Ein ganz normaler Sonntag?

Feb 07, 2011 20:01

Ich muß irgendwann zwischen sieben und acht wachgewesen sein.
Fakt ist, daß ich erst eine ganze Weile später wirklich aufstand, als ich schon Geräusche im Treppenhaus gehört hatte.
Meine Mutter war auch schon in der Küche (wegen der Tabletten mein erster Anlaufplatz) und verkündete als erstes, daß sie - entgegen der Ankündigung am Vortag - nicht vormittags backen würde, sondern erstmal putzen wolle. Ursprünglich hatte sie vorgesehen, gleich morgens zu backen, weil sie momentan mal wieder kohlenhydratarm essen will und deshalb in der ersten Hälfte des Tages von ihrem Gebäck kosten wollte. So hatte ich mich dann auch gedanklich darauf eingestellt, zum Frühstück oder kurz danach das Ergebnis probieren zu können.
Ich rührte dann meinen Teig an, stellte ihn auf den Boden (mit Fußbodenheizung) in der Ecke des Eßzimmers, wie üblich. Bot dann meine Hilfe beim Putzen an und zog auf Aufforderung hin die Betten ab. Zuvor hatte ich auch schon einen Rest vom Weihnachtsschmuck aus dem Ficus benjamini gefischt.
Nach 3x Kneten und dazwischen je 10 Minuten Ruhezeit sollte der Teig eine Stunde ruhen. Meine Mutter war irgendwo im Haus unterwegs.
Ich verzog mich guten Mutes an ihren Rechner, um ein bißchen Internetkram zu erledigen. Das nahm dann wegen der Lahmheit des Rechners deutlich mehr Zeit in Anspruch als eine knappe Stunde.
Bereits vorher war meine Mutter während meiner Teigvorbereitungen gelegentlich um mich herumscharwenzelt. Ob ich nicht den Teig zum Gehen in den Backofen stellen wolle? Ich hatte die größte Schüssel genommen, die es im elterlichen Haushalt gibt: eine transparente Plastikschüssel.
[Meine Eltern räumen mit schöner Regelmäßigkeit sämtliche Plastikbehältnisse in die Spülmaschine. Nicht wenige sind in den vielen Jahren verbogen - fast jedes Mal habe ich (mindestens 24 Jahre alt!) darauf hingewiesen, daß die Gefäße die hohen Temperaturen in der Maschine möglicherweise nicht vertragen. Ratet mal, wer sich anhören mußte, blöden Unsinn zu erzählen?]
Als ich meine Arbeit am Rechner beendet hatte, war meine Mutter gerade dabei, den Boden im Eßzimmer zu wischen. Es war Viertel nach zwölf; etwa eine Dreiviertelstunde zuvor hatte sie von unten gerufen, ob ich nicht meine Wäsche zusammenlegen wolle.
Die Schüssel mit dem Teig stand "natürlich" nicht mehr auf dem Boden. An der Tür stand der Nachbar, sodaß ich erstmal nix sagen konnte. Nachdem ich die Schüssel im Backofen gefunden und mich über die Temperatur der Schüssel (etwas über handwarm) gewundert hatte, verabschiedete sich der Nachbar auch bald. Ich fragte meine Mutter nun - in normaler Lautstärke, aber durchaus etwas gereizt -, was sie sich dabei gedacht habe, den Teig und die Plastikschüssel in den Backofen zu stellen und letzteren auch noch anzuheizen. Da hätte er doch gut gestanden. Sie hätte doch die Türen zur Küche und dem Wohnzimmer offengehabt und dort jeweils die Fenster geöffnet. Da hätte der Teig doch im Zug gestanden. Und so weiter ... ein Widerwort gab das andere, bis ich ihr nach einer halben Stunde in meiner Hilflosigkeit am liebsten die Stuhlkissen um die Ohren gepfeffert hätte. (Ich hab viel zu viel Bammel, um jemandem eine Ohrfeige zu geben.)
Stattdessen verzog ich mich in die Küche, schlug (fast) die Tür zu und brach in Tränen aus. Irgendwo mußten die aufgestauten Emotionen ja hin.
Nach dem Rezept hätte ich jetzt den Teig in zehn Teile teilen, alle ausrollen und fest wieder zusammenrollen müssen.
Ich rollte also das erste Teigstück aus und begann gerade, es aufzurollen, als mir erneut alles zuviel wurde. Daraufhin setzte ich die Teiglinge nur so auf das Backblech, wo sie nochmals 30 Minuten ruhen sollten und deckte sie mit einem Küchentuch ab. Währenddessen heizte der Backofen auf 220 Grad vor.
Gebacken habe ich die Brötchen letztlich bei 220 Grad 25 Minuten lang. Auf der obersten Schiene, weil wegen des Backofenthermometers kein anderer Platz im Backofen war.
Zwischendrin hatte ich meine Unterwäsche abgenommen (vor dem Mittagessen! Zeitrekord!), den Wäscheständer wieder in den Waschkeller geräumt, eine Maschine mit einem Teil der Bettwäsche angesetzt und auf den Leinen Platz geschaffen, indem ich die trockenen Sachen abgenommen hatte.
Die Brötchen waren letztlich ca. 30 Minuten, bevor mein Vater wieder den Backofen gebraucht hätte, fertig.
Während er in der Küche stand, brachte meine Mutter das Thema noch mal auf und forderte ein, daß ich ihr mit einer Umarmung zeigen sollte, daß ich mich wieder beruhigt hätte und ihr wieder besser gesonnen sei. Ich wies sie daraufhin, daß sie doch eigentlich wissen könnte, daß ich auf negative Kritik nicht sehr flexibel reagiere, schließlich kennt sie mich seit über 30 Jahren. Woraufhin sie sich zu der Aussage verstieg, daß man eben so mimosig werde, wenn man so lange allein lebe. (Ich habe mich dann eines weiteren Kommentars enthalten.)

Am Abend sitzen meine Mutter und ich vor dem Fernseher. Hindenburg, Teil 1. Meine Mutter muß jede Handlung kommentieren. Wann denn was passieren würde?
Ich bin noch immer noch nicht richtig runtergekommen, halte aber den Mund. Reiße mir stattdessen die Lippe auf und muß mich (natürlich!) mal wieder fragen lassen, ob ich denn wüßte, wie ich aussehe, wenn ich mir die Lippe aufreiße. Klar, wenn es mich seit ca. 15 Jahren nicht interessiert hat, wird es das jetzt tun ...
Später, im Bett, lese ich erst noch fast eine halbe Stunde, versuche dann einzuschlafen, habe aber nur Alpträume und wache etwa um zehn vor eins aus einer Art epileptischem Anfall wieder auf. Die um meine Unterschenkel flatternden Beine des Schlafanzuges triggern mich, ebenso wie die als viel zu groß und zu schwer empfundene Bettdecke. Der Bettbezug ist nicht mehr aus glattem Stoff, auch das trägt zum Triggern bei.
Ich schleiche einen Stock tiefer, zum Fernseher, irgendwie muß ich runterkommen.
Auf RTL läuft die Nachtwiederholung von Hindenburg 1, die ich schaue, ebenso wie die anschließende Dokumentation über den tatsächlichen Vorfall.
Dann ist es kurz vor drei, ich gehe zurück ins Bett und schlafe wie ein Stein, bis um 6.30 Uhr der Wecker klingelt.

Da ich heute morgen das Haus verlassen habe, bevor meine Eltern gehfertig gewesen wären (obwohl es Viertel vor acht war), ich mich somit von meiner Mutter verabschieden mußte, als sie noch im Bad war, vergaß ich in meiner Erregtheit die Tüte mit dem Bettlaken und dem Kopfkissenbezug, die ich neben meinen Rollkoffer gestellt hatte. Der Koffer war gestern abend schon ziemlich voll gewesen, als meine Mutter trotzdem noch die Bettwäsche drauflegte. Den Deckenbezug hatte ich gerade so noch unterbringen können.
Kaum, daß sich die Türen des Zuges nach Frankfurt geschlossen hatten, kommt eine SMS, was diese seltsame Verabschiedung denn hätte sein sollen. Und was sie jetzt bitte mit meiner Tüte tun sollen.
Anfang März will meine Mutter wieder nach Zürich fahren. Ich bin auch mit eingeplant, ebenso wie für die Feier des 80. Geburtstages meiner Oma eine Woche später. Ich dürfe "auf keinen Fall" nicht mitkommen.
Ich kann es mir nicht verkneifen, zurückzuschreiben, daß sie sich melden solle, wenn sie allein nach Zürich fahren will. Ich sehe keinen Sinn darin, mich vor meiner Schwester, meiner Nichte und meinem Schwager diesen Triggern auszusetzen.

Ich habe eine ganze Weile überlegt, ob ich das hierhin schreiben soll.
Es läuft bei uns nicht immer so, aber etwas exemplarisches hat diese Geschichte trotzdem.
Und in der Regel schlucke ich das dann einfach hinunter, weil mir ja nichts anderes übrig bleibt.

P.S.: Das Rezept bei Küchenlatein und ein Bild von meinen Brötchen, die übrigens sehr lecker sind:


geliebter alltag

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