Nach dem Frühstück folgte die verabredete Einweisung des Mädchens in die Computertechnik durch Cifer, und an der Art, wie sie den Älteren Seed ansah, erkannte Xell, dass sie tatsächlich begann, ihn zu mögen.
Er fand das derartig lächerlich und ungerechtfertigt, dass er eine ziemlich starke Abneigung gegen sie entwickelte.
Je freundlicher Cifer zu ihr war, je mehr er sie ermunterte, mit Xell zu flirten, desto mehr musste er sich zusammenreißen, ihr keine klare Abfuhr zu erteilen.
Er schaffte es. Er blieb höflich - war jedoch so kühl und zurückhaltend, dass sie sich keinerlei Hoffnungen gemacht hätte, wären da nicht Cifers Beteuerungen gewesen, die sie seiner Zuneigung versicherten.
Xell beobachtete das ungleiche Paar den ganzen Vormittag über, wie sie nebeneinander vor dem Computer kauerten und es fiel ihm ein, wie Cifer ihn am Abend zuvor über die Schulter angesehen, nachdem er die Brandnarbe entdeckt hatte.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich an den bitteren Blick, an das Hohnlächeln erinnerte, und er glaubte zu verstehen, dass Cifer sich selbst verhöhnt hatte.
Sie hatten nicht darüber gesprochen, aber es stand außer Frage, dass diese Narbe nicht natürlich entstanden war, und in Xell rangen zwei unvereinbare Emotionen miteinander.
Einerseits glaubte er, dass es Cifers gerechte Strafe sei, derartig … ja - gebranntmarkt durchs Leben gehen zu müssen, seine Schuld für alle gut sichtbar nach außen tragend, und doch tat er ihm leid.
Er hatte schlimme Dinge getan, aber seine Absichten waren zumindest in ihrem Kern ehrenvoll gewesen.
Je länger Xell das rechte Schulterblatt des Älteren anstarrte, desto mehr glaubte er das Mal durch den Stoff des grauen Mantels scheinen zu sehen.
Er konzentrierte sich derartig darauf, dass er nicht hörte, was Cifer zu ihm sagte, und zusammenfuhr, als sowohl er als auch das Mädchen sich zu ihm umwandten.
„Da sehen Sie es - der arme Junge ist schon wieder vollkommen in seiner Traumwelt verloren“, grinste Cifer und fügte hinzu, während sein Blick spöttisch auf Xell ruhte: „Du musst mir versprechen, dich ja nicht allein vor die Tür zu wagen, mein Lieber - nachher wirst du noch gefressen!“
Xell wurde rot und murmelte etwas Unverständliches.
„Wo wir gerade davon sprechen: Es wird langsam Zeit fürs Mittagessen“, meinte Cifer grinsend, erhob sich von seinem Platz und streckte die steif gewordenen Glieder.
Xell stand noch immer wie angewurzelt da und starrte hilflos zu ihm hinauf.
Es widerstrebte ihm, seinem Ärger vor Naimy freien Lauf zu lassen, also war alles, was ihm blieb, seine Wut durch einen Blick zu katalysieren, der darauf bedacht war, Cifer einzuschüchtern.
Das Einzige, wozu dieser Blick Cifer jedoch herausforderte, war ein abschätziges Grinsen, das Xell nur noch mehr in Wut brachte.
Natürlich lud Cifer das Mädchen ein, ihnen auch beim Mittagessen Gesellschaft zu leisten, und so konnte Xell nichts anderes tun, als sich in sein Schicksal zu ergeben.
Es ärgerte ihn, dass er Cifer nicht gewachsen war, dass er es nie schaffte, auf seine bissigen Bemerkungen angemessen zu reagieren, und immer als Verlierer aus ihren Scharmützeln hervorging.
Im physischen Kampf mochte er dem Älteren überlegen sein, aber sein Verstand geriet im Streit zu sehr in Aufruhr, als dass er ihn wie eine Waffe hätte gebrauchen können.
Cifer nutzte die Gunst der Stunde, als Naimy ihren Tisch verließ um Nachtisch zu holen, und grinste Xell herausfordernd an.
„Ich hab sie bald so weit - wenn du zu ihr gehst, wird sie dir wie eine reife Frucht in den Schoß fallen.“
Xell schoss das Blut ins Gesicht. „Du bist abscheulich! Sie ist ein menschliches Wesen!“
Cifer zuckte nur mit den Schultern und beobachtete das Mädchen am anderen Ende des Saals. „Das bin ich auch.“
Wie am Abend zuvor fiel die Tür leise hinter Xell ins Schloss, aber diesmal hegte er keinen Gedanken an Flucht.
Cifer war nicht da.
Der junge Seed blickte sich irritiert um, hatte er doch angenommen, Cifer habe sich hierher zurückgezogen, nachdem er sich etwas hastig von Naimy verabschiedet und ihr eine gute Nacht gewünscht hatte.
Ein kurzer Blick in den Schrank überzeugte Xell, dass Cifer nicht zu den Waschräumen gegangen sein konnte, da sämtliche Utensilien ordentlich in ihrem Fach lagen, und er begann, sich unbehaglich zu fühlen.
Der Ältere war den ganzen Nachmittag über verdächtig still gewesen.
Nach seinem rätselhaften Ausspruch beim Mittagessen hatte er nicht mehr versucht, Xell in Verlegenheit oder sogar in Wut zu bringen und ihn vollkommen links liegen lassen.
Falls Naimy dieser plötzliche Wandel im Verhalten des Blonden aufgefallen sein sollte, hatte sie sich zumindest nichts anmerken lassen.
Der Nachmittag war so friedlich gewesen, dass es Xells Misstrauen erregt hatte, und Cifers plötzliches Verschwinden schien dieses Misstrauen nun zu rechtfertigen.
Der energische junge Mann beschloss, erst einmal abzuwarten und ließ sich auf sein Bett fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und bewachte die Tür.
Die Minuten flossen zäh dahin, und nach etwa einer halben Stunde drückte nur der beständig wippende rechte Fuß die Unruhe des Seed aus.
Weitere zwanzig Minuten vergingen, ohne dass der vertraute graue Mantel zur Tür herein gerauscht kam, und Xell sprang auf die Beine.
Selbst wenn er sich damit lächerlich machte, er würde diesen Unruhestifter jetzt suchen gehen.
Es trieben sich nur noch wenige Schüler des Trabia Garden auf den Gängen herum, aber Xell war dennoch guter Dinge, dass sie ihm würden behilflich sein können.
Cifer war eine stattliche Erscheinung, überragte die Meisten um mindestens einen Kopf, und vor allem sein Ruf sorgte dafür, dass er für gewöhnlich auffiel wie ein bunter Hund.
So dauerte es dann auch nicht lange, bis Xell herausgefunden hatte, dass sein großer Quälgeist den Garden verlassen hatte - mitten in der Nacht und mutterseelenallein.
Dieses Verhalten war so untypisch für einen Mann, der länger als jeder andere Leiter des Ordnungsdienstes gewesen war, dass Xells Stirn sich in beachtliche Falten legte, als er sich zu Cifers Verfolgung aufmachte.
Er würde diesen grauenvollen Menschen nie verstehen.
Seine Schritte knirschten im Schnee und er fröstelte.
Es war eine sternenklare Nacht, der Mond schien hell, und es bereitete ihm keine Probleme, Cifers Fußspuren zu entdecken und ihnen zu folgen.
Offensichtlich war dieser ein ganzes Stück weit gelaufen, und während Xell sich grummelnd durch den hohen Schnee kämpfte, bedauerte er es, sich nicht wärmer angezogen zu haben. Er fror ganz erbärmlich.
„Hey!“
Xell zuckte zusammen, als Cifers Stimme ihn aus seinen Gedanken riss und sah den Seed in einigen Metern Entfernung stehen.
Bevor er noch zu einer geharnischten Strafpredigt ansetzen konnte, war Cifer in ein paar großen schnellen Schritten zu ihm gekommen, hatte ihn etwas grob an den Schultern gepackt und - ihn an sich gedrückt?
Xell blinzelte.
„Bist du verrückt, in diesem Aufzug vor die Tür zu gehen?!“ hörte er eine gereizte Stimme an seinem Ohr und stellte fest, dass Cifer seinen Mantel um sie beide schloss und sein kaltes Gesicht an seine Halsbeuge drückte.
„Willst du dir den Tod holen?!“
Xell murmelte eine Rechtfertigung und stellte überrascht fest, wie willkommen ihm Cifers warme Umarmung war.
Er rieb sein kaltes Näschen an der warmen Haut des Älteren und schob sich noch etwas enger an ihn heran.
Sie standen ein paar Minuten schweigend so da, bis Xell sich plötzlich wieder daran erinnerte, was ihn hergeführt hatte. „Was machst du hier eigentlich?“
Er hatte sein Gesicht aus Cifers Mantel geschält, aber da er so dicht vor dem so viel größeren Seed stand, konnte er lediglich die kräftigen Linien seines Kinns sehen.
„Nichts“, war die gelangweilte Antwort, und Xell spürte, wie die altbekannte Wut in ihm aufstieg.
„Nichts?!“ wiederholte er anklagend und löste sich nun endgültig von Cifer, damit er ihm in die Augen sehen konnte.
„Wenn du das nächste Mal Lust bekommst, Nichts zu tun, dann warn mich bitte vor, damit ich nicht wieder wie ein Idiot hinter dir her renne!“
Das Mondlicht spiegelte sich in Cifers Augen, und Xell ließ sich widerspruchslos zurück in seine Arme ziehen.
„Xell“, hörte er die sanft spottende Stimme des Älteren an seinem Ohr, „du bist aber nun mal ein Idiot.“
Damit packte er ihn höchst unsanft am Ellbogen und zerrte ihn zurück zum Garden.
„Ich hab ja gleich gewusst, dass man mit dir nichts als Ärger hat.“
Xell blinzelte mühevoll und stöhnte leise.
Cifer stand mit verschränkten Armen neben seinem Bett und blickte aus vorwurfsvollen grauen Augen auf ihn herab.
Xells Schuhe und Hose hatten sich, als sie am vergangenen Abend endlich zurück auf ihr Zimmer gekommen waren, mit Schnee voll gesogen und waren klatschnass gewesen, und sein Körper reagierte auf eine derartig schäbige Behandlung mit hohem Fieber.
Es ging dem jungen Seed in der Tat so dreckig, dass er jetzt die Hand ausstreckte, und Cifer kniete tatsächlich neben ihm nieder, ergriff sie mit seiner Linken und legte seine angenehm kühle Rechte auf Xells brennende Stirn.
„Das fühlt sich wirklich nicht gut an“, murmelte er, ließ den hilflos protestierenden Xell wieder los, stand auf und verließ das Zimmer.
In Xells Kopf schien sich ein Stachelrad zu drehen und er konnte es kaum fassen, dass Cifer ihn tatsächlich allein gelassen hatte.
Immerhin war er am vergangenen Abend beinahe nett zu ihm gewesen.
Als die Tür sich wieder öffnete, war Xell kurz davor, vor Schmerzen zu wimmern, und er blickte den zurückgekehrten Cifer aus derart fiebrigen Augen an, dass der sofort auf ihn zueilte und neben ihm auf die Knie fiel.
„Großer Gott, mach jetzt ja keinen Unsinn“, hörte er ihn verbissen murmeln, und im nächsten Augenblick lag ein wunderbar kaltes Tuch auf seiner Stirn, und Xell seufzte ekstatisch auf.
„Besser?“
Schweißtropfen in seinen Wimpern behinderten seine Sicht, aber er glaubte gesehen zu haben, wie Cifer lächelte.
Oh ja, das war viel besser.
Er streckte erneut eine tastende Hand aus, und Cifer nahm sie und hielt sie sanft fest, bis er eingeschlafen war. Dann ließ er sie los, zog Xell die wärmende Bettdecke vom Körper und machte ihm mit seltsam verkniffenem Gesicht kalte Umschläge.
Als der junge Seed das nächste Mal zu sich kam, fand er Cifer noch immer an seiner Seite sitzend vor, in eine seiner Kampfsportzeitschriften vertieft.
„Nhm …“
Xell hatte eigentlich etwas sagen wollen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst.
Cifer blickte auf, die Zeitschrift flog zur Seite und in der nächsten Sekunde hatte er sich über ihn gebeugt und prüfend die Hand auf seine Stirn gelegt.
„Das fühlt sich doch schon viel besser an.“
Xell versuchte zu nicken, woran ihn die Hand auf seiner Stirn größtenteils hinderte, aber das störte ihn nicht - sie war so wunderbar kühl.
Er verspürte ein leises Bedauern, als sie sich zurückzog, und die verschleierten blauen Augen folgten Cifer durchs Zimmer, als er sich von ihm zurückzog und ein Tablett von seinem eigenem Bett nahm, das er zu ihm zurück brachte.
„Meinst du, du kannst etwas essen?“
Xell war sich nicht sicher und blickte einigermaßen zweifelnd drein.
„Nun, wir werden es einfach versuchen müssen.“
Cifer stellte das Tablett ans Fußende des Bettes und hob Xell samt Decke auf seine Arme, wickelte ihn sorgfältig ein und ließ sich mit dem verwirrten Seed auf seinem Schoß schließlich aufs Laken sinken.
Als es zu Xell durchdrang, dass der andere vorhatte, ihn zu füttern, schaffte er es endlich, wieder Herr über seine Stimme zu werden.
„N-nicht doch!“ stammelte er, zwar schwach, aber nachdrücklich und stemmte seine Hände abwehrend gegen Cifers starke Brust, dessen dichte Augenbrauen sich ungehalten zusammenzogen.
„Keine Widerrede!“
Damit hielt er ihm einen Löffel Brühe vor den Mund, und Xell blieb nichts anderes übrig, als ihn zu schlucken.
„Ich habe keine Lust, mich ewig um dich zu kümmern!“ klärte Cifer ihn ungeduldig auf, während er ihm einen weiteren Löffel Brühe verabreichte und setzte ihm anschließend eine Tasse Tee an die Lippen. „Trink.“
Xell trank gehorsam, aß noch ein paar Löffel Brühe, und nachdem Cifer sich der Schüssel entledigt hatte, sank Xell erschöpft gegen seine Brust.
„Was ist denn jetzt?“
Xell seufzte und als Cifer ihm die Hand auf die Stirn legte, stellte er fluchend fest, dass das Fieber erneut gestiegen war.
„Xell?“
Sein Blick traf auf völlig verklärte himmelblaue Augen, und er seufzte leise. „Mit dir hat man schon seine liebe Not.“
Er strich dem Jüngeren das verschwitzte Haar aus der Stirn und stellte grinsend fest, wie Xell sich an seine Hand schmiegte.
Cifer hob die Schüssel mit kaltem Wasser aufs Bett, lehnte sich an die Wand in seinem Rücken und machte es sich mit Xell in seinen Armen bequem, bevor er ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn legte und die Augen schloss.
Als Xell aufwachte, war es stockfinster im Zimmer, und er brauchte eine Weile, um sich zurechtzufinden.
Er wunderte sich, dass er nicht in seinem Bett zu liegen schien, und stellte ziemlich überrascht fest, dass er noch immer auf Cifers Schoß saß und von diesem sanft im Arm gehalten wurde.
Xell blinzelte verwirrt und blickte in das schlafende Gesicht des Älteren.
Cifer schien entspannt, seine Lippen waren leicht geöffnet, sein Atem ging langsam und gleichmäßig.
Xells Verstand war vom Fieber wohl noch mehr geschwächt als sein Körper, und es brauchte ein wenig Zeit, bis er erkannte, dass um Cifers harten Mund ein Lächeln schwebte.
Xell blinzelte mehrmals, aber das Lächeln blieb, und obwohl es keine besonders intelligente Idee war, wurschtelte er sich in Cifers Armen ein wenig höher, bis sein Gesicht direkt vor dem des Älteren war, und blickte ihn interessiert an.
Cifer sah richtig anders aus, wenn er lächelte - obwohl - vielleicht auch nicht. Die harten Linien seines Gesichts, anscheinend durch nichts richtig zu erweichen, waren durch das Lächeln nur ein ganz klein wenig gemildert.
Xell fragte sich unwillkürlich, wie es aussehen würde, wenn Cifer auch mit den Augen lächelte, und stockte.
Cifers Augen waren schön - sie würden atemberaubend schön sein, wenn der harte Ausdruck in ihnen einem Lächeln wich.
In derartige Überlegungen vertieft, rutschte Xell noch ein wenig näher an Cifer heran, bis ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten und studierte sorgfältig das sonst so gefürchtete Gesicht.
Dann plötzlich schlug sein Gegenüber die Augen auf, und Xell erstarrte zu Eis.
„Nh?“
Cifer war sofort hellwach.
„Was machst du denn, du Idiot?“
Cifers Stimme war noch etwas belegt, ermangelte aber nicht des üblichen beißenden Tons.
Xell zuckte zurück, soweit es die Enge von Cifers Umarmung zuließ, und fiel beinahe aus dem Bett.
Cifer hielt ihn fest, zog ihn wieder an sich heran und legte prüfend eine kühle Hand auf seine Stirn.
„Mh, du hast immer noch Fieber - daran wird’s wohl liegen.“
Xell fühlte sich hochgehoben und ordnungsgemäß ins Bett gelegt und blickte durch die Dunkelheit verwirrt zu Cifer auf, der sich nun über ihn beugte und seinen Blick spöttisch erwiderte.
„Was ist, Hasenfuß? Kannst du allein nicht einschlafen?“
Xell biss die Zähne zusammen und wandte trotzig den Blick ab.
Für einen Moment hatte er vollkommen vergessen, dass er Cifer nicht leiden konnte.
Er spürte, wie erneut ein kühlender Lappen auf seine Stirn gelegt wurde und hörte dann, wie Cifer sich leise auszog.
In der vollkommenen Stille des kleinen Zimmers klang es sehr laut in seinen Ohren, und er bekam eine leichte Gänsehaut.
Xell schloss die Augen und als er hörte, wie Cifer sich am anderen Ende des Zimmers ins Bett legte, wagte er es, die Frage auszusprechen, die ihm im Kopf herumschwirrte. „Wie ist das mit der Brandnarbe passiert?“
Es dauerte eine Weile, bis er eine Antwort erhielt und dann war sie so leise, dass er sie beinahe überhört hätte.
„Artemisia wollte ihr Eigentum kennzeichnen.“
Xell zog unzufrieden die Stirn kraus.
Er hatte die letzten zwei Tage im Bett verbracht und war der Ansicht, dass es jetzt genug sei. Cifer nicht.
„Aber ich will -“ - „Ruhe!“ donnerte der große Seed ungeduldig und zog drohend eine Augenbraue in die Höhe, als Xell erneut zu widersprechen wagte. „Ich habe echt keine Lust, den ganzen Tag im Bett zu bleiben, wenn …“
Wenn nicht einmal du hier bist, um mir Gesellschaft zu leisten, hatte er sagen wollen.
Cifer ließ es nicht dazu kommen.
„Wenn du dich stattdessen mit deiner neuen Freundin treffen könntest?“ vervollständigte er den Satz beißend, und Xell errötete.
Er hätte wissen müssen, dass dieses Thema wieder ans Tageslicht finden würde.
Solange er krank gewesen war, hatte Cifer ihn in Ruhe gelassen, aber dass der Frieden nicht ewig würde anhalten können, war von vornherein klar gewesen.
„Nein!“ widersprach er also ziemlich heftig und versuchte, sich im Bett aufzurichten, wurde aber sofort von einer unbarmherzigen Hand zurück gedrückt.
„Liegenbleiben!“ wurde er barsch angeschnauzt und kapitulierte schließlich.
Cifer würde ihn wahrscheinlich umbringen, wenn er auch nur noch ein einziges Mal widersprach.
„Ich bleibe nicht lange weg“, wurde er in Kenntnis gesetzt.
„Warum nicht?“ fragte er schwach, und ihn traf ein seltsamer Blick.
„Du bist wirklich nicht der Hellste, nicht wahr?“
Cifers Stimme war merkwürdig sanft.
Xell hasste es, wenn der Ältere so mit ihm sprach.
Wenn er ihn schon nieder machte, dann gefälligst auch in einem Tonfall, der dazu passte.
Die Tür fiel hinter dem mürrischen Seed ins Schloss, und Xell starrte ihm verbittert hinterher.
Die letzten zwei Tage hatten ihn gelehrt, dass Cifer selbst dann noch zu beißendem Sarkasmus fähig war, während er ihn in eine eigens für ihn herbeigeschaffte Wanne heißen Wassers beförderte.
Erst stellte Cifer den halben Garden auf den Kopf, um eine transportable Wanne aufzutreiben, und dann machte er ihm halb das Leben zur Hölle, weil er ihn fragte, wozu er sich solche Umstände mache.
„Damit du Idiot ein Bad nehmen kannst!“ war die wenig freundliche Antwort gewesen, und als Xell spitz angemerkt hatte, dass der Garden über ganz hervorragende Duschen verfüge, hatte Cifer ihm einen ganz und gar nicht sanften Klaps gegeben und ihn darauf hingewiesen, dass er ein Schwachkopf sei.
„Die Flure sind nicht geheizt, du Depp und was glaubst du wohl, was passiert, wenn du nach dem Duschen mit nassen Haaren zurück aufs Zimmer wankst? Ich hab keine Lust, Squall deine Leiche anzuschleppen, du Memme!“
Xell musste grummelnd anerkennen, dass der Ältere eine ganz hervorragende Krankenschwester war.
So grob und unfreundlich Cifer auch war, er hatte sich ausgezeichnet um ihn gekümmert.
Jetzt fiel ihm auch endlich ein, was Cifers Bemerkung, er würde nicht lange wegbleiben, zu bedeuten hatte.
Xell grinste widerwillig.
Glaubte Cifer am Ende, er würde sofort eingehen, wenn er ein paar Stunden allein gelassen wurde? Offensichtlich war dem so.
Es musste knapp nach Mittag sein, als der große Seed mit einem ausladenden Tablett bewaffnet das Zimmer betrat.
Xells Augen leuchteten, als er ein komplettes Drei-Gänge-Menü erblickte, und er setzte sich eifrig auf.
„Dachte mir, dass dir das gefällt“, war Cifers kühler Kommentar - den Xell geflissentlich überhörte - und stellte Xell das Tablett auf den Schoß.
„Überfriss dich nicht.“
Xell blinzelte auf das Tablett hinunter und warf Cifer dann einen misstrauischen Blick zu.
„Was soll das?“
Cifer zog eine Augenbraue steil in die Höhe. „Drück dich klarer aus.“
Xell deutete anklagend auf ein unschuldig aussehendes Hotdog, das auf einem der Teller lag, und seine Stirn furchte sich bedrohlich.
„Ja?“ Cifer klang gelangweilt.
Xell wusste nicht, wie er die Frage formulieren sollte.
Wusste Cifer, dass Hotdogs sein erklärtes Lieblingsessen waren?
Wenn nein, war das ein ungeheurer Zufall - wenn ja … aber das ging ja gar nicht.
Falls Cifer es tatsächlich wusste, setzte das voraus, dass er sich genug für Xell interessierte, um sich so etwas zu merken, und außerdem würde es bedeuten, dass er ihm mit diesem speziellen Hotdog eine Freude machen wollte.
Vollkommen unmöglich.
„Schon gut“, brummte Xell also und beschloss, sich trotzdem über das Hotdog zu freuen - immerhin kam er nicht alle Tage zu solch einem Gaumenschmaus.
Er beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Cifer sich auf sein Bett fallen ließ, konzentrierte sich dann aber wieder auf sein Essen.
Natürlich konnte er so nicht bemerken, dass Cifer einen Brief aus seiner ausladenden Manteltasche zog, ihn auseinander faltete und mit versteinertem Gesicht zu lesen begann.
Erst, als er nach geraumer Zeit seinen Imbiss beendet hatte, war Xell wieder für die Dinge aufnahmefähig, die sich um ihn herum abspielten.
Cifer war noch immer in den mehrere Seiten umfassenden Brief vertieft, und der Ausdruck auf seinem Gesicht schockierte Xell.
Er war daran gewöhnt, Cifer wütend oder herablassend zu sehen, aber diesmal spiegelten sich in seiner Miene diese gegensätzlichen Gefühle so intensiv und klar; er sah aus, als würde er jede Sekunde in die Luft gehen.
Schließlich verzog sich der harte Mund zu einem unangenehmen Lächeln, und dann faltete Cifer den Brief wieder zusammen und blickte auf - direkt in Xells fragende Augen.
„Hm, du bist schneller fertig geworden, als ich dachte.“
Xell blinzelte verwirrt, als Cifer aufstand und ihm das leere Tablett wegnahm.
„W-warte! Was hast du da eben gelesen?“
Cifer, der Anstalten gemacht hatte, das Zimmer zu verlassen, drehte sich schwungvoll um und warf das Tablett mit einem Knall an die Wand.
Es war zu spät, als Xell erkannte, dass seine Frage das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
„Warum könnt ihr euch nicht um euren Scheiß kümmern!“ donnerte Cifer, und Xell sah voll Entsetzen, dass seine Augen wieder diesen gefährlichen Blauton angenommen hatten.
„Immer müsst ihr euch in Sachen einmischen, die euch nicht das Geringste angehen! Was zur Hölle habt ihr denn davon?! Macht es so viel Spaß, immer wieder auf dem gleichen Thema rumzureiten?! Lasst mich endlich in Frieden mit euren guten Ratschlägen und euren dämlichen Fragen!“
Cifer machte ein paar schnelle Schritte und zerrte Xell an seinem Kragen aus dem Bett hoch. „Oder kannst du das nicht? Willst du wirklich wissen, was in diesem verdammten Brief stand?“
Seine Stimme war nun gefährlich ruhig, und Xell starrte hilflos in die lodernden Augen, die ihn zu verschlingen drohten.
„Die holde Prinzessin hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass es leider doch keine Möglichkeit gibt, die Narbe zu entfernen - es tut ihr ja so unendlich leid - sie war ja so fest davon überzeugt gewesen - aber es sollte wohl nicht sein …
Ich hab sie nie darum gebeten, es überhaupt zu versuchen!“
Xell begriff, dass er von Rinoa sprach und runzelte unwillkürlich die Stirn.
„Ja, es ist ganz erstaunlich, nicht wahr?“ höhnte Cifer, als er seinen Blick bemerkte.
„Offensichtlich kann sie mich noch immer gut leiden und will es nicht auf sich sitzen lassen, dass ihr Schwarm derartig verunstaltet durch die Weltgeschichte läuft - diese Hexe! Wenn Squall doch endlich erkennen würde, was für ein Weibsbild er sich aufgehalst hat!“
Xell wollte widersprechen, kam jedoch nicht dazu.
„Und du!“ knurrte Cifer und die Leidenschaft kehrte in seine Stimme zurück.
„Du bist zu dumm, um auch nur im Geringsten wahrzunehmen, was um dich herum geschieht!“
Cifer schüttelte ihn, und Xell packte seine Handgelenke, wollte sich von ihm losmachen, war aber noch zu schwach.
„Aber wahrscheinlich bin ich noch viel dümmer als du.“
Jegliche Emotion war aus Cifers Stimme verschwunden, er klang unglaublich erschöpft. Er löste seine Hände von Xells Kragen, zog sich von ihm zurück, hob das Tablett vom Boden auf und verließ stumm das Zimmer.
Xell starrte auf die geschlossene Tür, nachdem er gegangen war, und wusste nicht, was er denken sollte.
Cifers Zorn über Rinoas Verhalten konnte er zumindest im Ansatz nachvollziehen; Cifer hatte das Mädchen nie gemocht, sie immer als zu aufdringlich empfunden, und dass sie über die Brandnarbe Bescheid wusste, die sein Schulterblatt zierte, konnte ihn nur mit Abscheu erfüllen.
Dass sie sich nun auch noch erdreistete, sich in Angelegenheiten einzumischen, die allein ihn etwas angingen, dass sie voraussetzte, er würde ihr dankbar sein, zeigte nur noch einmal sehr deutlich, wie wenig sie ihn kannte.
Sosehr Cifer sein Mal hassen mochte, so glaubte er dennoch, dass er es verdiente.
Das zumindest hatte Xell begriffen.
Und sobald dies geschehen war, lag auch Cifers übriges Wesen ausgebreitet vor ihm. Sein Verhalten ergab plötzlich in gewisser Weise Sinn.
Aber wenn Xell auch verstanden hatte, dass Cifer sein Zeichen nicht entfernen lassen wollte, weil er dessen Aussage billigte, so erklärte das noch lange nicht, warum er behauptet hatte, Xell nehme nicht wahr, was um ihn herum geschah.
Xell hatte genug von diesem Unsinn.
Er wollte jetzt ein für alle Mal klarstellen, dass er sich ein solches Benehmen von dem Älteren nicht gefallen ließ.
Cifer konnte noch so verbittert und von Selbsthass beherrscht sein, das gab ihm noch lange nicht das Recht, mit anderen Leuten umzuspringen, wie es ihm grade passte!
Es musste jawohl möglich sein, dass man eine absolut unschuldige Frage stellen konnte, ohne gleich so ein Donnerwetter heraufzubeschwören!
Xell kletterte aus dem Bett und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, sich so warm anzuziehen, wie es nur eben möglich war.
Er hatte so das Gefühl, das Cifer mal wieder Lust bekommen hatte, Nichts zu tun.
Fortsetzung