Licht ohne Wärme (24/?)

Jul 24, 2011 12:45


::Kapitel 24 - Die Soldaten der Armee::

Michael stopfte seine kalten Hände tief in die Taschen seines Ledermantels als er den künstlich erleuchteten Gang hinunter stapfte, Camael dicht hinter ihm. Die letzten drei Stunden hatte er damit zugebracht zwischen Maschinen, Flugkreuzern und Lagerhallen hin und her zu laufen, um sich ein Bild von dem Stützpunkt zu machen. Zwar kannte er die Pläne, er hatte geholfen sie zu entwerfen, aber es machte einen großen Unterschied das Konzept bloß als flackerndes Hologramm zu kennen oder wirklich zwischen den Gebäuden bewegt zu haben. Denn selbst noch so eine hochwertige dreidimensionale Animation konnte essentielle Dinge wie das schlechte Wetter, den peitschenden Wind oder bissige Kälte nicht simulieren. Die perfide Planung eines perfekten Stützpunktes enthielt nicht die kühleren Temperaturverhältnisse oder die kargen, grauen Wände der Lagerhallen, die lediglich von schwachen Scheinwerfern angestrahlt wurden, hinter deren Lichtkegeln man die Umrisse von Soldaten ausmachen konnte, die mit Argusaugen die Vorgänge bewachten und darauf achteten, dass sich kein Dämon zwischen ihre Reihen schlich.

Es beruhigte Michael ungemein, dass die Leute ihre Gewohnheiten nicht aufgaben, obwohl sie in eine andere und angeblich sicherere Umgebung geworfen worden waren. Sie trauten dem Frieden nicht und an jedem Soldaten, an dem er vorbei gelaufen war, hatte eine Schusswaffe im Hohlster gesteckt, bereit mit einem Angriff gezogen und angefeuert zu werden.

Sie sind vielleicht nicht ganz so zerschlagen, wie Pyrrha es angenommen hat, dachte Michael. Vom Krieg ermüdete Männer sehen anders aus.

Den Meisten hatte er den Unmut über das arge Wetter angesehen, die vergangenen Stützpunkte waren immer in warmen Gebieten gewesen, aber die extremen Bedingungen, die hier am Rande der Schale herrschten, schreckten sie nicht ab. Eher im Gegenteil, es machte sie kampflustig, erhärtete ihrem Mut und erhöhte ihre Ausdauer. Es war die neue Umgebung, die sie wachsam bleiben ließ und vielleicht hinterließen die Dämonenangriffe daher einen nachhaltigeren Eindruck als man sie von vor dem Krieg in Erinnerung hatte. Aber es hatte seit dem Stillstand der Erde keine Berichte mehr über Dämonenschwärme gegeben, die tobend, brüllend, rasend über die Inlandsgebiete der Engel hinweggefegt waren, daher weigerte er sich vorzeitig den Alarmzustand auszurufen.

Der Kontrollgang hatte den Klumpen aus Beunruhigung in seinem Magen nur noch weiter verschwinden lassen, der ihn kurzzeitig beschäftigt hatte. Sein Eindrücke von dem Stützpunkt entsprachen so ziemlich dem, was er sich erhofft hatte vorzufinden und Michael erinnerte sich, dass es sogar noch mit seinen Vorstellungen übereinstimmte, als er vor Ewigkeiten den Plan auf dem Papier entworfen hatte.

Selbst das kalte Wetter hatte ich mit einberechnet, erinnerte sich Michael.

Damals hatte er vor einer offenen Feuerstelle gesessen und mit einem Grafitstift den Grundriss in die weiche, getrocknete Haut seines Abendessens geritzt. Mit Absicht hatte er da an einen kalten, ungemütlichen Ort gedacht. Einen, den man mit Herz verteidigen musste, damit er warm und heimlich wurde. Stark und unbeweglich, anders als die offenen Zeltlager eine Schale unter ihnen. Rückblickend fragte sich Michael in welcher Stimmung er gewesen sein musste, als er sich diese unwirtschaftliche Gegend als Zufluchtsort ausgesucht hatte. Denn hinter den sorgsam verputzten Wänden konnte er den kalten harten Stein fühlen, nur berührt von dem Regen von draußen und dem Wasser, das aus dem Berg kam.

Frisches Wasser direkt aus der Quelle und ein geeigneter Ort für die Errichtung von mehr als nur einer Schmiede, zählte Michael die Vorteile auf, die ihn letztendlich überzeugt hatten. Denn Trinkwasser war in den unteren Schalen selten gewesen, besonders wenn man wie er auf sauberes Wasser bestand. Rein, klar und vor allem nicht durch die offiziellen Verteilungsanlagen der Regierung geflossen.

„Kaum zu glauben, dass Dämonen für etwas Nutze sein können“, murmelte Michael vor sich hin.

„Boss?“, fragte Camael und Michael war für einen Moment über dessen Anwesenheit überrascht.

Er hatte sich durch die letzten Ereignisse so sehr an den Luxus der Alleingänge gewöhnt, dass er Camaels Aufgabe und den Grund für sein Dasein ganz vergessen hatte.

„Ich habe nur darüber nachgedacht, dass ich bei Gelegenheit mal bei den Satanen bedanken muss“, meinte Michael zu Camael, sah ihn allerdings nicht an, als er mit ihm redete. „Die Verbindungspfeiler zu kappen hat uns zwar jede Menge Ärger gemacht, aber allein dafür, dass es den Großteil der Wasserwerke dahin gerafft hat, die unter der Kontrolle des Hohen Rates standen, müsste ich ihnen einen Geschenkkorb zukommen lassen.“

Michael konnte hören, wie sich Camaels Stirn missbilligend zusammenzog.

„Der Einfall der Dämonen war verheerend, das Zusammenkrachen der Platten beinahe fatal“, sprach Camael in einem Michael sehr bekannten Tonfall, „viele Angehörige der Bevölkerung sind dabei gestorben, es ist nicht angebracht Schadenfreude über den Verlust von Ressourcen zu empfinden.“

Der Feuerengel schnaubte und unterdrückte das uralte und ihm wohlbekannte Bedürfnis Camael in das Reich des ewigen Friedens zu schicken. Der andere Engel war nämlich alles, nur nicht sein Bodyguard. Er war ein Aufpasser, der einst von ihm feindlich gesinnten Generälen gestellt worden war und an den er sich nach und nach gewöhnt hatte. Außerdem war es ihm lieber, wenn er die Spione in seinen Reihen kannte, nur hatten sich Camaels Empfänger der Berichte über den Zwillingsbruder des Heerführers, der sie einst alle verraten alle, im Laufe der Jahrhunderte geändert. Nur die Rolle war dieselbe geblieben und bis auf wenige Instanzen konnte es ihm nicht gleichgültiger sein, wer ihn wie im Auge behalten wollte.

Nur in Momenten wie diesen hasste Camael aus ganzem Herzen.

Denn Camael war ein Soldat, der für das Wohl des Volkes kämpfte und einfach nicht in seinen Schädel bekam, dass es politische Fraktionen gab, die anders darüber dachten. Michael kannte mindestens drei Generäle, die ihren Nutzen aus dem verseuchten Wasser der unteren Schalen gezogen hatten und trotzdem noch als respektierte Kriegshelden galten, weil sie lange genug erfolgreich Dämonen bekämpft hatten. Michael wollte wirklich nicht wissen, was diese Generäle getan hatten, um ihre Erfolgsquote so hoch zu halten.

Camael wird niemals verstehen, dass diejenigen, die bei der Kollision ums Leben gekommen sind, so einen weitaus gnädigeren Tod erhalten haben, als Sevothtarte ihnen mit de Exklusivrechten über das saubere Wasser zugestanden hätte, dachte Michael bitter. Denn das was die unteren Schichten trinken, ist nicht mehr als bessere Chemie.

Selbst die Dämonen in der Hölle hatten saubereres Trinkwasser und deren Flüsse füllten sich in regelmäßigen Abständen mit Blut. Doch wie sollte er Camael das begreiflich machen, wenn er es nach all der Zeit nicht selbst erkannte hatte? Ihm waren die schweren Schritte hinter ihm vertraut und im Kampf hatte er sich immer auf Camael verlassen können, genauso wie darauf, dass er seinen Befehlen gehorchen würde. Camael hatte keinen zweiten Herrn und wem er im Austausch für neue Transplantationen ein wenig von des Feuerengels Abenteuern berichtete, war das nicht seine Angelegenheit. Er war nicht für dessen Entscheidungen verantwortlich, besonders nicht wenn sie mit Camaels verdrehtem Sinn für Pflicht und Ehre zu tun hatten.

Ausgebildet zu einer Zeit als Loyalität bei jedem Atemzug hinterfragt wurde und geboren mit dem Unglück all diese Kriege überlebt zu haben, rief sich Michael in Erinnerung. Wenn Camael nicht so fähig und bedingungslos ergeben gewesen wäre, so wäre der Fakt allein, dass er bereits unter Luzifer in der Armee gedient hatte, ein Grund gewesen ihn zu töten. Er gehörte zu denen, die das Glück hatten damals einem der Kommandanten anzugehören, welche die Rebellion bis auf das Tiefste verurteilt haben. Und nicht, weil mein Bruder zum Ungehorsam und zur Sünde aufrief, sondern weil sie die Auswirkungen verurteilten, die vornehmlich jene betraf, die nicht kämpfen wollten.

Unschuldige Dritte, gefangen in einem Krieg zwischen Gott und seinem rebellischen Sohn. Eine Beschreibung, die ihm Laufe der Zeit auch auf ihn zutraf. Oder besser gesagt: eine Beschreibung, die schon immer auf ihn zugetroffen hatte, denn es gab keine Gnade für jene, die seinen Flammen zu Nahe kamen. Ein Punkt, der Camael ebenfalls missfiel, allerdings nie etwas dagegen unternommen hatte.

Bis er Uriel von seinem auffälligen Verhalten unterrichtet hatte, das hatte er nicht vergessen. Genauso wenig, wie es Raphael in sein Zuhause und zu der Erkenntnis geführt hatte, dass das Universum mit seinen Veränderungen vor niemandem halt machte, nicht einmal vor ihm.

Ich könnte Camael die Schuld dafür geben, dass ich gegen Raphael habe Maßnahmen ergreifen müssen, dachte Michael als am Ende des Ganges angekommen war und die Tür zur Kommandozentrale aufstieß. Aber es wäre nur eine Ausrede und ich schulde es Raphael zumindest, dass ich diese Entscheidung allein und nicht unter Einfluss getroffen habe. Auch wenn er dies wahrscheinlich vorziehen würde, um sein Gewissen zu beruhigen.

Trotzdem würde es für Camael für oder später Konsequenzen haben, denn schon jetzt vertraute er ihm nicht mehr so wie früher. Er konnte dem alten Soldaten kein Fehlverhalten nachweisen, aber das hieß nicht, dass Camael noch fit genug für den Dienst in der Armee war. Er wäre nicht der Einzige, für den die Enthüllung über Sevothtarte, Rosiel und Gott zu viel gewesen wäre.

Michael zog an der schweren gegen Feuer geschützten Tür und betrat den halbdunklen Raum, der mehr von leuchtenden Monitoren als von Glühbirnen erhellt wurde, wofür er mehr als nur dankbar war. Glühbirnen waren billig, künstlich und leblos. Sie hatten nichts von dem Gefühl, dass ein offenes Feuer, Kerzen oder Fackeln verursachten, aber in Anbetracht der vielen empfindlichen Geräte hatte er leider nicht viel Wahl. Dämonen gaben nicht viel auf Technologie, selbst die Satane bevorzugten alte Zaubersprüche und Rituale, je älter und verbotener desto besser. Ob dies nun an ihrer Vorliebe für das Blut der Opfer war oder sie schon aus Prinzip sich gegen alles auflehnten, mit dem Himmel assoziiert werden konnte, war nicht zu bestimmen. Aber es verschaffte seiner Armee den Vorteil, dass sie ungehindert auf die Satelliten zugreifen konnten, welche die Schalen des Himmels umkreisten.

Es mochten nach der Kollision der Schalen nicht mehr viele übrig sein und Kontakt zu dem größten Krisengebiet hatten sie auch nicht, aber durch Sevothtartes Tod hatte dessen politische Fraktion viel an Einfluss verloren und damit nicht mehr genug gegen ihn in der Hand, um ihn daran zu hindern sich in die noch verwendbaren Raumsonden zu hacken. Aber das Beste war immer noch das die Dämonen wohl einfach nicht wussten, was für einen strategischen Vorteil es ihnen bieten könnte, sollten sie zerstören werden.

Nun ich werde mich bestimmt nicht beschweren und es ihnen damit direkt ins Gesicht sagen, dachte Michael und gähnte ausgiebig.

Die Luft in diesem Raum war bei weitem nicht die Gesündeste, da der Raum weit unter der Erde lag und daher die nötigen Fenster fehlten. Selbst die Luftschächte waren gerade mal so groß, dass man nicht ersticken würde, verbrachte man längere Zeit hier drin. Nicht einmal er würde auf die suizidale Idee kommen zu versuchen hier seine Feuerkräfte zu benutzten.

In einem Anflug von Paranoia vermutete er, dass ein paar höherrangige Offiziere darauf bestanden hatten, um einen Ort zu erschaffen, an dem er sie nicht verletzten konnte.

Als ob ich dafür das Feuer bräuchte. Das Messer in meinem Stiefel täte es auch, dachte Michael verächtlich, als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Sein Schwert für die leidliche Aufgabe zu benutzen sich inkompetenter Untergebener zu entledigen wäre wahrlich übertrieben gewesen. Sevothtartes Spitzel, lästige Bürokraten und lernunwillige Fanatiker wurden schlichtweg erschossen. Oder gingen unterwegs verloren, das passierte leicht wenn man Männer zu ihm schickte, die entweder nicht kämpfen konnten oder sich weigerten Befehle zu befolgen. Lediglich die unverbesserlichen Idealisten ließ er am Leben, denn deren einziger Charakterfehler war Ignoranz und die war - dankt den Mächten - absolut heilbar, obwohl man häufig ein bisschen Gewalt anwenden musste.

Selbst wenn nicht wären sie mir lieber als die Engel, die nur von Reinheit und Schönheit der Himmlischen Rasse besessen sind, dachte Michael. Eher lasse ich blutrünstige Monster in meinen Reihen kämpfen, vor denen sich selbst die Dämonen fürchten, als das ich diesen verrotteten Seelen eine Waffe in die Hand drücke.

Dieses Mal schien er Glück gehabt zu haben, unter den anwesenden Offizieren befand sich niemand, dem er dies hätte vorwerfen können, denn hin und wieder verirrte sich doch eine dieser kranken Seelen von der Hauptstadt in den Kommandostand der Armee. Besonders jetzt, wo noch viel zum Wiederaufbau getan werden musste und der Rat ihm de facto auch diese Aufgabe übertragen hatte. Zumindest solange es Soldaten, Gütertransport oder Rettungsarbeiten ging und ihm die Truppen wieder entzogen werden konnten. Ansonsten gab man sich damit zufrieden, dass er sich von der einfachen Bevölkerung fernhielt.

„Michael-sama“, grüßten ihn die Kommandanten und salutierten, als sie ihn entdeckten.

Michael sah in die Runde.

„Gleich fünf von euch?“, fragte er verwundert und misstrauisch zugleich. „Ist ein Staatsstreich geplant oder warum seid ihr nicht draußen und beaufsichtigt die Ladevorgänge?“

Offizier Temul, der Beauftragte für die innere Sicherheit dieser Anlage, hustete und tippte zur Antwort auf eine Taste des großen Tisches, um den die Kommandanten alle herumstanden. Ein Summen ertönte und vor Michael erhob sich ein Hologramm das von dem Bildschirm projiziert wurde, der in den Tisch eingelassen war und eine Reihe von verschlüsselten Nachrichten erschien.

„Wir haben Nachricht aus Raquia erhalten, Boss“, antwortete Offizier Temul. „Es wurden Daten gestohlen.“

„Was für welche? Und von wo?“, zischte Michael. „Hat sich jemand in die Server gehackt?“

Es ging leider nie ganz ohne Dokumentation von Plänen, Daten oder militärischen Operationen, auch wenn Michael gerne darauf verzichtet hätte. Aber nur wenige wussten, wo man seine virtuelle Schatzkammer zu suchen hatte und nur er kannte komplette Liste der Namen, die darauf Zugang hatten.

Kurz schweiften seine Gedanken zu Thorongiel.

Wehe, dem ist etwas passiert, dachte Michael mit einem unguten Gefühl im Magen. Sobald ich eine freie Minute habe, muss ich ihn kontaktieren und überprüfen, ob mit ihm alles in Ordnung ist. Und ihn notfalls darum bitten sich auf die Jagd nach dem Eindringling und den nötigen Daten zu machen.

Die Kommandeure schluckten und mieden seinen Blick.

„Niemand hat Zugriff auf die Datenbanken erhalten“, erklärte Offizier Temul. „Die Informationen wurden direkt aus dem Archiv gestohlen und keiner kann sagen, was in der Akte enthalten war, die verschwunden ist.“

„Direkt in das Archiv...“, wiederholte Michael. „Aber wer wäre denn so waghalsig...?“

Gedankenverloren trommelte Michael mit seinen Fingern auf dem Tisch herum.

„Du!“, bellte er im nächsten Moment einen der Engel an, die am anderen Ende des Raumes die Raumsonden durch riesige Schaltpulte überwachten. „Überprüfe mir sofort, ob es jeglichen Zugriff auf unsere Daten gegeben, der nicht autorisiert war.“

„Ja, Sir!“, antwortete der Engel und begann hektisch auf die Tasten seines Computers zu tippen.

„Melde mir auch jeglichen Zugriff, der auf die Server erfolgt ist und die Sicherheitsstufe der zweiten Triade übersteigt!“

„Jawohl, Sir!“

Ein unangenehmes Schweigen trat ein, als jeder darauf wartete, was die Antwort sein würde. Die Offiziere scharten mit den Füßen, die restlichen Engel an den Konsolen taten geschäftig und aus den Augenwinkeln sah Michael, wie Camael eine aufrechtere Haltung annahm. Jeder rechnete wohl mit einem unangenehmen Zwischenfall, sollte es eine Lücke in der Sicherheit gegeben haben. Wüssten sie um die Daten, die selbst Michael feuchte Finger bekommen ließ, würden sie ihm sogar zustimmen, dass ein Ausbruch seines Temperamentes angebracht wäre.

Doch abgesehen davon, dass seine Männer bald schon wieder früh genug sterben würden, ohne das er dabei nachhalf, konnte er sich dadurch beruhigen, dass es betreffend Pangaea nie einen offiziellen Befehl gegeben hatte. Es gab lediglich die gesammelten Daten von Thorongiel Recherche und selbst dort musste man schon wissen, wonach man suchte, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Schließlich meldete sich der Engel wieder zu Wort, den Michael mit der Überprüfung beauftragt hatte.

„Michael-sama, ich melde keine unautorisierten Zugriffe auf unsere Daten, keine Angriffe auf die Sicherheitsserver und Datenübertragungen über der Stufe der zweiten Triade hat es in den letzten 24 Stunden auch nicht gegeben.“

„Gut“, meinte Michael grimmig, aber beruhigt. „Weitermachen.“

Er wandte sich wieder den Offizieren zu, welche immer noch stramm um den Tisch herum standen und in den letzten Minuten keinen Muskel gerührt hatten.

„Also“, kündigte Michael an, „da unsere Sicherheit nicht direkt beeinträchtigt wurde, können wir davon ausgehen, dass nichts Wichtiges an Unbefugte gelangt ist. Dennoch würde ich gerne wissen, ob es mehr Informationen zu der Akte gibt, die aus dem Archiv verschwunden ist, denn nur ein Hochrangiger Engel wäre dazu fähig, ungesehen in ein Gebäude einzubrechen, das strenger bewacht wird als der Garten Eden!“

„Viel konnten wir nicht darüber in Erfahrung bringen“, sprach Temul. „Die Akte wurde komplett entfernt, die Virtuelle so wie die Ausdrucke, die davon vorhanden waren. Da sie verschlüsselt und versiegelt war, lässt sich auch nicht sagen, was sie enthielt.“

„Wie ist man das Fehlen bemerkt?“

„Weil selbst der Eintrag im Inhaltsverzeichnis und jeglicher Suchmaschinen verschwunden. Wo einst die Akte war, ist jetzt nur eine breite Datenlücke.“

„Und keiner weiß, was die Akte enthielt? Nicht einmal, aus welchem Bereich die Akte entfernt wurde?“

Das wäre nichts ungewöhnliches, denn in den Archiven wurden Informationen nicht unbedingt übersichtlich sortiert.

„Alles, was man herausbekommen konnte, war das die Akte den Namen einer Rune trug“, sprach ein anderer Offizier. „Die Rekonstruktion hat folgendes ergeben...“

Vor Michael schimmerte das Hologramm und eine alte Rune in Enochian erschien. Sie war ein wenig undeutlich und die Archivare hatten deutlich keine Ahnung von dem Wort gehabt, dass sie hatten wiederherstellen wollen. Er studierte die Rune eine Weile und nickte dann.

„Macht das weg“, sprach er und ließ die Rune mit einem Knopfdruck verschwinden. „Das geht uns nichts an.“

„Aber Boss“, erwiderte Offizier Temul. „Wir müssen herausbekommen was in dieser Akte stand und wer sie entwendet hat. Selbst wenn keine Informationen entwendet wurden, die uns schaden könnten, so gibt es keine Garantie für das nächste Mal. Die Lage in der Bevölkerung beruhigt sich gerade erst wieder, wenn nun Dinge das Tageslicht erreichen, die den neuen Rat ins Wanken bringen, verlieren wir das Vertrauen womöglich komplett.“

Michael unterdrückte den Drang mit den Augen zu rollen. Offenbar war Camael nicht der Einzige, der sich zu sehr an das Schweigen der Bevölkerung gewöhnt hatte. Rebellionen und Widerstandskämpfer waren solange willkommen, wie sie sich gegen Sevothtarte oder Rosiel gerichtet hatten, aber der Gedanke, das man sich auch gegen die Armee selbst richten könnte, behagte wohl vielen nicht, die nun ihren Posten gefährdet sahen.

Fehlendes Vertrauen in das Militär, erkannte Michael und notierte sich das gedanklich. Zwar bezweifelte er, dass es in der Bevölkerung je soweit kommen würde, aber es wäre eine gute Lektion für kurzsichtige Offiziere. Sollten sie ruhig eine Weile glauben, dass einer kleinen Rebellengruppe es gelungen war, brisante Daten aus dem Archiv zu entwenden. Er musste ihnen ja nicht sagen, dass er die Rune trotz der schlechten Rekonstruktion erkannt hatte.

Ruga...

Michael grinste, aber so leicht, dass es keiner der Offiziere sah.

Die Rune stammte aus dem Alphabet des Wassers und war zugleich der Name eines hochrangigen Engels, der einst einer von Jibrils Verbündeten gewesen war und sein Leben gelassen hatte, als Sevothtarte begann seine Macht im Hohen Rat mit Gewalt zu festigen.

Witzig, dass ich gerade erst vorhin mit Camael über die Wasserwerke gesprochen habe, dachte Michael. Würde ich an göttliche Vorhersehung glauben, könnte man das als Zeichen von Oben betrachten.

Aber Jahwe war tot und Seraphita hatte sicherlich andere Dinge im Sinn, aber an den einfachen Zufall zu glauben tat Michael schon lange nicht mehr. Außerdem kam es noch andere Kräfte in diesem Universum, doch hier würde es auf seine Verwandtschaft mit dem anderen Element schieben.

Schließlich war es Lord Ruga, der auf Jibrils bitten hin die Wasserwerke gebaut hat, erinnerte sich Michael. Nur sind die nach dessen Tod und Jibrils Niederlage gegen Sevothtarte in die Hände des Hohen Rates gefallen.

Das Jibril jetzt diese Akte wieder ausgrub, würde er als den ersten Schlag einer Frau auf dem Pfad der Vergeltung betrachten. Und als stille Ankündigung, dass Jibril sich aus seinen Angelegenheiten raus halten würde, wenn sie dafür freie Hand in der Neugestaltung des Rates bekam. Anders wusste er Jibrils Botschaft nicht zu deuten. Würde er auch nicht und wenn sie damit Probleme damit hatte, sollte sie vorbei kommen und sich beschweren.

„So Themenwechsel!“, sagte Michael und schlug mit seiner flachen Hand auf den Tisch. „Wir haben wichtigere Dinge zu erledigen.“

„Ja, Boss“, murmelten seine Offiziere und sprachen ihn nicht offen darauf an, dass er Temuls Rede komplett ignoriert hatte.

Michael bemerkte bloß, dass dies schon das zweite Mal an diesem Tag war und ob er sich darüber Gedanken machen sollte, dass die Männer seine näheren Umgebung offenbar alle Idioten waren.

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