auf den weichen Untergrund fallen. Jemand nestelt an dem provisorischen Verband herum.
»Shit, was hast du denn da gemacht?«
Er erinnert sich nicht. Schlaf. Stille. Aufhören mit allem. Jetzt. Schritte entfernen sich, kehren zurück, dann zuckt ein brennender Schmerz durch seine Hand, der ihn blinzeln lässt. Seine gesunde Hand zuckt zu der Stelle, doch greift ins Leere.
»Halt still … ich muss das sauber machen! Hast du dich mit einem Skalpell geschnitten?«
Skalpell … kurz ist da eine flüchtige Erinnerung, die sich verschwommen vor seinem inneren Auge abzeichnet. Ja … und er hätte beinahe noch sehr viel mehr damit gemacht. Warum hat er es nicht getan? Mischa blinzelt und sieht nur aus dem Augenwinkel heraus, dass Noy etwas Weißes um seine Hand wickelt. Er schließt die Augen wieder, lässt die rechte Hand auf seinem Bauch liegen und gibt keinen Fuck mehr auf irgendetwas. Selbst dann nicht, als ihm auch die Hose ausgezogen wird. Nur die Shorts wird ihm gelassen. Er fühlt sich nackt, verletzlich. Der Andere bemerkt das und weiß nicht recht, was er tun soll. Noy ist noch nie in solch einer Situation gewesen. Er betrachtet den Künstler, der sich zusammenrollt wie ein Kleinkind und findet den Anblick so schlimm, dass er leise seufzt, die Decke nimmt und sie über dem Anderen ausbreitet. Das hier ist sein Bett und sein Zimmer, aber es macht nichts, dass er die Nacht auf dem Sessel verbringen wird. Der Verzweifelte braucht eindeutig Hilfe und auch wenn er sie nicht annehmen will, bekommt er sie. Noy rafft die Sachen zusammen, die er Mischa ausgezogen hat und verlässt den Raum, um sie in den Waschraum zu bringen. Dabei löscht er das Licht und lässt den Hilflosen in der Dunkelheit zurück.
Aber nicht für lange.
Er hat mit seinem Stiefvater gesprochen und kann für heute Schluss machen. Dann kann er auf Mischa aufpassen. Und vielleicht … mit etwas Glück … können sie morgen anders miteinander umgehen, denn er würde den Einzelgänger nur zu gern besser kennenlernen. Mischa hat so viele Bewunderer in der Akademie, doch lässt niemanden an sich heran. Noy wäre gern einer, der es schafft. Warum auch immer. Als er wieder zurückkommt, ist Mischa eingeschlafen und er selbst lässt sich auf den Sessel sinken, um gedankenverloren zum Bett zu schauen.
Was für ein seltsamer Tag.