Lieber nicht über Freundschaftsbeziehungen mieten

Aug 10, 2012 18:00

The same entry in English.

Mieten Sie nicht bei Freunden von Freunden von Freunden. Gehen Sie lieber direkt ins Gefängnis. Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie nicht 4000,− DM ein.

Aber fangen wir ganz von vorne an...

Vor einiger Zeit habe ich den Entschluss gefasst, aus Cambridge auszuziehen und mich stattdessen in Berlin anzusiedeln. Zu diesem Zwecke habe ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis erkundigt, wer bereit wäre, mich dabei in welcher Weise zu unterstützen. Anfänglich ging alles ziemlich glatt: meine Eltern haben mir angeboten, mich mit dem Auto von Cambridge aus zu fahren und dabei meine gesamte Habe zu transportieren, und amuzulo erklärte sich bereit, mir eine Unterkunft zu bieten, während ich nach einer Mietwohnung (oder einer WG) suche. Darüber hinaus hat er seine Freundin Anja mit mir in Kontakt gebracht, die mir freundlicherweise ihr Zimmer in einer WG für einen Monat zur Verfügung gestellt hat, während sie weg war. Meine Eltern fuhren mich und mein Zeugs also am 7. Juni nach Essen; am 1. Juli kam ich mit dem Reisebus nach Berlin und zog in Anjas Zimmer ein. Hat mir sehr gut gefallen da; ziemlich geräumiges Zimmer, tolle Umgebung und ein sehr freundlicher Mitbewohner.

Im Juni habe ich mich bei meinen Eltern auf die faule Haut gelegt. Ich hatte mir gedacht, ich kümmere mich ja um alles, wenn ich in Berlin bin. Dann stellte ich aber ziemlich schnell fest, dass die Wohnungssuche in Berlin sich deutlich schwieriger gestalten würde als in Cambridge. Ich dachte, ich könnte in der ersten Woche ein Bankkonto eröffnen und mein Guthaben aus England transferieren. Das ging aber nicht so leicht; die meisten Banken wollten ein regelmäßiges Einkommen sehen (ich habe im Moment keinen Job). Außerdem sollte ich Kopien einreichen von Dokumenten, die ich nicht hatte; beispielsweise hatte ich keinen Personalausweis (ich wurde zuvor in Cambridge überfallen); den hätte ich natürlich in Essen beantragen sollen. Den Reisepass wollten die Banken nur zusammen mit einer Meldebestätigung vom Bürgeramt akzeptieren, aber um diese zu erhalten, brauchte ich den Mietvertrag meiner Wohnung, aber ich wohnte ja nur provisorisch bei Anja und Anja war natürlich nicht da. Ich hatte also keinen Personalausweis, keine Meldebestätigung und keinen Einkommensnachweis. Eine Bürgschaft von meinen Eltern sollte her. Und eine notariell beglaubigte Kopie meiner Geburtsurkunde.

Meine Eltern kamen dann also am 13. Juli nach Berlin und brachten eine Bürgschaft und die Geburtsurkunde mit (und natürlich meine restlichen Sachen, die wir solange bei Moritz im Keller unterbrachten - danke, Moritz!). (Diesen Ausflug nach Berlin hatten meine Eltern schon vorher geplant, schon bevor ich den Umzug nach Berlin plante.) Die Geburtsurkunde ließen wir dann dort in Berlin von einem Rechtsanwalt, Herr Schneider, beglaubigen. Dieser Herr Schneider war ein guter Freund von meinem Vater. So weit so gut.

Nun war dieser Herr Schneider allerdings seinerseits befreundet mit einem gewissen Herrn King, einem Wohnungsvermittler, der für eine ausländische Investmentfirma arbeitet und für einen gewissen Herrn Hooker aus England (den ich nie getroffen habe) Wohnungen in Berlin vermietet. Und so kam es, dass ich (über meine Eltern) von Herrn Schneider auf diesen Herrn King gebracht wurde. Mir wurde das verkauft als die „einmalige Gelegenheit, einfach und aufwandsfrei“ an eine Wohnung zu kommen. Ich solle mir doch mal die Wohnung ansehen, aber immer bedenken, dass ja total die langjährigen Freundschaftsbeziehungen im Spiel seien. Die Reputation von Herrn Schneider als Rechtsanwalt stünde ja auf dem Spiel, weil er mich dem Herrn King sozusagen als Mieter „empfohlen“ hatte. Da hatte ich schon so meine ersten Bedenken. Das klang für mich von vornherein schon so, als solle ich doch meine Rechte als Mieter vergessen und bloß keine Forderungen stellen, weil ja sonst der Herr King auf den Herrn Schneider, und somit auch der Herr Schneider auf meinen Vater ganz ganz böse wären und dann keine Freunde mehr seien und dann ganz traurig wären. Also habe ich nichts gesagt.

Ich habe während der Besichtigung mehrfach klargestellt, dass ich die Wohnung zum 1. August brauche, da ich ja aus Anjas Zimmer raus musste. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das den Herrn King viel juckte, aber ich habe nichts gesagt. Die Wohnung war außerdem im Umbau und eine Komplettrenovierung sollte noch stattfinden, die meiner Einschätzung nach innerhalb von zwei Wochen eigentlich gar nicht machbar sein konnte. Auch dazu habe ich nichts gesagt. Man darf ja schließlich nicht den Eindruck erwecken, man wolle jemanden der Inkompetenz bezichtigen. Oh, nein. Bloß das nicht.

Einige Tage später bekam ich dann vom Herrn King den Mietvertrag zugeschickt. Nein, Moment, das stimmt nicht ganz - ich bekam einen Teil des Mietvertrags zugeschickt. Die zweite Seite fehlte. Außerdem stand auf der ersten Seite als Einzugstermin der 1. September. Des weiteren waren einige Teile des Vertrags wie ein Fragebogen gestaltet, und nur die Hälfte dieser Fragen hatte eine (handschriftliche) Antwort eingetragen (bspw. die Höhe der Kaution, die Kündigungsfrist usw.). Da wurde ich schon skeptisch. Natürlich habe ich mir den Rest des Vertrags noch durchgelesen und dabei noch zwei Klauseln entdeckt, mit denen ich nicht einverstanden war. Dann habe ich Herrn King angerufen, um nachzufragen, was es mit diesen Klauseln, den fehlenden Eintragungen, der fehlenden Seite und dem falschen Einzugstermin auf sich hatte.

Den Einzugstermin solle ich einfach durchstreichen und abändern, das wäre kein Problem. Die fehlenden Angaben solle ich einfach eintragen. Zu dem Rest könne er nichts sagen; er wüsse nichts von einer fehlenden Seite und er wüsse auch nicht genau, was es mit den zwei Klauseln auf sich hatte. Ich solle doch am Freitag, den 27. Juli persönlich vorbeikommen, dann könnten wir das regeln und den Vertrag unterschreiben. So langsam bekam ich meine ernsthaften Bedenken. Aber ich durfte ja nichts sagen.

Am 27. Juli war ich dann persönlich bei ihm im Büro in der Neuköllner Straße. Bei dieser Gelegenheit habe ich noch einmal nachgehakt, dass es auch wirklich klappen sollte mit dem Einzugstermin am 1. August. „Jaja, kein Problem.“ Und ob ich die Eintragungen richtig vorgenom„Jaja das stimmt schon so.“ Und ob ich die fraglichen Paragraphen streichen kön„Ja, kein Problem.“ Ich hatte nicht den Eindruck, dass er wusste, worum es genau ging.

Und was ist mit der fehlenden Seite? „Welche fehlende Seite denn, lassen Sie mal sehen. (guckt) Hier steht doch ‚Blatt 1‘ und hier steht ‚Blatt 2‘. Wieso fehlt denn da was?“ Herr King hat nicht bemerkt, dass „Blatt 1“ die §§ 1-2 und „Blatt 2“ §§ 7-9 enthielt. Die nächste Seite mit den §§ 10-16 hatte keine Blattnummer (dafür aber unten in der Ecke die Kennzeichnung „Fortsetzung siehe Blatt 3“); und „Blatt 3“ enthielt schließlich die restlichen Paragraphen und das Unterschriftenfeld. Ganz offensichtlich war der Vertrag also ursprünglich einmal beidseitig bedruckt; die Seiten „Blatt 1“, „Blatt 2“ und „Blatt 3“ waren jeweils nur eine Vorderseite und die Seite mit den §§ 10-16 offensichtlich die Rückseite von Blatt 2. Es fehlte also die Rückseite von Blatt 1 (mit den §§ 3-6). „Das ist noch nie jemandem aufgefallen. Sie sind ja ganz schön pingelig.“ Und das von jemandem, der hauptberuflich vermietet und Mietverträge unterschreibt. Aber ich durfte ja nichts sagen. Also habe ich mir den unverschämten Vorwurf der übertriebenen Pingeligkeit gefallen lassen. Immerhin kam es dann ja auch zum Abschluss des Mietvertrags (auch, wenn er ca. 3-4 Versuche brauchte, um die Rückseite von Blatt 1 zu photokopieren, ohne dass der Text am Rand abgeschnitten war).

Endlich, dachte ich. Jetzt kann ich einfach am 1. August einziehen und dann ganz in Ruhe nach einer richtigen Wohnung bei einem vernünftigen Vermieter suchen. Tja, denkste. The King of Desorganisiert war noch nicht fertig mit mir.

So kam am 31. Juli, also einen Tag vor Einzugstermin, ein Anruf. „Unsere Jungs schaffen das doch nicht rechtzeitig mit dem Umbau, jetzt muss noch XYZ gemacht werden und dann noch Blahfaselblubb, aber keine Sorge, Sie können am 7. August einziehen.“ ... Ah so. Ich soll also mal eben eine Woche lang unter der Brücke schlafen? Aber das darf ich ja nicht sagen. Also sage ich, ich frage mal rum, ob ich für die Übergangszeit was finde. Toll. Ganz toll. Zwar war die Anja freundlicherweise bereit, mich noch ein paar Tage in ihrem Zimmer wohnen zu lassen, aber spätestens zum 4. August bräuchte sie dann doch ihr Zimmer wieder. amuzulo hatte gerade schon jemanden im Haus und war zudem auch noch krank; bei Moritz hätte ich nur übernachten können, wenn ich Kinder- und Baby-Geschrei aushalten würde, was ich wirklich äußerst schwierig finde; und Dennis hat auf Facebook nicht geantwortet. Sonst kannte ich keinen. (Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich den Herrn Schneider hätte fragen können. Darauf bin ich aber auf die Schnelle nicht gekommen, zumal ich ihn ja auch nur flüchtig kannte.) Also habe ich mich informiert. Moritz’ Google-Skillz waren hier sehr hilfreich: Gemietete Wohnung zu Mietbeginn nicht bezugsfertig (frag-einen-anwalt.de). Die etablierte Vorgehensweise sei, eine Unterkunft (z.B. Hotel) zu buchen und diese dem Vermieter in Rechnung zu stellen. Ich müsse ihn nur sofort informieren. Also habe ich das gemacht. Ich habe ein Zimmer im Amstelhouse, in einer Art Reiseherberge, gebucht und Herrn King sofort über die entstandenen Unterbringungskosten und die mir zustehende Mietminderung informiert. Jetzt ging das Theater richtig los. Jetzt mutierte der King of Desorganisiert zum King of Rechtswidriges Verhalten.

Zuerst erhalte ich eine E-Mail, in der er behauptet, er habe mit dem Eigentümer der Wohnung (Marcus Hooker) Krach gehabt und dieser habe ihm die Vollmacht zur Unterzeichnung des Vertrags abgesprochen. Der Vertrag sei also nicht rechtsgültig. (Das ist falsch, selbst wenn er tatsächlich keine Vollmacht hatte.) Gleichzeitig aber ruft er hinter meinem Rücken dann noch Herrn Schneider an und beschwert sich lauthals über mich. Was sei ich denn für ein unglaublicher Problemfall, ich würde ja nur Stress bedeuten, man könne mich doch unmöglich als Mieter in Betracht ziehen. Der ruft wiederum meinen Vater an und beschallt ihn mit der gleichen Leier, und mein Vater ruft schließlich mich an. Ich erkläre die Situation inklusive der Tatsache, dass ich mich rechtlich informiert hatte. Nagut, meint er, ich solle mich doch bei Herrn Schneider entschuldigen. (Entschuldigen? Für etwas, was nicht meine Schuld war? Aber ich darf ja nichts sagen.) Tja, aber das Schneiderlein wollte nichts von Entschuldigung hören, er wollte lieber eine herablassende Standpauke loswerden. Ich sei doch völlig unmöglich und ich solle als Mann von 30 Jahren doch mal die Auswirkungen meiner Handlung bedenken. Was glaubt er, wer er ist? Aber zu allem Überfluss rät mir dieser sogenannte Rechtsanwalt dann auch noch, ich solle einfach alles vergessen und nichts weiter unternehmen. Wie bitte? Ich soll einen unterschriebenen Vertrag ignorieren? Hat der noch alle Tassen im Schrank? Vielleicht war die Lüge, der Vertrag sei nicht rechtsgültig, auch seine Idee?

Jedenfalls habe ich danach den Herrn King per E-Mail höflich darauf hingewiesen, dass der Mietvertrag Bestand hat (selbst wenn das mit der fehlenden Vollmacht stimmen sollte) und ein Mietauflösungsvertrag notwendig ist, um den Vertrag wieder aufzuheben. Ich habe dabei bewusst darauf verzichtet, ihn auf die Gefahr einer Schadensersatzklage meinerseits hinzuweisen, was meinem Vater zufolge zu sehr einer Drohung gleichkäme. Ich habe mich sogar kulant gezeigt, erstens indem ich die Hostelbuchung rückgängig gemacht habe und stattdessen ein Bahnticket nach Essen gebucht habe (welches ich ihm nicht in Rechnung stellen würde) und zweitens indem ich anbot, den Einzugstermin weiter auf den 11. August zu verschieben, um die Renovierungsarbeiten abzuschließen.

Das wollte Kingchen aber nicht. Kingchen war beleidigt und wollte nicht mehr mitspielen. Also kam zur Fabel über die Fehlende Vollmacht eine Fortsetzung: Die Geschichte vom Gerade Gesichteten Grauenhaften Gebäudeschaden. Die Außenwand sei feucht und die Trockenmaßnahmen würden „Monate in Anspruch nehmen“. Und der Höhepunkt: „Ich möchte Sie nicht unglücklich machen. Suchen Sie bitte schnell etwas Besseres.“ Schön muss es sein, wenn man sich selbst einreden kann, dass man niemanden unglücklich macht, egal wie unanständig man sich verhält.

Der letzte Stand der Dinge ist, dass ich einen (extrem kulanten) Mietaufhebungsvertrag angeboten habe, in dem keinerlei Schadensersatzforderungen erhoben werden. Einen derart nachsichtigen und unterwürfigen Mieter findet man so schnell wohl nicht mehr. Was man nicht alles tut für sogenannte „Freundschaftsbeziehungen“ bei Leuten, mit denen man noch nicht einmal befreundet ist (und nach so einem Erlebnis wohl auch niemals sein will). Jedenfalls war das vor vier Tagen; seitdem habe ich nichts mehr gehört.

Übrigens hat mich der Moritz in der ganzen Sache extrem gut unterstützt, nicht nur durch ergoogeln von rechtlichen Sachverhalten, sondern auch durch (relativ objektive) Einschätzung der menschlichen Ebene. Vielen Dank dafür, Moritz. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass es mich schon etwas erschreckt, wie sehr meine Eltern die Herren Schneider und King in ihrem Treiben verteidigt haben. Ohne Moritz wären sie bis heute davon überzeugt, dass alles meine Schuld sei und alles daran läge, dass ich mich ja nicht benehmen könne und mich immer nur auf rechtliche Dinge berufe. Vielleicht glauben sie das sogar immernoch. Dabei hat King sich weder für die Schlamperei beim Vertrag, noch für die Verzögerung des Einzugstermins, noch für die Überreaktion auf meine Unterbringungskostenerstattungsforderung jemals entschuldigt, und Schneider hat sich (in Moritz’ Worten) „ja auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert“, nachdem er falsche Rechtsauskunft liefert und dann auch noch jemandem, der (rechtlich und menschlich gesehen) im Recht ist, eine Moralpredigt vorbrüllt.

Der Fazit also: Ich sitze wieder bei meinen Eltern in Essen und bin wieder da, wo ich Anfang Juni war. Nur mit dem Unterschied, dass ich das Wohlwollen meiner Freunde in Berlin strapaziert habe. Und dass die meisten meiner Sachen bei Moritz und Anja in Berlin lagern. Aber meine Lehre habe ich daraus gezogen: Jetzt werde ich hier in Essen meinen Personalausweis beantragen, ein Bankkonto eröffnen und mich diesmal mit allen notwendigen Dokumenten einseifen. In Berlin werde ich mich dann um einen Vermieter ohne fremde Freundschaftsverwicklungen bemühen, und jetzt habe ich ja auch etwas mehr Ahnung von deutschem Mietrecht als vorher.

Ich habe drei Theorien bezüglich der Vorfälle, die ich als Kommentare poste. Diskussionen sind natürlich ganz herzlich willkommen.

Update: Herr King hat den Mietaufhebungstrag unterschrieben und zurückgesendet.
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