Titel: Die meisten Morde passieren im Haushalt
Autor*in: Alea
Fandom: Original (Wolfs Horst und Horst sein Wolf)
Personen: Horst (ein Biker), Wolfgang (ein Spießer)
Wörter: ca. 1100
Prompt: „Vorsicht, es ist… glatt.“
Widmung:
tsutsumi,
cricri_72 und
nyx-chan (mit besonderem Dank fürs Brainstormen!)
Wolfgang wischte mit der freien Hand über den Küchentresen und fragte sich wie jeden Tag, was seine Seele mehr peinigte: das klebrige Gefühl an seinen Fingern oder das grau-schlierige Licht, das durch die von Horst „geputzten“ Fenster auf seinen Gipsverband fiel. Seine Freundin Brigitte hatte ihm eine Winterlandschaft draufgemalt, die seine Kollegen und Kolleginnen in der Sparkasse regelmäßig zum Schwärmen brachte. Anfangs hatte sie auch ihn getröstet. Die zarten Taubenblautöne waren nicht nur wunderschön, sie passten auch perfekt zu fast jedem Stück seiner Garderobe. Nach bald einer Woche in Horsts Höllenhaushalt konnte er jedoch nur noch Spott und Häme darin sehen. Jede Schneewehe schien wispernd den Auftakt zur Verstümmelung seines Körpers und seines Lebens zu wiederholen:
„Vorsicht, es ist…!“
Bei „glatt“ hatte auch schon auf der Straße gelegen. Es war beschämend. Er war mit einem Biker zusammen, fuhr jedes Jahr durch halb Europa, ohne auch nur einen Kratzer an sich und seiner Maschine mitzunehmen und dann hatte er seinen ersten Unfall mit… Ellie. Seinem Fahrrad.
Trotzdem ein echter Bikerunfall, hatte Horst gesagt. Zweirad ist Zweirad.
Es würde sein erster und letzter bleiben, schwor sich Wolfgang auch heute. Er würde nie wieder auf ein Fahrrad steigen, oder auch nur Sport treiben.
Sport ist Mord, pflegte Horst sowieso zu sagen.
Die meisten Unfälle passieren im Haushalt, dachte Wolf. Zwei Binsenweisheiten, die man besser getrennt voneinander aufbewahrte.
Er setzte den ersten Teller auf den Tresen. Dann den zweiten, den, von dem er gleich essen sollte. Eine Tatsache, die er zu verdrängen versuchte, als er seine Gabel fein säuberlich danebenlegte. Es kostete ihn Überwindung, sie loszulassen, und das nicht nur, weil sie klebte.
Inzwischen hatte er Horst davon überzeugen können, dass das Nachspülen nach dem Abwasch nicht bloß Beschäftigungstherapie war. Doch seine Künste waren noch immer… ausbaufähig, vorsichtig ausgedrückt, und die romantisch verklärten Zeiten, in denen er Horsts Nachlässigkeit irgendwie aufregend gefunden hatte, waren auch längst vorbei.
„Al dente?“
Wolf sah auf, öffnete den Mund und kaute mürrisch auf den Spaghetti herum, die ihm in den Mund geschoben wurden. Hundert Prozent brüchiger Hartweizengrieß, weil Horst natürlich die billigsten genommen hatte und nicht die frischen mit Ei.
Immerhin was zu Beißen. Für einen Biker hatte der Mann schon immer erstaunlich gute Überlebensinstinkte gehabt, das musste Wolf ihm lassen.
Nickend gab er das Okay zum Abschrecken. Der nicht ordentlich ausgewischte Fensterrahmensand knisterte in der Spüle, als das Nudelwasser darauf traf. Trotzdem sorgte Wolfgang mit stechendem Greifvogelblick dafür, dass Horst die ausgetretene Stärke auch wirklich von den Nudeln abspülte, statt nur kurz den Wasserstrahl darüber zu halten wie das in seiner Kinderstube offenbar üblich gewesen war. Genauso wie Ketchup. Überall, Ketchup, auf Käse, auf Toast, Frikadellen, sauren Gurken, … Wolfgang hatte sich damit abgefunden, nachdem er zum ersten und letzten Mal eine Soße probiert hatte, die Horst gekocht hatte. Selbst Fertigsoßen waren von seiner Präsenz so beeindruckt, dass sie freiwillig umkippten, freilich nicht, ohne auf dem Weg noch haselnussgroße Klümpchen zu bilden.
„Hr-hm“, machte Wolfgang, um das gute Schneidebrett vor dem heißen Topf zu retten, in den die Nudeln zurückverfrachtet worden waren.
Horst folgte seinem Fingerzeig zu dem Schrank mit dem passenden Untersetzer. Er hatte den in seinem Leben schon einige Male gesehen. Wolfgang wusste das, er hatte jedes dieser Male mit am Tisch gesessen. Doch er kommentierte es nicht. Sie redeten überhaupt wenig seit der Sache mit dem Weichspüler.
Obwohl seine Sachen seitdem zwei weitere Wäschen gesehen hatten - eine mit Essig, eine normal - konnte Wolfgang das Teufelszeug immer noch riechen. Eau-de-l‘asocial hatte Oma Waltraud diesen speziellen Duft aus Tabak, Deo-Spray und zu süßem Waschmittelparfum früher genannt, wenn in der Straßenbahn mal wieder eine Wolke an ihnen vorübergeweht war.
Horst war ganz offensichtlich das Gegenteil von asozial. Die extra weichen Decken und Handtücher waren lieb gemeint gewesen. Es schmerzte, dass er dennoch so roch, als er sich zu ihm herüberbeugte. Es schmerzte, dass Horst ihm sein Essen auftun musste, weil Wolfgang das immer noch nicht unfallfrei allein hinbekam. Am meisten tat es weh, wenn Horst es ihm ansah.
„Morgen bestellen wir wieder, okay?“
„Die Portion reicht für zwei Tage“, antwortete Wolfgang so behutsam wie möglich. „Lass uns noch ein bisschen durchhalten. Auf Dauer wird das sonst zu teuer.“
Horst flüchtete sich in ein neutrales Hmmm, nahm Löffel und Gabel auf und verharrte über seinem traurigen Spaghettiberg mit dem roten Gipfel.
„Geht es so?“, fragte er sicherheitshalber.
Nicht „Soll ich sie dir kleinschneiden?“ oder „Brauchst du Hilfe beim Vermischen?“, sondern eine Formulierung, die eines erwachsenen, selbstständigen Menschen würdig war. Wolfgang streckte seinen gesunden Arm über den Tisch hinweg und strich seinem Göttergatten zärtlich um den Bart.
„Danke“, sagte und meinte er. „Du wirst von Tag zu Tag besser. Pass auf, dass du nicht weiterhin den Haushalt schmeißen musst, wenn der Gips wieder ab ist.“
„Netter Versuch“, versetzte Horst mit einem halben Grinsen.
Wolfgang fragte lieber nicht nach, wie genau er das zu verstehen hatte. Stattdessen entrang er sich ein „Guten Appetit“ und bediente sich an Chilli, Knoblauch (Pulver, aber vorhanden) und Olivenöl (griechisch, nicht italienisch, aber dafür nativ extra). Aus Horsts halbem Grinsen wurde ein ganzes, als Wolf sich souverän unter Zuhilfenahme von Gabel und Tellerrand eine Portion Spaghetti aufdrehte, buchstäblich mit links und wie ein echter Italiener.
„Irgendwann musst du mir beibringen, wie du das machst.“
Zur Antwort hielt Wolfgang ihm die perfekt umwickelte Gabel vor den Mund und freute sich an ihrem prompten Verschwinden.
„Gar nicht so schlecht, oder?“, fragte Horst hoffnungsvoll.
Wolfgang gabelte sich selbst eine Portion auf, probierte und nickte. In der Tat. Gar nicht so schlecht.
„Möchtest du meins auch mal probieren?“
Die Herausforderung war nicht zu überhören. Wolfgang betrachtete die rotgetränkte Abscheulichkeit auf der anderen Seite des Tisches und fletschte die Zähne. Sein Fehler. Er hätte wissen müssen, dass Horst vor lauter Anspannung wieder versuchen würde, witzig zu sein. Hätte er noch Kraft in sich gehabt, er hätte sich beschwert. Unter den gegebenen Umständen erschien es ihm jedoch einfacher, den Gegner mit seinen eigenen diplomatischen Waffen zu schlagen und sich tatsächlich eine Gabel Nudeln mit Ketchup zu drehen.
Er ließ sie sich auf der Zunge zergehen. Still kauend begutachtete er das überraschte „Oh!“, das Horsts Mund geformt hatte, und die fachmännisch reparierten Lichterketten an den Fenstern, deren Tesafilm jetzt hielt, weil die Rahmen ordentlich abgewischt worden waren. Er schmeckte die klebrige Süße des Ketchups, atmete den alpenfrischen Weichspüler seiner Mama, wärmte sich am Schummerlicht, das dank des Schneeregens draußen nahezu streifenfrei war.
„Kinderessen“, urteilte er mit einem maliziösen Lächeln und überließ es Horst, sich zu überlegen, ob das gut oder schlecht war.