Licht ohne Wärme (24/?)

Jul 24, 2011 12:47


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Die Berichte durchzugehen und die Kommandanten der einzelnen Abteilungen alle auf einen Stand zu bringen, war eine langwierige und elendige Aufgabe. Michael hasste sie grundsätzlich und weigerte sich in den nächsten Stunden einen Stuhl auch nur anzusehen, weil ihn sonst viel zu schnell die Ungeduld wieder gepackt hätte. Außerdem ließen sich solche Sitzungen leichter durchstehen, wenn er das Gefühl hatte, dass er nicht so ein Weichei war die Offiziere, die sich irgendwann dankbar hingesetzt oder sich über einen Videokanal dazu geschaltet hatten.

Aber selbst solche Besprechungen neigten sich irgendwann einem Ende entgegen und Michael war froh, als immer mehr Themen abgearbeitet worden waren und die fünf Offiziere, die sich mit ihm Raum befunden hatten, um ihre Entlassung baten. Er nickte und deutete ihnen sich zurück zu ziehen. Die meisten Aufgaben waren verteilt, die Unklarheiten beseitigt und die offenen Fragen beantwortet.

Jetzt blieb ihm nur noch eines zu tun.

Michael wartete bis auch der letzte Offizier verschwunden war, dann trat er aus der unterirdischen Kommandozentrale heraus und schlug einen anderen Weg ein als den, den er gekommen war.

„Michael-sama?“, erkundigte sich Camael und Michael stöhnte leicht.

Den hatte er ja komplett vergessen und er hasste den besorgten ‚Sie sollten sich ein wenig Ruhe gönnen’ Tonfall.

„Überwache die restlichen Ladevorgänge, wenn du etwas zu tun haben willst“, meinte Michael abwesend. „Ich habe nur noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Wir sehen uns, nachdem ich mindestens fünf Stunden geschlafen habe.“

„Zu Befehl, Boss“, antwortete Camael und bog an einer Kreuzungen ab, die nach draußen führten.

Er sah ihm hinterher, um sicher zu stellen, dass Camael ihm nicht folgen würde. Es war ein bitteres Gefühl, dass er Camael nicht mehr vertrauen konnte, aber war leider nur allzu deutlich, dass durch den Messias auch hier die Streu vom Weizen getrennt worden war. Der Unterschied zwischen denen, die bereit waren sich den Veränderungen anzupassen und jenen, die sich mit aller Macht dagegen widersetzten, wurde immer größer.

Die Armee, wie sich jetzt ist, ist viel zu groß, erkannte Michael und öffnete die Tür zum nächsten Treppenhaus. Mir Sevothtartes Weiße Garde zu unterstellen, war ein Fehler und sei es nur für die Aufräumarbeiten. Wenn sie nicht bald von alleine gehen, werde ich gnadenlos Abteilungen von meiner Soldliste nehmen müssen.

Eher riskierte er es, dass sich die arbeitslosen Soldaten einem fragwürdigen privaten Sicherheitsdienst unterstellten, als das er die Himmlische Armee zu groß werden ließ. Während er die Stufen in den obersten Stock hinauf stieg, erinnerte sich Michael daran, dass dies schon einmal der Fall gewesen war.

Nämlich zu Zeiten von Luzifels Fall.

Michael unterdrückte den kalten Schauer, der ihn erfassen wollte und nahm zur Antwort gleich zwei Stufen auf einmal.

Ab einer gewissen Größe ließ sich eine derartige Institution einfach nicht mehr kontrollieren und verlor schließlich ihre Effizienz. Sevothtarte hatte schließlich auch nicht solange regiert, weil er versuchte hatte den gesamten Himmel zu kontrollieren. Er hatte sich stets auf einige wichtige Knotenpunkte konzentriert hatte.

Diesmal nicht, beschloss Michael störrisch und trat aus dem Treppenhaus heraus, nicht mit mir.

Zufrieden bemerkte er, dass er auch wirklich da angekommen war, wo er hingewollt hatte. Es gab nichts Schlimmeres als sich auf seinem eigenen Stützpunkt zu verlaufen. Das die Meisten alle gleich aussahen, als auch nicht. Im Gegenteil, man konnte nie sicher sein hinter welcher Tür ein verräterischer Engel oder fragwürdiges Labor lauerte. Auch hier würde es nicht lange dauern bis in einem Bereich ein großes Schild mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN hängen würde.

Allerdings nicht in diesem Stockwerk, hier brauchte es keine Ermahnungen, um den einfachen Soldaten zu suggerieren, dass dies hier die gehobene Klasse war. Die großen weiten Fenster, die einen guten Überblick auf den Hof unter ihm erlaubten, gehörten zu dem typischen Standard, den sich die höheren Offiziere für ihre Unterkünfte leisteten. Nicht mehr lange und in den Gängen würden große Gemälde von über idealisierten Engel hängen, welche die makellose Schönheit als oberstes Gebot anpriesen.

Michael fühlte kurz nach seinem Tattoo, um in einem Anflug von Furcht zu überprüfen, ob der Drache nach da war, wo er hingehörte. All der Prunk, der in Raquia alltäglich war und sich auch hier wieder ausbreiten würde, erinnerte ihn stets daran, was vielleicht aus ihm geworden wäre, hätte sein Körper nicht mittendrin aufgehört zu wachsen. Neben dem Offensichtlichen, dass er wie sein Bruder ausgesehen hätte. Doch selbst Luzifer entsprach nicht dem Standard, wie die Engel ihn gerne hatten. Zu groß, zu blass und noch eine Reihe von anderen Dingen, die ihn zu Luzifer machten.

Das Einheitsideal der Engel. Immer auf der Suche nach dem perfekten Gen. Tss...daran wird auch der Tod Gottes nichts ändern.

Ein Summen erklang in seinen Ohren und Michael sah, wie vor seinen Augen sich eine der Türen öffnete und ihn offensichtlich darum bat, einzutreten. Kurz blickte in die Zimmerdecke des Gangs und entdeckte die subtil versteckten Überwachungskameras. Es sagte ihm eigentlich schon alles was er über den Engel wissen musste, den er jetzt aufsuchte. Der war sicherlich noch keine ganze 72 Stunden hier und schon funktionierte die Überwachung tadellos.

Gut zu wissen, dachte Michael und hielt auf die Tür zu.

Er vergrub seine Hände in den Taschen seines Mantels und setzte ein bewusst gleichgültiges Gesicht auf. Kaum war hindurch getreten, schloss sich die Tür schon wieder automatisch. Michael war aber zufrieden damit zu entdecken, dass er nicht irgendein Wohnraum oder ein Büro mit einem gigantischen Holzschreibtisch geführt worden war, sondern tatsächlich in die überirdische Kommandozentrale des Stützpunktes, die den besten Ausblick auf den Innenhof und den Flugplatz bot. Jetzt, so spät in der Nacht und während alle, die nicht die ausdrückliche Erlaubnis hatten fernzubleiben, halfen die Transporter zu entladen, war die Brücke dunkel und leer. Leer bis auf den hoch gewachsenen Engel, der gegen ein Schaltpult gelehnt hatte und mit vor der Brust gekreuzten Armen in den Nachthimmel hinaus blickte.

„Michael-sama“, sagte er und wandte den Kopf, um ihm zuzunicken. „Es ist lange her seit wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen.“

Mit wenigen Schritten hatte Michael den Raum durchquert und streckte sein Hand aus.

„General Neesonel!“, grüßte Michael, als der andere Engel die Hand ergriff und sie in typischer Kriegernatur allerdings am Handgelenk umfasste. „Ich entsinne mich, es muss im Zweiten Großen Krieg gewesen sein. Sie haben mir damals geholfen die einfallenden Dämonenscharen in Schach zu halten.“

„Das war das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem Sie damit beschäftigt waren einen wüteten Kriegsengel aus der Luft zu holen.“

Michael nickte tatkräftig. Aus den meisten Köpfen war verschwunden, wie viel Schaden Alexiel einst angerichtet hatte, aber nicht alle hatten vergessen, was es sie letztendlich gekostet hatte, um den Zweiten Großen Krieg endlich zu beenden. Neesonel war einer von ihnen und Michael hatte die Empfehlung zu seiner Beförderung mit Freuden unterschrieben. Sie mochten nicht in denselben Fraktionen beschäftigt sein, weil Neesonel eine Luftflotte kommandierte und in einem ganz anderen Sektor stationiert war, aber immerhin konnte man sich auf ihn verlassen.

„Dann wird es Sie vielleicht nicht allzu sehr ärgern, dass ich Sie um einen weiteren Gefallen bitten muss“, meinte Michael ehrlich und ließ sich auf einem der freien Stühle nieder, um sich zumindest für ein paar Minuten Ruhe zu gönnen.

General Neesonel sah ihn eindringlich an.

„Beim letzten Mal haben Sie mich zu einem absolut wahnsinnigen Manöver überredet, dem ich nur zugestimmt habe, weil ich nichts zu verlieren hatte. Wie sich herausstellte, was es ein entscheidender Zug, um den Krieg zu beenden und der Durchbruch in meiner Karriere. Es wäre dumm von mir ihr Angebot auszuschlagen ohne es gehört zu haben“, erklärte Neesonel und wartete darauf, dass Michael das Wort ergriff.

Er wusste nur, dass es wichtig sein musste, wenn er extra vorher von dem Feuerengel selbst kontaktiert und gebeten wurde an einer Besprechung per Videokonferenz teilnehmen, die auf seinem eignen neuen Stützpunkt stattfand. Aber bei dem verbissenen Gesichtsausdruck konnte er sich gut vorstellen warum.

„Ich habe diesen Stützpunkt extra als neue Basis errichten lassen“, erklärte der Engel mit den goldenen Augen schließlich, die selbst im Dunkeln unheimlich klar und deutlich zu sehen waren. „Nicht nur, weil die Himmelspolitik früher oder später wieso den Kurs wieder übernehmen wollen wird, sondern auch weil ich jemanden Zuverlässigen an einer strategisch günstigen Stelle brauche, der ganz Yetzirah neu vermessen wird.“

Neesonel musste zugeben, dass er mit vielen, aber nicht damit gerechnet hatte.

„Ganz Yetzirah?“, wiederholte er. „Alle der drei unteren Schalen des Himmels?“

Das wäre eine gigantische Aufgabe, die Zeit und Geduld erforderte. Ebenso wie Ressourcen. Neue Geräte, Operationen für nur die besten Männer und eine ganze Flotte von Flugkreuzern, wenn man das bewerkstelligen wollte.

Denn die drei unteren Schalen waren nicht mehr vermessen worden, seit Luzifel selbst es erste Amtshandlung als Heerführer es angeordnet hatte. Schließlich war der Himmel riesig und die drei Kriege hatten einiges an der Landschaft verändert. Außerdem hatte es seine Gründe, dass der Hohe Rat die offiziellen Karten so simpel wie möglich hielt, weil er nicht wollte, dass kluge Köpfe auf abgesperrte und geheime Gebiete stießen oder ahnungslose Zivilisten in Regionen gerieten, die von dunkler Magie oder alten Schlachtfeldern übersät waren.

Er diente in der Armee schon fast ein ganzes Jahrtausend und hatte noch nie eine vollständige Karte des Himmels gesehen.

Was man ihn gerade angeboten wurde, war eine einmalige Chance.

Auf Ruhm, Macht, Ehre und einen Platz in der Geschichte, selbst wenn er es nicht schaffte bis zum Ende des Projekts zu überleben. Wenn es ihm allein gelang die dritte Schale zu vermessen, würde er der Ansprechpartner dafür sein, wo man die neuen Städte ansiedeln sollte, denn die alten waren spätestens mit der Invasion der Dämonen komplett zerstört und unbewohnbar geworden.

Neesonel rief sich zur Ordnung und schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Dabei bemerkte er wie von seinem Besucher eingehend studiert wurde. Der Kommandant der Mächte hing fast in dem Stuhl auf den er sich gesetzt hatte und wirkte so gar nicht, als hätte er gerade das Angebot für den Traum eines jeden Engels in der Armee ausgeteilt.

Vielleicht weil Lord Michael zu der Handvoll von Hohen Engel gehörte, die je eine gesamte Karte des Himmels gesehen hatten, eine Kopie davon besaßen oder einfach bloß alt genug waren, um jeden Winkel bereits einmal gesehen zu haben. Nicht zu vergessen, dass er in dem Ruf stand selbst die Hölle besser zu kennen als seinen eigenen Vorgarten.

Und ich habe mich gewundert, warum ich an diesen entlegenen Ort versetzt wurde, dachte Neesonel schaudernd. Zum Glück sind die Tage vorbei in denen ich mich mit dem Engel des Feuers angelegt hätte, nur weil ich dachte, ich wüsste es besser als er.

„Michael-sama“, meinte General Neesonel so gefasst wie möglich, aber seine Stimme klang dennoch ein wenig heiser. „Was wollt ihr im Gegenzug dafür haben?“

„Oh“, sagte der Kommandant der Himmlischen Armee achselzuckend. „Nicht viel. Eure Verschwiegenheit zum einen. Ich will weder, dass mein Name eines Tages in eurer Biographie auftaucht, noch dass der Rat in der nächsten Zeit Wind davon bekommt, dass ich hier meine Schiffe unterstelle.“

Neesonel nickte. Das ließe sich einrichten. Zum Einen waren Beziehungen zum Engel des Feuers immer ein zweischneidiges Schwert und zum Anderen würde er selbst Rosiels Männern einen Platz zum Schlafen gewähren, wenn sie auf der Flucht vor den Bürokraten des Hohen Rates waren.

„Sonst noch etwas?“, fragte Neesonel misstrauisch.

Die Idee allein war mehr wert, als je in Worte zu fassen war. Vielleicht wäre das Problem der veralteten Karten früher oder später sowieso zum Thema geworden, aber es anzusprechen, Lösungen zu präsentieren und dem Rat sagen zu können, dass man schon halb fertig war, sicherte praktisch seinen Lebensabend. Nie wieder müsste er sich bei der Verteilung von Missionen vor einem adligen Engel praktisch in den Staub werfen, um an einen guten Auftrag zu gelangen.

Was Michael im Gegenzug dafür haben wollte, klang mager. Sehr mager.

Doch der Feuerengel grinste nur zufrieden, als hätte gerade er den Fang des Jahrhunderts gemacht und nicht andersherum.

„Ignoriert einfach meine Existenz. Ich werde hin und wieder kommen und gehen wie es mir beliebt, aber das ist für eure neue Mission wieder interessant noch hinderlich. Im Gegenteil, eher räumen wir für euch ein paar Dämonen beiseite.“

„Gut“, willigte Neesonel ein. „Wir sind im Geschäft.“

Sie besiegelten ihr Abkommen per Handschlag und beide wussten, dass sie sich auf das Wort des anderen verlassen konnten. Als Michael aufstand, um seiner Wege zu gehen, fiel Neesonel noch etwas ein.

„Haben Sie einen Rat, wo ich am besten mit der Vermessung anfangen sollte?“, fragte er. „Yetzirah ist groß.“

Michael sah zu ihm und zog dann nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

„In der dritten Schale. Konzentrieren sie sich erst einmal darauf, General. Shamayin wird noch Jahrhunderte von Dämonen bevölkert sein und auch Chuvce ist alles andere als sicher. Hinzukommend sollten sie Landungen vermeiden und zunächst alles aus der Luft und einer sicheren Entfernungen vermessen.“

„Vielen Dank“, sagte der General und salutierte zum Abschied, während Michael sich bereits zum Gehen wandte.

Als sich der Kommandant der Himmlischen Armeen jedoch umdrehte und ihn über die Schulter hinweg ansah, meinte General Neesonel ein siegessicheres Lächeln sehen zu können, aber in der Dunkelheit tat er es als Sinnestäuschung ab.

„Oh nein, General. Ich habe zu danken“, wurde ihm geantwortet. „Ich wünsche ihnen eine Gute Nacht und viel Erfolg.“

Damit sah General Neesonel zu, wie der Feuerengel aus seinem Blickfeld verschwand und das mit einem viel zu sicheren und festen Schritt für jemanden, der gerade ihm gerade goldene Kühe für einen Apfel verkauft und eine gesamte Armee umgesiedelt hatte. Eigentlich sollte er keine Bedenken haben, aber er wurde dennoch das Gefühl nicht los, dass er gerade einen Vertrag mit dem Teufel abgeschlossen hatte.

Keine gute Assoziation, sagte sich der General, wenn man bedenkt wer Lord Michaels Bruder ist.

-

Michael konnte sich das zufriedene Grinsen nicht verkneifen, als nach dem nächstbesten Ausgang suchte und zurück über den Stützpunkt zurück zur Flaming Hell schlenderte. Fast war er geneigt seinen Geschichtsschutz bis über die Nase zu ziehen, damit es keiner sah, aber in dieser Dunkelheit war es schwer überhaupt etwas zu erkennen und inzwischen geisterten weitaus weniger Soldaten herum als noch vor ein paar Stunden. Es wurde Zeit, dass auch er endlich einen Schlafplatz fand und zumindest für eine Weile sich um nichts und niemand Gedanken machen musste. Die letzte Nacht von ungestörtem Schlaf hatte er an dem Tag gehabt, als er Uriel auf dem Boden seines Büros gefunden hatte.

Immerhin scheint der jetzt endlich wieder gesund zu sein, dachte Michael. Das heißt er kann sich um Raphael kümmern.

Verbissen kaute Michael auf seiner Unterlippe herum, als er über den Hof schlenderte, der schwach leuchtet war und nur wenig Licht bot, um den herumstehenden Geräten zu entgehen. Die Freude bei General Neesonel so erfolgreich gewesen zu sein, hatte nicht lange vorgehalten. Es war ja doch nur ein weiterer Hacken auf der Liste und es war noch nicht genug Zeit vergangen, um da frisch geschmiedete Eisen als abgekühlt zu bezeichnen. Trotzdem war es ein Erfolg und mit etwas Geduld ging seine Rechnung sogar auf.

Geduld, genau das was bei mir immer rasch zu Neige geht.

Das schleichende Gefühl der Unruhe kehrte bereits jetzt zurück und der Drang sich nicht schlafen zu legen, sondern sich allein in die Nacht zu schwingen und auf die Jagd zu gehen, war verlockend. Deswegen sah Michael zu, dass der Hangar erreichte, wo die Flaming Hell untergebracht war und suchte sich einen Schlafplatz, wo er zwangsläufig jemanden stören würde, täte er etwas anderes außer zu schlafen. Der Aufenthaltsraum des Schlachtschiffes war gerade der richtige Ort dafür. Groß genug, um ein bisschen Komfort für lange Flüge zu bieten und zentral genug, um keine wirkliche Privatsphäre zu haben. Irgendjemand der Besatzung würde schon der Meinung sein, dass es besser wäre ihn dort liegen und pennen zu lassen anstatt dem ersten Hilferufs eines verzweifelten Offiziers nachzukommen.

Michael stolperte gedankenverloren durch die Gänge und wäre beinahe über den Engel gefallen, der am Fußboden des einzig bewohnbaren Raumes des Schiffes saß und gelangweilt seine Waffe putzte.

„Beniguma“, grollte Michael flüsternd und unterdrückte einen Fluch. „Was machst du hier, ich dachte Pyrrha hätte euch befohlen zu schlafen?“

Der Engel, von der Gestalt her kleiner als Michael selbst und mit dem Gesicht eines Kindes, lächelte ihn verzerrt an.

„Ich hab kein Auge zugekriegt“, sagte Beniguma und strich das lange braune Haar zurück. „Kann ich nie, wenn ich nicht genügend Dampf ablassen kann am Tag davor und die letzte Dämonenjagd is‘ schon ‘ne ganze Weile her.“

Anklagend blickte Beniguma zu Michael auf und der Ausdruck in dessen Augen passte wahrhaftig nicht zu dem Kindergesicht, das ihn ansah.

„Wann machen wir die Nächste, Michael?“

Der Kommandant schnaubte und wollte am liebsten barsch erwidern, dass er dafür absolut keine Zeit hatte, aber als er den Ledermantel von seinen Schultern streifte rief sich in Erinnerung, dass dies Beniguma war. Der einzige Engel in der Armee, der jünger war als er selbst. Jünger aussah als er selbst, berichtige sich Michael. Denn Beniguma war eines der überlebenden Experimente, die der Rat viel zu oft durchgeführt hatte, wenn es eine so genannte ‚interessante Anomalie’ entdeckte und es war schwer Beniguma etwas anderes als einzigartig zu bezeichnen.

Gefangen in dem Körper eines Kindes mit dessen Natur und nicht einmal alt genug, um ein Geschlecht zu besitzen, denn Engel wurden androgyn geboren.

Michael warf sich auf das Sofa, das nicht unweit von Benigumas Sitzplatz stand und ließ geradewegs so fallen, dass seine Füße über die Lehne hingen und er seinen Ledermantel als Kissen benutzen konnte. Er bedeckte seine Augen mit seinem Unterarm und antwortete nach einer Weile, denn Beniguma war nicht Camael oder Offizier Temul.

„Bald Beniguma“, sagte er. „Sobald ich wieder mehr Zeit habe.“

Das Schmollen, das er als Antwort bekam, hörte er laut und deutlich und es wunderte ihn fast, dass kein Anderer davon wach wurde.

„Beniguma“, sagte Michael und ließ sich zu der Anstrengung herab, trotz der Müdigkeit, die jetzt seinen Körper in Anspruch nahm, nun da er lag, noch einmal die Augen zu öffnen und den jungen Engel scharf anzusehen. „Was bekommt ein Soldat der Armee für seine Dienste?“

„Sold“, kam die Kindesstimme aus dem Dunkeln und sie klang leicht beschämt, wohl weil Beniguma wusste, wohin die Unterhaltung führen würde. „Mal mehr, mal weniger, kommt auf den General an, der ihn bezahlt.“

„Und was habe ich dir und den Anderen versprochen, als ihr euch in meine Reihen aufgenommen habe?“

Für einen Moment herrschte Schweigen, ehe Beniguma auf Michaels Frage antwortete und sich wie der Feuerengel selbst an der Ereignis erinnerte, das bereits vor so vielen Jahrhunderten stattgefunden hatte.

„Ich garantiere euch sauberes Trinkwasser, wenn auch ihr es euch vielleicht selbst holen müsst“, zitierte Beniguma Michaels Worte, als würde er sie direkt von einem Zettel ablesen, dabei starrte er nur auf die Waffe in seinem Schoß. „Ich garantiere euch volle Mägen und dass ihr niemals Hunger leidet, wenn auch ich vielleicht von euch verlange, dass ihr euer Essen selbst erjagen müsst. Könnt ihr das nicht, bringe ich es euch bei.“

Benigumas Stimme stockte bei dem letzten Satz und Michael erinnerte sich, dass er ewig gebraucht hatte bis er den Krieger im Kindeskörper soweit hatte irgendetwas anderes zu essen, als frisch und vor allem selbst erlegtes Fleisch.

„Und ich garantiere euch einen Unterschlupf, einen warmen Platz am Feuer in den eisigen Nächten und Tagen des Himmels, auch wenn ich von euch verlangen werde, dass ihr den schlafenden Mann neben euch verteidigt“, vollendete Beniguma, die Rede von dem Tag als er seinen Treueeid geleistet hatte.

Danach war Stille und Michael schloss seine Augen wieder. Es war eine Lektion, an die er seine Leute nicht gerne erinnerte, Beniguma am allerwenigsten. Aber seine Stimmung war mies und Beniguma als erstes Opfer ihm über den Weg gelaufen. Es war eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt um Dankbarkeit einzufordern, doch die letzte Zeit war nicht für seine Männer nervenaufreibend gewesen.

„Beniguma“, nuschelte Michael und wedelte mit einer Hand, um noch einmal dessen Aufmerksamkeit zu erregen.

Er erwartete, dass Beniguma ihm zuhörte oder ein Laut von sich gab, dass er ihn verstanden hatte, aber nicht, dass das halbe Engelskind gleich auf ihn zukam und seinen Kopf über die Rückenlehne streckte, um ihn von oben herab anzusehen.

„Ja, Michael“, sagte Beniguma ruhig.

„Wir gehen bald wieder auf Dämonenjagd“, meinte Michael ohne die Augen zu öffnen oder sich davon stören zu lassen, dass Beniguma ihn nicht aus den Augen ließ.

„Versprochen?“, kam die Frage leise.

„Versprochen!“, versprochen antwortete Michael kaum noch hörbar, ehe er in den Schlaf glitt.

Das halbe Engelskind hingegen stand noch eine Weile über seinem schlafenden Kommandanten, ehe es an seinen Posten neben der Tür zurückkehrte und das Putzen seiner Waffe wieder aufnahm.

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