Ficathon:
dark ficathon Fandom: Anarchist, original
Characters: Bartolomej & Adrijano
Genre: drama, angst, thriller
Rating: P-16
Warning: attempted murder, blood, angst, violence
Prompt: Wie kann sich Hass mit Liebe vermischen? | Das ergibt kein Sinn, verdammt | In nem Augenblick denk ich | Für dich fress ich ne Kugel | Andererseits hoffe ich, dass sie dich trifft | Und du dreckig verblutest von
tears_into_wine Der schwarze Wagen kommt vor einem Hotel zum Stillstand. Die Fensterscheiben der Rückbank sind genauso dunkel wie das restliche Fahrzeug und doch weiß Bartolomej, dass sie ihr Ziel erreicht haben. Er hebt leicht den Blick, schielt durch die Panzerglasscheibe, die ihm vom vorderen Teil des Wagens trennt, dann flüchtig zu der Person neben sich, die ihm während der gesamten Fahrt eine Pistole an den Kopf gehalten hat.
»Wir sind da. Zimmer 24. Setze die anderen außer Gefecht und töte Adrijano Tomić. Hast du die Anweisung verstanden?«
Durch den Lautsprecher klingt Juuris Stimme verzerrt, was nicht die Kälte mildert, die in ihr mitschwingt. Bartolomej nickt kaum merklich, legt die Finger unter den Griff und öffnet die Tür.
»In einer Stunde holen wir dich wieder ab.«
Das ist das Letzte, was er hört, bevor er die Tür zuwirft und dem Mercedes hinterhersieht, als er wieder anfährt. In seinem Inneren zieht sich etwas zusammen. Dieses Etwas, für das er keinen Namen hat, weil es ein Gefühl ist, das er so schon sehr lange nicht mehr gehabt hat. Überhaupt ein … Gefühl. Er würgt es ab und dreht den Kopf in Richtung des Gebäudes. Der langweilige Schriftzug über dem Eingang ist in der Finsternis kaum zu erkennen. Ihn interessiert auch nicht, wie das Hotel heißt. Er richtet seine Kutte, ehe er sich der Flügeltür nähert und sie aufdrückt. Um diese Zeit ist der Schalter für die Anmeldung nicht mehr besetzt. Eine sehr vertrauensvolle Unterkunft. Wenigstens einen Sicherheitsdienst müsste es doch geben, aber vermutlich ist der gerade im Haus unterwegs. In der Ferne kann er die Schritte hören. Sie sind zu weit weg, um sich im ersten Stock zu bewegen. Bartolomej steuert die Treppe an, die zu der besagten Etage führt. Er muss schnell sein, wenn er das Zimmer betritt. Eine Flucht durch das Fenster liegt im Bereich des Möglichen und sollte einer fliehen können, dann wäre sein Auftrag gescheitert. Das ist keine Option. Er wird sich voll und ganz darauf konzentrieren müssen, seinen ehemaligen Schulkameraden zu töten. Die Anderen sind nur nebensächlich und doch ein Risikofaktor. Um die wird er sich demnach zuerst kümmern müssen. Schnell und lautlos. Er ist geübt darin.
Die Zimmernummern führen ihn nach rechts in den Gang hinein. 20. 21. 22. 23. Er denkt an die große Uhr zurück und an seinen Käfig. Wenn er das hier nicht zu Ende bringt, wird Juuri ihn nie wieder aus seinem gläsernen Gefängnis lassen. Oder viel schlimmer noch - er wird ihn der russischen Justiz übergeben und die wird ihn nach Sibirien schicken. Der Gedanke verblasst, als die 24 in seinem Sichtfeld auftaucht und er vor der Tür stehen bleibt. Hinter ihr sind Gespräche zu hören. Adrijano und seine Freunde sind also noch wach. Als Juuri ihn aus seiner Zelle geholt hat, hat die große Uhr kurz nach 23 Uhr angezeigt. Vermutlich geht es mittlerweile auf Mitternacht zu. Da er selbst keine Armbanduhr trägt und auch kein Telefon bei sich hat, kann er nicht nachsehen. Es spielt auch keine Rolle. Sekunden verstreichen, in denen er das Holz vor sich einfach nur anstarrt. Fünf Menschen. Einer von ihnen Adrijano. Er erinnert sich an das älter gewordene Gesicht, das er im Club trotzdem sofort wieder erkannt hat. Doch noch viel eher war er sich der vertrauten Stimme gewahr geworden und die hatte ihn vollkommen aus dem Konzept gebracht. Das darf nicht noch einmal passieren. Drei Tage sind seit dem vergangen. Drei Tage, die er in seinem Käfig zugebracht hat, weil Juuri wütend auf ihn gewesen ist. Sehr sogar. Das hat die Mordgedanken verdrängt, denn drei Tage ohne etwas zu essen lassen selbst jemanden wie ihn ins Grübeln kommen. Verflucht - warum denkt er überhaupt daran zurück?
Sein Fokus kehrt zurück. Er hebt die Hand und klopft hörbar an die Tür. Die Gespräche verstummen. Seine Dolche gleiten durch die Ärmel der Kutte in seine Handflächen. Das Metall ist warm und vertraut. Er hört etwas von Pizza und viel besser hätte ihm der Zufall gar nicht in die Hände spielen können. Arglos wird ihm die Tür geöffnet und er knallt dem Typen vor sich direkt den Griff des Dolches gegen die Nase. Als er an dem kleineren Mann vorbei geht, schlägt er mit dem Handgelenk aus, trifft den empfindlichen Nacken und der Kerl sinkt bewusstlos zu Boden, ohne überhaupt bemerkt zu haben, wie ihm eigentlich geschieht. Die Anderen, die sich auf zwei Sofas verteilt haben, springen auf, schreien und kramen nach ihren Handys. Bartolomej gibt sich eine Sekunde, um die Tür hinter sich mit einem Tritt zu schließen, ehe er wie ein Schatten nach vorn springt. Drei Körper, die ohne viel Widerstand zu Boden gehen. Blut verteilt sich auf dem Teppich, aber sie sind nicht lebensgefährlich verletzt. Sie werden nur eine Weile schlafen.
Lange genug, um sich dem letzten Mann zu widmen, der sein Smartphone ebenfalls in der Hand hat, aber zu sehr zittert, um die Nummer der hiesigen Polizei einzutippen. Bartolomej braucht nur drei Schritte, um Adrijano zu erreichen und ihm das Handy aus der Hand zu schlagen. Seine schweren Stiefel bringen das Display sofort zum Bersten, als er die Ferse auf das Gerät hinuntersausen lässt. Er müsste nur ausholen und dem Kroaten mit dem Dolch die Kehle aufschlitzen, doch … stattdessen weicht er wieder zwei Schritte zurück und bringt Abstand zwischen sie, ganz so als wäre der Dunkelhaarige von einer undurchdringbaren Barriere umgeben. Doch diese Blockade ist nur in seinem Kopf - darüber ist sich Bartolomej sogar im Klaren. Es hilft ihm nur nicht weiter. Wie ein gehetztes Tier blickt er auf die Leblosen hinunter, ehe er Adrijano anstarrt, als sei er eine böse Erscheinung aus einem seiner zahlreichen Albträume. Panik erfüllt den jungen Mann. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn und Bartos kann das Pulsieren in den Hauptschlagadern beobachten. Ein beruhigender Anblick. Er ist fast fasziniert davon. Genug, um nicht zu bemerken, wie sich der Ausdruck in Adrijanos Gesicht verändert.
Erst die zitternde Stimme reißt den Riesen aus seiner Trance. »Ich … ich kenne dich. Du bist der Mann aus dem Club. Der, dem … dem das Glas … kaputt gegangen ist. Wer … wer bist du? Was willst du von mir? Woher kennst du mich?«
Der Andere hat offensichtlich schnell begriffen, dass es bei dieser Sache um ihn geht. Bartos' Stimmbänder vibrieren. Es ist Tage her, dass er überhaupt ein Wort gesagt hat. Alles in ihm sträubt sich dagegen, es jetzt zu tun, aber während Juuri seine Körpersprache perfekt zu verstehen gelernt hat, wird er damit bei Adrijano nicht weit kommen. »Ich bin der, der dich töten muss. Du hättest niemals herkommen dürfen.«
Adrijanos Gesicht verliert alle Farbe und er presst sich noch fester in die Ecke, in die er geflüchtet ist. Wie ein verängstigtes Tier. Es fehlt nicht mehr viel und er wird sich nass machen. Ein Gedanke, der nichts in Bartos auslöst und ihn trotzdem noch mehr zögern lässt.
Ich kann das nicht, stellt er viel zu nüchtern für sich selbst fest und seine Finger beginnen zu zittern. Als er es bemerkt, fasst er die Griffe der Dolche fester und schluckt die Erkenntnis seiner eigenen Schwäche hinunter. Solch einen Moment kann er sich jetzt nicht leisten und doch fluten Erinnerungen seine Gedanken. Adrijano über ihm, als er schwer verletzt in dem dreckigen Toilettenraum lag. Adrijano, der neben seinem Krankenbett saß, als niemand sonst da war. Ich kann es nicht.
»Aber … warum? Ich … ich habe doch gar nichts getan! Ich … das hier ist mein Junggesellenabschied. Ich …« Das Schlucken ist so hart, dass Bartos es deutlich hören kann und doch lässt das Zittern des Mannes, der nur ein Jahr älter ist als er, nur einen Augenblick später etwas nach. Für ein paar Sekunden presst Adrijano die Lippen fest aufeinander, dann öffnen sie sich wieder. »Sag mir, wer du bist! Ich will es wissen, bevor du mich grundlos töten willst!«
Das Zittern in Bartos' Fingern verstärkt sich. »Ich … will dich nicht töten. Ich muss.«
Das Chaos in seinem Kopf ergibt keinen Sinn und wo kommt es überhaupt her? Sonst ist es nur da, wenn er schlafen will. All diese vergessenen Gedanken sind so tief vergraben, dass nur sein Unterbewusstsein Zugriff auf sie hat. Im Moment ertränken sie ihn und er kann rein gar nichts dagegen tun. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass er nach den Kapuzen seiner Kutte und des Pullovers, den er unter ihr trägt, greift und sie nach hinten zerrt, um sein Gesicht zu offenbaren. Die braunen, kurz geschorenen Haare, die hellen Augen, die verunstaltete Fratze darunter. Er kann an der sich verändernden Mimik sehen, dass Adrijano ihn sofort wiedererkennt. Selbst nach so vielen Jahren …
»Bartolomej …«
Der Klang seines Namens hat sich nicht verändert. Es ist wie damals. Bartolomej … ich muss wissen, wer das gewesen ist. Bartos' Kopf zuckt. Die Erinnerung verschwindet nicht.
»Nach all den Jahren … warum willst du mich plötzlich umbringen?«, fährt Adrijano fort und seine Stimme vibriert, weil Angst und Verwirrung sie kontrollieren. »Was machst du überhaupt hier? Ich … ich dachte … ich … du bist damals auf einmal weg gewesen. Niemand wusste, wohin du gegangen bist. Ich dachte, sie … sie hätten es zu Ende gebracht. Ich hätte konsequenter suchen müssen. Ich … ich wollte von dir die Namen, aber du warst nicht mehr da …«
Zu viele Informationen. Bartolomej kann sie nicht selektieren, nicht ordnen. Sie überfordern ihn.
»Bartolomej … sag mir, warum?«
»Weil du der einzige Mensch bist, der mir nicht egal ist und das macht dich gefährlich.«
Kyrill kommt ihm in den Sinn und mit ihm der Umstand, dass er nie mit jemandem so viel gesprochen hat wie mit dem Russen. Und jetzt mit Adrijano. Durch das Chaos schleicht sich der Hass auf die eigene verwaschene Sprache, die alles andere als bedrohlich klingt. Adrijano würde nicht so viel reden, wenn er mehr Angst hätte. Allerdings ist der Kerl immer schon mutig gewesen. Entschlossen. Deswegen wollte er sich damals um die Angreifer kümmern.
Und das Arschloch hört einfach nicht auf mit reden. »Ich … weiß doch von nichts. Ein paar Tage noch und ich bin weg von hier, dann wirst du mich nie wiedersehen. Bartolomej … bitte. Ich heirate bald …«
Der Assassine denkt an das Mädchen von damals zurück und spinnt das Ganze weiter, ohne zu merken, dass er es laut tut. »Nichts habe ich mir damals mehr gewünscht, als mit ihr den Platz zu tauschen und du … du hast nie etwas bemerkt. Und dann warst du in den Toiletten und im Krankenhaus - sonst niemand. Du warst der Einzige, der …«
Bartolomej unterbricht sich selbst, wendet sich ab und geht ein paar Schritte, während er sich mit dem Handballen gegen die Stirn schlägt. Immer wieder. Keine Ordnung. Da kommt einfach keine Ruhe in das Chaos. Erst als Adrijano gegen eines der Sofas stößt, fährt Bartolomej herum, doch anstatt die Chance zu nutzen und wegzulaufen, ist der Dunkelhaarige näher gekommen. Auf dem Gesicht spiegelt sich nun mehr Verwirrung als Angst wieder und … mehr Beweis dafür, dass Bartos die Kontrolle verloren hat, braucht es nicht. Er hat versagt. Er weiß es in den Moment, als sein Bekannter auf einen Meter herangekommen ist und ihn teils bestürzt, teils besorgt ansieht.
»Du … du hättest es mir damals doch sagen können.«
Der Abstand wird immer kleiner. Bartolomejs Füße fühlen sich an, als wären sie eins mit dem Boden. Er kann sie nicht heben, um zurückzuweichen. Wieder folgt eine Reaktion erst nach einem direkten Kontakt. Als Adrijanos Fingerspitzen seinen Unterarm berühren, fallen die Dolche zu Boden und Bartos' Hände stoßen nach vorn. Der Schwung reicht aus, um den Anderen hart auf den Boden zu befördern. Wie viel Zeit hat er noch? Der Gedanke kommt ihm so plötzlich, dass er sich fahrig nach einer Uhr umsieht und keine findet. Ich kann das nicht! Das weiß er nun. Aber Juuri wird es können.
»Verschwinde …«, haucht der Riese deshalb und schüttelt den Kopf. Nicht, weil er die Aussage sofort wieder zurücknehmen will, sondern weil er sich selbst so sehr enttäuscht und weil er ganz genau weiß, was das bedeutet, aber in diesem Augenblick … ist es fast okay, denn Adrijano wird weiterleben. Er wird von hier verschwinden, seine Frau heiraten, Kinder bekommen und … irgendwann als alter Mann sterben. Es ist wie ein Film, der vor seinem inneren Auge abläuft und irgendwie … Frieden schafft. Das Chaos zieht sich zurück. Es ist zufrieden mit seiner Entscheidung. »Flieh durch das Fenster. Er … er wird es nicht sofort merken. Lauf so schnell du kannst und dann verlasse Russland! Komm nie wieder zurück …«
»Aber was ist mit dir?«, flüstert sein Gegenüber, dann lauter: »Wer ist er? Ich verstehe das alles nicht. Was ist aus dir geworden? Wie … wie bist du …«
»Du musst es auch nicht verstehen«, unterbricht Bartolomej den sich anbahnenden Redefluss.
»Aber …«
»Später … ich erkläre es dir irgendwie später …«
»Findest du mich?«
»Ja.«
Sie beide verstehen diesen Dialog nicht. Verstehen nicht, wie sich diese ganze Situation auf diese Art und Weise entwickeln konnte. Aber die Worte sorgen dafür, dass Adrijano das Fenster aufreißt und die drei Meter nach unten springt, ohne sich zu fragen, was mit seinen Freunden passieren wird. Sein Fluchen beim Aufprall ist laut, doch sich entfernende Schritte zeigen, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hat. Bartolomej spürt, dass ihm ein Stein von Herzen fällt. Er besitzt also doch eins. Eine merkwürdige Erkenntnis. Nur eine Sekunde später, wird sie von einer weiteren, sehr viel fataleren abgelöst. Das Quietschen von Autoreifen und das Aufheulen eines Motors.
Er hat einen riesigen Fehler gemacht.
Juuri ist niemals weggefahren.