Neues Jahr, alte Bücher

Jan 01, 2014 11:21

Frohes Neues allerseits, Naru hat Silvester friedlich verschlafen und beschlossen, die sinnlos Geld in die Luft sprengende Menschheit alleine sprengen zu lassen. Milchkind lag abends um sieben im Bett (ausnahmsweise mal) und stand am ersten Tag des neuen Jahres natürlich auch um sieben wieder auf, wer wöllte da unnütz aufbleiben bis um Mitternacht, um sich Lärm anzuhören und mit buntem Feuerwerk isses auch nicht so weit her hier in den einsamen Hügeln und denkt doch an die armen Schafe und Kühe, die kriegen doch Angst. (Milchkind bekam zu Weihnachten von wohlmeinenden Großeltern ein Bilderbuch mit unglaublich idyllisch blickenden, fluffig-flauschigen, in weichem Kuschelstroh liegenden Kälbchen, Schäfchen, Entchen etc pp. Überlege schon, ob ich dem Verlag mal ein Foto der Kälbchen im benachbarten konventionellen Bauernhof schicken soll, wie sie einen Tag nach der Geburt von Mamakuh getrennt und in hübschen enge Einzelboxen gesteckt werden, nix mit weichem Kuschelstroh an Mamas Bauch liegen, und in den Boxen kriegen sie dann Pulvermilchzeugs angerührt, das sie aus eine Eimer mit roter Gummizitzedran trinken dürfen, damit sichs wenigstens ein bisschen nach Mama anfühlt.)

Mich überfiel das Bedürfnis, meinen Bücherkonsum des vergangenen Jahres zu rekapitulieren, weil, da drängen sich allmählich beunruhigende Parallellen auf. Naru hat ja ein aktives Krabbelkind bzw. gerade ein Lauflernkind, d.h. den Luxus, ein Buch in Ruhe am Stück zu lesen, kenne ich gar nicht mehr, aber man kann ja während Babys Schläfchen und morgens und abends immer ein paar Häppchen zu sich nehmen (oh, comme, dein Päckchen kam, thank you so much, und Hendriekje hab ich schon gelesen und es war sehr hübsch! Ein Happy End! Trotz allem!) und ausserdem hab ich ja meine Heimatbücherei wiedergefunden, die ich während meiner Gymnasialzeit stark frequentiert hab (und die Bücherei meiner Grundschulzeit gibts auch noch, aber die kenne ich ja schon auswendig).

Anyway. Es scheint da einen neuen Trend zu geben (oder mir fallen gerade immer die selben Bücher in die Hand, who knows), der den momentanen Schreiberlingen nichts anderes übriglässt, als folgende wichtige Grundregeln in ihren Büchern zu verwursten:

- Grundgedanke MUSS eine Zukunftsvision sein, call it Dystopie, Utopie, whatever, aber alles andere ist ja wohl viel zu retro. Ob in Panem oder Matched/Crossed/Reached oder Vergiss mein Nicht oder Schmetterling aus Staub oder Kyria&Reb oder was ich armes Kind alles gelesen hab, ächz, Vergangenheit geht gar nicht mehr anscheinend.
In Panem sinds die zwölf Distrikte und das böse Kapitol, das alle versklavt,
in Matched ist die Society, die den Menschen ihre Partner zuteilt und ihr Leben bestimmt,
in Vergiss mein Nicht haben sich ein par Supermenschen mit Superfähigkeiten HarryPotterlike in eine Geheimstadt zurückgezogen, während der Rest der Menschheit ihr normales Leben lebt,
im Schmetterling ist Deutschland nach einer Seuche (natürlich) dem Erdboden gleich, während der böse Obermacker eine neue Gesellschaft aufbaut, indem er die Menschen mit acht Jahren nach ihren Hauptpersönlichkeitsmerkmalen selektiert und jeden Kontakt unterbindet,
in Kyria&Reb (das am meisten wie eine Fanfiction daherkommt) haben zur Abwechslng mal die Frauen die Macht übernommen und die Männer sind das dumme Putzvolk, das nur zum Kinderkriegen taugt. (Oh, das erinnert mich an Yin von Akif Pirinci, der Typ, der Felidae geschrieben hat, aber Yin fand ich fürchterlich. Da haben zwar auch die Frauen die Macht, aber argh, das Buch hat mir nachhaltige Albträume beschert, never ever.)

- ganz wichtig: die natürlich unglaublich hübsche weibliche junge Heldin! Bitte zwischen 16 und 20 und bitte so, dass ihr ihr hübsches Aussehen natürlich nicht bewusst ist, aber natürlich merken es alle anderen und der Leser bitte auch (Mary Sue, anyone?). Katniss ist vielleicht wegen ihrem Super-Prep-Team besonders anziehend, aber Cassia aus Matched ist natürlich sehr schön und Addison aus VMN wird als "absolut umwerfend" beschrieben und Kyria aus der Matriarchatsutopie kriegt so fanfictionfurchtbare Sätze wie "Du bist nicht attraktiv, Princess, du bist sexy" an den Kopf geworfen, und Mika aus dem Schmetterlingsland hat "dunkelrote Haare und kristallblaue Augen" und ist natürlich auch so wunderschön, dass der jugendliche Rebell sich sofort in sie verliebt, siehe Punkt drei, ahah.

- in jedem verfluchten dieser Zukunftsbücher haben wir min. einen jugendlichen Rebell, der bitte dem supersexy talldarkstranger-Klischee entspricht (wieder besonders schön dargestellt in Kyria&Reb, wo die Autorin genüsslich seine schwarzen Lederhosen und seine tollen dunklen langen Haare und sexy Blicke beschreibt urgs) und sich natürlich in die jugendliche Heldin verliebt und sie aus ihrer bisherigen heilen Welt reisst und am Ende machen sie sich alle gemeinsam auf und retten die Welt und ihre Liebe. (Ich gebe zu, bei Panem war es tatsächlich noch etwas durchdachter, aber danach wurde es immer ein bisschen flacher, fürchte ich) Im Schmetterling hat er auch noch "dunkelviolette Augen" (Mary Sue, Mary Sue, schreit mein Fanfiction-Ich). Idealerweise gibt es noch einen Gegenpart, den lieben netten altbekannten Nice Guy, der das Dreieck vervollkommnet (Peeta in Panem oder Xander in Matched...).

- und das Buch MUSS natürlich im Präsens geschrieben sein, ne, nix mit allwissendem Erzähler oder dem Gefühl beim Lesen, das dir jemand etwas aus seiner Erinnerung heraus mitteilt, schön der Chronologie nach, wie man halt am Lagerfeuer hockt und aus seiner wilden Jugend erzählt, neeeeeeeeeeeeeeee, wie war das mit retro? Die Jugend von heute schreibt nur noch im Präsens! Wir leben im Jetzt! Alles passiert genau jetzt und die Erzählerin weiss niemals mehr als der Leser in diesem Moment und gemeinsam hasten und stürzen sie sich aufs Ende zu, ächz, alles etwas hektisch hier und alles voller "Meine dunkelroten Haare bauschen sich im Wind, ich spüre die Gischt auf den Lippen", arr, das ist doch kein gechilltes Erzählen mehr hier, das ist die ganze Zeit auf Speed, aber die Jugend von heute kann das vielleicht gar nicht mehr anders, und Präsens ist ja ooch nicht per se schlecht, aber wie gesagt, so gehäuft gerade. Meeeeeeeeeeeensch. Als würde jeder das Buch neu erfinden müssen.

Anyway. Ehrlich, das war nur ein kleiner Überblick, die Bücherei ist noch voller solcher Bücher, aber ich hab auch ne Menge stecken lassen, weil, man braucht ja Ausgleich im Leben. Ansonsten las ich zur Entspannung eine Menge Hercules Poirot und Miss Marple (wirklich sehr entspannend. So gemütlich! So ohne Gemetzel!) und Sherlock Holmes und noch so dies und das, ich nahm auch mal seit langem wieder einen Hohlbein zur Hand, die Tochter der Midgardschlange, aber da muss ich mit dem Lektor schimpfen, mal ehrlich, wenn ich auf Seite 75 den sechsten Tippfehler finde, ist das ziemlich peinlich.

Oh, Baby wacht auf.
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