Dieser Tag begann mit einem viel zu zeitigen Weckruf um 4:50 Uhr morgens. Die Sonne befand sich noch hinter den Bergen und nur das tosende Meer durchbrach die Stille. Wir krochen aus dem Bett um einem Tipp unserer Hotelfrau nachzugehen. Wir hatten nämlich gestern gefragt ob man hier irgendwo relativ sicher Bären sehen könnte…mit einer Antwort hatten wir nicht gerechnet oder eher mit etwas wie „Ihr seid doch wahnsinnig, seid froh wenn ihre keine Bären begegnet!“ aber nein. Bereitwillig kreiste sie die Flüsse auf unserer Utoro-Karte ein, in denen man zur Lachswanderung morgens wohl regelmäßig Bären beobachten kann.
Einer dieser Flüsse befand sich am anderen Ende des Ortes, etwa 45 Gehminuten entfernt und zwischen 5 und 6 Uhr morgens wäre wohl die beste Zeit für die Bären. Also stiefelten wir halb verschlafen, halb ängstlich los.
Zur Lachswanderung muss ich zuvor aber auch noch ein paar Worte verlieren. In den Dokumentationen sieht das alles immer sehr spektakulär aus und natürlich ist das auch ein atemberaubendes Naturschauspiel aber es nimmt einem wortwörtlich den Atem, denn der Geruch, der einem an diesen Flüssen in die Nase steigt ist bestialisch. Und das sage ich, ich bin bei solchen Gerüchen sonst nicht zimperlich. Vor allem an den Flussmündungen liegen ungelogen hunderte verwesende Fische herum, im Fluss, an den Ufern, auf Steinen, überall. Im Fluss selbst sieht man haufenweise geschwächte, verletzte und sterbende Fische - die, die eine bessere Kondition haben, kann man meist erst weiter flussaufwärts beobachten. Drumherum sammeln sich sämtliche Aasfresser, die aber meist nur noch die Augen aushacken, weil sie aufgrund des Überangebots faul und vollgefressen sind. So eine Verschwendung in der Natur ist mir auch noch nie untergekommen, es ist wirklich grotesk aber faszinierend, man muss das einfach live erlebt haben.
Nun aber zurück zu unserer Bärentour. Vermutlich haben wir halb Utoro mit unserem Glockenspiel aufgeweckt, denn wir wollten schließlich nicht vom Bären gefressen werden und die Bärenglocken werden ja nicht umsonst überall verkauft ;)
Als wir uns dem Fluss näherten, über den übrigens eine 15m hohe Straßenbrücke führt, sodass man den Bären ohnehin nicht zu nahe kommt, bot sich uns ein unerwarteter Anblick. Mehrere Autos parkten mit Warnblink am Straßenrand und an der Brücke bildete sich eine Menschentraube. Vergessen war die Angst, die Glocken wurden sofort im Rucksack deponiert und dann sprinteten wir zur Brücke. Die folgende Szene war unfassbar! Ich schreibe das hier oft…aber ehrlich, einen Braunbären in freier Wildbahn zu sehen, ist wirklich unbeschreiblich. Unter uns stand doch wahrhaftig eine Bärenmutter mit ihrem Jungen mitten im Fluss und angelte Lachse. Das tapsige Junge, unternahm auch immer wieder ein paar Versuche und fing sogar mal einen Lachs. Zwischendurch stolperte es aber gern auch mal über einen Stein und war wie Bärenjunge nun mal so sind: irre niedlich! ♥ Wir konnten den Beiden etwa 15 Minuten beim Lachse fangen und verspeisen zusehen, ehe sie weiter flussaufwärts verschwanden. Nachdem ich nun schon Pfeifhase, Mandschurenkranich, Zobel und andere Bewohner Hokkaidos erleben durfte, habe ich heute also den König dieser Insel getroffen. Dieser Urlaub ist fast zu schön um wahr zu sein, ich bin SO dankbar!
Die Bären ♥ (Das Foto rechts und das untere Knaller-Foto sind übrigens von Christian)
Wieder im Hotel angekommen wurde erst mal gefrühstückt und dann etwas Schlaf nachgeholt, ehe es um 10:00 Uhr auch schon weiter ging. Denn heute sollte nun endlich unser WhaleWatching stattfinden und für uns schien das Wetter dafür perfekt zu sein! Es war nicht eine Wolke am Himmel, wir hatten sommerliche 20 Grad und auf dem Festland war es auch fast windstill. Mit dem Bus ging es dann nach Rausu, der einzigen Siedlung, neben Utoro, auf der Halbinsel. Rausu ist touristisch kaum erschlossen, es gibt keine Hotels aber der Ort hat dafür einen wesentlich größeren Fischereihafen als Utoro und ist quasi das Tor zu den Kurilen. Die Kurilen haben wir bereits während der Busfahrt gesehen, als wir das Gebirge rund um den Mount Rausu überquerten. Im Ort selbst kommen einem die Inseln vor als wären sie nur einen Katzensprung entfernt und genau das sind sie mit ihren 30km Entfernung auch. Auf der WhaleWatching Tour wollten wir ihnen dann so nah wie möglich kommen.
Bei dem Anbieter der Tour angekommen, erhielten wir allerdings die traurige Botschaft, dass die Tour aufgrund zu starken Seegangs wieder ausfallen würde. Damit hatten wir so gar nicht gerechnet…aber es ließ sich nicht ändern. Dank unserer Bärensichtung am Morgen war die schlechte Neuigkeit aber recht schnell vergessen und wir erkundeten Rausu dann einfach auf eigene Faust.
Mount Rausu, der höchste Berg Shiretokos & ein Blick vom Gebirge aus auf die Kurilen
Wir wanderten relativ lange am großen Fischereihafen entlang und wurden auch das ein oder andere Mal von den doch sehr verwunderten Fischern schief angeguckt, aber am Ende des Hafens, auf einer Kaimauer, hatten wir den besten Blick auf die Kurilen.
Die Kurilen. Dieses Kapitel zwischen Russland und Japan ist bis heute nicht abgeschlossen. Seit dem zweiten Weltkrieg gehört die Inselgruppe vollständig zu Russland, Japan beansprucht vier der Inseln aber bis heute. Dieser Konflikt geht auf nicht unterzeichnete, alte und angeblich nicht rechtskräftige Verträge zurück. Wenn ich das jetzt genau erklären würde, würde ich hier noch viele Seiten füllen, ich lasse das an dieser Stelle mal sein. Fakt ist aber, dass es bis heute, 70 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, aus diesem Grund keinen Friedensvertrag zwischen Japan und Russland gibt. Die Kurilen sind militärisches Sperrgebiet und die wenigen Leute, die dort leben führen ein erbärmliches Leben und sagen selbst, dass sie vom Staat völlig in Stich gelassen werden. Es gibt kein Krankenhaus und die Häuser zerfallen zusehends.
In der Dokumentation, die sich vor ein paar Tagen sah, wurde außerdem von einem Fall berichtet, bei dem ein japanischer Krabbenfischer vor den Kurilen von der russischen Grenzwache abgeschossen wurde, weil er versehentlich auf russisches Territorium fuhr. All dieser Schrecken und der Konflikt, der die beiden Staaten bis heute beschäftigt, war für uns kaum zu erfassen, als wir da auf der Kaimauer standen und die Fischerboote friedlich im Schatten der Kurilen vorbeifahren sahen. Ich habe mich auf meiner Reise aber schon mehrfach gefragt ob dieser Konflikt wohl in den nächsten Jahrzehnten noch gelöst wird, ich hoffe es sehr für Japan und Russland.
Hier mal ein Panorama um die Größe der Kurilen halbswegs darzustellen und das ist nur eine der Inseln!
An der Kaimauer konnte ich auch noch diese Schönheiten sichten: Links eine Meerscharbe und rechts endlich die farbenfrohen Männchen der Kragenente
Irgendwann mussten wir dann wieder zur Bushaltestelle. Zurück gingen wir aber noch etwas durch die Stadt. Dabei kamen wir dann zufällig am Shiokaze-Park vorbei, in dem die Statue des Hauptdarstellers eines in Japan bekannten Films, "Chi-no-Hate-ni-Ikiru-Mono („Leute, die am Ende der Welt leben“) zu sehen war. Der Film von 1960, der den gleichnamigen Roman zur Vorlage hatte, spielte in Rausu, weswegen das Monument sich dort befindet. Das Lied Siretoko Ryojo (Sense of Shiretoko Journey), das zu dieser Zeit entstand und ebenfalls von der Halbinsel erzählt, ist in Japan ebenfalls sehr populär und findet im Shiozake-Park Erwähnung.
"Der alte Mann von Ochotsk" den der Hauptdarsteller im Film spielt & ein Shintoschrein in Rausu
Unsere Busfahrt zurück nach Utoro zeigte uns dann sehr eindrücklich warum es gut war, dass die heutige WhaleWatching Tour ausgefallen war. Binnen weniger Stunden zog, von Utoro kommend, eine gewaltige Regenfront auf, die bei unserer Ankunft bereits Regen übers Meer brachte. Wir kamen noch im Trockenen ins Hotel aber jetzt, wo ich hier sitze, regnet es draußen und es scheint, als würde das Wetter heute auch nicht mehr viel besser werden.
Wie gut, dass unser Tag heute so früh begonnen hat, wir haben Tolles erlebt und haben nun den restlichen Abend Zeit um gemütlich im hoteleigenen Restaurant zu sitzen und unseren üblichen Aktivitäten nachzugehen.
Morgen geht es dann weiter nach Kushiro - ins Land der Mandschurenkraniche! ♥