Jun 27, 2017 08:48
Das Milchkind, das gar kein Milchkind mehr ist, ausser natürlich nu ein Hafermilch/Reismilch/Mandelmilch-Kind, schnorchelt leise in meinem Arm. Gestern, so ungefähr 19:42 oder so. Schlafenszeit! Kindergartenwoche! Morgens rechtzeitig aufstehen und so! Deswegen ist Naru-Mama eine brave Mama und gibt dem Kind abends um sechs Abendessen und dann spielen wir und dann geht das Kind Zähneputzen und Pipi und nochmal Spielen und noch ein Buch aussuchen und ins Bett (zum Glück war der Rolladenmann da und hat den Rolladen im Schlafzimmer dergestalt repariert, dass er jetzt alles dunkel macht, und zum Glück ist Naru klug und weise und sparsam und hat ihm dabei zugeschaut und danach alle anderen verklemmenten Rolladen in der restlichen Wohnung selbst repariert) und dann liest Naru-Mama Hörbe und Peter Pan und Robin Hood und Piratengeschichten vor und dann ist es dunkel und ein warmes schnaufendes Kind kuschelt sich in meinen Arm und streckt die Füße zwischen meine Oberschenkel und zieht die Decke über uns trotz 30 Grad oder so im Schlafzimmer, und will noch eine EliasundMilangeschichte hören, die schon eine lange Tradition hat und immer dem gleichen Muster folgen muss, da gehen nämlich Elias und Milan in den Wald (manchmal sind sie als gestiefelter Kater verkleidet, man frage nicht nach) und finden dort jeden Abend in jeder Geschichte irgendwo ein verletztes Einhorn oder einen verletzten Babydrachen oder einen Fuchs in der Brombeerhecke oder einen Wolf mit eingeklemmter Pfote und alle diese Tiere werden dann sorgsam in das Haus am Waldrand gebracht, wo EliasundMilan wohnen, und ins Freiluftgehege gebracht, wo schon viele andere gerettete Tiere in verschiedenen Stadien der Rekonvaleszenz sich befinden, und dort gepflegt und verbunden und gefüttert und gehegt, bis sie wieder gesund sind. Diese Geschichten erfüllen das ehemalige Milchkind mit tiefer Befriedigung, wie es scheint, und dann hat es Durst und muss Wasser trinken und irgendwann dreht es sich dann zur Seite und kuschelt sich noch mehr in meinen Arm und dann kommt das Gutenachtlied, das sich seit viereinhalb Jahren nicht verändert hat, und dann schnorchelt es leise neben mir und wenn ich nicht schon selbst halb eingeschlafen bin, kann ich dann tatsächlich aufstehen und irgendetwas anderes machen an meinem freien Abend, lesen und telefonieren und essen und Dinge erledigen und To-Do-Listen schreiben und was Menschen sonst so alles tun.
Normalerweise schläft das Milchkind dann tatsächlich fast immer durch, nur manchmal unterbrochen von evtl. Pipibedürfnissen (oder ich werde morgens geweckt mit "Mama meine Hose ist ganz nass!").
Gestern schien dem nicht so!
Naru sass und tat dies und das (u.a. las ich Wintersmith, weil das das einzige Buch aus der Tiffany-Reihe ist, das ich noch nicht kannte) und es war tatsächlich sehr stickig und drückend und schwül und nach einer Stunde wälzte und murmelte es im Nebenzimmer "Mamaaaa ich hab Durst wo bist duuu", und Naru ging und streichelte und drückte bereitgestellte Wassergläser in klebrige Hände, und eine Stunde später wälzte und murmelte es wieder, nach Wasser und Mama und warum keine Mama in der Nähe, und ich dachte schon, oh, gehen sie jetzt los, die Windpocken, die ganze Woche warten wir schon, weil schon die halbe Schule und der halbe Kindergarten mit Windpocken zuhause ist, und ging und kuschelte und streichelte verschwitztes Haar und brachte neues Wasser, und um elf ging ich schlafen und um eins fing es an zu donnern und zu blitzen.
Das Milchkind murmelte und wälzte und der Regen rauschte runter und es kullerte im Bett herum in meine Arme. "Mamaaaa gut dass wir einen Blitzableiter haben gell", und ich murmelte Zustimmung, und dann lauschten wir dem Donner, und "Mama gell wenn die Blitze so hell sind dann kann ich gar nicht schlafen da gehen meine Augen immer auf, komm wir stehen auf", nein nein, wir stehen nicht auf, es ist mitten in der Nacht und ich bin müde, "Gell es ist gut dass wir kein hoher Turm sind weil Blitze ja immer in hohe Türme einschlagen, gell wir haben einen Blitzableiten", ja, gewiss, wir haben, wir schlafen jetzt weiter, pschschsch, "Mama ich hab Durst", hier ist Wasser, Kind, "Mama ich muss Pipi komm mit ich hab sonst Angst", ja aber wir schlafen dann gleich weiter, ich bin müde.
Oh. Die Fenster vom Auto sind noch auf, weil es die letzten Tage so wunderbar heiß und sommerlich war und es sich nicht lohnte, sie zuzumachen, wenn man sie doch eh wieder aufmacht am nächsten Morgen. (Mein Auto steht in einer sehr ländlichen friedlichen Gegend. Es braucht nicht abgeschlossen zu werden.) Naru geht und tapst barfuss durch den Regen zum Auto und macht Fenster zu und tapst zurück und findet ein eingeschlafenes Kind.
Doch eine Stunde später ist da ein waches Kind und sagt "Mama wir stehen auf" und ich sage, neinneinweiterschlafen, "Mama gell der Shiva hat einen Säbel und wusstest du, wer der Shiva ist? Das ist ein indischer Gott und er hat einen Tiger und wusstest du, dass er seinen Säbel hundertmal am Tag schärft, so scharf ist der dann dass er alles damit durchschneiden kann", nein, das wusste ich nicht, na sowas, "Und Mama wusstest du dass Tiger schwimmen können und ich hab gesehen wie ein Tiger einen Affen gefressen hat", hast du? Wo denn das?, "Das war in dem Tigerfilm den Großer Bruder 1 und Großer Bruder 2 mir gezeigt haben", und Mama liegt und denkt "Aha" und fragt ein bisschen nach und "Nein, sie haben ihn nicht mit mir geguckt, sie haben ihn angemacht und dann ist Großer Bruder 1 weggegangen und hat was anderes gemacht", und war es dir nicht zu gruselig? "Nein er hat den Affen aufgefressen" und Naru seufzt und denkt, was soll man machen, die Jugend von heute hat kein Verständnis für reduzierten Medienkonsum im zarten Kindergartenalter, aber vielleicht könnte ich es ja nochmal erwähnen bei Gelegenheit, aber neulich kam das Kind auch vom Bruderbesuch und erzählte, es habe einen ganz!langen!Film! gucken dürfen mit einem Prinz und drei Haselnüssen und einem Pferd und war ganz aufgeregt und ich kann den Brüdern so schwer vermitteln, dass sein Köpfchen schon so voll ist mit tausenden Gedanken und Geschichten, dass da ein anderthalbstündiger Film mit so vielen neuen Bildern und Informationen wie ein riesiger Knoten im Kopf wird, den ich dann zwei Wochen lang jeden Abend mit Kind behutsam aufdröseln kann, bis alle Schichten sich wieder beruhigt und einsortiert haben.
Und dann schläft das Kind irgendwann wieder und um sechs Uhr morgens macht es Plumps und das Kind ist aus dem Bett gekullert und weint kurz vor Schreck, und Naru wacht aus wirren Träumen auf und streichelt und tröstet und hofft, noch eine Stunde zu schlafen, aber "Mama weisst du als ich aus dem Bett gepurzelt bin da hab ich gerade geträumt aber jetzt ist der Traum wieder weitergeflogen", mhmhm weiterschlafen, "Mama du sollst mir deine Träume erzählen!", hmmmm, irgendwas von deinen Freunden und dass einer Würstchen gegessen hat und ich wusste nicht ob er weiss dass da Fleisch drin ist, weil er sonst nie Fleisch isst und seine Eltern auch nicht, mysteriös was für sinnentleerte Träume man haben kann, "Aber Mama was war da für Fleisch?", naja, wahrscheinlich war das von einem Schwein, die meisten Würstchen sind aus Schweinen gemacht, manche auch aus Kühen", und es folgt eine längere Diskussion über tote Kühe und dann über vegetarische Würstchen und dass die aus Weizen und Sojabohnen sind und dann fällt mir ein, dass es doch angeblich so eine komische neue Frucht gibt, die wohl als andere Alternative zu Fleisch gehandelt wird, Jackfrucht oder so, und das Kind lacht und sagt, "Mama die heisst wie der Pirat!", und dann müssen wir natürlich Blackbeard und Anne Bonny spielen.
Nachdem alle Piraten gefrühstückt haben, bauen wir noch ein Tigergehege auf und dann kommt noch der kleine Gepard dazu, "Mama wusstest du, er hat seine Mama verloren, aber die Tigermama ist jetzt seine neue Mama, sie hat ihn gefunden und sie hat auch noch Milch für ihn und er bleibt dann bei ihr und dem Tigerbaby, sie hat ja zum Glück mehrere Zitzen", und dann noch die Piraten, die dürfen Wache halten auf der Aussenmauer, und dann brauchen wir plötzlich Stiefel und Jacke und Buddelhose, weil, es ist nass draussen und heute ist Waldtag und Marmeladebrottag im Kindergarten, und wir waren schon verwöhnt, weil Kind die letzte Woche nur mit kurzem Höschen und Hemdchen und Sonnenhut und Sandalen in den Kindergarten marschieren konnte. Man kann fast verdrängen, dass im Schrank irgendwo ein Schneeanzug wartet, aber auch nur fast.
Und dann kommt die Nachbarsmamafahrgemeinschaft und füllt den letzten leeren Platz im Auto mit dem Milchkind und Naru winkt und jetzt muss ich andere Dinge tun, Zahnarzttermine und neue Reifen und Kraftstofffilter reparieren und Briefe mit vermeintlich wichtigen Unterlagen irgendwo hin schicken und Kuchen backen, und heute mittag darf der kleine Gepard mit dem kleinen Tiger Abenteuer erleben, "gell Mama du lässt es alles so stehen damit wir nachher weiterspielen können".