left behind

Apr 11, 2018 22:44


Ficathon: dark ficathon

Fandom: original, these are the ruins

Character: Mischa

Genre: drama, angst

Rating: P-16

Warning: svv, blood, angst, sadness, loneliness

Prompt: And if your heart stops beating | I'll be here wondering | Did you get what you deserve? von king_of_kinks

Die Leinwand ist so viel größer als er. Trotzdem ist der obere Rand schon voller schwarzer Farbe. Sie zieht Linien, die bis zum unteren Ende des Rahmens reichen. Sie ist auch auf seinem Shirt. Auf seiner Hose. Es ist egal. Der Geruch ist überall. Der Raum der Akademie verliert sich im dunklen Tunnel. Er sieht nur das Bild vor sich - alles andere ist nicht wichtig genug, um beachtet zu werden. Ihm ist warm. Schweiß steht ihm auf den Schläfen. Der dicke Pinsel taucht in rote Farbe und es ist die Kombination der beiden Nuancen, die ihn immer wieder an ihn erinnert. Fahrig zieht er die blutigen Borsten über die raue Leinwand. Selbst für die Grundierung hat er sich keine Zeit gelassen.

Irgendwann erwischt es jeden … selbst jemanden wie ihn.

Die Stimme ist nur ein leises Echo irgendwo in seinem Hinterkopf und ihm wird bewusst, dass er es vermutlich noch gar nicht richtig verarbeitet hat. Wird er das je können? Nein … vermutlich nicht. Wer oder was soll ihm dabei helfen? Ihm ist die einzige Konstante in seinem Leben genommen worden. Jetzt ist da nur noch die Kunst und die hat ihre Höhen und Tiefen. Mehr und mehr verfällt er in Blockaden, zerreißt alles, was er zeichnet und kann doch nicht damit aufhören. Doch diese Leinwand - sie scheint mit ihm kommunizieren zu wollen. Sie lenkt seine Hände, seinen Körper, wählt die Farben und die Intensität seiner Bewegungen. Das Brennen seiner Augen schiebt er auf die Chemikalien. Er hat kein Fenster geöffnet und eigentlich ist der Raum viel zu klein, um die Gerüche verteilen zu können. Vielleicht wird er hiernach die schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens bekommen, aber das ist es ihm wert. Dann fühlt er mal wieder etwas anderes als dieses verzehrende Gefühl des Vermissens. Er kennt das nicht. Woher auch? Er hat nie einen Menschen vermisst. Keiner war ihm wichtig genug.

Er schon. Wenn du dich jetzt in die Scheiße reiten solltest, wird er nicht mehr da sein, um dich zu retten, so wie er es immer getan hat, selbst dann, wenn du es gar nicht wolltest.

Er sieht sich selbst, wie er den Pinsel zu stark auf die Leinwand presst. Sie gibt fast nach, aber er zieht ihn noch rechtzeitig zurück, betrachtet den tiefroten Fleck, den er hinterlassen hat und schluckt trocken. Er wirft das plötzlich so befremdliche Objekt beiseite, greift nach dem kleinen Farbeimer und schüttet seinen kompletten Inhalt quer über das Bild, streckt die Hände aus und wischt durch das Blut. Immer wieder Blut. Existiert überhaupt eine andere Assoziation mit roter Farbe? Ihm will keine einfallen. Mohn vielleicht, aber dann hätte er sie heller mischen müssen. Dachziegel. Nein … auch nicht. Er zieht die Hände zurück, nachdem er die Farbe verwischt hat und betrachtet seine Finger, fügt sie zusammen, verwischt das Rot auf den Kuppen, bis er sehen kann, wie etwas auf sie hinuntertropft. Tränen.

Nein, nein … keine Tränen …

Hastig wischt er sich mit dem Handrücken über das Gesicht, sieht sich ruhelos um und greift nach der weißen Farbe. Der Deckel klemmt. Er wirft den Topf zu Boden. Der Inhalt verteilt sich quer über den Fliesen und kurzerhand zieht er sich das Shirt aus, bückt sich hinunter und wischt die weiße Farbe auf und mit ihr den Dreck all jener, die nach dem Unterricht nicht sauber gemacht haben. Unrein. Nicht makellos. Er drückt den nassen Stoff gegen das Bild, verwischt die schwarzen Linien bis zum Rot. Ein Bogen. Dreckig. So dreckig wie seine Seele. So dreckig wie die desjenigen, der nicht mehr da ist. Warum kann er nicht einfach ein Van Gogh ähnliches Bild malen? Eine hübsche Landschaft. Grün, mit ein paar gelben Blumen, die durchsetzt sind mit ein bisschen Blut. Mohn … natürlich Mohn. Nicht Blut. Er hätte auch jemanden aus dem Seminar fragen können, ob er vielleicht Modell stehen will. Doch natürlich meiden sie ihn instinktiv, weil es das ist, was er will und auch ausstrahlt. Er braucht keine Freunde. Er braucht niemanden, der ihm mit seinem Unwissen auf die Nerven geht oder irgendeinen dieser Snobs, die alles von ihren Eltern finanziert bekommen und sich über alles und jeden stellen. Er ist genauso. Deswegen findet er es unerträglich, mit solchen Individuen konfrontiert zu werden.

Aber anscheinend kann er nicht alle in ein- und dieselbe Schublade quetschen.

Dass er beobachtet wird, bemerkt er erst, als er auf Anhieb keine vollen Farbeimer mehr findet. Zumindest keinen, den er jetzt braucht. Jemand drängt sich in seinen Tunnel, weil er zwischen ihm und dem Schrank mit den Zeichenutensilien ist. Er kennt nicht einmal den Namen des Typen. Hat er das Gesicht schon einmal gesehen? Er erinnert sich nicht und es interessiert ihn auch nicht.

»Ich habe noch niemanden mit solch einer Leidenschaft malen sehen. Das ist beeindruckend.«

Der Typ kennt den Unterschied zwischen Leidenschaft und Verzweiflung nicht und das sagt schon alles über seine Geisteshaltung aus. Schade, dass er selbst nicht gerade mit Reliefen oder Ähnlichem arbeitet, dann hätte er jetzt wenigstens ein Skalpell in der Hand, das er nach dem Anderen hätte werfen können, um ihn zu verjagen. So steht er barfuß, nur in Hosen und von oben bis unten mit Farbe bekleckert völlig schutzlos da. So fühlt er sich zumindest. Er findet nicht einmal die Energie, um irgendetwas Boshaftes zu antworten. Wo ist sie hin? Er braucht seine Bitterkeit doch, um weiterleben zu können, aber jeder Wille scheint verloren. Das ist fast schon witzig, wenn es nicht so grotesk wäre. Er fühlt Dinge, die er nicht fühlen will und ist vollkommen machtlos dagegen.

»Scheiße … du weinst ja …«

Was bildet sich dieses Arschloch eigentlich ein? Bewegung kommt in den jungen Mann. Er kramt in seiner Tasche nach einer Packung Taschentücher, um ihm nur ein paar Sekunden später eins hinzuhalten. Er hat nicht darum gebeten.

»Verschwinde einfach. Du hast hier nichts zu suchen …«

»Hey, das ist sonst mein Spruch! Ich habe gedacht, hier ist keiner mehr.«

Als der Typ direkt vor ihm stehenbleibt, muss er zu ihm aufsehen und weicht instinktiv ein paar Schritte zurück, ehe er den Kopf schüttelt. »Ich brauche es nicht. Lass mich einfach in Ruhe. Ich … ich bin bald fertig.«

Er wendet sich ab, betrachtet das Bild erneut - jetzt, nachdem ein paar Minuten vergangen sind. Es schreit regelrecht seinen Namen. Aber damit hat er schon gerechnet. Hinter ihm raschelt es. Der Fremde scheint es begriffen zu haben, aber da sind keine Schritte, die folgen. Nur der Blick wird intensiver. Er bekommt eine Gänsehaut, dabei gilt die Aufmerksamkeit nicht ihm, sondern vielmehr der Leinwand, vor der er wie erstarrt steht, weil sie ihn anzieht, so wie ihn auch Killua einst angezogen hat … und all die Dunkelheit in ihm.

Nein … er wird wirklich nie darüber hinwegkommen.

»Faszinierend, wie das Schwarz tief aus dem Inneren zu kommen scheint und sich doch hinter dem Rot zu verbergen versucht, obwohl es allgegenwärtig ist. Dann diese helleren, verschwommenen Areale … fast wie Narben.«

»Sei still …«

»Die Kombination ist beliebt, aber ich habe trotz der abstrakten Komponente nie ein klareres Bild von ihr gesehen. Ich weiß gar nicht, wie ich es in Worte fassen soll. Ich kann nicht wegsehen und nicht nichts sagen, weißt du? Das musst du mir verzeihen.«

»Keiner hat nach deiner Meinung gefragt.«

»Ich weiß. Deswegen bitte ich um Entschuldigung.« Kurzes Schweigen, dann drängt sich die Stimme erneut in seine Wahrnehmung. Er hat es satt. »Du bist Mischa, oder? Der Kerl aus Tschechien. Warum bist du hier in Russland? Gibt es keine guten Kunstakademien da, wo du herkommst?«

Hier hat alles angefangen …

Er antwortet nicht, sondern starrt weiter das Bild an. Etwas fehlt und er braucht nicht lange darüber nachdenken, was es ist. Seine Finger zucken leicht. Die Tat nimmt in seinem Kopf bereits Formen an und er verliert sich in den Vorstellungen. Aber er kann es nicht tun. Er kann nicht. Niemand wird ihn retten.

Ich frage mich, ob du das verdient hast - jetzt, wo du nicht mehr hier bist … was eigentlich alles war, was du jemals wolltest. Hab ich es verdient, dass du mich einfach zurücklässt, nachdem du mich so tief in deine Hölle gezerrt hast? Wir sind beide Lügner gewesen. Ich habe dich genauso allein gelassen wie du mich.

Das Bild vor seinem inneren Augen verschwimmt und leise Schritte zeugen davon, dass seine fehlenden Antworten und seine wohl sehr abwesende Erscheinung den fremden Studenten endlich zum Gehen bewegt haben. Er atmet tief durch.

Vielleicht hat er dich ja doch ein letztes Mal gerettet. Du kannst nicht mehr einfach Menschen töten. Ab jetzt wird das Konsequenzen haben und du würdest es nicht überleben, wenn sie dich wegsperren, nicht wahr? Das hätte er auch nicht gekonnt. Aber er wäre auch einfach abgehauen. Das kannst du nicht.

Er schüttelt den Kopf. Diese leise Stimme im Hinterkopf - sie ist viel zu präsent in letzter Zeit. Viel zu laut. Langsam nähert er sich dem Schrank mit dem Malzeug. Für neue Farbe - das ist eben noch sein Ziel gewesen. Es hat sich geändert. Zielstrebig greift er zu dem Glas mit den Skalpellen und anderen Modellierwerkzeugen. Er zieht eine der scharfen Klingen heraus, tritt wieder an das Bild heran und holt tief Luft, ehe er eine Faust um das Skalpell macht und es mit einem Ruck herauszieht. Sein Blut hebt sich viel zu deutlich von der bereits angetrockneten Farbe auf seiner Handfläche ab. Er bewegt die Finger, öffnet und schließt sie, bis er genug hat, um einen weiteren Strich über das Bild zu ziehen. Er wird trocknen. Wird so schwarz werden wie der Hintergrund, aber es spielt keine Rolle. Für die nächsten Augenblicke ist es das, was gefehlt hat. Nicht nur die Farbe, sondern auch die Essenz des Blutes. Er sinkt vor der Leinwand auf die Knie und behält die Hand an einer der helleren, dreckigen Stellen.

Du wirst dir eine Infektion holen …

Es ist ihm egal. Das wird ihn nicht umbringen. Er wird weiterleben - irgendwie. Irgendwann wird es aufhören. Dann wird er weitermachen wie vorher. Einzigartige Bilder malen, jede Nacht mit irgendjemand anderem in die Kiste steigen und vergessen, dass er tatsächlich einmal einen Menschen so nahe an sich herangelassen hat, dass es weh tut, nun allein zu sein.

Lächerlich …

Die Hand sinkt nach unten. Das Blut rinnt auf den Boden. Auch dort wird es trocknen und schwarz werden. Jeder wird es für Farbe halten und das geht in Ordnung. Sie werden das Bild sehen und es interpretieren, so wie es der Fremde zuvor getan hat. Aber niemand wird wissen, welchen Namen es trägt. Dieses Geheimnis wird er mit ins Grab nehmen.

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