Way Down

Mar 13, 2017 11:35

Chapter: 5 / ??

Chaptertitle: Joel | Sometimes the truth is hard to accept

Format: Novel, Original

Rating: P-18

Genre: Dystopia, postapocalyptic, Horror

Es gab nicht viele Dinge, vor denen sich Joel Malone fürchtete, doch in dem Moment, als Sofia und ihr Mann Charles an ihn herantraten - mit viel zu ernsten Gesichtern, um gute Nachrichten zu verheißen - und ihn wissen ließen, dass sie mit ihm sprechen mussten, da kroch dem jungen Mann die Angst von den Schuhsohlen in den Brustkorb hinauf und ließ ihn sich enger zusammenziehen. Sie legten ihm die Wurzel allen Übels und vor allem seiner Alpträume sanft vor die Füße, als sie ihn mit dem Umstand konfrontierten, dass sie kaum noch genug Vorräte hatten, um anständig kochen zu können. Und mit zwei neuen Mitgliedern wird es auch nicht einfacher, hallten Sofias Worte in seinen Ohren wieder. Joel mochte die resolute, alte Dame, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, wenn es ernst wurde, doch mit Kritik konnte er nur schwer umgehen und sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihre Worte als solche verstanden werden konnten ... und sollten. Selbst der kleine Adam, der einem Wunder gleich von der Krankheit verschont worden war, konnte die Damen ihres Lagers nicht mehr länger von der Wahrheit ablenken. Wenn er nicht endlich handelte, dann würden sie hier verhungern und verdursten.
Neal, der noch immer unter ihnen weilte und mehr als ein stiller Beobachter agierte, während er Brook, Adam, Malia und Dave immer mal wieder etwas auf der Gitarre vorspielte, war letztendlich derjenige, der das tat, was sich neben dem älteren Ehepaar sonst keiner traute. Direkt nach dem sehr spärlich ausgefallenen Mittagessen fünf Tage nach Neals und Adams Ankunft, fing der Musiker den ehemaligen Highschoollehrer vor seiner Hütte ab, in die sich Joel - wie alle anderen auch - während der heißesten Stunden des Tages, zurückziehen wollte.
»Ich denke, wir müssen uns unterhalten«, erklärte Neal recht neutral und ohne Lächeln auf den Lippen. Joel wusste, dass keine Ausrede der Welt den Langhaarigen davon abbringen konnte, jetzt mit ihm zu reden, wo er doch endlich nach fast einer Woche dazu kam, das Gespräch zu suchen. Der 33-Jährige hatte sich mit den anderen Mitgliedern hier und da über den Fremden unterhalten. Keiner von ihnen hatte sich ihm gegenüber negativ zu Neal geäußert. Malia schwärmte für den Nordstaatler und auch Tali sah er recht oft an dessen Seite, weil er ganz närrisch auf die Geschichte ihres ehemaligen Indianerstammes war und sie ihm gern davon erzählte. Selbst seine Eltern, die so einen furchtbaren ersten Eindruck hinterlassen hatten, kamen mittlerweile gut mit dem jungen Mann zurecht, der vielleicht für manche Dinge und Zusammenhänge ein zu gutes Auge hatte, wie Joel schnell feststellte, als er Neal in seine Hütte einlud. Auch hier drinnen herrschte eine mörderische Hitze, aber sie waren geschützt vor der Sonne und man schwitzte nur, anstatt sich zu fühlen, als würde man bei lebendigem Leibe verbrennen.
»Über was willst du reden? Die Anderen und ich haben dich bereits wissen lassen, dass du solange bleiben kannst, wie du willst. Du passt wirklich gut zu uns.«
Neal schenkte ihm ein Lächeln und streifte sich währenddessen den Ledermantel und das Halstuch vom Körper. Hier drinnen war so viel Schutz vor Sonne und Sand unnötig und glich einem Selbstmord, wenn man sich nicht von ihm befreite. Joel handhabte das nicht anders. Dennoch hatte die Art und Weise wie Neal es tat, etwas Hypnotisches an sich. Es kam Joel zugute, dass er sich selbst dabei ertappte, ehe Neal von seinem etwas festgefahrenen Blick etwas bemerken konnte und kurz - nur kurz - zweifelte er daran, ob es wirklich solch eine kluge Idee war, seinem Gegenüber einen Platz auf Lebenszeit innerhalb ihrer Reihen anzubieten. Doch dieser Moment zog vorbei und als sich Neal mit verschränkten Armen an den provisorischen Schreibtisch lehnte, auf dem sich zahlreiche Karten, ältere Dokumente und Inventarlisten stapelten, nahm Joel Haltung an, auch wenn er sich dafür auf sein Feldbett sinken ließ und die Hände vor seinen Knien faltete. So signalisierte er seinem Gegenüber, dass er bereit war zuzuhören.
»Das Angebot weiß ich sehr zu schätzen und vermutlich wäre ich wirklich wahnsinnig, würde ich es nicht annehmen, aber - nein. Das ist nicht der Grund, warum ich mit dir reden will.«
Joel wusste bereits, worauf das hier hinauslaufen konnte und in seinem Magen bildete sich ein Knoten. »Worüber dann?«
»Warum zögerst du mit der Beschaffung neuer Vorräte? Die Anderen sind nicht dumm, weißt du? Sie sehen, dass du aussiehst, als würdest du nachts nicht mehr schlafen und natürlich merken sie auch, dass ihre Teller nicht mehr so voll sind wie vorher. Douglas sprach davon, dass ihm die Antibiotika, mit denen er Adam und sich vorsorglich noch versorgt, zur Neige gehen. Ich will dir nicht zu nahe treten, denn ... ich bin der Neue hier und beobachte nur, aber ... ich frage mich auch, warum ... nun ja ...«
Der Knoten in Joels Magen wurde zu einem Geschwür, das wütend brodelte. Es war besser für den Anderen, dass er den Satz nicht beendete. Der Blonde schnaubte leise und erhob sich mit Schwung von dem Feldbett, um dann unruhig in der Hütte auf und ab zu gehen. Neal wich instinktiv etwas zurück und ließ den ruhelosen Geist nicht aus den Augen, denn ja - Joel sah aus wie ein lebendiges Gespenst. Er war blass, hatte tiefe Augenringe und gerötete Augen. Das Entsetzen, das ihn erfasst hatte, nachdem er am Morgen seit längerem mal wieder in einen Spiegel geblickt hatte, saß ihm noch immer im Nacken. Diese ganze Angelegenheit machte ihm seit Tagen schwer zu schaffen, denn die Lösung war bei weitem nicht so einfach, wie sie es sich alle vorstellten und gerade Tali, Dave und Malia sollten es besser wissen. Joel schloss kurz die Augen und ermahnte sich selbst, weil er ihnen gerade - wenn auch nur in Gedanken - sehr unrecht getan hatte. Sie wussten es besser, was vermutlich der Grund dafür war, dass von den Dreien noch keiner an ihn herangetreten war, obwohl sie sich nahestanden. Er blieb stehen und fuhr sich mit beiden Händen über das leicht eingefallene Gesicht, ehe er sich zu Neal umdrehte und die Lippen aufeinanderpresste. Dem neuen Mitglied war anzusehen, dass er gespannt auf die Antwort war. Joel ... rang nur noch nach den richtigen Worten. Er wollte Neal keinesfalls verschrecken.
»Wo soll ich anfangen?«, fragte er schließlich etwas hilflos und deutete in Richtung des Schreibtisches. »Es ist wahr. Wir haben alle Vorräte aus den umliegenden, größeren Ortschaften geholt. Wir sind vierzehn Leute. So viel wir auch beschaffen können - es reicht immer nur für wenige Wochen und so vergrößern wir unseren Radius immer weiter. Aber ... es gibt nichts mehr. Wir sind bei weitem nicht die Einzigen, die nach Lebensmitteln und Medizin suchen. Wanderer, die nirgendwo lange bleiben, grasen ja auch alles ab.«
»Es ist mir klar. Ich habe monatelang selbst so gelebt. Man ist da draußen nie allein.«
»Austin.«
Joel sagte nur dieses eine Wort und er erkannte, dass Neal verstand, was er damit sagen wollte, denn die fein geschwungenen Augenbrauen hoben sich kurz überrascht, dann aber entspannte sich der Kerl wieder, als wäre er zufrieden damit, dass Joel von selbst auf den Gedanken gekommen war, eine Großstadt aufzusuchen. Die Hauptstadt von Texas wohl bemerkt. Das Geschwür breitete sich aus ...
»Das wäre mein Vorschlag gewesen.« Die schmalen Schultern hoben sich und Neal lächelte zuversichtlich. »Also ... warum zögerst du?«
»Bist du seit Ausbruch der Seuche schon einmal in einer Großstadt gewesen? So in den letzten ein, zwei Monaten?«
Das Lächeln auf dem ebenmäßigen Gesicht flaute ab. »Nein.«
Natürlich nicht. Joel schluckte seine Wut hinunter. Allein begab man sich vermutlich noch sehr viel seltener in eine solche, viel zu offensichtliche Gefahr. Woher also sollte Neal es wissen? Joel seufzte verhalten und trat an den Schreibtisch heran, wühlte ein bisschen auf ihm herum, ehe er eine Karte von Texas hervorzog und sie ausbreitete. Sie war voll mit Kreuzen, Notizen, eingekreisten Arealen und dergleichen. Auf den ersten Blick konnte man als Außenstehender kaum etwas auf ihr erkennen, deswegen folgten die passenden Erklärungen kaum, dass die Karte vor ihnen lag. Joel wanderte mit dem Zeigefinger über die vielen Kreuze. Sie alle befanden sich in einem Umkreis von fünfzig bis sechzig Meilen um ihren derzeitigen Standort herum.
»Jedes Kreuz steht für eine Stadt, in der wir die letzten Vorräte gefunden haben. Wir haben sie mehrere Male abgesucht, aber erfolglos. Selbst in Privatwohnungen und Büros haben wir nichts mehr entdeckt.«
Neal nickte verstehend und tippte dann auf die beiden Punkte, die rot eingekreist waren. »New Braunfels und Victoria ... dort habt ihr die Außenposten der Richter entdeckt, nicht wahr?«
Austin war die nächste Großstadt, die in einem grünen Kreis ruhte, ebenso wie die weiter nördlich gelegenen Metropolen Fort Worth, Arlington, Irving und Dallas.
»Die, die wir entdeckt haben, ja«, stimmte Joel zu, ehe er auf Austin tippte. »Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie auch dort einen Außenposten errichtet haben. Austin ist die viertgrößte Stadt Texas‘. Die Hauptstadt. Vielleicht eine Festung. Aber das ist nicht einmal die größte Gefahr. Es sind die Horden.«
Wieder presste der Anführer des Enchanted Rock Areals die Lippen aufeinander. Es fiel ihm viel zu schwer, über ihre Verluste zu sprechen, aber sie waren eng mit der Aussicht auf einen Großstadtbesuch verwoben. »Wir sind in San Antonio gewesen. Das ist etwa drei Monate her. Dort haben wir die letzten Vorräte gefunden, von denen wir jetzt noch leben. Aber ... der Preis für sie war hoch. Wir ... wir sind überrascht worden.«
»Von einer Horde?«
»Kannst du dir das so schwer vorstellen?« Joel beobachtete Neal ganz genau. Hinter der hohen Stirn arbeitete es ganz offensichtlich, aber eine Antwort ließ auf sich warten. Vermutlich sagte das schon sehr viel darüber aus, welche Welt Neal auf seiner Reise kennengelernt hatte und wie sehr sie sich von jener unterschied, die er und die Anderen hier kannten. Vermutlich spielte das keine allzu große Rolle. »Du hast dich im Schatten bewegt, hast dich von großen Städten ferngehalten. Für einen allein ... und noch ein, zwei weitere ist das kein Problem. Für mehr Menschen reicht es nicht aus, so zu leben. Wir haben fünf Leute in San Antonio verloren. Diese Kranken sind nicht dumm, weißt du? Sie haben nichts mit den Zombies gemeinsam, die man aus alten Filmen oder Büchern kennt. Sie sind völlig unberechenbar.«
Neal sah ertappt drein, strich sich fahrig über die Oberarme, als verursache ihm die Vorstellung eine Gänsehaut. Joel hätte dafür gern ein Lachen übrig, aber er konnte sich beim besten Willen keins abringen.
»Wir haben eine richtige Goldgrube entdeckt. Die Lagerhalle eines Einkaufszentrums, randvoll mit Konserven, Säcken mit Getreide, Hirse und getrockneten Bohnen. Kästen voller Wasser. Viele praktische Dinge wie Seile, Messer ...«
»Was ... ist passiert?«
»Sie haben uns in der Halle eingesperrt und sind über das Dach reingekommen. Sie empfanden uns als Bedrohung. Ich habe solche Aggressivität noch nie erlebt. Sie hatten Messer, Beile und Baseballschläger. Manche von ihnen waren schon in einem so fortgeschrittenen Stadium, dass sie um sich gekratzt und gebissen haben. Drei unserer Leute sind dort erschlagen worden. Die anderen beiden wurden gebissen. Wir haben sie hierher gebracht, in Quarantäne gesteckt und ... gewartet. Ich ... ich musste sie ...«
Joels Stimme brach ab. Er begann zu zittern und rang um Selbstbeherrschung, aber es war lange her, dass er darüber gesprochen hatte und sein Körper war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen. Dieses Mal war es Neal, der ihn berührte. Sanft strichen die feingliedrigen Finger, die so wunderbar mit den empfindlichen Saiten einer Gitarre umgehen konnte, über seine Schulter und seinen Arm.
»Joel ... das wusste ich nicht. Es tut mir leid.«
Der Größere konnte nur unbeholfen nicken. Dieser Kontakt irritierte ihn, lenkte ihn aber auch von einem größeren Nervenzusammenbruch ab, was gut war, denn nach ihrer etablierten Mittagspause würde er mit dem Rest der Truppe sprechen und die Fronten klären müssen. Er wusste nur noch nicht, ob sie wirklich nach Austin fahren sollten oder nicht. Diese Entscheidung konnte ihm keiner abnehmen. Joel schluckte, schloss für ein paar Sekunden seine Augen und zählte innerlich bis zehn, ehe er sie wieder öffnete und tief ein- und ausatmete. Danach fühlte er sich wieder etwas gefasster.
»Austin ist unsere einzige Chance, um noch Vorräte zu finden, aber es sprechen so viele Dinge dagegen«, fuhr Joel fort und ließ sich wieder auf seinem Feldbett nieder. »Ich ... weiß nicht, was ich tun soll. Ich will die Anderen nicht in Gefahr bringen und ich will den Rest der Truppe, der hierbleibt, nicht so lange allein lassen. Die Richter sind auf dem Weg. Was, wenn sie uns genau dann überrennen, wenn unsere Runner in Austin sind?«
Die Runner - Tali, Dave und er. Vor dem Zwischenfall in San Antonio waren sie zu sechst gewesen - Dave ausgeschlossen. Der war er mit eingestiegen, als sich gezeigt hatte, dass zwei Läufer nicht ausreichten, um ein ganzes Lager zu versorgen. Vorher war er zusammen mit seiner jüngeren Schwester hiergeblieben und hatte die Kommunikation zwischen den einzelnen Teammitgliedern am Laufen gehalten. Mittlerweile war Malia allein für den Funkkontakt zuständig, der nur funktionierte, wenn sie sich nicht mehr als zehn Meilen von ihrem Lager entfernten, und Joel musste sich darauf verlassen, dass Ian, Dr. Cameron und James sie im Ernstfall verteidigen konnten. Doch Austin war gut 80 Meilen entfernt von ihrem Standort. Luftlinie. Da sie den Highway nur bedingt benutzen konnten, verlängerte sich die Strecke auf etwa 100 Meilen. Sie würden mehr als zwei Tage unterwegs sein. Bei der Größe der abzusuchenden Fläche vermutlich sogar deutlich länger. Nein - in ihm sträubte sich alles dagegen.
Neals Stimme unterbrach seine inneren Kriege. Leise, aber entschlossen. »Du darfst nicht nur die schlechten Dinge sehen, die passieren könnten. Ihr könntet Vorräte finden. Ihr könntet andere Überlebende finden und sie herbringen, um eure Feuerkraft zu vergrößern. Ihr habt mich schließlich auch aufgenommen und ich helfe gern, wenn es bedeutet, dass ihr alle noch etwas länger leben könnt, weißt du?«
Joel blinzelte, dann drehte er den Kopf und beobachtete, wie Neal sich vom Schreibtisch entfernte und neben ihm auf das Bett sank. Es war nicht so, dass er an diese positiven Aspekte einer solchen Tour nicht selbst auch gedacht hatte, aber die negativen wogen einfach schwerer.
»Ich weiß das. Das alles. Ich bin nicht dumm, Neal. Aber wie soll ich das entscheiden? Wie? Ich kann nicht für die Anderen sprechen.«
»Dann frag sie. Lass sie über eure Zukunft abstimmen. Ich nehme an, dass nicht nur Tali und Dave von den Opfern in San Antonio wissen.«
Joel schüttelte den Kopf. »Natürlich wissen sie davon. Wir haben sie begraben. Die beiden, wie ich erschossen habe. Für die anderen Drei haben wir nur Kreuze aufgestellt. Wir konnten sie nicht mit hierher nehmen.«
»Ich ... habe es mir fast gedacht.« Neal seufzte hörbar. Er sah wieder in die Richtung des Schreibtisches und Joel musterte stattdessen das Profil, das sich ihm zeigte. Die feine, gerade Nase, die langen Haare, die sich nunmehr nicht ganz so struppig über Neals Schultern wellten. Alte Tätowierungen waren auf beiden Unterarmen zu sehen und verloren sich an den Oberarmen unter dem roten Shirt, das Neal von Dave bekommen hatte, weil er keinerlei andere Sachen besaß, als die, die er bei seiner Ankunft hier getragen hatte. Der Andere ... war schön.
Welch absurder Gedanke ...
Joel schloss flüchtig die Augen, holte tief Luft und hasste sich selbst ein wenig dafür, dass er für einen Moment lang völlig darüber hinweggesehen hatte, dass Neal seine Frau und sein Kind verloren hatte. Er war ein furchtbarer Mensch und als ein solcher sollte er sich in der Tat nicht herausnehmen, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen.
»Ich spreche dann mit ihnen. Wir sollten das gemeinsam entscheiden. Vermutlich wäre es auch sinnvoller, wenn ich nur einen mitnehme oder zwei, und der Rest hier weiter die Stellung hält. Es geht nur um Vorräte und sollten wir - wie du sagst - Überlebende antreffen, dann brauchen wir den Platz im Wagen, um sie mitzunehmen.«
»Ein guter Gedanke. Und ihr würdet auch weniger Aufsehen erregen, sollte sich Austin als eine Richterfestung entpuppen. Rein, nach Nahrungsmittel und Wasser suchen, mögliche Überlebende einsammeln, raus.« Neal schmunzelte leise und erhob sich, um dann nach seinem Halstuch und dem Mantel zu greifen. »Und jetzt schlaf ein paar Stunden. Du hast das wirklich bitter nötig.«

Es dämmerte schon, als Joel von diesen paar Stunden Schlaf wieder erwachte. Völlig orientierungslos blickte er sich in seiner dunklen Hütte um und wusste nicht sofort, was passiert war. Er hatte tatsächlich geschlafen? Als er sich aufsetzte und sich die verschwitzten Haare zurückstrich, erinnerte er sich vage an das Gespräch mit Neal. Und an das Gespräch, das ihm noch bevorstand. Die Welt drehte sich ein wenig schneller, als er zu hastig aufstand. Mit einem Leben an der Grenze zur Dehydrierung waren das keine seltenen Phänomene. Eine angefangene Wasserflasche stand neben seinem Bett. Der Inhalt war warm, aber das war unwichtig. Joel genehmigte sich einen großen Schluck und verschloss sie wieder.
Draußen war niemand zu sehen. Nur der alte James saß oben im Turm und spielte mit dem Verschluss seines leeren Flachmanns, während sein Blick in der Ferne festhing. Viel sprach dieser Mann nicht, aber wenn er es tat, dann hingen nicht nur die Anderen gebannt an seinen Lippen. Auch Joel ertappte sich immer wieder dabei, wie er gebannt den alten Geschichten lauschte. Geschichten aus Zeiten, die einfacher gewesen waren als die, in denen sie jetzt lebten. Zwar hatten Kriege ihre Schatten geworfen und manche Länder hatten natürlich schlechter dagestanden als andere, aber gegenwärtig schien es überall auf der Welt nur noch um das reine Überleben zu gehen. Der Kampf gegen die Naturgewalten. Der Kampf gegen eine Seuche, für die es kein Heilmittel gab. Der Kampf gegen boshafte und egoistische Menschen, die ihr eigenes Leben über das vieler anderer hoben.
Im Grunde hat sich nicht einmal viel geändert, stellte Joel für sich selbst fest, als er den Blick vom Turm abwandte und den leisen Klängen von Neals Gitarre folgte. Den Strom, den sie produzierten, verschwendeten sie nicht für das Anschalten eines CD-Spielers oder um einen Film auf einem der tragbaren Player zu schauen, die schnell aufgeladen waren, wenn man sie einmal ans Netz hingen. Jemanden bei sich zu haben, der Musik machen konnte, war eine willkommene Abwechslung und Joel ertappte sich selbst dabei, wie er ein, zwei Minuten vor dem Hauptzelt stehenblieb, um den Klängen zu lauschen. Sein Erscheinen würde das schöne Spiel unterbrechen. Aber wenn er jetzt zögerte, dann konnte er sich vielleicht kein zweites Mal überwinden. Nicht so schnell jedenfalls. So leise wie möglich schob er die Plane beiseite und trat ein. Das Szenario, das sich vor ihm auftat, besänftigte sein aufgewühltes Gemüt. Es war schön anzusehen, wie selbst Tali und Ian im Kreis der Zuhörer saßen, während direkt neben ihnen seine Eltern, Sofia, Charles und Dr. Cameron auf einer der Bänke Platz genommen hatten. Ihre Blicke wanderten viel zu schnell zu ihm. Joel versuchte sich an einem tapferen Lächeln und mit den letzten Anschlägen der dunklen Saiten erhob er die Stimme.
»Es ist gut, dass alle hier sind. Moment ... fast alle.« Sein blonder Schopf streckte sich noch einmal an die noch immer viel zu heiße, trockene Luft, als er nach James rief und mit seiner Ansprache wartete, bis sich auch der alte Mann zu ihnen gesellt hatte. Es war erstaunlich, dass er in seinem Alter noch so gut die Leiter zum Turm hinauf und hinunter kam und noch immer ein gutes Auge besaß, wenn er durch sein Zielfernrohr etwas anvisierte. Die Musikliebhaber lösten sich langsam auf und suchten sich ebenfalls geeignetere Plätze. Joel wartete ab, bis Neal seine Gitarre zurück in den Koffer gesteckt hatte, ehe er sich neben Tali niederließ, die seltsam erleichtert aussah. Sie war es auch, die ihm als Erste zunickte und Joel so darin bestärkte, dass es richtig war, jetzt das Gespräch zu suchen, wo sie doch schon alle so zusammensaßen. Noch konnte er ihre Meinung diesbezüglich nicht teilen, doch sie blieb nicht die Einzige, von der er Zuspruch erfuhr. Sie alle wirkten so erwartungsvoll.
Solche Momente waren wie geeignet dafür, sich schnell noch einen Drink zu genehmigen, ehe man theatralisch seine Rede begann. Doch Joel fehlte beides. Der Schnaps und die Theatralik.
Ein paar Schritte trennten ihn von dem Bereich des Zeltes, an dem sonst das Essen ausgegeben wurde. Da sie nur noch ein bisschen Brot hatten, war dieses Mal kein großer Aufwand betrieben worden, um ihn einzudecken. Sie hatten so gut wie möglich gewirtschaftet, doch irgendwann ließ sich keine Brühe der Welt mehr strecken. Schon gar nicht, wenn auch die Wasservorräte kümmerlicher wurden.
Joel lehnte sich an, verschränkte die Arme vor der Brust und holte ein letztes Mal tief Luft, dann fasste er die Fakten zusammen. Die zur Neige gegangenen Vorräte, das Andenken an ihre Gefallenen und dass Austin als nächstgelegene Großstadt die einzige Möglichkeit bot, genügend Vorräte zu finden, um wieder für eine Weile hinzukommen - ähnlich wie es in San Antonio der Fall gewesen war. All die negativen Dinge wählte er bewusst für den Anfang. Doch er hatte Neals Worte nicht vergessen und als er damit endete, dass es durchaus passieren konnte, dass die Richter soweit expandierten, dass sie ihr Lager entdeckten, während ein Teil von ihnen unterwegs war, nahm er mehr Haltung an und widmete jedem der Anwesenden für einen flüchtigen Moment seine Aufmerksamkeit, suchte in ihren Blicken nach etwas, das ihm noch verbliebene Hoffnung zeigte und genug Mut, um das Vorhaben in Angriff zu nehmen. Es waren genug, um ihn zu überzeugen.
»Wir alle wissen, dass wir die Vorräte brauchen. Und wir wissen, dass immer die Gefahr besteht, entdeckt und überfallen zu werden. Doch wir sind nicht die Einzigen, die ums Überleben kämpfen. Es ist gut möglich, dass wir in Austin auch auf weniger feindlich gesinnte Gruppen treffen, die eine Bereicherung für uns wären und wenn es nur eine Art Handelsabkommen wird. Ich will diesen Ort hier nicht aufgeben. Er ist zu einem Zuhause geworden. Ihr seid meine Familie geworden. Ich werde nicht zulassen, dass wir verhungern oder jemandem von uns irgendetwas zustößt. Aber die Reise nach Austin ist etwas, das ich unmöglich allein entscheiden kann. Jeder von euch hat einen eigenen Kopf zum Denken und eine Stimme. Deswegen frage ich euch: Wollen wir dieses Vorhaben auf uns nehmen oder weiterhin in näheren Städten nach Resten suchen? Ihr kennt die Ergebnisse der letzten Touren. Allerdings möchte ich die auch während unserer Reise nicht aufgeben. Schließlich haben wir erst vor ein paar Tagen zwei Menschen gefunden, die überlebt haben.«
Joel lächelte Neal zu und schaute dann zu dem kleinen Adam, der auf Brooks Schoß sah und mit ihrer bunten Holzkette spielte, von denen das Mädchen schon sehr viele angefertigt hatte.
»Es ist eine schwierige Angelegenheit. Sie könnte Opfer fordern. Ich denke, das ist jedem bewusst. Also ... wie entscheidet ihr euch?«

Eine gedankenschwere Stille breitete sich in dem Zelt aus. Für ein paar Minuten, in denen ein jeder in sich ging und die Vor- und Nachteile abwägte. Joel musste nichts sagen, als sich eine erste Hand in die Höhe streckte. Die seiner besten Freundin. Malia und Dave schlossen sich Tali direkt an und auch Neal meldete sich, auch wenn er unsicher dabei wirkte. Doch Joel schob es nicht unbedingt auf das Vorhaben, sondern vielmehr darauf, dass sich der Langhaarige vielleicht noch nicht als stimmberechtigtes Mitglied sah. Letztlich enthielten sich nur seine eigenen Eltern ihrer Stimme. Joel hoffte sehr, dass sie nicht gegen die Aktion waren. Gegen die eigenen Verwandten zu agieren, war immer schwer. Hier entschied die Mehrzahl, aber überzeugt war Joel davon nicht.
»Was ist mit euch?«, fragte er sie direkt, als sich die zahlreichen Hände wieder senkten und Laureen immer noch auf ihren Schoß hinuntersah, während sein Vater ihn nachdenklich musterte. Seine Mutter hob den Kopf, weil sie direkt erkannte, dass ihr Sohn sie und ihren Mann mit der Frage gemeint hatte, aber obwohl sich ihre Lippen öffneten, sah sie letztlich davon ab, dazu etwas zu sagen.
Alexander war weniger scheu. »Wenn du hierbleibst, ist mir egal, wer die Tour nach Austin macht, aber ich lasse nicht zu, dass du dich wieder so in Gefahr bringst, wie in San Antonio.«
Sie hatten es nicht vergessen.
Joel erinnerte sich nur flüchtig daran, wie er den Rest der Gruppe damals aus der Stadt herausbekommen hatte. Eine lange Narbe auf seinem Bauch erinnerte ihn bei jedem Blick in den Spiegel daran. Eine anschließende Infektion hatte ihn an den Rand seiner Existenz gebracht. Mittlerweile war die Wunde verheilt und er spürte sie nur noch, wenn er sich streckte. Auch dafür waren jede Menge Penizillin und Schmerzmittel drauf gegangen. Jeden Tag hatte seine Mutter am Bett gesessen, hatte ihm vorgelesen und manchmal gesungen - ganz so wie damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war.
Diese Erinnerungen waren schmerzlich und reichten tief. Joel konnte Verständnis dafür aufbringen, aber einer Sache war er sich verdammt sicher, trotz dem kurzen, schwachen Moment, in denen sein Herz etwas stärker gewesen war, als sein Verstand.
»Ich werde nach Austin fahren. Und ich werde nur zwei Leute mitnehmen, damit genug hier sind, falls irgendetwas schief gehen sollte. Das hoffe ich nicht und wenn ich ehrlich bin, erwarte ich das auch nicht, denn wir haben es bis jetzt geschafft und wenn wir weiter zusammenhalten, dann sehe ich keinen Grund dafür, warum sich das ändern sollte.«
Er stieß sich vom Tisch ab, schenkte seinen Eltern einen letzten Blick und ließ ihn dann über die anderen Anwesenden wandern. »Wer will mich begleiten?«
Es waren die Hände von Tali und Dave, die sich sofort hoben. Und sie waren genau die, von denen Joel erwartet hatte, dass sie hier die Stellung hielten, aber im gleichen Atemzug war ihm klar, dass er sie nicht beide abweisen konnte. Auch Neal meldete sich zaghaft. Ian. Joel seufzte leise und hob die Hand, um sich den Nasenrücken zu massieren.
»Tali ... dich kann ich nicht mitnehmen.«
Er konnte beobachten, wie seiner Freundin alles aus dem Gesicht fiel, während ihre Mundwinkel zuckten und ihr die Frage nach dem Warum regelrecht ins Gesicht geschrieben stand, aber die Erklärung für Joels Entscheidung war nicht nur simpel, sondern auch nachvollziehbar.
»Du kennst die Gegend hier besser als jeder andere. Wenn hier etwas passieren sollte, bist du die Einzige, die einen Weg finden kann, alle in Sicherheit zu bringen, ohne entdeckt zu werden. Das weiß ich, weil du es schon einmal getan hast, erinnerst du dich?«
Die Dunkelhäutige antwortete nicht sofort. Sie griff nach einer schwarzen Haarsträhne und zupfte an ihr herum, so wie sie es immer tat, wenn sie nervös war oder sich innerlich über etwas aufregte, aber schließlich nickte sie.
»Und Ian. Du hast deine Tochter hier. Dein Kopf wäre nicht frei. Ich danke dir für deine Meldung, aber ... nein.«
»Warum fragst du dann, wer mitkommen will, wenn du dich längst entschieden hast, wer dich begleiten soll?«
Die Frage war berechtigt und Joel musterte Dr. Cameron, in dessen Gesicht er keinerlei böse Absicht entdeckte. Der analytisch veranlagte Mann sprach einfach aus, was ihn störte und das war in Ordnung so.
»Weil ich niemanden dazu zwingen will. Nach dem, was mit Jeremy, Tom, Dean, Olivia und Matthew passiert ist, kann ich verstehen, wenn keiner das Risiko eingehen will.«
»Und was hättest du getan, hätte sich keiner gemeldet?«
»Dann wäre ich allein gefahren.«
Joel hörte das empörte Räuspern seiner Eltern und sah darüber hinweg, während Dr. Cameron langsam nickte und keine weiteren Fragen stellte. Da auch sonst kein weiterer Einwand mehr kam, nickte der Blonde zufrieden.
»Also Dave und Neal. Wir haben noch zwei Stunden, bis wir die Straßen nutzen können. Macht euch langsam bereit.«

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