Titel: Bilderbuchfamilien
Fandom: Harry Potter
Charas/Pairing: Greengrass Schwestern :: Draco, Goyle :: Astoria/Draco, Daphne/Draco
Ficathon:
Parents/ChildrenPrompt: Alle glücklichen Familien gleichen einander, doch jede unglückliche ist auf ihre Art glücklich
Für: Claire
A/N: Entschuldigung, aber Tolstoi bin ich halt einfach nicht; der Prompt ist schon ein wenig vergeudet an mir, aber er sprach mich halt plötzlich so an ...
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Bilderbuchfamilien
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Daphne ist fünf, als ihre Mutter ihr zum ersten Mal einen Zauberstab in die Hand drückt und sagt: Du musst jetzt ein grosses Mädchen sein und Mummy helfen.
Astoria weint, sie weint so laut und schrecklich und voller Angst wie noch nie, ein Weinen, das durch Mark und Knochen geht, an das sie sich später aber dennoch nicht mehr erinnern wird (Daphne dafür umso mehr).
Die Frau, die für zwei Mädchen die Welt ist, die so schön und stark und nie ganz zu erreichen ist, lächelt heute müde und mit roten Farbschlieren auf den Zähnen. Ihre Frisur ist ganz durcheinander geraten, die Haarnadeln hängen lose in den Strähnen, ihr Kleid ist verrutscht.
Du musst jetzt genau tun, was Mummy dir sagt, erklärt sie, ihre Finger noch auf Daphnes Hand und dem Zauberstab, es ist sehr wichtig, dass du dir Mühe gibst, verstehst du?
Sie zeigt Daphne, wie sie den Zauberstab bewegen, was sie sagen muss, wieder und wieder und wieder, es dauert ewig, Astoria hat schon gar nicht mehr die Kraft, ihre Angst hinaus zu schreien, wimmert nur noch, das tränennasse Gesicht in den Rocksaum ihrer Mutter gepresst.
Hast du verstanden?, fragt sie und Daphne schluckt, überlegt, ob sie davon laufen kann, ob Daddy sie trösten würde, was das alles soll, und nickt schliesslich. Daddy ist nicht da, sie hat ihn durchs Fenster im Spielzimmer weggehen sehen, kurz bevor Mummy kam und ihr die Puppe entriss. Sie kann sich nicht verstecken.
Sie nickt und ihre Mutter dreht sich um, zeigt ihnen das Bild, das auf ihren Rücken gemalt wurde, mit langen, roten Strichen, Bläschen, blassen Fetzen und schwarzen Flecken.
Hilf jetzt Mummy, sagt sie.
Stattdessen kreischt Daphne.
Das ist das Einzige, woran Astoria sich erinnern wird, wenn sie an diesen Tag zurück denkt, an den dummen, schrillen Schrei ihrer grossen Schwester, die hätte helfen sollen, aber zu schwach dafür war.
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Was ist passiert?, fragt Daphne, fühlt sich mit neun Jahren endlich stark genug, sich dem Thema zu stellen, die Antwort zu hören und nicht daran zu zerbrechen. Sie hält den Zauberstab ihrer Mutter inzwischen selbstsicher und fest, hat sich an das Gefühl des Holzes gewöhnt, an die Macht, die sich mit ihm wirken lässt, aber wenn sie an diese eine Antwort denkt, daran, dass sie wahrscheinlich richtig vermutet, so muss es sein, zittert ihre Hand wie beim ersten Mal.
Ich wurde verletzt, sagt ihre Mutter kurz angebunden.
Wie? Von wem?
Astoria an ihrem Tisch mit den verzauberten Puppen, wo Tee getrunken und Gebäck verspeist wird, blickt auf, ein strenges, faltenloses Stirnrunzeln auf dem Gesicht. Warum stellst du Fragen, die keine sind? Du weisst, dass es Dad war. Dass es immer Dad ist.
Daphne sieht ihre Mutter an, fleht sie mit Blicken an, es abzustreiten.
Die Ohrfeige trifft sie völlig unvorbereitet.
Astoria dagegen hat schon darauf gewartet.
Du bist zu alt, um so hilflos zu sein, sagt ihre Mutter eindringlich, die Finger so fest in Daphnes Schultern gekrallt, dass es weh tut, zu alt für Märchen. Du musst lernen, dich selber zu beschützen, nicht morgen oder irgendwann, lern es jetzt, lern es sofort.
Aber -
Ich kann dich heilen, bietet Astoria ihrer Mutter an. Was gibt es eigentlich zum Abendessen?
(Er konnte nicht ertragen, dass sie ihm überlegen war, wird sie Draco erzählen, an dem Tag, an dem sie ihm auch sagt, dass sie schwanger ist und er zusammenzuckt, nur den Namen ihrer Schwester und aber... stammelt. Er war der Schmutz unter ihren Schuhen und bildete sich ein, sie eines Tages vor ihm knien zu sehen. Sie hat nicht gewusst, wie man kniet, Draco. Sie hat es mich nicht gelehrt.)
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Daphne hätte nie erwartet, dass sie sich eines Tages an der Schulter von Gregory Goyle ausheulen würde. Aber er ist da, sie hat ihn im Park eingezwängt in dem Hohlraum unter der Kinderrutsche gefunden, auf dem geschwollenen Kinn einen Blutklecks, den er vergessen hatte, abzuwischen, oder einfach keinen Platz mehr gehabt hatte auf seinen vollgesogenen, klebrigen Ärmeln. Dein Dad auch?, hat sie gefragt, dabei hätte das jeder sein können, sie hätte fragen sollen: Wer war das?, dann hätte Gregory nie erfahren, was in ihrem Zuhause geschieht.
Aber es tut so gut, darüber zu sprechen; mit jemandem, der sie dabei nicht von oben herab ansieht wie Astoria.
Bei uns tun das die Hauselfen, sagt er mit seiner Stimme, die noch viel zu zart und hoch klingt für einen Jungen seiner Statur, immer, wenn sie was an einer Stelle abbekommen hat, die sie nicht selber erreichen kann, ruft sie die Hauselfen und die erledigen das, ohne was zu sagen.
Daphne weiss nicht, warum ihre Mutter sich nicht auch von den Hauselfen, die zaubern dürfen und es schon lange richtig beherrschen, heilen lässt. Astoria weiss es bestimmt.
Hat er dich schon mal richtig heftig erwischt?
Er hat mir nie ein Haar gekrümmt, müsste Daphne sagen. Er schlägt nur meine Mutter. Und vielleicht hat sie es sogar verdient. Ich glaube, schon.
(Dad schlug Mum und Mum schlug mich, wird sie Draco erzählen, an ihn geschmiegt und sich so sicher, dass er sie beschützen wird. Ich habe sie gehasst.)
Ja, behauptet sie stattdessen. Ja.
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Dad, setzt Daphne an, hat ihren ganzen Mut zusammen genommen, ist fest entschlossen, warum
...
Er sieht sie über den Rand des aufgeschlagenen Tagespropheten an, wartet ein paar Sekunden, zuckt dann die Schultern und liest weiter, als Daphne beschämt wegsieht.
Dad, versucht sie es wieder, als er sich Kaffee nachgiesst, wieso ...
Was sie wissen will, ist, warum du -
Nein!, fährt Daphne dazwischen.
- Mum verprügelst. Astoria knabbert seelenruhig an ihrem Toast, sieht dabei zu, wie die Augen ihres Vaters immer grösser werden und die ihrer Schwester immer feuchter. Vielleicht will sie aber auch wissen, warum du nur Mum verprügelst. Die Väter von anderen toben sich an der ganzen Familie aus, du nicht. Das verwirrt Daphne, schätze ich. Sie weiss nicht, ob sie dich lieben darf, obwohl du unserer Mutter Gewalt antust, oder dich hassen muss, auch wenn du ihr gegenüber bislang nicht einmal laut geworden bist.
Der erste Fluch trifft Astorias Rücken noch am selben Tag. Sie steckt nicht leise ein, nicht ohne Gegenwehr, und ganz egal, wie heftig die Schmerzen werden, sie gibt ihm nicht, was er will, entschuldigt sich nicht für ihr vorlautes Mundwerk.
Sie hat sich noch nie so stark gefühlt.
(Daphne versteckt sich im Kleiderschrank vor den Schreien ihrer kleinen Schwester.)
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Man macht weiter, hoch erhobenen Hauptes und ohne von den Schlägen zurück zu zucken, Astoria weiss das, man macht weiter, immer.
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Wenn wir ihre Gesichter vertauschen, alles, nur die Blicke nicht..., überlegt Astoria, während sie die anderen Kinder im Park beobachten, die, die lachen und albern sind und es so meinen. Die nicht wissen, wie man seiner Schwester die Hand hält, von Mum und Dad eingekeilt, und dabei das Lächeln lächelt, das die ganze Welt vor der Haustür an der Nase herumführt.
Wir würden sie nicht erkennen, sagt Asha Goyle. Sie sind die Glücklichen. Die Austauschbaren. Sie könnten die ganze Familie miteinander tauschen und würden genau gleich zufrieden einschlafen.
Würdest so etwas wollen? Eine heile Bilderbuchfamilie?
Ich werde mir was Eigenes suchen, meint Asha. Wir müssen nur die Schule abschliessen, dann können wir gehen, wohin wir wollen. Vielleicht werden wir glücklicher sein, vielleicht unglücklicher. So oder so werden wir wenigstens selbst Schuld daran haben.
Sie zählen die Tage bis zum ersten 1. September, streichen jeden, den sie geschafft haben, im Kalender durch. Den 23. Mai kreist Astoria ein, auch in jedem weiteren Jahr. Es ist der Tag, an dem Asha stirbt.
Bei einem Unfall.
Dad hat versehentlich ihren Schädel zertrümmert.
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Im Nachhinein kann sie nicht sagen, warum sie sich in Draco Malfoy verliebt hat. Vielleicht lag es einfach daran, dass er Vincent in der zweiten Klasse auf Gregory gehetzt halt, als dieser sich auf Daphne stürzen wollte (das mit Asha tut mir leid, mehr hat sie gar nicht gesagt, aber er hat sie angesehen, als wäre sie Schuld an ihrem Tod). Er hat sich danach nicht mehr um sie geschert als davor, aber Daphne bildet sich gern ein, dass sie ihm durch den Kopf spukte; dass er an dem Tag erkannt hatte, wie sehr sich das Dahinter ihrer Blicke ähnelte.
Jedes Mal, wenn sie sich allein begegnen, auf dem Weg in die Kerker zum Gemeinschaftsraum etwa, will sie seine Hand in ihre nehmen, vertraulich nah bei ihm stehen und ihn fragen, was in seiner Familie vor sich geht, sobal die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Ist es deine Mum, dein Dad, was tun sie dir an, welche Farben hat euer Unglück, willst du teilen, willst du weglaufen, lass uns weglaufen, bitte lass uns gemeinsam weglaufen - sie sagt nie ein Wort davon.
Das mit deiner Mutter tut mir leid, sagt er am Morgen nach der Schlacht, setzt sich neben sie auf den Tisch in der Grossen Halle, vertraulich nah, greift nach ihrer Hand, hält sie fest.
Seine Eltern stehen nicht weit von ihnen entfernt, behalten ihn im Auge. Am Ende war ihnen alles egal, sie wollten nur, dass es ihrem Sohn gut geht. Ihr Vater wollte auch nichts anderes. Er ist ihr nach, als sie Draco nach ist, hat sich nicht darum gekümmert, wer links und rechts auf ihrem Weg starb, ob Freund oder Feind.
Ihre Mutter dagegen blieb auf der Seite, die sie sich ausgesucht hatte, und starb dort.
Danke, sagt Daphne, und weil es so teilnahmslos klingt, ohne jede Spur von Schmerz, vergräbt sie das Gesicht an Dracos Schulter und weint ein paar Tränen.
Ihre Mutter ist tot und sie ist glücklich.
(Das macht sie noch unglücklicher.)
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Sie war ein schlechtes Vorbild, sagt Daphne nach der Beerdigung.
Astoria lehnt an der Wand der Familiengruft, eine Zigarette zwischen den Lippen und Ferne in den Augen. Sie hat nicht geweint, das sieht man ihr an, und Daphne ist sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch einmal geweint hat, nachdem sie zu alt dafür geworden ist, es bei jedem Gefühl von nicht genug beachtet werden und jedem Schreck zu tun.
Meinst du?
Ich würde meinen Töchtern jedenfalls nicht vorleben, dass es in Ordnung ist, vom Mann misshandelt zu werden. Sie hätte ihn verlassen können, hat es aber nie getan.
Sie hat nie gesagt, dass es in Ordnung ist. Nie. Du bist die einzige, die denkt, dass das, was er getan hat, in Ordnung wäre.
Ich denke nicht, dass -
Du bist Daddys kleines Mädchen, fährt Astoria dazwischen. Du wohnst doch wieder in deinem Kinderzimmer, oder? Hast dein Zeug gepackt und interessiert dich nicht sonderlich dafür, wann du dort wieder wegkommst. Von ihm wegkommst. Astoria schweigt einige Züge lang, pustet den Rauch zwischen sich und Daphne. Du glaubst vielleicht nicht, dass es in Ordnung ist, wenn irgendein Mann irgendeine Frau verprügelt - aber dass unser Vater unsere Mutter geschlagen hat, ist für dich okay. Andere verdienen so etwas nicht, aber unsere Mutter schon, nicht wahr? Das ist, was du denkst.
Daphne wünschte, sie könnte es abstreiten und so meinen.
Schon klar, sagt Astoria, du bist einfach nicht wie sie. Nicht wie ich. Du weichst den Schlägen aus, manövrierst dich an ihnen vorbei, aber verprügelt hätte er dich genauso ohne Reue. Er hat uns nicht weh getan, weil wir es verdient hatten. Er war bloss so blöd zu glauben, dass er uns damit eines Tages klein kriegen würde. Und weisst du was? Du bist die Einzige von uns, der er wirklich schaden konnte.
Mir geht es bestens.
Wenn du meinst. Aber eines Tages wirst du trotzdem ein grosses Mädchen sein, Daphne, und wie ruhig wird Dads Hand noch sein, wenn deine Entscheidungen nicht mehr seine sind? Astoria schnippt ihre aufgerauchte Zigarette weg, stösst sich von der Mauer ab. Sie hat uns geliebt, darum ist sie geblieben. Sie hat uns gezeigt, was die Wahrheit ist, unsere Wahrheit, wie unsere Familie ist, wenn die Scheinwerfer ausgehen, und wenn du nur ein einziges Mal richtig hingesehen hättest, könntest du dich inzwischen selber beschützen.
Wir sind fertig miteinander, ruft Daphne ihr nach, schreit es über die Gräber, und Astoria ruft, ohne sich umzudrehen, stehen zu bleiben oder auch nur einen Blick über die Schulter zu werfen, zurück: Ich hatte ohnehin nie eine grosse Schwester.
(Erinnert mich an meine Tante, sagt Draco später am Tag, sie ist jetzt auch tot.
Er verliert kein Wort darüber, dass er sich manchmal vorstellt, wie er heute wäre, wäre Bellatrix seine Mutter gewesen. Sie war verrückt, aber sie hätte verhindert, dass er schwach ist.)
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Sie hat nie vorgehabt, sich an Daphne zu rächen. Wofür auch? Wenn überhaupt, empfindet sie nur Mitleid für sie.
Dass sie mit Draco schläft, ist keine Sache unter Schwestern, es ist eine Sache zwischen ihm und Astoria, beide angetrunken und ungebunden, denkt sie, vom Bartresen ohne Umwege ins nächste Hotelzimmer, heute Nacht und vielleicht nochmal morgen, mehr aber auch nicht; länger wird Astoria auch gar nicht in England sein.
Sie weiss nicht, dass Draco vor ein paar Stunden noch Daphne geküsst hat. Dass sie zusammen wohnen, er nach dem richtigen Ring sucht, sie von eigenen Kindern zu träumen angefangen hat. Astoria hat sich direkt nach der Beerdigung ihrer Mutter in Beauxbatons einschreiben lassen, hat die Ferien bei einer entfernten Tante in einem kanadischen Nest verbracht, geht nur einmal im Jahr nach Grossbritannien, um das Grab ihrer Mutter und das von Asha zu besuchen.
Sie weiss von nichts. Von nichts, von nichts, von nichts -
Es ist die Wahrheit, ist es wirklich, aber Astoria ist sich trotzdem nicht sicher, ob sie ihre Schwester nicht doch bewusst bestrafen wollte, als Draco sich anzieht und sagt: Ich muss los. Daphne wartet auf mich.
Zwei Monate später kommt sie nur zurück, weil sie will, dass ihr ungeborenes Kind zu viel Spielzeug und Taschengeld hat, wenn schon keine heile Bilderbuchfamilie.
(Und weil Daphne ihm verzeihen würde, wenn man sie lässt, weil er die nächste Frau finden wird, die anders ist als er, ein bisschen mehr so, wie er gerne wäre, und weil Daphne auch das verzeihen würde. Sie entreisst Daphne die Entscheidung, das ist falsch, natürlich, aber sie muss noch immer an die Fünfjährige denken, die laut gekreischt hat und unfähig war zu tun, was getan werden musste.)
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Bist du jetzt glücklich?, fragt Daphne. Bist du es?
Was ist schon Glück, erwidert Astoria.
Es liegt trotzdem ein bisschen was davon in der Luft, wenn sie Scorpius gemeinsam beim Schlafen beobachten.
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