Beta:
josl,
jolliGenre: ein Hauch von Humor, Romanze, h/c, Angst, Drama
Pairing: Boerne/Alberich
Wortanzahl: ~35.000
Warnungen: ooc, cd. Loser Bezug zur Episode Eine Leiche zuviel, es ist von Vorteil, die Folge zu kennen!
Rating: Ab 12
Bingo-Prompt: in Ohnmacht fallen/ohnmächtig
Zusammenfassung: Gedankenverloren sah sie ihm nach, als er den Raum verließ. In den letzten Wochen hatte sich ihre Beziehung irgendwie verändert... doch sie konnte nicht einmal genau sagen, wie, warum und vor allem, in welche Richtung.
Wenige Stunden später allerdings war das ihre geringste Sorge.
Während Silke wieder Platz genommen hatte und ihren inzwischen kalt gewordenen Kaffee trank, legte Boerne das Telefon nicht mehr aus der Hand.
Nachdem er in Rekordzeit ein Hotelzimmer reserviert hatte, gelang es ihm obendrein, einem Kollegen, der ihn eigentlich in die Theatervorstellung begleiten wollte, seine Karte abzuschwatzen. Silkes Ansicht nach grenzte es an Erpressung, was ihr Chef dort veranstaltete, aber offenbar schuldete sein Bekannter ihm noch einen Gefallen, den Boerne nun gnadenlos einforderte.
Anschließend klärte er mit Dr. Roth, einem ehemaligen Studienkollegen, der inzwischen in Köln arbeitete und ihn vertreten würde, dass die Münsteraner Rechtsmedizin für die kommenden vier Tage komplett schließen und Obduktionspatienten gegebenenfalls in die Domstadt gefahren würden. So wie Silke das Telefonat interpretierte, schien der Rottweiler, wie Boerne ihn despektierlich nannte, darüber recht angetan zu sein. Er hatte wohl wenig Lust verspürt, für jede eventuell anfallende Leiche extra zu ihr nach Münster zu kommen.
Zu guter Letzt stellte ihr Chef noch Hauptkommissar Thiel und Staatsanwältin Klemm vor die vollendete Tatsache, dass Silke kurzfristig mit nach London fliegen würde. Falls sie Einwände hatten, schienen diese an Boerne abzuprallen; er beendete die Gespräche jedenfalls gut gelaunt und sie begann, sich immer mehr auf den morgigen Tag zu freuen.
Silke selbst hatte derweil mit Thiel Senior telefoniert und arrangiert, dass er sie am kommenden Morgen rechtzeitig abholen und zum Flughafen bringen würde.
Es stand ihrer Reise also nichts mehr im Weg.
Es ging auf 18 Uhr zu und Boerne war inzwischen heimgefahren, um noch an seinen Vorträgen zu feilen. Silke räumte als letzte Aufgabe für heute die frisch sterilisierten Obduktionsbestecke zurück in den Schrank.
Während dieser leicht stupiden Tätigkeit überlegte sie ein wenig verträumt, was sie anziehen sollte, wenn sie mit Boerne ins Theater ging. Es war wohl angemessen, Abendgarderobe mitzunehmen; vielleicht gab es ja auch noch einen schicken Empfang bei dem Kongress, zu dem sie sich etwas herausputzen musste. Das wäre nicht unwahrscheinlich, die Rechtsmediziner dieser Welt feierten sich gerne selbst, da war Boerne kein Einzelfall.
Sie beschloss, vor der Heimfahrt noch schnell einen Blick in das Kongressprogramm zu werfen, das Prospekt lag sicher noch auf Boernes Schreibtisch. Aber Abendkleidung hin oder her, insgesamt würden die Vorbereitungen kein großes Problem darstellen. Für die paar Tage würde sie ruckzuck gepackt haben, in der Beziehung war sie recht unkompliziert.
Wenige Minuten später war sie mit ihrer Arbeit fertig. Fröhlich pfeifend warf sie die Schranktür zu und stellte die leere Materialkiste zurück auf einen Rollwagen, als hinter ihr plötzlich die Schiebetür aufgerissen wurde.
Erschrocken zuckte sie zusammen und noch während sie sich umdrehte, grummelte sie leicht vorwurfsvoll: „Mensch Chef, haben Sie…“
Sie kam nicht dazu, diesen Satz zu beenden; innerhalb einer Sekunde war ein schwarzgekleideter, maskierter Mann auf sie zugestürmt und setzte ihr in einer schnellen Bewegung eine Pistole unter das Kinn, zischte dabei: „Halts Maul, Kleine!“ Gleichzeitig presste er rücksichtslos eine Hand auf ihren Mund.
Vor Schreck wie erstarrt ließ Silke sich widerstandslos beiseite zerren, als noch zwei weitere Männer in den Raum traten; einer der beiden musste vom anderen gestützt werden, war offensichtlich am Bein verletzt. Ein krude gewickelter Verband um den Unterschenkel war stark durchgeblutet, der Verwundete bewegte sich unsicher taumelnd und stöhnte gequält.
Aufgrund des kalten Pistolenlaufs, die sich ihr in den Hals bohrte, rührte Silke sich keinen Millimeter. Sie beobachtete lediglich erstarrt, wie der unverletzte, großgewachsene Vermummte seinen Partner auf einen der Sektionstische dirigierte und ihm vorsichtig half, sich auszustrecken. Kaum dass sein Kollege erschöpft die Augen geschlossen hatte, fuhr er herum und begann, lautlos und systematisch die angrenzenden Räume zu durchsuchen. Mit routinierten Griffen riss er dabei alle Telefonkabel aus der Wand; innerhalb kürzester Zeit trat er zurück an den Sektionstisch. „Boerne ist schon weg, sie ist allein. Hast du ihr Handy einkassiert?“
Gleichermaßen ungläubig wie besorgt stellte die völlig fassungslose Silke fest, dass der Maskierte von Boerne sprach und dass seine Stimme ihr vertraut vorkam; aber noch bevor sie sie einordnen konnte, zerrte er sich seine Sturmhaube vom Kopf und eilte wieder auf den Verletzten zu.
Sie registrierte kaum, dass die Hand von ihrem Mund und die Pistole von ihrem Hals weggenommen wurde, achtete nicht darauf, dass der Kerl hinter ihr ihre Kitteltaschen durchsuchte, das Mobiltelefon herausfischte und es zertrat. Sie starrte lediglich betroffen in das Gesicht des ihr nur zu bekannten Mannes, der sich besorgt über den Verwundeten auf dem Sektionstisch beugte und nun auch ihm die Maske abnahm.
„Nowak? Was… wieso?“ Ihn hier zu sehen, war wohl die letzte ihrer Ideen gewesen; es gelang ihr nicht, einen vernünftigen Satz herauszubringen.
Während der ehemalige Kommissar sich seine Jacke von den Schultern zerrte, um sie zusammenzuballen und sie seinem Kollegen unter den Kopf zu schieben, blickte er flüchtig auf und bellte: „Er hört einfach nicht auf zu bluten! Wo ist Verbandszeug?“
Sie war so perplex, dass sie nicht gleich antwortete, was ihrem Bewacher allerdings nicht zu gefallen schien. Mit einem zornigen: „Heute noch!“ versetzte er ihr einen derben Stoß in den Rücken, der sie bis an den Sektionstisch katapultierte.
Erschreckt fing sie sich daran ab, und kaum dass sie sich wieder aufgerichtet hatte, wurde sie von Nowak am Arm gepackt und an das Fußende des Tisches gezerrt.
„Wo ist der verfluchte Verbandskasten?“ Aufgebracht starrte er sie an, aber er klang nicht so zornig wie sein Komplize. Es war etwas anderes, das in seinen Augen schimmerte; große Sorge, sogar Angst.
„Im Labor auf dem Regal!“
Nowak stürmte schon aus dem Raum, bevor sie überhaupt zu Ende gesprochen hatte, und hatte innerhalb weniger Sekunden gefunden, was er brauchte. Mit einer heftigen Bewegung drückte er ihr den Kasten in die Hand. „Nun machen Sie schon. Los!“
Wieder stöhnte der Verletzte leise, und das gequälte Geräusch weckte sie aus ihrer ungläubigen Starre.
„Ich brauche Handschuhe!“ Noch während sie das sagte, drehte Silke sich um und wollte zu dem Schrank eilen, auf dem der Karton stand. Aber der zweite Fremde, der inzwischen ebenfalls seine Maskierung aufgegeben hatte, war schneller. „Fang, Püppchen!“ Sein vernarbtes Gesicht verzog sich zu einem anzüglichen Grinsen, als er das Paket rücksichtslos in ihre Richtung feuerte. In letzter Sekunde konnte Silke es schnappen, verhinderte gerade noch, davon im Gesicht getroffen zu werden.
In ihre Angst mischte sich mit einem Male leises Unbehagen, als sie die Handschuhe überzog, so schnell ihre bebenden Finger es zuließen. Dann begann sie vorsichtig, den blutdurchtränkten Verband zu entfernen.
„Was ist mit ihm passiert?“ Sie bemühte sich, ihre Stimme nicht so sehr zittern zu lassen, wie ihre Hände es taten.
„Er hat sich eine Kugel eingefangen.“
Plötzlich fielen die Puzzlestücke an ihren Platz; ungläubig hielt Silke in ihrer Arbeit inne und blickte für einen Moment auf. „Der Überfall auf den Geldtransport… Sie waren das! Ich habe in den Nachrichten von der Schießerei gehört.“
„Gut aufgepasst“, knurrte Nowak zynisch und machte dann eine herrische Kopfbewegung. „Und jetzt quatschen Sie nicht rum, sondern helfen Sie ihm!“
Seinen zwischen den Zähnen durchgepressten Befehl hätte sie nicht gebraucht, in diesem Augenblick hatte sie die verschmierte Mullwickel von der Wunde weggezogen und nahm sogleich das Einschussloch und die dazugehörige Austrittswunde in Augenschein. Zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass das Blut in rhythmischen Abständen verstärkt aus der Wunde quoll.
Erschreckt zerrte sie ein paar Kompressen aus dem Verbandkasten und presste sie auf das Bein. „Seine Unterschenkelarterie ist verletzt. Das kann ich hier nicht versorgen, er muss ins Krankenhaus, sonst wird er verbluten.“
„Das soll wohl ein Witz sein!“ Der Mann hinter ihr war gleich erregt aufgefahren; auch Nowak wirkte grimmig, als er sie anfunkelte. „Machen Sie sich nicht lächerlich, es muss Ihnen doch klar sein, dass wir ihn nicht ins Krankenhaus bringen können. Sie werden ihn zusammenflicken! Los jetzt.“
Natürlich war ihr klar gewesen, wie die Männer reagieren würden. Aber ebenso klar war ihr, dass sie dem Verletzten nicht wirklich helfen konnte.
Silke schloss für einen Moment resigniert die Augen, bevor sie nochmals ansetzte: „Nowak, bitte! Ein Verband nützt ihm nichts, die Gefäßwand muss genäht werden! Sie setzen sein Leben aufs Spiel, glauben Sie mir doch!!“
Sie merkte, wie sich Verzweiflung in ihre Stimme schlich, doch die prallte an ihrem ehemaligen Kollegen ab. Er wandte sich lediglich seinem Komplizen zu, als der erneut leise stöhnte und wischte ihm vorsichtig ein paar Schweißperlen von der Stirn. „Ganz ruhig, Sebastian.“ Dann blickte er wieder auf, die Augen kalt und hart. „Silke. Morgen früh müssen wir ein Flugzeug erreichen, das uns außer Landes bringt. Bis dahin muss Sebastian wieder fit sein und Sie werden dafür sorgen. Also verbinden Sie ihn oder ich schwöre Ihnen, Sie werden es bereuen.“
Der Kerl hinter ihr bohrte ihr einmal mehr seine Pistole ins Kreuz.
Deutlicher ging es nicht.
Silke schluckte trocken; beide waren so entschlossen, es gab keinen Zweifel, dass sie ihre Drohung ernstmeinten. Sie hatte keine Wahl.
„Sie müssen mir helfen. Drücken Sie die Kompressen hier drauf, so fest Sie können!“
Nowak folgte ihrer Anweisung, ohne zu zögern und übernahm die Kompression des Beines, so dass Silke die Hände frei bekam. Hastig schüttete sie den Verbandskasten auf dem Tisch aus und suchte die Materialien zusammen, die sie für die Versorgung der Wunde benötigte.
Sobald sie alles vorbereitet hatte, bedeutete sie Nowak, das bereits wieder durchgeblutete Gewebe zu entfernen und legte dann so gewissenhaft wie nur möglich den geforderten Verband an, von dem sie sicher war, dass er die Blutung nicht stillen konnte.
Der jüngere Mann auf dem Tisch biss während der ganzen Prozedur verkrampft die Zähne zusammen, konnte einige schmerzerfüllte Geräusche nicht unterdrücken. Erst, als Silke mit dem Verbinden fertig war, entspannte er mit einem gequälten Ächzen.
Nowak, der die ganze Zeit eine Hand auf seiner Schulter hatte liegen lassen, beugte sich besorgt zu ihm. „Wie fühlst du dich?“
Der Angesprochene blinzelte ihn mühsam an. „Mir ist schwindelig…“
„Kein Wunder, du hast viel Blut verloren.“ Die Geste, mit der Nowak ihm durch die Haare strich, war mehr als nur besorgt; Silke fragte sich nicht zum ersten Mal, in welchem Verhältnis die beiden Männer zueinander standen. Doch sie kam nicht dazu, dem Gedanken länger nachzuhängen, denn in diesem Augenblick hörte man zügige Schritte im Treppenhaus und eine nur zu bekannte Stimme rief schon von weitem: „Alberich, was machen Sie denn noch hier?“
Und Silke wurde ganz kalt.
<---------- Kapitel 4>>