Wer weiss, was er am 9. September 2001 getan hat?

Mar 16, 2010 21:37

Medien schaffen Realität.

Kaum ein Ereignis hat das klarer gezeigt, als die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Wer erinnert sich nicht mehr daran, wo man sich befand und was man tat, als man von den Anschlägen erfuhr? Und wer von uns klebte nicht ebenso geschockt wie fasziniert vor dem Fernseher und hat zugeschaut, wie die Flugzeuge in die Türme fliegen, wie sie in den Himmel brennen und nacheinander einstürzen? Immer und immer wieder, aus allen möglichen Blickwinkeln. Die Medien - damals noch vor allem das Fernsehen - liessen uns die Ereignisse miterleben, als wären wir selbst direkt, vor Ort dabei. Gleichzeitig wirkten die Bilder so surreal, so inszeniert, dass viele gegen ihren Eindruck ankämpfen mussten, es handle sich bloss um eine Hollywood-Inszenierung.

Aber egal, wie man mit dieser Realität umging - zu den Bildern hatte sich ein Datum fest eingeprägt. "11. September", 9/11, selbst ohne die Jahreszahl, stand von nun an fest für "Terror" und für "Angriffe auf Amerika". Dachte ich.

Ich lachte deshalb zuerst einmal, als ich vor etwas über einem Monat beim Mittagessen in der Neuen Zürcher Zeitung vom "9. September 2001" las. Wie tief ist die NZZ  wohl schon gesunken, dass der Vertipper niemandem aufgefallen ist, nicht einmal dem Lektorat?

Stutzig wurde ich allerdings, als ich kurz darauf auch in der zweiten grossen Schweizer Tageszeitung, im Zürcher Tagesanzeiger ebenfalls von den Ereignissen des 9. September 2001 las.

Täuschte ich mich? War meine Erinnerung falsch? Ich hatte die Anschläge doch immer mit dem 11. September verbunden - hatte ich etwas übersehen?

Dass sich eine Zeitung in einem Artikel mal täuschte, das konnte ja noch passieren. Aber gleich beide grossen Zürcher Tageszeitungen? Und ohne, dass der Fehler korrigiert wurde?

Medien schaffen Realität.

Und die beiden Zürcher Tageszeitungen waren auf dem besten Weg dazu, dass ich  meine eigene Realität ernsthaft zu hinterfragen begann. War ich, ohne dass ich es gemerkt hatte, in ein Paralleluniversum geraten? Oder ist das mit den Journalisten der beiden Zeitungen passiert?

Ich habe mich tatsächlich mehrmals bei Freunden versichert, dass meine Erinnerung wirklich stimmte; zumindest, dass sie in diesem Fall meine Realität teilten.

Heute, wieder bei Mittagessen, bin ich in der Neuen Zürcher Zeitung erneut über den 9. September 2001 gestolpert.

Drei Artikel innerhalb von 1 1/2 Monaten, die alle das Datum falsch angeben; in zwei verschiedenen Zeitungen und drei grundverschiedenen Ressorts, die wohl kaum voneinander abschreiben. (Sportteil in Vorbereitung auf die olympischen Spiele, Kommentar zur Aufnahme uigurischer Guantanamo-Häftlinge in der Schweiz und ein Feuilleton-Artikel über ein neues Buch).

Ich habe nach dem Mittagessen tatsächlich Wikipedia konsultiert, um mich zu beruhigen, dass sich tatsächlich die Zeitungen irren - und nicht ich. Oder dass zumindest die kollektive Intelligenz im Internet auf meiner Seite war. Wie lange, frage ich mich, müssen diese Medien den Fehler noch wiederholen, bis ich angefangen hätte, ihnen zu glauben?

Ich bin ausserordentlich froh, dass der Bildblog nun auf meiner Seite ist. Auch wenn es erschreckend ist, zu sehen, wie viele deutschsprachige Zeitungen in das gleiche Paralleluniversum geraten sind, wie meine beiden Schweizer Beispiele.

Was lernen wir daraus?
Glaube nie alles, was in der Zeitung steht. Und obwohl das Internet immer noch einen schlechteren Ruf hat und als weniger seriös gilt - in diesem Fall hatte es recht. Ach ja - und manchmal kann zu viel hinterfragen wirklich gruselig werden. Ich schaue jetzt Orwell's 1984 mit ganz anderen Augen an.

Es war doch 1984, oder?

(Der Fehler ist natürlich entstanden, weil offenbar eine erschreckend grosse Anzahl Journalisten mit der Aufgabe überfordert ist, das amerikanische Kürzel 9/11 korrekt ins Deutsche zu übersetzen. Und das nennt sich "Qualitätsjournalismus".)

Edit: Das Radio scheint noch in meiner Realität zu leben.

gedanken, vermischte meldungen, philosophie, politik

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