Sherlock Lives - Fourth Adventure, Chapter One

Sep 11, 2014 23:18




Dieser Eintrag enthält evtl. einen Spoiler für die dritte Staffel von „Sherlock“!

Wenn sich eine Audioproduktion nicht entscheiden kann, ob sie lieber ein Hörspiel oder ein Hörbuch sein will, dann wird sie eine sogenannte inszenierte Lesung - ein Hörbuch mit verteilten Rollen, Musikuntermalung und Hintergrundgeräuschen.
Eine ganze Reihe solcher inszenierten Lesungen erscheint seit einer Weile unter dem Titel „Sherlock Holmes Chronicles“ bei WinterZeit Audiobooks und hat mittlerweile eine weitere Serie nach sich gezogen, „Sherlock Holmes Phantastik“ - doch dazu an anderer Stelle mehr.
Die Fälle der „Chronicles“ stammen aus den Federn verschiedenster Autoren und werden auf Doppel-CDs vertont (Laufzeit über zwei Stunden!), das Coverdesign ist ansprechend und Till Hagen als Sherlock Holmes gut besetzt... auch wenn ich im Bezug auf seine Stimme mal wieder vorbelastet bin: sowohl bei Offenbarung 23 als auch bei Jack Slaughter spricht er wichtige Hauptfiguren.

Die erste Folge erschien unter dem Titel „Die Moriarty Lüge“ - am Ende läuft es doch irgendwie immer auf Moriarty hinaus, wenn man das Interesse für eine Sherlock Holmes-Geschichte wecken möchte. Der Cliffhanger der dritten „Sherlock“-Staffel ist eigentlich der beste Beweis dafür!
Lustig, wenn man darüber nachdenkt, dass Doyle Moriarty aus dem Nichts erschuf, um Sherlock Holmes endlich los zu werden... heute sind beide lebendiger denn je und Moriarty, der bei Doyle nur ein einziges Mal persönlich in Erscheinung trat, ist allgegenwertig.
Und der Plan ging auf - neugierig nahm ich die Folge Anfang des Jahres mit nach Hause und war von der Grundidee der Handlung auch recht angetan: hier überlebt nicht nur Sherlock Holmes den Vorfall an den Reichenbachfällen, auch Moriarty erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit.
Ersterer offenbart sich seinem Freund Watson, als dieser nach der Entführung seiner Ehefrau Mary schwer erkannt. Natürlich hat Moriarty dabei seine Finger im Spiel und wie sich herausstellt ist auch an Mary Watson mehr dran, als man ahnen sollte. Ein bisschen erinnert auch das an die dritte Staffel der gefeierten BBC-Serie, obwohl man hier eine andersgeartete Verstrickung von Watsons Frau gewählt hat...
In das so etablierte Grundszenario wirft der Autor noch diverse andere Figuren von Queen Victoria bis zu Oscar Wilde, lässt die Vergangenheit Moriartys aufdecken und macht dabei gefühlt viele, viele Umwege.

Ein bisschen am etablierten Kanon herumzubiegen, kann ja theoretisch sehr erfrischend sein - so stellt sich die Erzählung „Das leere Haus“ als eine Vertuschungsgeschichte heraus, die Watson an die Zeitung schickt, um das wirkliche Geschehen unter den Teppich zu kehren.
Dass Holmes aber neuerdings auch während der Ermittlung eines Falles zu seinen Drogen greift, wirkt für mich doch ein bisschen deplaziert. Ebenso das viel zu modern erscheinende Lösegeld-Szenario inklusive prall gefülltem Geldkoffer.
Moriarty, der Holmes eigentlich eher ebenbürtig als überlegen sein sollte, hat seine Finger plötzlich wirklich überall im Spiel (sogar bei der Zeitung) und wirkt, als wäre er immer einen Schritt voraus.
Gleichzeitig nehmen die teilweise sehr skurillen Enthüllungen seiner Familiengeschichte der Figur ein wenig den Ernst und damit die ursprüngliche Bedrohlichkeit.
Die Wahl der Stimme macht Moriarty dann endgültig zu einer Karrikatur seiner Selbst.

Die Dialoge empfand ich an vielen Stellen etwas zu ausführlich und manche Details (z.B., dass Earl Grey Tea mit Bergamotte versetzt ist) völlig überflüssig für den Fortlauf der Geschichte.
Neben dem eigentlichen Kriminalfall wird zusätzlich ein Interpretationsansatz für „Das Bildnis des Dorian Grey“ mit in den Ring geworfen und das Prinzip des „embedded journalism“ bei der Londoner Polizei eingeführt.
Irritierend auch, dass die Geschichte, obwohl angeblich aus Watsons geheimen Aufzeichnungen stammend, in der dritten Person erzählt wird. Diese Erzählperspektive verwendete Arthur Conan Doyle selbst nur bei zwei seiner zahlreichen Sherlock Holmes-Erzählungen.
Zugegeben, im Intro heißt es, Watson konnte manche Geschichten nur unter Pseudonymen oder in der dritten Person geschrieben veröffentlichen... aber trotzdem würde ich meinen, dass er dem geneigten Zuhörer, der Zugang zu diesen höchst brisanten Aufzeichnungen gefunden hat, diese Geschichten aus der Ich-Perspektive erzählen würde?!
Mag sein, dass ich da ein bisschen spinne, aber ich fühle mich nicht wirklich wohl mit Holmes-Geschichten erzählt in der dritten Person.
Da die Geschichte an sich aber nicht völlig verkehrt war, brachte ich einige Zeit später eine weitere Folge der Reihe mit nach Hause, zu der ich ein andern Mal ein paar Worte schreiben möchte - der Eintrag würde sonst einfach viel zu lang werden.
In diesem nächsten Eintrag gibt es dann auch mein zusammenfassendes Fazit und ein paar Infos zum Ableger der „Chronicles“-Reihe, nämlich den bereits erwähnten „Sherlock Holmes Phantastik“-Geschichten. ;)

sherlock lives, kassettenkind

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