roger davies is a communist, pass it on (3)

Nov 19, 2020 10:28

AO3 | FFde

Fandom: Harry Potter
Relationships: Roger Davies x Oliver Wood x Percy Weasley (x Cedric Diggory)

Abstract:
Die Geschichte, in der Roger ein Kommunist ist, Percy ein gewissenhafter Träumer, Oliver die Liebe jeden Lebens und Cedric sogar einen ganzen Satz sprechen darf.

aka: "Roger Davies Is A Communist, Pass It On," Says Local Man Who Has Never Heard Of The Term Anarcha-Feminism, And Thinks Communism And Socialism Are The Same Thing

CN: Alkohol (konsumiert von Minderjährigen), Essen, Fettfeindlichkeit/Body Shaming (referenziert), Queerfeindlichkeit (referenziert), Sex (erwähnt)

mehr zu den content notes im ersten kommentar (stelle auch gern editierte versionen ohne cn zur verfügung, just hmu)

[ Part 1 ]
[ Part 2 ]



Szene 4 (Register 2)

Oliver hat sein Bett frisch überzogen und Percy kann den Duft von Lavendel wahrnehmen, obwohl er auf dem Rücken liegt und seine Nase eigentlich in einem Buch steckt. Sein rechter Knöchel liegt auf dem linken, die Ellenbogen stehen neben ihm auf der Bettdecke und Oliver ist die nervigste Person im Raum. (Die Konkurrenz ist nicht groß, weil sie schließlich nur zu zweit sind, aber damit will Percy sich nicht weiter aufhalten.)

„Kann ich das anziehen?“, fragt Oliver vor dem Spiegel. Bis gerade eben sind seine gespreizten Finger noch über sein Oberteil gefahren, im Versuch den Stoff über seinem Bauch gerade zu streichen, obwohl sich keine Falte in Sichtweite befindet. Percy gibt ein zustimmendes Geräusch von sich und brummt: „Kannst Du.“ Aber er sieht nicht einmal von seinem Buch auf, um mit Oliver zu sprechen.

Deswegen stellt Oliver für Percy laut fest: „Man kann meinen Bauch sehen, weil er unten rausschaut.“ Er seufzt. „Dann kann ich das doch nicht anziehen.“

Ehrlicherweise ist Olivers Bauch kein Grund für Percy aufzusehen, weil er genug Spiele ihrer Mannschaft gesehen hat, in der früher oder später jedes Mitglied sein Trikot einmal über den Kopf gezogen hat. Er hat die weiche Fettschicht, die über Olivers Muskeln liegt, schon oft genug gesehen, um zu wissen, dass Oliver nicht dem typischen Bild eines Sportlers, dem Stipendien für seine Leistungen nachgeschmissen werden, entspricht. Aber Percy ist auch pragmatisch und versteht nicht ganz, warum Oliver sich dafür interessieren sollte, was andere Leute denken. (Der soziale Druck, ja, ja, aber Oliver ist so schön und wenn Percy wüsste, ob es angemessen wäre, Oliver genau das zu sagen, wenn sie Freunde wären, dann würde er es tun. Jeden Tag, so oft wie Oliver möchte.)

So bleibt Percy nichts Anderes übrig, als zu wiederholen: „Kannst Du.“

„Für ein Date, meine ich“, fügt Oliver nach einer kurzen Pause hinzu, als wäre es lediglich ein Nachgedanke, der Anhang einer Überlegung. Percy zwingt sich, weiter auf seine Buchseite zu schauen, als lese er noch; als interessiere ihn die ganze Situation überhaupt nicht.

„Du hast ein Date“, stellt Percy fest, aber er meint es mehr als Frage.

„Noch nicht“, gibt Oliver zu, ohne seinen Blick von seinem Spiegelbild abzuwenden. (Vielleicht ist das sein Jugendbuch-Moment, denkt Percy. Der Beginn seiner Geschichte, der einen Moment der Selbstreflexion und -evaluation enthalten muss, damit die geneigte Leserschaft auch ja ein genaues Bild des Protagonisten vor Augen hat.) „Aber ich überlege, Katie um ein Date zu bitten.“ Eine kurze Pause. „Meinst Du, ich sollte sie um ein Date bitten?“

Percy schluckt, während seine Augen ein Und auf Seite dreiundachtzig fixieren. Dann entscheidet er sich für ein unverfängliches: „Wenn Du willst.“ Sein rechter Zeigefinger zittert in der Luft, nur Millimeter von seiner Buchseite entfernt, immer wieder kurz davor vor Nervosität zu trommeln.

„Glaubst Du, sie würde ja sagen?“ Oliver hält mitten in seiner Bewegung inne, als wolle er sich dafür bereitmachen, Percy höchstpersönlich zu bekämpfen, falls der nicht die Antwort gäbe, die Oliver hören möchte. Also versucht Percy sich noch einmal diplomatisch und antwortet: „Keine Ahnung.“

Stille breitet sich in Olivers Zimmer aus, während die noch etwas zu frühlingshafte Luft den leichten Vorhang aufbauscht. Percys Augen versuchen herauszufinden, was nach diesem Und auf Seite dreiundachtzig steht, aber sein Herz und seine Gedanken rasen um die Wette beim Gedanken, dass Oliver vielleicht ein Rendezvous mit Katie haben könnte. (Dabei wäre Percy doch so gern derjenige, der Oliver küssen würde. Sieben Minuten im Himmel mäßig. Oder vielleicht auch ein bisschen mehr.)

Doch bevor Percy zu irgendeiner Entscheidung kommen kann, ob er noch etwas sagen möchte oder es doch besser ist zu schweigen, spuckt Oliver seinem eigenen Spiegelbild entgegen: „Ich bin schwul, Percy.“

Percy pausiert.

„Dann frag sie lieber nicht“, sagt er schließlich, weil er nicht wirklich weiß, was er dazu sagen soll, aber er auch nicht umhinkommt, es schrecklich unhöflich zu finden, Katie um eine Verabredung zu bitten, wenn Oliver doch gar keine romantischen Gefühle für sie hegt. Es sei denn, er hat dieses Gespräch vollkommen fehlinterpretiert.

„Stört Dich das denn gar nicht?“ Verwunderung liegt in Olivers Stimme, die sich einen Moment später in Percys spiegelt: „Warum sollte es? Ich denke nur nicht, dass es sonderlich höflich von Dir ist, ihr Hoffnungen zu machen, wenn Dir im Vorhinein bereits bewusst ist, dass das Rendezvous nicht auf fruchtbaren Boden fallen kann.“

„Dass ich schwul bin, meine ich.“

Es spricht für Olivers Fähigkeit, Percys Bedürfnisse zu wahren, und Percys Professionalität, dass sie sich beide noch immer nicht bewegt haben; Percys Blick auf seinem Buch, Olivers auf seinem Spiegelbild. Und sie verbleiben weiter, während Percy abschließend ein abwägendes Geräusch macht und sagt: „Hmm, ja … nein. Das geht mich schließlich nichts an.“

Szene 5 (Register 3, links)

Die Rollen sind umgekehrt, Oliver liegt auf Percys Bett und Percy sitzt an seinem Schreibtisch. Oliver liest in einem Comic, während Percy versucht, die Hausaufgaben für seinen Lektürekurs zu bearbeiten. Die Sonne brennt vom Himmel und Oliver hat sich bis vor wenigen Minuten noch laut darüber beschwert, wie viel lieber er draußen wäre und dass sie das gute Wetter nutzen müssten, bevor sie ihre Abschlussprüfungen schreiben müssen. Aber dann hat sich Schweigen über sie gelegt und Percy hat sich wieder über seinen Text gebeugt.

Bis Oliver die Stille bricht: „Charlie ist unten im Garten.“ Anscheinend hat er einen Blick aus dem Fenster geworfen. Aber Percy ist sich nicht sicher, warum er sich dafür interessieren sollte. „Ich wusste nicht, dass Charlie auch auf den Schultern Sommersprossen hat.“

Und das ist der Moment, in dem Percy zweierlei Dinge klar werden: Erstens, dass das hier in dieselbe Richtung geht wie die letzten Male, als Oliver aus heiterem Himmel physische Attribute von Klassenkameraden angesprochen hat (wie Cassius‘ breite Schultern und Mervyns schöne Waden und Gabriels flexible Finger), und zweitens, dass er unerklärlich wütend wird, dass Oliver Charlies sommersprossige Schultern auffallen, aber nicht Percys.

„Charlie“, wiederholt Percy, weil er einen Moment braucht, um sich zu fangen. „Mein Bruder. Charlie wie in mein Bruder?“

Oliver nickt, ohne den Blick von seinem Comic abzuwenden. Er sagt: „Charlie wie in Dein Bruder.“

„Charlie, mein Bruder, hat Sommersprossen auf den Schultern“, wiederholt Percy sehr viel nüchterner klingend, als er sich fühlt, und Oliver nickt erneut. „Warum?“

„Ich meine“, beginnt Oliver langsam, noch immer in seine Lektüre vertieft, „vermutlich ist es ein Weasley-Gen, Du hast schließlich auch Sommersprossen.“

Also ist es Oliver aufgefallen. Was aber, ehrlich gesagt, nicht Kern des Pudels ist in diesem Moment. Der ist nämlich, dass Oliver absolut unfähig ist und Percy dieses Gespräch gerade wirklich führen muss. (Wie bei Cassius. Und Mervyn. Und Gabriel. Nur eben bei Charlie, der sein Bruder ist.)

„Nein, warum Dir das jetzt auffällt“, verbessert Percy sich, obwohl er es doch eigentlich nicht wissen will. (Irgendwann zwischen Olivers Geburtstag und ihrer jetzigen Freundschaft hat Percy einfach aufgegeben, Gesprächen mit Oliver aus dem Weg gehen zu wollen. Oliver gewinnt ja doch immer.)

Oliver blättert gemächlich um, bevor er leise erwidert: „Es ist mir nicht jetzt erst aufgefallen, ich dachte nur, es wäre wichtig, es laut auszusprechen.“

„Charlie ist aroace“, versucht Percy nun jedweden Gedanken in diese Richtung zu ersticken. „Und er ist mein Bruder, Oliver.“

Oliver seufzt.

„Ja. Ja das ist er wohl.“

Szene 6 (Register 3, mitte)

Olivers Bett, schon wieder frisch überzogen, die Laken sind so weiß, dass Percy Angst hat, seine Sommersprossen könnten abfärben. (Alles Unsinn, schon klar, aber Percy hat noch nie in so weißen Laken geschlafen. Die meiste Zeit hat er nicht einmal einen passenden Kissenbezug zu seiner Bettdecke, obwohl er sich so viel Mühe gibt, im großen Flurschrank ein Set zu finden.)

„Schläfst Du schon?“, flüstert Oliver plötzlich in die oppressive Stille der Nacht. (Die sich bis eben überhaupt nicht so schwer angefühlt hat, weil Percy dachte, er sei der einzige, der noch wach ist. Das sanfte Trommeln von Sommerregen gegen die dachschrägen Fenster über ihnen hat Percy in falscher Sicherheit gewogen, und ihm wird wieder einmal klar, wie nah Oliver ihm eigentlich ist.)

Für einen kleinen Moment überlegt Percy, sich schlafend zu stellen, um keine Worte an seinem pochenden Herzen vorbeimogeln zu müssen. Aber dann denkt er, dass er kein Frosch sein möchte. Das ist schließlich nur Oliver. Also flüstert er ebenso leise zurück: „Nein.“ Das automatisierte Du? kann er gerade noch so zurückhalten.

„Ich habe nachgedacht“, wispert Oliver und, Moment, war er gerade eben auch schon so nah, dass Percy seinen Atem auf seinen eigenen Lippen spüren konnte, während er sprach? Das hätte Percy doch bemerken müssen! „Du bist mein erster Kuss gewesen, Schocker ich weiß, aber ich bin seitdem auch nicht zu weiteren Küssen gekommen, wer hätte das erwartet mit dem Aufgebot, ja, ja, und da hab ich nachgedacht, okay.“ Percy glaubt, Oliver zittrig ausatmen zu hören. „Offensichtlich hat es unserer Freundschaft nicht geschadet, dass wir, Du weißt schon, uns geküsst haben. Ich wage sogar zu behaupten, dass unsere Freundschaft sich dadurch erst entwickelt hat.“ Er stößt ein leises, selbstironisches Lachen aus, das Percy eine Gänsehaut auf den Arm zaubert, der über der Decke liegt. „Und, nun, da hab ich überlegt, dass, wenn Du das auch wollen würdest, dann könnten wir … nun, üben.“ Percy glaubt zu hören, wie Oliver die Luft anhält.

„Üben“, wiederholt Percy, als Oliver nicht den Anschein macht, als würde er elaborieren. Als ihn auch diese Aussage nicht dazu bringt, weiterzusprechen, hängt Percy hinten an: „Wofür?“

„Na ja, für den Ernstfall“, erwidert Oliver langsam, als müsse er sich beim Sprechen noch überlegen, ob er wirklich das sagt, das er meint. „Du weißt schon.“ Oliver hält inne, aber Percy beschließt, ihm dieses unangenehme Schweigen nicht abzunehmen. „Ich meine, stell Dir vor, Du hast ein Date und am Ende küsst ihr euch und dann sagt die Person: ‚Du bist ja nett, aber Du küsst ganz schrecklich, sorry, das will ich mir nicht nochmal antun.‘ Das wäre schlimm, oder? Aber wir sind Freunde, also können wir uns quasi Feedback geben.“

Percy schließt die Augen und atmet tief durch, um seinen Herzschlag zu beruhigen. Dann hakt er nach: „Du möchtest konstruktive Kritik für Deine Kusstechnik für etwaige zukünftige Dates.“

„Ich meine, ja“, entgegnet Oliver zögerlich.

Wenn er ehrlich ist, dann ist Percy sich nicht sicher, ob er fassungsloser ob des dreisten Vorschlags oder nervöser ob der unerwarteten Gelegenheit ist. (Wäre es denn überhaupt moralisch vertretbar, Olivers Angebot anzunehmen, wenn er sich doch deutlich etwas anderes von Oliver erhofft als platonische Küsse in der Sicherheit von Olivers dunklem Zimmer? Das wäre verlogen, oder? Oliver ins Gesicht zu schauen und zu sagen: Klar, absolut platonischer Kumpel, wir können sehr platonische, überhaupt nicht bedeutungsschwangere Küsse tauschen und uns auf einer Skala von eins bis zehn gegenseitig bewerten. Ich sehe nicht, was dabei schief gehen könnte! Das wäre sehr verwerflich, Percy sollte sich da keine Illusionen machen.)

„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee wäre“, flüstert Percy leise, weil, so gern er Oliver auch küssen wollen würde, so ungern würde er sich von ihm das Herz brechen lassen wollen. Und Oliver sagt „ich verstehe“, obwohl er nicht die geringste Ahnung hat, was in Percy vorgeht.

Szene 7 (Register 3, rechts)

Der Anfang vom Ende, oder: Sie liegen beide in Percys Bett, während draußen die Sonne scheint. Oliver hat den Unterarm über seine Augen geworfen, während Percy die Leuchtsterne an seiner Zimmerdecke betrachtet, die Bill oder Charlie hingeklebt haben müssen, als es sich noch um deren Zimmer gehandelt hat. Es ist so hell im Zimmer, dass sie sich nur milchig-gelbweiß von der Decke abheben, aber wenn Percy sich konzentriert, kann er sich ihr sanftes Leuchten trotzdem vorstellen.

„Es ist so unfair“, lamentiert Oliver zum bestimmt fünften Mal, weil Percy es bis eben tatsächlich geschafft hat, stark zu bleiben und Oliver nicht zu fragen, was er denn so unfair findet. Inzwischen macht er das ganz gut, wenn er mal eben selbstbewusst sein darf, indem er Oliver nicht einfach alles gibt, was der gerade von ihm braucht. (Oder zumindest lässt er Oliver nicht alles beim ersten Mal durchgehen, was, Jacke wie Hose, ungefähr dasselbe ist.) „Willst Du gar nicht fragen, was los ist?“

„Ich denke, wenn Du mir sagen möchtest, was los ist, wirst Du das mit Sicherheit tun“, erwidert Percy, ohne den Blick von der Decke abzuwenden. (Das machen sie oft. Miteinander sprechen, ohne sich dabei anzusehen. Percy weiß, dass er es macht, weil sich dann alles ein wenig abstrakter, weniger reell anfühlt, weil er Olivers Reaktionen nicht sehen kann. Und Oliver nicht seine.)

„Okay, Du hast mich überredet“, sagt Oliver und walzt einfach über Percys eingewandtes „ich hab Dich zu nichts überredet“ hinweg: „Es ist so unfair. Kein Mensch auf diesem Planeten wird mich fragen, ob ich mit ihm zum Abschlussball gehen möchte, weswegen ich mutterseelenallein dort hingehen müssen werde. Und selbst wenn mich ein Mensch fragen würde, wäre es mit Sicherheit kein Kerl, weswegen ich mit einem Mädchen auf den Ball gehen müsste.“ Er holt tief Luft, ohne wirklich abzusetzen. „Und dann wird jeder denken, dass ich hetero bin, Perce, und das kann ich doch nicht zulassen! Niemand auf der ganzen weiten Welt sollte auch nur den Hauch eines Zweifels daran haben, dass ich schwul bin, das ist wichtig, Perce.“ Ein leidendes Geräusch, das Percy den Mund verziehen lässt. „Also bleibt mir nur allein zu meinem Abschluss zu gehen oder gar nicht zu gehen oder hetero gelesen zu werden. Es ist ein Albtraum!“

Oliver atmet heftig, weil er sich doch tatsächlich in Rage geredet hat. Es ist das einzige Geräusch im Raum, weil die Fenster geschlossen sind, um die unglaubliche Hitze draußen zu lassen, wodurch nicht einmal Vogelgezwitscher nach innen dringt.

Mit geschlossenen Augen und absoluter, sofort einsetzender Reue schlägt Percy vor: „Wir könnten zusammen auf den Ball gehen.“ Ihm schlägt nur Stille entgegen, die sich aus all den falschen Gründen aufgeladen anfühlt, also schiebt Percy hektisch hinterher: „Als Freunde.“

Es klingt, als schiebe Oliver langsam und bedächtig mit seiner Zunge alle Atemluft aus seinen Lungen zwischen seinen Zähnen nach draußen, bevor er einwendet: „Aber wenn wir als Freunde gehen, dann muss ich ja doch wieder allen erklären, dass ich kein Hetero bin, der nur einfach kein Date abgekriegt hat. Wie sollen die Leute nur wissen, dass ich nicht hetero bin. Perce, mir ist das so wichtig.“

Und das ist der Moment, Percy sieht es mit aller Klarheit vor sich, in dem er erkennt, dass eine Bombe unter dem Tisch liegt. (Wir wissen längst Bescheid, weil die Tischdecke das tick-tick-tickende Runterzählen nicht verdecken kann.) Die richtige Vorgehensweise wäre, Oliver auf die Bombe aufmerksam zu machen, vom Tisch aufzustehen und zu gehen, aber Percy ist auch ein Feigling und alle hundert Jahre, wenn Mars rückläufig ist und Venus im fünften Haus steht, löst seine Feigheit Hauruckaktionen aus, die Bomben zum Explodieren bringen können.

„Dann … sagen wir eben niemandem, dass wir als Freunde da sind.“

Oliver sieht noch immer nicht zu ihm und er sieht auch nicht zu Oliver, weil er noch immer Informationen zurückbehält, die notwendig für Oliver wären, um sich ein Bild zu machen und dementsprechend Entscheidungen zu fällen. (Percy ist ein Heuchler, das ist er. Er kann Oliver nicht übungsküssen, weil es unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wäre, aber ein vorgetäuschtes Rendezvous - ja, das wäre natürlich in Ordnung.)

„Quasi ein fake Date“, stellt Oliver fest und es klingt ein bisschen so, als würde er ein Lachen zurückhalten. „Du schlägst mir vor, dass wir für den Abschlussball fake daten, verstehe ich das richtig?“

Percy gibt ein undefinierbares Geräusch von sich, irgendwas zwischen Zustimmung und Ablehnung, aber eigentlich meint er damit: Es muss kein vorgetäuschtes Rendezvous sein, an mir soll es nicht scheitern.

Oliver, über unterdrücktes Lachen hinweg, sagt: „Du bist so schräg, Perce.“

Und Percy versteht zwar nicht, was Oliver so unfassbar witzig findet, aber er versteht, dass Oliver keine Ahnung von der Bombe hat, weil er tatsächlich zustimmt, Percys Ballbegleitung zu sein. (Nimm das, Mum, jetzt muss er nur noch lernen, aus Olivenzweigen ein Anstecksträußchen zu flechten.)

Szene 8 (Register 4)

Es ist mehr ein Daumenkino im Appendix, angehängt mit einer Büroklammer. Oder eher: Es ist ein Register mit Musterbeispiel an Prozessvisualisierung.

Die Szene ist die: Oliver trägt einen Anzug, einen verdammt schönen in Zinngrau, mit einer rosenquarzfarbenen Krawatte und dazu passendem Einstecktuch (Nein, Oliver, ich werde mit Sicherheit keine regenbogenfarbene Krawatte tragen. Und wenn das ohnehin Dein Plan gewesen ist, dann brauchst Du mich ja nicht, um mit Deiner Sexualität hausieren zu gehen) und seine Hände liegen verschränkt in Percys Nacken. Percys Hände liegen ein bisschen unsicher auf Olivers Hüftknochen, weil er sich nicht traut, sie nach hinten auf seinen unteren Rücken zu führen.

„Du machst das gut“, flüstert Oliver, aber Percy kann an der Art, wie er es sagt, hören, dass Oliver sich über ihn lustig macht. „Du bist ein guter Freund.“

„Pass nur auf“, flüstert Percy zurück, er fühlt sich schelmisch, ein bisschen verwegen sogar, „wenn Du nicht aufpasst, dann lass ich Dich einfach fallen, wenn ich Dich das nächste Mal stippe.“

Oliver lacht und birgt sein Gesicht für einen Herzschlag an Percys Halsbeuge, bevor er sagt: „Das heißt nicht Stippen, Perce. Es ist eine Fallfigur.“

„Ja, weil ich Dich fallen lasse“, erwidert Percy. Obwohl er wirklich versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es an ihm knabbert, dass Oliver mehr über Standardtanz weiß als er, kann er seine Ohren nicht daran hindern, heiß und rot zu werden.

„Ich wünsche Dir viel Erfolg beim Versuch in einen Walzer eine Fallfigur einzubinden“, sagt Oliver, noch immer mit dem Gesicht an Percys Hals, sein Atem trifft auf Percys Schlagader und bringt sie zum Singen. „Wenn Du das schaffst, lass ich mich sang- und klanglos von Dir auf den Boden werfen. Das würdest Du verdienen.“

Unzufrieden zieht Percy die Augenbrauen zusammen, als er leise murmelt: „Patricia und Gabriel hätten nie die Musikauswahl treffen dürfen.“

Vielleicht ist die Szene auch die: Oliver hat mit Joey Jenkins, der in seinem sandfarbenen kleinen Gesellschaftsanzug aussieht wie die Sepiaphotographie eines weitläufigen Watts (und dessen Persönlichkeit, wenn es Percy kurz erlaubt ist, voreingenommen zu sein, auch ungefähr so tiefgründig ist wie ein Watt), gesprochen.

Percy hat seinen Arm um Olivers Taille gelegt, seine Hand liegt locker auf Olivers Hüftknochen auf - es ist eine Demonstration von Zusammengehörigkeit. (Percys Anzug ist granitgrau, aber er trägt dasselbe Quarz, das Oliver beim Auswählen grinsend als Zuckerwatterosa bezeichnet hat. - Ihr wisst schon, für den Fall, dass irgendeiner der Anwesenden nicht bemerkt hätte, dass Percy und Oliver zusammen hier sind. Oliver hat viel Wert daraufgelegt.)

Natürlich weiß Percy nicht, worüber Oliver und Joey gesprochen haben, aber er genießt es, dass er einfach zu Oliver gehen, seinen Arm um ihn legen und zur Begrüßung seine Lippen gegen Olivers Haaransatz pressen kann, weil er heute Abend Olivers Freund ist und von ihm erwartet wird, dass er sich so verhält. Dass Oliver von ihm erwartet, dass er sich so verhält.

Joey lächelt Percy an, der sich nicht wirklich von Oliver losmachen möchte, weswegen sein Kinn halb in Olivers Haaren versenkt bleibt, seine Nase nur Millimeter von Olivers Ohr entfernt.

„Keine Sorge“, Joey hat sich verschwörerisch nach vorne gebeugt, „ich weiß Bescheid, Du musst nicht so tun.“ Sein Blick wendet sich nicht von Percy ab und Percy wird heiß und kalt gleichzeitig. Er weiß Bescheid. Joey weiß Bescheid. Und wenn Percy Pech hat, wird er es Oliver erzählen. Oder noch schlimmer: Oliver weiß Bescheid und versucht einen Fluchtplan auszubaldowern, weswegen er Joey überhaupt erst in ein Gespräch verwickelt hat.

Obwohl alles in Percy danach schreit, Oliver noch näher zu sich zu ziehen, wird er von ihm ablassen und ein wenig Abstand zwischen sie bringen. (Aber nicht zu viel, weil das hier vielleicht Percys einzige Chance ist, Oliver überhaupt auf diese Weise nahezukommen.)

Aber eigentlich ist die Szene die: Oliver und Percy stehen abseits der Tanzfläche neben dem Tisch, auf dem Punsch und Imbisse aufgebahrt sind. Percy hat beide Hände zu Fäusten geballt und in seinen Hosentaschen versenkt, während Oliver sich gegen die Wand lehnt, die Arme locker vor der Brust verschränkt.

„Was war das?“, fragt Percy, aber er kann sich nicht entscheiden, ob er seiner Stimme einen empörten oder entrüsteten Tonfall geben möchte. Was er weiß, ist, dass er defensiv klingt. Und verletzt. (Und dass er nicht möchte, dass Oliver es bemerkt.) „Mit Joey eben.“

Olivers Blick ist mehr auf Percys Schuhe gerichtet als sein Gesicht, aber Percy hat auch mit nichts Anderem gerechnet. Es ist schließlich eine unangenehme Situation. Oliver scheint bemerkt zu haben, dass Percy weniger Schauspiel betreibt als einen Traum lebt, und jetzt will er nicht mit Percy darüber sprechen. (Wenn es andersherum wäre, und Percy Olivers Gefühle nicht erwidern würde, dann würde Percy wohl auch alles dafür tun, nicht mit Oliver darüber sprechen zu müssen. Er würde ihm auch keinen Korb geben wollen.)

Popmusik kommt aus den Lautsprechern über ihren Köpfen, nicht unweit von ihnen stehen und tanzen Grüppchen von Stufenkamerad*innen und Percy überhört beinahe, wie Oliver antwortet: „Ich konnte nicht lügen.“

„Es war Dein Wunsch“, erwidert Percy ungehalten. „Du hast gesagt, dass wir das durchziehen sollen.“

„Ja, schon“, stimmt Oliver zu. Sein rechter Zeigefinger klopft arhythmisch auf seinem Oberarm herum. „Aber ich wollte ehrlich mit Joey sein.“ Seine Stimme wird gegen Ende immer leiser.

„Warum?“

Morgen wird Percy kleine Halbmonde auf seinen Handballen haben, weil sich seine Fingernägel so sehr in seine Haut bohren. Heute aber versucht er, sich unter Kontrolle zu halten. Sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, nur weil Oliver ihm nicht sofort antwortet. (Dass Oliver nicht sofort sagt: Weil Joey mich beraten sollte, wie ich mit Deiner Schwärmerei für mich umzugehen habe.)

„Herrgott, Percy!“ Es ist mehr ein Ausruf der Frustration als die leise Stimme des Nachgebens. „Ich hab es ihm gesagt, weil ich in seiner Gegenwart Single sein wollte.“ Percys Fäuste ballen sich noch fester zusammen und er presst seine Zähne aufeinander, während sich Kälte in seinem Magen ausbreitet. Oliver grinst, auch wenn es eher schwach wirkt. „Du musst das verstehen, Perce.“

Und Percy versteht, ja, wirklich, weil es eine nette Art und Weise ist, Percy abzuservieren. Es ist eine nette Art und Weise, Percy zu sagen, dass er zu viel ist, zu nah, zu jenseits von Gut und Böse. (Ist das nicht ironisch? Dass Percy immer zu wenig gewesen ist, und dass er jetzt, da er einmal wagt, mehr zu sein, mit seinem Schiff auf Sand aufläuft.) Es ist eine nette Art und Weise, die Percy verabscheut, weil er dachte, sie seien Freunde. Percy dachte, er und Oliver, sie seien gut genug befreundet, um Hindernisse gemeinsam zu überwinden, auch wenn es sich bei diesen um ungewollte romantische Gefühle handelt. (Denn Percy will sie genauso wenig wie Oliver, auch wenn das kaum zu glauben ist.)

„Oh“, sagt Percy also, während alle Luft und Anspannung aus ihm entweicht und nur Müdigkeit übrigbleibt, die kein Schlaf dieser Welt austreiben kann. „Okay.“

vii.

Zusammen auf Olivers Bett zu liegen, fühlt sich wagemutig an in den besten Fällen, aber, Heiligsblechle, es fühlt sich auch gut an. Die meiste Zeit über tun sie gar nichts, ein bisschen wie früher. Percy liegt auf dem Rücken, manchmal die Arme unter seinem Kopf verschränkt, manchmal die Arme um Oliver gelegt, der auf der Seite neben ihm liegt, den Kopf auf Percys Brust oder Bauch. Oder Percy liegt auf dem Bauch und liest, während Oliver neben dem Bett auf dem Boden sitzt (barfuß, was sonst) und in unregelmäßigen Abständen den Kopf nach hinten auf die Matratze legt und mit dem Zeigefinger so lang und oft auf seine Lippen tippt, bis Percy sich über ihn beugt und ihn küsst. (Nicht tief und alles vereinnahmend. Es sind Ampelküsse, aber sie scheinen Oliver zufriedenzustellen. Und wenn Percy ehrlich ist, dann sind es seine Lieblingsküsse.)

Manchmal sitzt Roger an Olivers Schreibtisch, manchmal liegt er auf Cedrics Bett. (Cedric, den Percy immer noch nicht kennengelernt hat, wovor er sich aber durchaus ein bisschen fürchtet, weil Roger und Oliver nur Gutes über Cedric zu sagen haben, und da immer diese sanfte Angst in seiner Magengegend schwimmt, dass er vergessen ist, wenn Cedric erst wieder auf der Bildfläche auftaucht.)

Es ist erschreckend, wenn Percy ganz ehrlich mit sich ist, wie wenig Zeit vergangen ist, seit er Oliver das erste Mal wiedergesehen hat und bis sie sich beinahe wieder so verhalten, wie sie es vor dem Abschluss getan haben; in dieser kurzen Zeit, in der sie befreundet waren, aber auch nicht wirklich, weil Percy sich so sehr verliebt hat in Oliver, dass er sich all die Monate gefühlt hat, als würde er Oliver anlügen. Und Du kannst nicht wirklich mit einem Menschen befreundet sein, der Dich die ganze Zeit quasi anlügt, oder?

Irgendwie ist da auch immer noch der Elephant im Raum, den weder Oliver noch er angesprochen haben, obwohl es so notwendig wäre, weil Percy immer wieder denkt: Jetzt ist das letzte Mal, nachher wird er ‚Das musst Du verstehen, Perce‘ sagen und dann ist alles wieder rum.

Es hat mit einem Percy begonnen, aber eigentlich ist es Roger gewesen, der diese Unmöglichkeit an Situation ins Rollen gebracht hat, als sie in Madame Puddifoot’s saßen und Roger eine Unmenge an rosafarbenem Eis in sich schaufelte, obwohl es draußen so kalt war, dass Percy zwei Paar Socken in seinen gefütterten Winterstiefeln tragen musste, um nicht zu erfrieren. Roger hatte ungefähr dreiviertel seines Eisbechers gegessen, bevor er plötzlich das Gesicht verzog und seine Hände demonstrativ in kurzen Intervallen mehrfach zur Faust ballte und wieder spreizte.

„Percy“, lamentierte er laut und leidend, bevor er seine Arme über den Tisch in Percys Richtung streckte, „meine Hände sind kalt, unternimm etwas dagegen!“

Percy, dessen Hände an den besten Tagen schlecht durchblutet waren, kräuselte seine Nase und fragte: „Was soll ich dagegen unternehmen?“

„Halt sie“, befahl Roger und bei jedem anderen Menschen, da war Percy sich sicher, hätte dieses Gehabe lächerlich gewirkt. Bei Roger war es, auch wenn Percy das nicht gerne zugab, irgendwie liebenswürdig.

Während Percy noch damit beschäftigt war, darüber nachzudenken, was er darauf erwidern sollte, machte Roger weitere Greifbewegungen in Percys Richtung. Dann sagte Percy: „Ich denke, Du solltest Oliver sagen, dass er Deine Hand halten soll.“

„Warum mir?“, hakte Oliver verwirrt nach, während er mit seinem Löffel in der Sahnehaube seiner heißen Schokolade herumstocherte. Mal wieder sah Percy sich mit zwei Paar Augen konfrontiert, die ihn anstarrten. Er verschränkte die Arme vor der Brust, um Roger nicht die Möglichkeit zu geben, seine Hände einfach zu ergreifen. Dann erwiderte er: „Seid ihr beide nicht, ich weiß nicht, ein Paar?“

Der Blick, den Roger und Oliver wechselten, blieb Percy ein Mysterium, das Lachen, in das die beiden danach ausbrachen, noch ein bisschen mehr. Percy war kein Experte für Beziehungssachen, überhaupt nicht, aber er war sich ziemlich sicher, dass zwei Menschen, die sanfte Küsse und leise Zuneigungsbekundungen austauschten, in einem Bett schliefen und anscheinend keine freie Sekunde ohne einander verbringen konnten, mit ziemlicher Sicherheit eine romantische Beziehung miteinander führten. Das sagte er allerdings nicht laut, weil ihm das Lachen, das Oliver und Roger noch immer von sich gaben, ausreichte, um sich nicht noch weiter blamieren zu wollen. (Und vielleicht erinnerte ihn eine kleine Stimme in seinem Kopf auch daran, dass Oliver und er auch schon einmal auf diese Art und Weise zusammen gewesen waren, aber sie keine romantische Beziehung geführt hatten. Vielleicht war das einfach, wie Oliver befreundet war. Mit Haut und Haaren und Hals über Kopf, so wie Percy nur lieben kann.)

„Wir sind nicht so zusammen“, stellte Oliver schließlich klar, aber da schwang immer noch ein viel zu großes Maß an Belustigung in seiner Stimme mit. Roger warf echauffiert (aber eben auch amüsiert) ein: „Wir sind eben doch schon so zusammen!“

„Möchtest Du unsere Beziehungsdynamik jetzt wirklich vor Percy zerpflücken?“, fragte Oliver skeptisch, bevor er seinen mit Sahne bedeckten Löffel in seinen Mund steckte und ihn danach mit der Laffe nach unten auf seiner Unterlippe ablegte. „Ich denke nicht, dass das so förderlich wäre für Percys Meinung uns gegenüber.“

Für eine Sekunde überlegte Percy, nachzuhaken; zu fragen, was Oliver meinte, denn was könnte so übel sein, dass Percy seine Meinung über sie ändern könnte. (Zu dem Zeitpunkt dachte er noch nicht wirklich, dass sie Freunde seien. Er dachte, vielleicht erlaube Roger sich einen bösen Scherz mit ihm und Oliver mache mit, weil sowas von außen doch immer zumindest ein wenig amüsant ist; oder vielleicht, dass Roger tatsächlich mit ihm befreundet sein wollen könnte und Oliver das eben dulde, weil er ganz schrecklich verliebt in Roger sei und womöglich nicht über sich gebracht habe, Roger zu erzählen, wie das alles zwischen Percy und ihm geendet hatte.)

„Ich versuche, ehrlich gesagt“, erwiderte Roger aber, bevor Percy eine eindeutige Entscheidung treffen konnte, ob er sich nun wieder ins Gespräch einmischen wollte oder nicht, „mir einzureden, dass Percy mit einem doppelten roten Minus an mich herangegangen ist und ich so oft den Amourösen Austausch gewählt habe und meine Charme-Geschicklichkeit hoch genug ist, dass wir bei einem Plus sind. Oder vielleicht sogar zwei.“

Unter seinem Löffel zuckten Olivers Mundwinkel nach oben, mehr ein Prusten als ein Lächeln, bevor er sagte: „Ich lasse Dich nie wieder Sims spielen, das ist absolut grauenhaft. Reden mit Dir ist absolut grauenhaft.“

Als Roger den Mund öffnete, vermutlich um etwas Deftiges zu erwidern, fuhr Oliver jedoch unbeirrt fort: „Percy ist immerimmer ein falsches Wort davon entfernt, Deine Hand zu halten und dann einfach für immer aus Deinem Leben zu verschwinden.“

Olivers Tonfall fiel scherzend aus, aber im Gegensatz zu Roger hörte Percy den unterliegenden Vorwurf, der ihm die Zornesröte ins Gesicht trieb. (Oliver hatte Nerven, so über Percy zu sprechen. Direkt vor Percys Augen. Mit einer Selbstgerechtigkeit, die Percy sich fühlen ließ, als wäre er nach dem Schleudergang im Trockner auf Oberstufengröße zusammengeschrumpft.)

„Ach i-wo“, stieß Roger entrüstet aus und riss somit Percys Aufmerksamkeit auf sich, „sieh ihn Dir doch an. Bevor der Dich stehen lässt, weil Du ein falsches Wort sagst, geht er eher, weil er denkt, er hätte etwas aber richtig versemmbröselt.“

In einer Darstellung schlechten Theaterflüsterns setzte er hinterher: „Er braucht Bestätigung. Konstante Rückversicherung. Niemals endende Zuneigungsbekundungen.“ Roger grinste, jedoch nicht als würde er sich lustig machen über Percy oder als versuche er ihn bloßzustellen. Es war eher schelmisch, oder spitzbübisch vielleicht, als spüre er genau, dass da mehr im Raum stand als er wusste, als versuche er eine Brücke zu schlagen.

Dann streckte er sich und ließ seinen Arm nonchalant auf Olivers Rückenlehne fallen, während er sagte: „Aber dafür hat er uns, nicht wahr?“

„Ich sehe nicht, was das mit eurem Beziehungsstatus zu tun hat“, brachte Percy hervor, geordneter und vielleicht etwas pikierter, als er geplant hatte. Anscheinend hatte er damit sowohl Oliver als auch Roger den Wind aus den Segeln genommen, denn Oliver ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken, auf dessen Sitzfläche er im Laufe des Gespräches immer weiter und weiter nach vorne gerutscht war. Roger legte seinen Kopf schief und warf Oliver dabei einen vielsagenden Blick zu.

„Mach halt“, warf Oliver zurück, bevor er nach seinem Kakao griff und sich wortlos wieder zurücklehnte.

Gespielt in Gedanken verloren tippte Roger sich ans Kinn, die Stirn in Falten gelegt und den Mund nachdenklich verzogen. Nach einem unangenehm langen Moment zuckte er mit den Schultern und sagte: „Wir sind Freunde.“

Nach einer weiteren Kaugummisekunde fügte er hinzu: „Und was ist schon mit ein paar Küssen unter Freund*innen, huh?“

Und vielleicht war Percy da anders, vielleicht war er da ganz und gar falsch, aber für Percy war da schon etwas mit ein paar Küssen unter Freund*innen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass. (Dass Roger und Oliver keine romantischen Gefühle hatten mit all den bedeutungsvollen Blicken, die sie sich zuwarfen. Dass Percys Küsse Bedeutung hatten und Roger und Oliver ihre verschenkten wie Gänseblümchenketten. Dass irgendein Mensch Percy küssen möchte, romantisch oder anderweitig. Dass Roger und Oliver all die Dinge miteinander hatten, die Percy sich so sehr wünschen würde, würde er sich nur trauen.)

Plötzlich, eventuell ausgelöst durch Percys kontinuierliches Schweigen, das (gepaart mit dem immerwährenden Ausdruck der Verstimmtheit zwischen seinen Augenbrauen) vermutlich als Missbilligung oder Verwirrung ausgelegt werden könnte, erhob Roger sich und ließ sich neben Percy auf die Sitzbank sinken, allenfalls zu nah, um Percy einen einzigen klaren Gedanken im Kopfe zu lassen.

„Weißt Du“, sagte Roger, den einen Ellenbogen auf die Lehne der Bank aufgestützt, den anderen auf der Tischplatte, sein Knie gegen Percys stoßend, „ich wäre nicht abgeneigt, Dich zu küssen.“

Wärme breitete sich auf Percys Wangen aus und er kräuselte seine Nase, ohne es zu wollen, was Oliver wohl dazu veranlasste, Roger vorzuwarnen: „Treib’s nicht zu weit.“

„Ich treib’s nur so weit, wie Percy mich lässt“, erwiderte Roger gelassen und das Ding war ja, dass Percy ihm glaubte. Dass Percy Roger in genau diesem Moment ins Gesicht sehen konnte, und wusste, dass es ihm ernst war; dass er sofort von Percy ablassen würde, wenn Percy auch nur ein Wort sagte. Oder auch nur nichts sagte. (Und das Ding war, dass Percy nicht nichts sagen wollte. Das Ding war, dass Roger wunderschön war und Percy vielleicht nie wieder so nahe an die Erfüllung seiner Träume kommen würde, die vielleicht nicht mehr ausschließlich von Sieben Minuten im Himmel Oliver handelten, aber noch immer erfüllt waren von Sehnsüchten, die Percy wach niemals in Worte zu fassen wagen würde. Das Ding war, dass Percy Roger küssen wollte, weil Roger nett war und zuvorkommend und wunderschön wie Sternensplitter. Das Ding war, dass Percys Küsse Bedeutung hatten und er Roger küssen wollte.)

Und auf einmal, ohne dass Percy es selbst hätte kommen sehen, weil Venus vielleicht einfach im fünften verdammten Haus stand, schossen seine Hände nach oben, um Rogers Gesicht zu umfassen, und seine eigenen Lippen krachten mehr auf Rogers, als dass er ihn küsste. Wie Sturmwellen auf Riffe über dem Meeresspiegel. Wie Donner in der Ferne in pechschwarzer Nacht.

Rogers Hände umfassten plötzlich Percys Handgelenke, sein Kopf neigte sich zur Seite, Percy tanzte langsamen Walzer, aber Roger tanzte Foxtrott, und Roger küsste so anders als, so ganz anders als, so unglaublich anders. Und Oliver sagte: „O mein Gott.“

Da war ein Lachen, das sich seinen Weg über Percys Lippen herauszubrechen drohte, aber Percy ließ es nicht, weil er beide Hände voll hatte mit Roger Davies schrecklich furchtbar schönem Gesicht und seine Gedanken sich darum drehten, dass er Roger küsste und Oliver sehen konnte, wie er Roger küsste, und dass er vielleicht (eventuell, definitiv) nicht mehr aufhören möchte damit, Roger zu küssen.

„Ich kann’s nicht glauben“, sagte Oliver atemlos. (Lachend? Entrüstet? In einem generellen Sinn von Unzufriedenheit?) „Ihr seid beide nicht zu fassen.“

Roger löste sich lange genug von Percy, um zu sagen: „Du bist nur neidisch.“ Percy versuchte, die Zeit ohne Rogers Lippen auf seinen dafür zu nutzen, durchzuatmen und eine Annäherung von Ordnung in seine Gedanken zu bringen, aber versagte mehr oder minder hart dabei. (Roger hatte neidisch gesagt, nicht eifersüchtig. Als bestünde die geringste Möglichkeit, dass Oliver nur einfach gern auch hätte, was Roger oder Percy hatte. Als ginge es nicht darum, dass Percy Roger küsste, als ob er das Recht dazu hätte.)

Jetzt, wo er auf Olivers Bett liegt, auf seinen frisch gewaschenen Laken und dem Puddlemere United-Poster über dem Kopfende, denkt er, dass es vielleicht wirklich keine Eifersucht gewesen ist, sondern Neid. Dass Oliver ihn vielleicht küssen wollte und Roger es gewusst hat, weil Roger quasi den fünften Sinn für solche Dinge hat, oder BSE eventuell. (Ist das der Moment, in dem Percy bewusst wird, dass Roger mietfrei in seinem Kopf lebt? Ja. Wird er etwas dagegen unternehmen? Das Preisgericht ist sich noch uneinig.)

Olivers Kopf liegt schon wieder auf der Matratze und er tippt sich mit dem Finger auf die Lippen, die Augen geschlossen, als vertraue er ganz und gar auf Percys Anstand, nichts zu tun, womit er nicht auch rechnen würde.

„Lass den Mann arbeiten“, befiehlt Roger, während Percy sich aufrichtet und sich zu Oliver herüberbeugt. Kurz bevor er Oliver den Kuss geben kann, den dieser verlangt, sagt Oliver: „Percy hilft mir bei meinem Studium.“ Percy kann vor allem Olivers Atem auf seinen Lippen spüren, was ihm bewusst macht, wie nah er und Oliver sich eigentlich sind.

„Nein, Du lenkst ihn von seinem ab“, entgegnet Roger, dessen Kopf von Cedrics Bettkante herabhängt, nur einen Ohrstöpsel im Ohr. Die beiden sehen sich nicht an, während sie diskutieren, was Percy so etwas ähnliches wie Genugtuung bereitet.

„Das ist gelogen“, behauptet Oliver. „Ich brauche Motivation und Inspiration, um zu lernen.“

„Du liest einen Comic.“

„Es ist ein Comic über Naturgesetze und Physik.“

„X-Men hat nichts mit Physik zu tun.“

„Du möchtest nur, dass ich laut ausspreche, dass ich Percy gerne küsse.“

„Auch“, räumt Roger ein, „aber ich möchte auch, dass Du ihn lernen lässt, weil er sonst die ganze Nacht wachbleibt und nachholt, was er hier nicht geschafft hat.“ Das ist das erste Mal, dass Percy Roger seinen Blick komplett zuwendet. Das wird ihm hier ein bisschen zu patronisierend, wenn er ehrlich ist. Als schluckt er die ersten Worte, die ihm auf der Zunge liegen, herunter und mischt sich pikiert ins Gespräch ein: „Ich bin kein Kind, ich kann gut selbst für mich entscheiden, was ich tun und lassen will.“

„Ich würde nie Gegenteiliges behaupten“, antwortet Roger und er klingt nicht so, als hätten Percys Worte ihn in irgendeiner Weise angegriffen oder anderweitig getroffen. „Aber dass Oliver ohne die volle Informationslast Entscheidungen treffen soll? Nicht optimal.“

Percy kann die Logik nicht von der Hand weisen, aber fühlt sich noch immer ein bisschen bevormundet. Er kommt allerdings nicht dazu, sich weiter mit dem Gefühl auseinanderzusetzen, da die Tür zu Olivers und Cedrics Zimmer aufgeht und ein in winterlich dutzende Schichten Kleidung gepackter Cedric Diggory hereinspaziert, den Percy nur erkennt, weil er Photos von Oliver und Roger und ihm gesehen hat, die Roger ihm voller Stolz gezeigt hat. Im echten Leben ist er noch ein bisschen schöner, was nicht möglich sein sollte. Es ist unfair, ehrlich gesagt, dass Roger und Cedric beide hochglanzbroschürenschön sind, erstaunlich symmetrische Gesichtszüge und das Talent, selbst nach Strapazen weniger verschwitzt als von innen leuchtend zu wirken. Nur dass Cedric im Gegensatz zu Roger diesen Schwiegersohncharme hat, den Percy nicht erwartet hatte.

Cedric stellt seinen Koffer neben seinem Bett ab und sagt nichts, während er seinen Blick von Roger auf seinem Bett über Oliver auf dem Boden zu Percy auf Olivers Bett wandern lässt. Langsam knöpft er seinen Mantel auf, wickelt seinen Schal ab und hängt beides über seine Stuhllehne, dann beugt er sich nach unten und löst gemächlich die Schnürsenkel seiner Winterstiefel. (Percy fühlt sich, als müsse er die Luft anhalten, als stünden mehr Elephanten im Raum als Percy sehen kann.)

„Das ist Percy, mein Mitbewohner“, wirft Roger in das Schweigen hinein, dann streckt er sich aus, sodass er noch mehr von Cedrics Bett in Anspruch nimmt als sowieso schon. Skeptisch zieht Cedric seine Augenbraue nach oben und fragt: „Und warum seid ihr dann nicht in eurem Zimmer?“

„Ach, sei still, Du findest es bezaubernd, dass wir Dir einen gebührenden Empfang bereiten“, erwidert Roger spitzbübisch, die Wimpern flatternd als wolle er ein Staubkorn aus seinen Augen vertreiben. Cedric sieht nicht sonderlich überzeugt von dieser Aussage aus, aber er entgegnet nichts, sondern legt seinen Koffer ab, öffnet ihn und kramt seinen Kulturbeutel heraus, bevor er genauso wortlos das Zimmer verlässt.

Die Stille, die er hinter sich zurücklässt, macht Percy glauben, dass er sich wirklich im falschen Zimmer befindet, dass er aufstehen und gehen möchte, bevor Cedric wiederkehrt und er sich damit auseinandersetzen muss, dass Cedric, den Oliver und Roger so gerne mögen, ihn aus Prinzip schrecklich findet, weil er sich mit Roger und Oliver hier aufhält, obwohl es Cedrics Raum ist, der wohl sehr viel mehr Recht hat, sich hier aufzuhalten und seine Ruhe zu bekommen.

„Nimm‘ Dir das nicht zu Herzen“, sagt Roger, als hätte er anhand von Percys Schweigen genau erkannt, was in Percys Gehirn vor sich geht. Denn gesehen haben, kann er es nicht, das Gesicht noch immer gen Decke gerichtet. „Cedric ist immer ein bisschen wortkarg und unleidig, wenn er zu wenig Schlaf hatte, und in öffentlichen Verkehrsmitteln kann er nie schlafen, also sind die langen Fahrten nach Hause und wieder zurück immer ein bisschen auslaugend.“

„Ich kann gehen“, räumt Percy ein und er meint es tatsächlich weniger als Selbstkritik als als Versuch auf Cedrics Bedürfnisse einzugehen. Diesmal jedoch ist es Oliver, der abwinkt und sagt: „Ach was, Cedric stört sich nicht an Deiner Anwesenheit. Er stört sich an Rogers viel zu warmen Füßen und der Gewissheit, dass er heute Nacht um seine Decke kämpfen muss.“

„Verleumdung!“, ertönt es von Cedrics Bett. „Hätte ich so warme Füße, wie die Verteidigung es Sie glauben machen möchte, müsste ich die Decke nachts nicht für mich vereinnahmen. Paradoxes Oxymoron, eindeutig.“

„Du bist ein paradoxes Oxymoron“, erwidert Oliver.

Dass Percy nicht für eine Sekunde das Bedürfnis überkommt, herunterzubrechen, warum ein paradoxes Oxymoron vermutlich am ehesten der Tautologie oder im engeren Sinne dem Pleonasmus entspräche, führt Percy widerwillig darauf zurück, dass er schrecklich in den Bann gezogen ist von zwei absoluten Clowns. (Whipped würde Roger jetzt sagen und Percy würde leider Gottes verstehen, was er damit meint.)

Oliver lässt Roger aber nicht die Möglichkeit, zu antworten, sondern spricht einfach weiter: „Ob meine Argumente nun zutreffen oder nicht, das Ergebnis bleibt das gleiche: Kein Mensch will das Bett mit Dir teilen.“

„Percy würde das Bett mit mir teilen wollen“, entgegnet Roger und Percy wird so unsanft zurück in die Konversation geschleudert, dass er sich unsicher ist, ob er so schnell irgendwas dazu beitragen könnte, wenn er denn wollte. Aber es bleibt ihm auch nicht wirklich Zeit übrig, darüber nachzudenken, weil Oliver abwinkend schnaubt und indigniert antwortet: „Perce schläft wie ein Stein und damit meine ich bewegungslos und tief und fest. Dem würde nur auffallen, dass Du ihm die Decke stiehlst, wenn Du ihn so kräftig schüttelst dabei, dass er fast aus dem Bett fällt.“

Und während Oliver wohl auffällt, dass er Informationen preisgegeben hat, die er lieber für sich behalten hätte, und Roger sich auf eben jenen Krumen Gossip stürzt, versucht Percy zum einen unauffällig zu verarbeiten und zum anderen durch die Realisation hindurch zu atmen, dass Oliver ihn Perce genannt hat. Nicht Percy, nicht Percival, sondern Perce. (Percys schreckliches, schreckliches, verräterisches Herz klopft ihm bis zum Halse und er kann das Echo längst heruntergeschluckter Gefühle an seinem Zwerchfell klopfen spüren.)

„Woher weißt Du denn bitte, wie Percy schläft?“, fragt Roger amüsiert, aber seinem Tonfall ist genau anzuhören, dass er die Witterung aufgenommen hat und bedenklich nah an den Elephanten herankommt, der den Rüssel bereits nach Percys liebster Tasse ausgestreckt hat.

In einer Darstellung absoluter Entrüstung, von der Percy sofort sagen kann, wie falsch sie ist, plustert Oliver die Backen auf und lügt Roger dreist ins Gesicht: „Na, woher soll ich das schon wissen, Du Klatschbase wirst es mir erzählt haben.“

„Um das klarzustellen“, wendet Roger sich plötzlich doch wieder an Percy, der gar nicht so schnell reagieren kann, wie Roger sich tatsächlich endlich zu ihnen umdreht, sich in Cedrics Bett aufsetzt und die Beine unter dem Körper kreuzt, „ich würde niemals intime Details aus Deinem Leben weitertragen.“ Sein Blick schießt zurück zu Oliver. „Also, Olivera, Oliverum, was verschweigst Du mir.“

Es ist keine Frage, die Roger stellt, das macht seine vorwurfsvolle Intonation klar. An Olivers gezwungen gerader Haltung und der Faust, die er zusammengeballt in seinem Schoß liegen hat, die Roger aber nicht sehen kann vom anderen Ende des Raumes aus, erkennt Percy, dass Oliver nicht weiterweiß. Er will Roger nicht anlügen, natürlich, offensichtlich, wer würde das tun wollen. Aber es ist auch offensichtlich, dass Oliver nicht darüber sprechen möchte. Vielleicht nicht mit Roger, vielleicht aber auch gar nicht. (Weil er dann ansprechen müsste, dass Percy und er sich nicht weiterentwickelt haben. Dass Percy und er die schrecklich immer falschen Entscheidungen treffen, weil Percy immer und immer wieder denkt, dass er weiß, was er tut, nur um dann zu bemerken, dass er nichts Anderes als ein Gänsehautbüchlein ohne festen Einband ist. Weil Oliver, wenn er den Elephanten beim Namen nennt, auch zugeben müsste, dass er sich falsch verhalten hat; dass er Schuld an der ganzen Misere hier hat. Weil Roger, wenn Oliver mit der Sprache herausrückt, wissen würde, dass Percy Roger vielleicht nur geküsst hat, weil er die Hoffnung gehabt hat, dass er Oliver dann auch küssen darf. Vielleicht, eventuell, absolut nicht.)

„Wir haben wohl über Schlafgewohnheiten gesprochen“, rutscht es aus Percy heraus, bevor er sich überlegen kann, ob er dieses Wespennest wirklich mit seinem Stock stupsen möchte. Die Lüge sitzt ihm ungefähr so quer wie die beiden Augenpaare, die nun auf ihn gerichtet sind.

„Wann habt ihr denn über Schlafgewohnheiten gesprochen?“, fragt Roger, doch er scheint Percys Aussage überhaupt nicht zu bezweifeln, was macht, dass Percy sich noch ein bisschen schlechter dafür fühlt. Oliver springt ein für ihn: „Da warst Du nicht dabei.“

„Wann wart ihr denn allein?“, fragt Roger noch ein bisschen verwirrter.

„Gehst Du nie pinkeln, oder was?“, schießt Oliver zurück und Percy muss zugeben, dass Oliver schneller denkt als er. Oder geübter im Lügen ist. Oder vielleicht einfach endgültig im Panikmodus angekommen ist. Percy ist emotional schon lange raus aus diesem Gespräch.

„So und so“, sagt er also, „denke ich, dass ich langsam gehen sollte.“ Das scheint Roger vorerst davon abzubringen, weiter Fragen zu stellen oder in Olivers dürftiger Ausrede zu bohren. Die Finger in seinem Schoß nesteln am Saum seines weihnachtlich-winterlichen Pullover herum, der eigentlich Oliver gehört, aber der ‚so warm aussieht‘, dass Roger ihn ‚einfach tragen müsse‘.

„Ich wollte heute Nacht hierbleiben“, sagt Roger apologetisch, es ist nicht ganz klar, was mehr mitschwingt: defensiv oder entschuldigend. „Wäre das in Ordnung?“

„Ich sehe nicht, wie mich das tangiert“, erwidert Percy verwirrt.

„Der Campus ist dunkel, es könnte Dich ein Wolf anfallen“, sagt Oliver ernst. „Es ist gefährlich, allein zu gehen, nimm das hier!“ Oliver streckt seinen Arm über seinen Kopf hinweg zu Percy, die Handfläche so zu Percy gedreht, dass Percy sie locker mit seiner eigenen umfassen könnte. Auch wenn die Geste ihn mit Wärme und vielleicht ein wenig Scheu füllt, rollt Percy mit den Augen und entgegnet: „Mach Dich nicht lächerlich, Oliver, wie stellst Du Dir das vor. Der Höflichkeit geschuldet, müsste ich Dir dann anbieten, Dich zurückzubringen, weil es dunkel und gefährlich ist, dann müsstest Du mir anbieten, mich zurückzubringen, und so würde das immer und immer wieder weitergehen.“

Oliver überlegt einen Moment, aber anscheinend weniger, weil er nicht weiß, was er sagen soll, sondern mehr, weil er sich nicht sicher ist, ob er wirklich laut aussprechen will, was er denkt. Dann entscheidet er sich und schlägt mit leiser Stimme vor, die Hand noch immer in Percys Richtung ausgestreckt: „Ich könnte dableiben.“ Er zögert. „Über Nacht.“

Percy zieht Stirn und Nase kraus, dann wiederholt er ebenso leise: „Über Nacht.“ Als müsse er es laut aussprechen, um sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich gesagt wurde, und er es sich nicht nur ertagträumt hat. „Über Nacht, ja, klar, selbstverständlich.“ Er klingt wie Roger, also räuspert er sich peinlich berührt, und sagt dann mit fester(er) Stimme: „Wenn Du das möchtest.“

„Er möchte“, beantwortet Roger Percys Aussage, „ihr macht das phantastisch.“ Er sieht stolz aus; wie eine Glucke, deren Küken das erste Mal das Nest verlassen. Sein Lächeln reicht bis in seine Augen. Und vielleicht sollte es Oliver und Percy stören, dass Roger ihnen den Rest des Gespräches abnimmt, aber Percy hat eher das Gefühl, als wolle Roger sie beide so unauffällig und höflich wie möglich aus dem Zimmer komplimentieren. Wer wäre Percy, ihm zu widersprechen?

Percy und Oliver machen sich beide bereit, zu gehen, während Roger aus irgendeinem Regal auf Olivers Zimmerseite einen Zahnputzbecher herausholt und sie danach noch die paar Schritte begleitet, bis er sich vor dem Badezimmer von ihnen verabschiedet.

Schweigend bewegen sich Percy und Oliver also nebeneinander auf den Ausgang aus dem Gebäude zu, bevor sie in die kalte Januarluft treten und die Tür hinter ihnen ins Schloss fällt. Die Grasnarbe neben dem asphaltierten Weg ist mit einer feinen Frostschicht überzogen, Percys Handrücken berührt Olivers aus Versehen und Oliver schließt seine Hand so selbstverständlich um Percys, dass Percy einen Moment vergisst, zu atmen.

„Du hättest nicht lügen müssen“, sagt Oliver irgendwann, kurz bevor er Percys Hand samt seiner eigenen in seine Manteltasche steckt, weil der Wind an ihren Knöcheln zwickt und jegliche Wärme aus ihren Fingern zieht.

„Ich war nicht sicher, wie viel Du Roger erzählt hast“, erwidert Percy vorsichtig, Olivers trockene, warme Hand an seiner genießend. „Oder erzählen willst.“ Zögerlich fährt Percy mit seinem Daumen über Olivers Zeigefingerknöchel, ein sanfter, aber konstanter Druck, der Oliver zeigen soll, dass Percy hier ist und entspannt und ohne anhaltend negativen Gefühle.

„Ha“, stößt Oliver aus. „Ich war nicht sicher, wie viel Du Roger erzählen willst.“ Ein scheues Lachen sprudelt aus ihm heraus, aus dem Augenwinkel kann Percy sehen, dass Oliver ebenso unauffällig zu ihm sieht. Sie benehmen sich lächerlich. (Aber wie soll Percy seinem klopfendem Herzen Einhalt gebieten? Wie soll Percy die Gefühle, die sich in seiner Seele anstauen, Jahre um Jahre lang, in die kleine, bedeutungslose Form von Worten pressen, die gar nicht begreiflich machen können, was das wahre Ausmaß des Eisbergs ist? Wie soll Percy Oliver oder Roger in die Augen sehen und sagen Oliver hat mir das Herz gebrochen; in abertausende Oliverteilchen, die kein Blattgold der Welt wieder kitten kann; aber ich kann auch nicht aufhören, ihn zu küssen und seine Hand zu halten und all die Hoffnung in mir mit Liebeskrumen anzufüttern, bis er gar nicht anders kann, als wieder zu gehen?)

Plötzlich sagt Oliver: „Wir müssen das klären.“

„Jetzt?“ Percys Stimme entgleist ihm und Oliver versucht, die Wogen wieder zu glätten: „Na ja, nicht zwingend, aber vielleicht.“

Percy lässt sich Zeit, darüber nachzudenken. Er wägt die Unruhe und Nervosität in seiner Magengegend ab gegen die Hoffnung, Gewissheit zu erlangen, ab. Er ist sich nicht sicher, ob es das Wagnis wirklich wert ist. Die letzten Wochen sind gut gelaufen, sind sie nicht? Warum soll Percy das nun riskieren? Nur wegen des bisschen Angst, dass er sich immer und immer wieder durch sein Leben murmeltiertagt? Was, wenn sie jetzt miteinander sprechen und Oliver beschließt, dass es das alles nicht wert ist? Oder er bemerkt, dass Percy noch immer bis über beide Ohren verloren ist? Wie absolut blamierend, nicht wahr.

„Okay“, hört Percy sich selbst sagen und er weiß wirklich nicht, wer von ihnen beiden überraschter ist. Aber in letzter Zeit ist Percy sich bei so vielen Dingen nicht mehr sicher, dass er manchmal fürchtet, den Halt ganz zu verlieren. Eine Fallfigur, für die er nicht weiß, ob er überhaupt einen Partner hat. „Lass uns darüber sprechen.“

„Oh“, sagt Oliver. „Ich dachte nicht, dass Du einfach zusagst.“

Sie schweigen wieder, während sie an der Wiese vor dem Hauptgebäude ihrer Universität vorbeilaufen. Percy überlegt, vorzuschlagen, die Allee entlangzugehen, statt direkt zum Wohnheim abzubiegen, aber es ist so kalt, dass er seine freie Hand kaum noch spüren kann, also behält er den Gedanken für sich. Verspätet vergräbt er sie in seiner eigenen Manteltasche, die Finger fest an seinen Handballen gepresst; in der Hoffnung, wieder Leben in sie zu bekommen.

„Du hast Dich nie gemeldet“, sagt Oliver irgendwann leise. „Nach dem Abschluss. Wir haben quasi jede freie Minute miteinander verbracht, und Du hast mich einfach aus Deinem Leben ausgeschlossen.“

Erst beißt Percy sich auf die Innenseite seiner Lippe, um die Worte zu ordnen, die sich schon wieder auf seiner Zunge ansammeln. Dann sagt er: „Ich dachte nicht, dass Du das wirklich wollen würdest.“

Sie sehen sich nicht an, aber Percy muss Olivers Gesicht auch nicht sehen, um zu wissen, dass er die Augenbrauen zusammenzogen hat wie Sturmwolken. Der Ton, den Oliver als nächstes anschlägt, bestätigt Percys Vorstellung: „Wie kommst Du auf diese Idee?“

Das ist der Moment, denkt Percy, der Moment, den er sich irgendwie herbeigewünscht hat, der ihm aber auch Sorge bereitet hat: „Nun, ich wusste, dass meine Gefühle Dir, wenn nicht zuwider, dann doch zumindest unleidig waren. Also hab ich Dir die schlussendliche Entscheidung abgenommen. Warum mehr Wind darum machen als notwendig, oder nicht?“

Jetzt sieht Oliver ihn doch an. Er bleibt sogar stehen, seine Hand, die Percys noch immer fest umgriffen hält, zwingt Percy ebenfalls zum Stehenbleiben. Er fragt: „Deine Gefühle? Was für Gefühle? Ich meine,“ er gibt ein kleines, ungläubiges Lachen von sich, „was? Also,“ mehr Lachen, nicht weniger ungläubig, „ich meine: Was?“

„Meine“, Percy sucht nach dem passenden Wort, während er überallhin schaut, nur nicht in Olivers Gesicht, aber alle, die ihm in den Sinn kommen, klingen zu kindisch oder zu bedeutend oder zu lächerlich, keines fängt das ein, was er für Oliver empfunden hat und schon wieder (noch immer) empfindet, „romantischen Gefühle.“ Ein schwaches Ende für einen schwachen Versuch. „Für Dich.“

Oliver starrt direkt in Percys Gesicht, Percy kann es spüren. Durch den kalten Wind und die Hitze in seinen eigenen Wangen hindurch kann er Olivers Starren spüren. Zögerlich zwingt er seine Augen dazu, sich auf Olivers fassungsloses Gesicht zu richten.

Nachdem Oliver Percys Blick mit seinem eigenen aufgefangen hat, wiederholt er vorsichtig: „Deine romantischen Gefühle. Für mich.“ Percy zuckt die Achseln, er nickt, er stößt ein abschätziges Geräusch aus, er macht irgendwelche komischen Dinge. (Er weiß doch auch nicht, was er gerade macht!)

„Und ich wusste davon?“, fragt Oliver nicht weniger fassungslos. „Warum sagt mir kein Mensch, dass ich das weiß? Ich meine, also, Du hast nichts gesagt!“

Percy schüttelt leicht den Kopf, es ist eine abgebrochene, kleine Bewegung. Das Kräuseln seiner Nase drückt ihm den Rahmen seiner Brille gegen die Stirn, die Kälte des Celluloseacetatgestells fühlt sich gut an auf seiner erhitzten Haut. Er versucht ruhig und geordnet zu klingen, als er erwidert: „Wann hätte ich Dir das sagen sollen? Hätte ich Dir an Deinem Geburtstag bei Sieben Minuten im Himmel sagen sollen, dass ich schon immer ein bisschen für Dich schwärme, obwohl wir vorher nie wirklich ein Wort miteinander gewechselt hatten und ich nicht einmal wusste, ob Du schwul bist? Oder hätte ich Dir, als Du mich gefragt hast, ob Du mit Katie ausgehen sollst, oh, nein, warte, eigentlich bist Du doch schwul, sagen sollen, dass Du lieber mit mir ausgehen sollst? Oder hätte ich Dir, als Du mir die Vorzüge all der Menschen, die wir kennen, vorgeschwärmt hast, sagen sollen, dass ich auch existiere und eine viable Option wäre? Oder hätte ich Dir, als Du für Joey Jenkins ohne Beziehung sein wolltest, sagen sollen, dass ich weiß, dass die Katze aus dem Sack ist, aber ich gerne in klaren und eindeutigen Worten von Dir hören möchte, dass Du mich nicht auf diese Art und Weise magst?“

Er hat sich in Rage geredet, oder was auch immer das emotional erschöpfte Pendant dazu ist.

„Ich bin schon so lange verliebt in Dich, Oliver“, lässt er den Schwall seiner Worte zu Ende tröpfeln, „aber ich wollte ebenso wenig einen Korb bekommen, wie Du einen verteilen wolltest.“

In einem kurzen Moment dramatischer Inspiration versucht Percy, Olivers Hand loszulassen und sie zurückzunehmen, aber Oliver lässt nicht los, sondern behält Percys Handinnenfläche fest an seine eigene gepresst.

Oliver lacht atemlos und sagt: „Du bist unglaublich, weißt Du das? Einfach unfassbar.“ Er tritt einen kleinen Schritt auf Percy zu, sodass Percy seinen Arm unbequem angewinkelt halten muss, weil seine Hand noch immer in Olivers Manteltasche steckt. „Du hättest keinen Korb bekommen. Ich hab so hart versucht, Deine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.“

„Du hast mir vorgeschwärmt, wie schön die Sommersprossen auf den Schultern meines Bruders seien“, entgegnet Percy empört, weil all diese Gefühle nicht irgendwohin gegangen sind, wie er sich das vorgestellt hat, sondern noch tief drinnen geschlummert haben.

„Ich meine, ich hab versucht, Dich eifersüchtig zu machen“, versucht Oliver sich zu erklären. „Es war vielleicht nicht mein cleverster Schachzug, absolut unmöglich eigentlich, aber wir treffen alle manchmal Entscheidungen, die wir später bereuen.“ Er kommt noch ein Stück näher. Plötzlich hat Percy wieder eine Badezimmertür im Rücken und langsamen Walzer im Blut. „Du wolltest mich nicht noch einmal küssen.“

„Es wäre nicht sehr ehrlich gewesen“, erwidert Percy leise, weil Oliver ihm so nah ist, dass er gar nicht lauter sein muss, „Dich küssen, wenn Du die Wahrheit nicht kennst.“

Oliver dreht seinen Kopf nach oben, Percy müsste nur nach unten sehen, dann könnte er Oliver küssen. Einfach so. (Nicht einfach so, mit klopfendem Herzen und überschäumenden Gefühlen und viel zu viel angestauter Bedeutung.)

„Ich kenne die Wahrheit jetzt“, sagt Oliver, als klar wird, dass Percy nichts mehr hinzuzufügen hat. Percy bestätigt: „Die kennst Du jetzt wohl.“

„Das heißt, ich darf Dich küssen“, stellt Oliver fest oder vielleicht fragt er auch, denn er tut es nicht, sondern starrt weiter nach oben in Percys Gesicht, das sich seinem nicht weit genug zuwendet, um geküsst gekonnt zu werden. „Das heißt es doch, oder?“

Percy seufzt und obwohl ein Teil von ihm möchte, dass er einen großen Schritt nach hinten tut, um Olivers Nähe zu entgehen, ist da ein viel größerer Teil, der nicht weitersprechen, sondern Oliver endlich küssen möchte. Keine Entschuldigungen, keine Erklärungen mehr. Stattdessen hört er, wie sein Mund sagt: „Ich möchte Dich nicht übungsküssen.“ Und er kann selbst nicht so ganz glauben, dass das seine Stimme ist, die so zerbrechlich klingt.

Wieder ein kleines, atemloses Lachen, bevor Oliver genauso leise sagt: „Kein Übungsküssen, kein fake Dating, das einzig Wahre. Ich verspreche.“ Eine kleine Pause, in der Percy nichts Anderes kann, als die Erkenntnis zu veratmen, dass das hier gerade wirklich passiert. „Es gibt schon einen Grund, dass Robert Dich mit mir in den Himmel geschickt hat.“ Er stellt sich auf seine Ballen, seine Lippen schweben direkt vor Percys. „Anscheinend konnte ich nicht aufhören, darüber zu sprechen, wie gern ich mit dir befreundet wäre. Nur dass ich ihm schlecht sagen konnte, dass nichts Platonisches an diesem Wunsch war.“

Und dann ist plötzlich Olivers Hand nicht mehr um seine gewunden, auf einmal sind beide ihre Hände nicht mehr in der Tasche, sondern Olivers Hände liegen beide unterhalb von Percys Wangenknochen an der Seite seines Halses. Die eine eisigkalt, die andere manteltaschenwarm.

„Also“, sagt Oliver, der nicht müde zu werden scheint, auf seinen Ballen zu stehen, „darf ich Dich küssen?“ Percys Hände umfassen Olivers Handgelenke und er sagt: „Ja.“

warning: anxiety, genre: friendship, hashtag: alternate universe, hashtag: geburtstag, hashtag: pansexuality, au: college/university, rating: p-12 slash, character: oliver wood, hashtag: perogiveric, hashtag: homoromantism, fandom: harry potter, character: roger davies, fanfiction: fun with flags (abolish the , hashtag: polygamy, genre: romance, character: percy weasley

Previous post Next post
Up