H50 Instinkt - 2. Teil

Mar 02, 2012 09:06

ERSTER TEIL


Mary sieht müde aus. Die Schatten unter ihren Augen dominieren ihr ganzes Gesicht, und selbst ihr Lächeln schafft es nicht, Steve darüber hinweg zu täuschen, wie sehr diese ganze Sache sie mitgenommen hat.

Sie sitzt auf dem Besucherstuhl neben seinem Bett, und Steve will verdammt sein, aber er weiß beim besten Willen nicht, was er zu ihr sagen soll. Er ist müde, er hat Kopfschmerzen, sein ganzer Körper fühlt sich völlig zerschlagen an … und es passt ihm nicht, dass Mary ihn so sieht. Niemand sollte ihn so sehen, weder seine angeblichen Kollegen, noch seine Familie.

„Detektive Williams hätte dich nicht anrufen sollen“, sagt er also leise. Mary zieht prompt die Augenbrauen zusammen.

Aber sie weist ihn nicht dafür zurecht, dass er sie über seinen Zustand im Dunkeln gelassen hätte - sie schlägt einen ganz anderen Weg ein. „Detektive Williams?“

Steve legt leicht den Kopf schief. „So heißt er doch, oder? Detektive Daniel Williams.“

Er ist sich nicht ganz sicher, sein Kopf fühlt sich an wie eine instabile, breiige Masse, und er hat das Vertrauen in sein Gedächtnis verloren. Vielleicht hat er sich Detektive Williams nur eingebildet - das würde genau so viel Sinn ergeben wie der Umstand, dass der Mann mitten in der Nacht an seinem Bett gesessen und darauf gewartet hat, dass er aufwacht.

Plötzlich sieht Mary aus, als würde sie jede Sekunde wieder anfangen zu weinen. „Du erinnerst dich wirklich nicht das kleinste Bisschen an ihn?“

Steve schüttelt den Kopf. „Nein. Soweit es mich betrifft, kenne ich den Mann nicht.“

Mary atmet tief durch. „Dann hör mir jetzt gut zu, du emotional zurückgebliebener Affe“ - sie beleidigt ihn mit tränenerstickter, belegter Stimme, etwas, zu dem nur Mary in der Lage ist - „Daniel Williams ist dir wichtig. Verstehst du? Er ist dein bester Freund. Und wenn du deine Erinnerungen zurück bekommst, wenn diese ganze, unnötige Episode hier vorbei ist, dann wirst du jedes kühle Wort, jede Abweisung, und jedes Ausweichmanöver bereuen, das du Danny zugemutet hast.“

Steve kann nicht anders, als sie anstarren. Sie meint es so unglaublich ernst. „Werde ich das?“

„Das wirst du. Also wirst du ihn nicht Detektive Williams nennen, und auch nicht Daniel - sondern Danny. Weil du das immer gemacht hast. Von Anfang an. Ich mag nicht hier gewesen sein, um Zeuge eurer Freundschaft werden zu können, aber soviel weiß ich. Ok?“

Steve runzelt die Stirn. „Warum ist dir das so wichtig?“

Ihr Blick wird weich. „Weil du mir wichtig bist, du begriffsstutziger Gorilla. Und Danny ist dir wichtig. Vertrau mir in dieser Sache, bitte, Steve.“

Steve kann nicht anders als nicken, und Mary wechselt das Thema.

„Du hast es ihm nicht gesagt?“ Kono stemmt beide Hände in die Hüften, runzelt die Stirn und verengt die Augen zu Schlitzen. Sie stehen im Flur vor Steves Krankenzimmer, und wenn sie Danny tatsächlich tätlich angreifen sollte, ist Hilfe so nah wie nur menschenmöglich.

Im Moment ist Mary bei Steve im Zimmer, und da sie ihn nicht überfordern wollen, ist sie allein mit ihm. Sie kann nicht lange bleiben, hat jetzt einen Job in LA, der es ihr nicht erlaubt, noch sehr viel länger auf Hawaii zu verweilen, und Danny weiß, wie wenig sie gehen will. Sie hat wieder geweint, als er ihr von Steves Amnesie erzählt hat, größtenteils aus Erleichterung, dass er keine bleibenden Schäden zurückbehalten wird - und genau wie Kono war sie nicht damit einverstanden, Steve seine Beziehung zu Danny vorzuenthalten.

Anders als Kono hat sie jedoch nicht den Eindruck gemacht, sie würde ihn bei nächster Gelegenheit umbringen.

„Ok, lass mich das zusammenfassen.“ Kono nimmt ihre Hände von ihren Hüften und verschränkt die Arme vor der Brust. „Steve hat Amnesie, er erinnert sich an nichts von dem, was passiert ist, seit er nach Hawaii gekommen ist - und du hast ihm nicht gesagt, dass ihr das magischste Pärchen seit Siegfried und Roy seid?!“

Danny liebt diese Frau, wirklich, aber augenblicklich ist er nicht in der Verfassung, mit ihr und ihrem Weltbild umgehen zu können. Besonders weil seins gerade so unglaublich schief in der Gegend herum hängt.

„Er erinnert sich nicht an mich, Kono!“ schießt er also zurück. „Ich wollte ihn nicht überfordern!“

„Überfordern?“ Sie sieht aus, als sei sie nur Sekunden davon entfernt, ihn anzufallen, dann, (nicht wirklich) ohne jede Vorwarnung … fällt sie ihn an.

Danny steht stocksteif da, während sie ihre Arme um ihn schlingt, sich an ihn klammert, und in seine Schulter schluchzt. „Oh, Danny.“

„Ich denke, du bist wütend auf mich“, bringt er schließlich hervor.

Chin, der sich das ganze Theater bisher schweigend angesehen hat, äußert ein vorwurfsvolles Schnauben. „Das auch, ja. Aber auch nur, weil sie auf die ganze Welt wütend ist, und du ein Teil davon bist.“

Kono hebt ihren Kopf von Dannys Schulter und blinzelt Chin aus feuchten Augen an. „Es ist einfach so … unfair.“

„Das Leben ist nicht fair, Cuz“, macht er sie sanft aufmerksam.

„Manchmal erinnerst du mich an einen melancholischen Glückskeks“, gibt sie trotzig zurück. Chin hebt eine unbeeindruckte Augenbraue.

Danny tätschelt hilflos Konos Rücken. „Er hat gesagt, dass er euch sehen möchte.“

„Hat er das, ja?“ gibt Kono zurück. „Und wie erkläre ich ihm mein verheultes Gesicht, ohne auf eure epische Liebesgeschichte anzuspielen?“

„Du bist überglücklich, dass er aufgewacht ist, weil du ihn lieb hast“, gibt Danny mit ein wenig mehr Gift in der Stimme als nötig zurück. „Mach mir das Leben nicht noch schwerer.“

Kono tätschelt ihm die Schulter. „Entschuldige, Danny.“

„Erzähl ihm einfach nicht, dass er … dass wir … von uns. Alles andere ist mir egal. Der Arzt hat gesagt, dass es ziemlich sicher ist, dass er seine Erinnerungen irgendwann zurück bekommt.“

„Irgendwann“, wiederholt Chin leise.

Danny nickt. „Irgendwann.“

Steve liegt in seinem Krankenhausbett, die Augen an die Decke gerichtet, und hat das zwingende Gefühl, dass ihm etwas Entscheidendes entgeht.

Das mögen seine Erinnerungen an die vergangenen Monate sein, Erinnerungen an ein Leben, von dem er sich einfach nicht vorstellen kann, dass er es führt, aber die nagende Ahnung, dass Detektive Williams ihm etwas verschweigt, will ihn einfach nicht loslassen.

Der Mann ist ihm suspekt.

Naja … nicht direkt suspekt. Eher verdächtig.

Nein. Das ist auch nicht das richtige Wort.

Aber Steve kann ihn einfach nicht einordnen.

Mit Chin und Kono hat er dieses Problem nicht. Chin und Kono erscheinen ihm logisch. (Selbst wenn Kono ihm im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich ist.)

Chin und Kono wirkten lediglich leicht beunruhigt über seinen Zustand, haben ihm Blumen gebracht und gute Besserung gewünscht, und es Detektive Williams - Danny überlassen, Steve ein paar Geschichten ihrer gemeinsamen Vergangenheit zu erzählen.

Sie haben versprochen, ihn regelmäßig zu besuchen, dann haben sie ihn mit Danny allein gelassen.

Danny.

Danny war da, als er aufgewacht ist. Danny hat an seinem Bett gesessen, die Augen geschlossen, und in den paar Sekunden, bevor er sie wieder geöffnet hat … Steve will verdammt sein, aber er wollte die Hand nach ihm ausstrecken und ihm Trost spenden.

Denn Steve hat in seinem Leben schon viel Schmerz, Gewalt und Grauen gesehen, aber Danny sah in diesem kurzen Moment aus, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern lasten.

Vielleicht muss ihm die Erklärung reichen, dass sie Freunde sind, und Danny sich Sorgen um ihn gemacht hat. Aber sie tut es nicht.

Abgesehen davon kann Steve sich einfach nicht vorstellen, mit jemandem wie Danny Williams befreundet zu sein. Völlig egal, was Mary ihm erzählt haben mag - der Mann hat einfach keinen Respekt, wirkt übertrieben emotional, extrem reizbar.

Und Steve, so ungern er sich das auch eingestehen mag, hat schlicht keine Freunde. Nicht wirklich.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es für dich zu früh ist, aufzustehen.“

Danny hat die Arme vor der Brust verschränkt, und er blickt mit einem Ausdruck in den Augen auf Steve hinab, der Steve zu gleichen Teilen aufregt und ihn davon abhält, aus dem Bett zu rutschen und seine Kraft zu testen, wie es der ursprüngliche Plan war.

„Ich weiß, du erinnerst dich nicht an den Unfall“, fügt Danny hinzu, „aber wir sind ganz schön durchgeschüttelt worden.“

Steve runzelt die Stirn.

„Du stehst. Und läufst herum.“

Danny sieht plötzlich aus, als bereite diese Tatsache ihm körperliche Schmerzen. „Ja, ich weiß. Mein Hirn war aber auch nicht zu der Größe einer Melone angeschwollen. Ich leide nicht unter Amnesie. Ich leide lediglich unter meinem Maulesel von einem Partner.“

Steve spürt erneut diese gewisse Wut über Dannys Umgangston in sich aufwallen, und er schiebt mit einer energischen Geste seine Bettdecke beiseite.

„Ich bin seit zwei Tagen wach. Ich kann selbständig essen. Ich sehe nicht ein, warum ich nicht allein aufstehen sollte.“

Er steht, noch ehe er die Worte ganz ausgesprochen hat - spürt die plötzliche, komplette Schwäche in seinem ganzen Körper, das Zittern in seinen Knien, eine gewisse Übelkeit … und Dannys Hände.

Danny steht vor ihm, viel kleiner, als Steve erwartet hat, aber er ist kräftig und solide und unerwartet sanft. Steve sinkt ganz automatisch nach vorn und gegen ihn. Sein Körper scheint sich an Danny zu erinnern, selbst wenn er es nicht tut, legt seine Arme um Dannys Schultern, hält sich an ihm fest.

Sein Bewusstsein ist damit beschäftigt, sich zu schämen - über seine Schwäche, über das Krankenhausnachthemd, über die unerträgliche Gesamtsituation - aber sein Unterbewusstsein … Dannys Hände gleiten über seinen Rücken, finden den Streifen nackter Haut, wo die Schnüre des Nachthemdes sich geöffnet haben, und Steve brummt unwillkürlich, schiebt sich enger an Danny heran.

Eine Sekunde später schämt er sich ganz fürchterlich, aber Gott, Danny fühlt sich gut an, und es scheint ihn nicht zu stören, und Steve schließt die Augen und atmet tief durch.

Dannys Arme ziehen sich fester um ihn zusammen. „Ich bin überraschend froh, dass deine Halsstarrigkeit diese ganze Sache überlebt hat“, hört Steve ihn an seinem Ohr murmeln. „Meinem Leben würde es entschieden an Aufregung mangeln, sollte deiner Halsstarrigkeit auch nur das Geringste zustoßen.“

Dannys Atem streicht über seine Haut, und Steve bekommt eine Gänsehaut. „Ich bin nicht halsstarrig.“

Danny schnaubt. „Genau.“

Er hilft Steve zurück ins Bett.

Steve nimmt sich vor, sich nie wieder eine derartige Blöße vor dem Mann zu geben.

„Er lässt mich nicht an sich ran“, sagt Danny leise.

Er sitzt auf der Veranda, unten am Strand brechen die Wellen mit hypnotischer Gleichmäßigkeit über dem Sand, und das Handy in seiner Hand fühlt sich bleischwer an.

„Gib ihm Zeit“, erwidert Mary leise. „Du kannst nicht erwarten, dass er dir gegenüber sofort auftaut.“

„Das letzte Mal ist er sofort aufgetaut“, widerspricht Danny ihr müde. „Jetzt benimmt er sich, als sei es meine Schuld, dass er sich an nichts erinnert.“

„Weil du für ihn die größte Veränderung in seinem Leben bist“, lautet Marys unerwartet weise Entgegnung. „Du bist derjenige, der ihm von allen Veränderungen erzählt. Du bist da.“

Danny wischt sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich hab nicht das Gefühl, dass er mich mag. Er will mich nicht bei seinen Geh-Übungen dabei haben. Er hat mich weggeschickt.“

„Ich will schwer hoffen, dass du ihn nicht gelassen hast?“

Danny seufzt. „Ich hab ihn gelassen. Ich bin nach Hause gefahren. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Mary. Der Arzt hat gesagt, ich soll ihn nicht überfahren, soll ihm nach und nach alles erzählen - aber wie erzähle ich ihm sowas? Er wird mir kein Wort glauben.“

Mary bleibt eine Weile lang still, und Danny schließt die Augen und versucht, sich zu entspannen. Es gelingt ihm nicht.

„Ich weiß, dass sein Verhalten dich verletzt, Danny“, sagt sie schließlich leise. „Aber du darfst dich von ihm nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er ist verunsichert und verwirrt und dumm - für ihn ist es erst ein paar Tage her, dass Dad erschossen worden ist. Du hast ihn doch erlebt, wie er damals war. Die ganze Sache mit der Amnesie, die ganzen neuen Informationen … er ist einfach überfordert.“

„Überfordert bin ich auch“, murmelt Danny, aber er schlägt die Augen wieder auf. Er erinnert sich daran, mit welcher Hartnäckigkeit Steve in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft darauf bestanden hat, sein Freund zu sein. Wie er sich in Dannys Leben gegraben und dort eingenistet hat, wie ein gigantischer Parasit.

Es ist an der Zeit, findet Danny, dass Steve eine Dosis seiner eigenen Medizin verabreicht bekommt.

„Ich hätte auch ein Taxi nehmen können“, sagt Steve zu Danny, blickt ihn vom Beifahrersitz des Camaros aus an.

Er bekommt nicht sofort eine Reaktion. Seit er Danny gesagt hat, dass er ihn bei seinem Reha-Programm nicht dabei haben will, hat sich Dannys Verhalten ihm gegenüber ein wenig gewandelt.

Danny zeigt deutlich weniger Geduld mit ihm, wirkt abwechselnd störrisch und verletzt (manchmal auch beides gleichzeitig). Er hat sich kein weiteres Mal von ihm wegschicken lassen. Beim letzten Mal hat er Steve sogar mit körperlicher Gewalt gedroht.

Nicht, dass Steve diese Drohung sonderlich Angst gemacht hat, aber … Steve lässt seine Augen über Danny hinweg gleiten.

Dannys Haltung auf dem Fahrersitz ist sichtlich angespannt, die muskulösen Schultern unter dem blauen Hemd (Steve kommt einfach nicht über das Hemd und die Krawatte hinweg, aber er weiß nicht, wie er den Mann darauf ansprechen soll) starr und gerade.

„Nicht nötig“ erwidert Danny schließlich knapp. „Ich muss dir sowieso noch was sagen.“

Steve runzelt die Stirn. „Bezüglich?“

Danny räuspert sich. „Bezüglich deiner Wohnsituation.“

Steves Stirnrunzeln vertieft sich. „Meiner Wohnsituation? Wohne ich nicht im Haus meines Vaters?“

Danny seufzt. „Doch. Tust du. Das ist nicht, worauf ich hinaus wollte.“

Er klingt zum ersten Mal seit Tagen unsicher und unglücklich, und Steve empfindet Mitleid, das er sich nicht erklären kann.

„Worauf wolltest du hinaus?“

Danny wendet ihm den Kopf zu, blickt ihm kurz in die Augen. Steve beißt unwillkürlich die Zähne zusammen.

„Mein Apartment ist abgebrannt“, sagt Danny.

Die Information trifft Steve wie ein Springteufel aus einer Kuckucksuhr. Zusammenhanglos und unvorbereitet und unerwartet dramatisch.

„Das tut mir leid“, sagt er höflich.

Danny zieht eine ungeduldige Grimasse. „Mein Apartment ist abgebrannt, und du hast mich mehr oder weniger gezwungen, bei dir einzuziehen.“

Oberflächlich betrachtet macht die Enthüllung dieser Information sehr viel mehr Sinn, aber Steve kennt sich selbst ziemlich gut. „Ich habe was?“

„Wenn du willst, kann ich ausziehen, bis - also, wenn es dich stört, mit mir zusammen zu wohnen.“

Steve steckt noch immer an dem Punkt fest, dass er Danny gezwungen haben soll, bei sich einzuziehen.

„Es stört mich nicht, denke ich“, sagt er also. Er ist daran gewöhnt, sich ein Zimmer von drei mal vier Metern mit einem völlig Fremden zu teilen. Dass er jetzt ein ganzes Haus haben soll, in dem er sich ausbreiten kann, überfordert ihn ein wenig, wenn er ehrlich sein soll. „Aber wieso habe ich dich gezwungen?“

Steve hat Danny inzwischen ein wenig unter Verdacht, dass er zu Übertreibungen neigt - Danny hat ihm von ein paar gemeinsamen Einsätzen erzählt, und Steve kann sich einerseits nicht vorstellen, dass er diese Dinge tatsächlich getan haben soll, und versteht andererseits nicht, warum Danny sich derartig darüber aufregt.

Danny fängt an, zu gestikulieren. In den letzten Tagen hat Steve festgestellt, dass Danny sehr zum Gestikulieren neigt.

„Was weiß denn ich, warum du mich gezwungen hast?!“ beginnt er, und Steve hebt beide Augenbrauen. „Ich lag nichts ahnend auf dem schäbbigen Klappsofa in meinem schäbbigen Apartment, geplagt von Fieber und Kehlkopfentzündung und wollte schlafen - da brichst du wie ein Irrer durch meine Tür, wirfst mich dir halbwegs über die Schulter und zerrst mich wie ein Höhlenmensch nach draußen. Zugegeben, inzwischen war mir das Feuer aufgefallen, und ich war und bin dir nach wie vor ziemlich dankbar dafür, dass du mir das Leben gerettet hast - aber da war ein Feuerwehrmann, Steven, ein Feuerwehrmann, der nach dir ins Zimmer gekommen ist. Nach dir. Und wir haben nie darüber gesprochen, wie es dazu bitteschön gekommen ist. Das kann einfach nicht das routinemäßige Vorgehen im Brandfall sein.

Aber wie dem auch sei - du hast mich nach draußen gezerrt, zu einem Notfallsanitäter … den du beinahe angefallen hast, als er mich nach einer kurzen Untersuchung entlassen hat. Du hast von Asbesthose gesprochen, Steven. Asbesthose. Ich war diesen Dämpfen vielleicht drei Sekunden lang ausgesetzt.

Und als ich dich nach einem günstigen Motel gefragt habe, hast du dich schlicht geweigert, mir eins zu nennen. Nein, ich sollte mit zu dir, du konntest mich unmöglich in ein Motel gehen lassen, und ich war müde und krank und erschöpft und wollte nur noch schlafen … also habe ich mich in das Unausweichliche ergeben.“

Steve sitzt auf dem Beifahrersitz, seine Ohren klingeln ein bisschen, und er kann sich das leise Gefühl von Euphorie nicht erklären, das ihn höchst beglückt durchströmt.

Daniel Williams, stellt er fest, redet viel. Und laut. Und energisch. Und aus irgendeinem ominösen Grund findet er das gut.

Steve fährt sich überfordert mit der Hand durchs Haar. „Und seitdem … ähm … seitdem wohnst du bei mir.“

Danny nickt. Dann beißt er sich auf die Unterlippe. „Da wäre noch was.“

Steve hat das Gefühl, dass ihn jetzt nichts mehr erschüttern kann. „Raus damit.“

„Dein altes Kinderzimmer.“

„Was soll damit sein?“

„Das haben wir renoviert.“

„Oh. Ok. Für dich?“

„Für meine Tochter Grace.“

Steve ist fassungslos.

Steve ist auffallend still.

Seit Danny ihm von den Renovierungsarbeiten für Grace erzählt hat, hat er praktisch keinen Ton mehr gesagt.

Danny weiß nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.

Der Arzt hat gesagt, er soll Steve nicht überfordern, soll ihn langsam und behutsam an sein Leben heranführen und ihn wenn möglich nicht verschrecken.

Aber Danny weiß schlicht nicht, was er Steve erzählen kann, und was nicht.

Aus irgendeinem Grund fällt es ihm relativ leicht, über den Mord an Steves Vater zu sprechen, über ihre Ermittlungsarbeit, über jeden kleinen Erfolg und jeden kleinen Rückschlag, den das Team erlebt hat.

Was Danny nicht leicht fällt, ist zu sehen, wie Steve darauf reagiert.

Er weiß, dass Steve den Tod seines Vaters nie ganz verwinden wird, dass es nie aufhören wird, weh zu tun.

Aber für Amnesie-Steve ist der Schmerz so frisch, so neu, so überwältigend, dass die Wunde noch nicht einmal ganz aufgehört hat zu bluten - von einem Heilungsprozess kann nicht die Rede sein.

Die Wut in Steves Augen ist nicht zu übersehen, aber er kann sie nicht abreagieren, weil er sie schon abreagiert hat.

Danny seufzt, lenkt den Camaro auf die Auffahrt vor ihrem Haus, und steigt aus.

Er geht mit Steve zur Haustür, beobachtet ihn aus dem Augenwinkel, sucht nach einem Zeichen, nach irgendetwas, das ihm Hoffnung geben könnte - Hoffnung, dass Steve beginnt, sich zu erinnern, dass er wenigstens eine leise Ahnung zu entwickeln beginnt, wer Danny ist.

Aber nichts.

Sie gehen zur Haustür, und Danny gibt den Sicherheitscode ein, lässt Steve zusehen, öffnet die Haustür.

Steve marschiert sofort ins Wohnzimmer, auf den Platz zu, wo sein Vater erschossen worden ist.

Danny hat sich nie zuvor derartig unwohl in diesem Haus gefühlt.

Sie gehen ein weiteres Mal über den Fall, über jedes Detail, das sie herausgefunden haben, und Danny zeigt Steve die Garage, den Platz, wo der Werkzeugkoffer gestanden hat, blickt Steve abwartend an.

Steve blickt zurück.

„Hier haben wir uns zum ersten Mal getroffen“, sagt Danny schließlich leise.

Steve steht in der Garage, neben dem Marquis, blickt sich um.

Danny seufzt. „Du erinnerst dich nicht.“

Steve schüttelt den Kopf. „Nein.“

Er betrachtet Dannys Gesicht. „Es tut mir leid.“

Danny hört ihm an, dass er es ernst meint, aber das macht es kaum erträglicher.

Nachvollziehbar oder nicht, sämtliche Zeichen seines Zusammenlebens mit Steve aus dem Schlafzimmer zu entfernen, ist Danny überraschend leicht gefallen.

Es hat ihn kaum zwanzig Minuten gekostet, seine Habseligkeiten ins Gästezimmer zu verfrachten.

Was ihm schwerer gefallen ist, viel schwerer, war den Fotos von Grace, ihren Familienfotos, einen neuen Platz zu geben.

Er versteckt sie nicht - das auf gar keinen Fall - denn Steve muss sehen, muss begreifen, dass Danny und Grace ein Teil seines Lebens sind … wenn er auch nicht sofort begreifen wird, was für ein großer.

Und jetzt steht Danny im Gästezimmer, neben dem Bett, und ist froh, dass er sich an seinen freien Wochenenden immer mal wieder die Zeit genommen hat, es aufzuräumen.

Nichts an dem Zimmer erinnert an die Räuberhöhle, die es war, als Danny bei Steve eingezogen ist. Hätte es zu diesem Zeitpunkt so ausgesehen, wäre Danny vermutlich nie auf die Idee gekommen, Steves Bett den Vorzug zu geben, hätte sich nicht daran gewöhnt, wäre vielleicht nicht eines Morgens mit dem Bedürfnis aufgewacht, seinen besten Freund sexuell zu belästigen.

Danny schließt einen Moment lang die Augen und gesteht sich ein, dass seine Beziehung mit Steve nicht das Geringste mit dem Zustand des Gästezimmers zu tun hat. Mit einem aufgeräumten Gästezimmer hätte seine Realisation, was seine Gefühle betrifft, vielleicht lediglich etwas länger auf sich warten lassen. Noch länger.

Danny entkommt ein humorloses Glucksen.

„Oh, wow“, sagt Steve plötzlich von der Tür her.

Danny wendet sich ihm zu, sieht ihn das Zimmer mit den Augen abscannen, und weiß sofort, was in Steve vor sich geht.

Das Gästezimmer ist nicht einfach nur aufgeräumt.

Es ist neu gestrichen, ist von Rachel und Grace in einer Gemeinschaftsarbeit komplett neu möbliert worden, und als Catherine das letzte Mal zu Besuch war, hat sie sich extrem lobend geäußert und angedroht, auf Dauer bei ihnen einzuziehen.

Verdammt. Danny hat vergessen, Catherine Bescheid zu sagen.

Steves Blick bleibt an dem Wildschwein hängen.

Es ist das Wildschwein, das er geschossen hat, als sein Vater ihn zum ersten Mal auf die Jagd mitgenommen hat.

Das Wildschwein trägt Steves alten Footballhelm auf dem Kopf, und eine pinkfarbene Schleife um den Hals. Grace nennt ihn Commander Piggles.

Danny, obwohl kurzzeitig abgelenkt von seinen Schuldgefühlen gegenüber Catherine, sieht nicht ein, warum er diesen Umstand vor Steve geheim halten sollte.

Steves Augenbrauen heben sich einen Moment lang, dann tritt er mit sichtlichem Zögern ein. Danny bleibt stehen, wo er ist. Erst, als Steve die Fotos auf dem Nachttisch entdeckt, sich davor aufbaut und ungläubig auf sie hinab starrt, räuspert Danny sich leise.

„Das ist Gracie.“

Er greift nach dem Bild, das seine Tochter zeigt, wie sie in Steves Armen eingeschlafen ist, und gibt es Steve in die Hände. Steves Blick ehrlicher, endloser Verwirrung und Überforderung tut Danny mehr weh, als er sollte.

Selbst vor dem Unfall hat Steve nie aufgehört, seine Beziehung zu Grace mit Ehrfurcht zu betrachten, als ein Geschenk, das er vielleicht nicht verdient hat, aber das hier, dieser Blick … Steve hat Angst.

„Du wirst dich wieder an sie erinnern“, sagt Danny leise. „Sie will dich sehen. Du fehlst ihr.“

Steve dreht ihm den Kopf zu, blinzelt auf ihn hinab. „Ich will sie nicht … nicht enttäuschen.“

Danny lächelt unwillkürlich. „Du bist ihr Onkel Steve“, informiert er ihn leise, sieht Steve erschaudern. „Du kannst sie gar nicht enttäuschen.“

Die erste Nacht in seinem eigenen Bett gestaltet sich für Steve überraschend ruhelos. Er hat angenommen, dass, sobald er erst einmal aus dem Krankenhaus mit all seinen unangenehmen Gerüchen und nervenaufreibenden Geräuschen heraus wäre, seine Nächte sich sehr viel entspannter gestalten würden.

Aber das Zimmer ist ihm fremd, das Bett ist ihm fremd, alles fühlt sich gleichzeitig richtig und völlig falsch an, und er ertappt sich wiederholt dabei, im Halbschlaf über die Matratze zu tasten, als würde er nach etwas suchen.

Es ist einfach nur frustrierend.

Er fällt schließlich in unruhigen Schlaf, nur um mit dem Morgengrauen wieder aufzuwachen.

Er fühlt sich grauenhaft.

Ein paar Minuten lang bleibt er im Bett liegen, starrt an die Decke und kann sich nicht dazu aufraffen, irgendetwas zu tun - dann erschreckt ihn ein höfliches Klopfen an seiner Tür.

Er dreht den Kopf und starrt sie an. „Ja?“

Die Tür geht auf, und Danny steht im Rahmen, trägt ein Paar marineblauer Schwimmshorts, und gestikuliert auffordernd in seine Richtung. „Komm. Lass uns schwimmen gehen.“

Plötzlich weiß Steve, mit einer Gewissheit, die ihn erschreckt, dass dieser Mann sein Freund ist. Sein bester.

Er steht auf, und Danny kommt ins Zimmer, zeigt ihm die Schublade mit seinen eigenen Schwimmshorts und lässt ihn dann allein, damit er sich umziehen kann.

Steve hat das getan und ist halb die Treppe zum Erdgeschoss hinunter, ehe ihm auffällt, dass Danny gerade um fünf Uhr morgens in sein Schlafzimmer gekommen ist, dass es sich alltäglich und richtig angefühlt hat, dass es Steve ein seltsames Gefühl von Normalität vermittelt hat.

Aber auch das, befindet Steve, lässt sich vermutlich damit erklären, dass Danny sein Freund ist.

Sie gehen gemeinsam zum Strand hinunter, gehen gemeinsam ins Wasser, und obwohl Steve daran gewöhnt ist, sein Programm in Gesellschaft zu absolvieren - er hat eigentlich immer mit seinem Team zusammen trainiert - ist es mit Danny anders.

Danny, so stellt Steve fest, ist ein hervorragender Schwimmer. Er kann mit ihm mithalten, mühelos - und doch überkommt Steve nach einer Weile das nagende Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Also gestikuliert er in Richtung Danny und schwimmt aufs Ufer zu. Danny folgt ihm, klettert ihm auf die kleine Erhebung Vulkangesteins nach, die diesen Teil der Insel dekoriert, und Steve ist noch damit beschäftigt, herauszufinden, was eigentlich los ist, als er das leichte Zittern in Dannys Haltung wahrnimmt.

Danny ist außerdem unnatürlich bleich.

Steve runzelt die Stirn, macht ein paar Schritte auf ihn zu und legt beide Hände auf Dannys Schultern, ehe er sich daran erinnert … dass er sich nicht an den Mann erinnert, dass er kein taktiler Mensch ist und niemanden einfach so anfasst.

Aber Danny fühlt sich warm und vertraut unter seinen Händen an, und Steve beobachtet mit kaum zu verbergender Faszination, wie die Spannung in Dannys Haltung abnimmt, wie er sich unter seinen Händen entspannt.

Die Sonne steht inzwischen hoch genug am Himmel, um ein wenig Farbe über Land und Wasser zu werfen, und Steve ist sich ihrer Wärme seltsam bewusst, spürt den Wind auf seiner Haut mit ungewohnter Schärfe.

Dann seufzt Danny, hebt seinen Kopf zu ihm an und sieht ihm in die Augen, und Steve stellt fest, dass Dannys Augen unfassbar blau sind, und kann nicht sagen, warum das überhaupt wichtig ist.

„Besser?“ fragt er leise, und Danny nickt. „Ja, danke.“

Er fragt Steve nicht, wie er es gemerkt hat, wundert sich nicht darüber, dass Steve spüren konnte, dass etwas mit ihm nicht stimmt … während Steve immer weniger begreift, was eigentlich los ist.

Er ist vertraut mit Danny, soviel wird ihm klar, und die Tatsache, das seine Hände noch immer auf Dannys Schultern liegen, und seine Daumen aus eigenem Antrieb angefangen haben, über die warme, feuchte Haut zu reiben, deutet an, dass er sogar sehr vertraut mit Danny ist, aber …

„Was ist los?“ erkundigt Steve sich heiser, zieht seine Hände von Danny zurück, macht einen Schritt nach hinten. Die Welt wirkt plötzlich blasser, weniger scharf.

Dannys ganze Haltung kündet von Kapitulation. „Ein kleiner Rückfall“, sagt er leise. „Nichts Weltbewegendes.“

Er erzählt Steve von dem Familienausflug vor mehr als fünfzehn Jahren, erzählt ihm von seinem Cousin Jonathan, der beinahe ertrunken wäre, und Steve betrachtet Dannys Gesicht, und will mit den Fingerspitzen jede einzelne markante Linie nachzeichnen, und weiß nicht, warum.

„Du schwimmst nicht gern“, stellt Steve fest, als Danny zum Ende gekommen ist.

Danny hebt die rechte Augenbraue in einem mimischen „Was du nicht sagst, Sherlock.“

„Aber es war deine Idee“, bringt Steve in einem merkwürdig rechtfertigenden Tonfall vor. Und es war Dannys Idee. Steve wäre nicht schwimmen gegangen, hätte Danny es nicht vorgeschlagen, selbst wenn es genau das ist, was er gebraucht hat. Genau das, was er gebraucht hat.

Steve schluckt trocken, und starrt Danny an.

„Selbstverständlich war es meine Idee“, gibt Danny ein wenig grob zurück. „Du weißt schließlich nicht, was gut für dich ist.“

Und damit wendet er sich ab und geht zurück ins Wasser, überlässt es Steve, ihm zu folgen oder auch nicht. Steve tut das Einzige, das ihm in dieser Situation übrig bleibt. Er folgt Danny. Ins Wasser und nach Hause.

NÄCHSTER TEIL

fandom: hawaii five-o, autor: uena

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