Titel: Heimkehr
Autorin: Luinaldawen aka Luina
Fandom: Original (Our Own World)
Personen: Verena, zwei Überraschungen
Wörter: ~900
Prompt: der erste Schnee
Verena war sich nicht ganz sicher, ob es wirklich so lange dauerte, bis das Gepäckband in Gang kam oder ob es ihr nur so vorkam. Grund für Ungeduld hatte sie. Der Flug hatte Verspätung UND mieses Wetter gehabt, sie musste noch durch den Zoll und dann auch noch mit der Bahn fahren… und außerdem war ihr jetzt schon verdammt kalt. Adventsfeeling… Fehlanzeige.
Warum hatte sie diesem Irrsinn zugestimmt? Weihnachten in der Heimat klang immer so schön, aber wenn man aus dem sonnigen und noch angenehm warmen Ägypten kam und sich dann urplötzlich in einem Land wiederfand, das es schon in der ersten Dezemberhälfte auf fast null Grad schaffte, war daran absolut nichts schönes mehr. Sie fror schon bei dem Gedanken daran, ins Freie zu gehen.
Aber sie hatte es versprochen und sie freute sich auch schon. Wäre nur der ganze Rest nicht. An ihr fuhr ein knallgelber und mit bunten Stickern beklebter Koffer vorbei, der Nathalie gehören könnte. Hätte die nicht beschlossen, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Jetzt saß sie in Indien organisierte da ein Projekt um die Bildung in irgendeiner der armen Regionen zu verbessern. Verena kannte keine Details, das Leben hatte sie in den letzten Jahren einfach auseinander geführt. Trotzdem bekam sie jedes Jahr zum Geburtstag eine komplett verrückte Karte und schrieb auch immer eine, wenn es bei Nathalie so weit war.
Immerhin war Sabine nicht sonstwohin ausgewandert, sondern arbeitete in der Uniklinik, Verena würde sie also auf jeden Fall sehen können. Vermutlich vollkommen überarbeitet und übernächtigt, aber sie würden sich sehen. Ebenso wie Oliver, der es aus irgendeinem Grund immer noch mit ihrem Bruder aushielt und um den sie aus eben dem Grund auch nicht herumkommen würde. Was sie natürlich nicht wollte.
Zwei Kinder rannten jauchzend an ihr vorbei, eine junge Frau folgte ihnen und fing sie wieder ein. Verena wünschte sich, sie hätte sie einfach laufen lassen, jetzt heulten die Kinder nämlich. Vermutlich vollkommen überreizt und übermüdet von ihrem Flug.
Am Zoll war von Weihnachtsstimmung ebenso wenig zu spüren. Mehr oder weniger freundlich wirkende Beamten beobachteten die Einreisenden, holten eine Frau mittleren Alters zur Seite, ließen Verena aber in Ruhe. Ihr Koffer ruckelte immer wieder etwas, als sie ihn hinter sich herzog. Sie war wohl einmal zu oft mit ihm in Wüstenregionen unterwegs gewesen. Irgendwann musste sie mal schauen, ob sie das beheben konnte. Irgendwann. Garantiert nicht heute. Morgen hätte sie es wieder vergessen und würde es sich bei ihrer Rückreise Anfang Januar wieder vornehmen.
Dann endlich, endlich lag der Ankunftsbereich des Flughafens hinter ihr und… ihr Handy klingelte. Sie hatte direkt nach der Landung die deutsche Prepaid-SIM-Karte eingelegt, die sie schon seit ihrer Unizeit begleitete, und es eingeschaltet. Schließlich hatte sie während des ganzen Einreiseprozederes Gesellschaft gebraucht und dafür hatte Liang herhalten müssen. Also konnte er der einzige sein, der sie gerade anrief. Aber warum? “Was ist?”, fragte sie ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
“Dreh dich mal um, du blindes Huhn.”
“Hä?” Das war. Nicht. Sein. Ernst. Dabei hätte sie mit so einer Aktion rechnen müssen. Sie hätte es genauso gemacht.
Und da stand er, zusammen mit… “Ihr verarscht mich!” Sie legte auf und hätte beinahe ihren Koffer einfach stehen gelassen, als sie zu ihrem Zwilling rannte und erst ihn (Ehrensache) und dann Nathalie so fest umarmte, dass sie sich nicht sicher war, ob alle Knochen das heil überstanden. Und es wäre ihr sowas von egal. Nathalies Arme lagen sie ein Schraubstock um ihr und das war ihr ebenso egal. “Seit wann… warum… LEUTE!” Sie stammelte nur Unsinn, ihr Gehirn war einfach nicht bereit oder in der Lage, das zu verarbeiten.
“Überraschung gelungen?”, fragte Nathalie mit einem etwas verheulten Grinsen. Irgendwann bei der Begrüßung hatte sie angefangen zu heulen wie ein Schlosshund und Verena hatte gleich mitgemacht.
“Bestes Weihnachtsgeschenk!” Das ging als Satz durch, oder?
“Wir haben uns auch den Luxus erlaubt, dich mit dem Auto abzuholen”, erklärte Liang, der an ihren seit einem Monat kurzen (und schon deutlich länger wieder schwarzen) Haaren zupfte. Er würde sich wohl daran gewöhnen.
“Ihr seid vollkommen wahnsinnig aber… Gott sei dank. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Nerven für eine Zugfahrt gehabt hätte.” Und im Auto konnte man angemessen heizen. “Sonst noch etwas, von dem ich wissen sollte?” Sie war sich nicht sicher, ob sie heute weitere Überraschungen verkraften würde.
Liang und Nathalie tauschten einen Blick. “Naja… du wolltest ja gerne Kekse und….”
Nathalie hüstelte und scharrte etwas zu demonstrativ mit dem verschlissenen Schuh auf dem Boden herum. “Ich habe ewig keine Weihnachtsplätzchen mehr gebacken und… naja. Wir haben jetzt welche gekauft.”
Das war vermutlich besser so. Von Liang wusste sie, dass er backen konnte. Darum hatte sie ja nach Keksen gefragt. Aber Nathalie war zu sehr Chaotin um irgendetwas essbares zustande zu bringen, was über simpelste Rezepte hinausging.
“Mein Magen dankt. Oder meine Zähne. Vielleicht auch beide. Aber so böse bin ich darum eigentlich gar nicht, dann kann ich beim nächsten Versuch mitmachen. Und du”, sie sah Nathalie an, “guckst zu.” Dann kam von irgendwoher ein kalter Luftzug und sie erschauerte. “Ich würde aber vorschlagen, dass wir endlich von hier verschwinden. Mir wird kalt.” Und das war noch untertrieben. Weiter drinnen war irgendwie besser geheizt gewesen als hier. Das konnte aber an den nahen Ausgängen liegen.
Nathalie schnappte sich den Koffer und überging die ruckelnden Rollen sehr gekonnt. Verena tauschte nur einen Blick mit Liang und folgte ihr, bis sie am Ausgang beinahe in sie hineingelaufen wäre. “Ey, bleib doch nicht einfach stehen!”
Ihre Beschwerde stieß auf komplett taube Ohren. Vollkommen fasziniert flüsterte Nathalie: “Es schneit…”
“Der erste Schnee dieses Jahr. Hat offenbar auf dich gewartet”, meinte Liang grinsend an Verena gewandt.
Vielleicht war Weihnachten in der Heimat doch ganz schön, ging es ihr durch den Kopf, als sie die feinen weißen Flocken beobachtete, die vom Himmel rieselten.