Ein Hauch von Heimat & die Magie des Kranichs

Oct 05, 2018 11:49

Gestern zogen wir weiter. Etwas wehmütig verließen wir das schöne Utoro auf der Shiretoko-Halbinsel aber gleichzeitig waren wir auch sehr gespannt auf die nächsten Tage. Denn das letzte große Ziel auf Hokkaido sollte das Kushiro-Moor sein. Hier wollten wir dem Mandschurenkranich, dem Symbolvogel Japans, endlich so nah wie sonst nirgends kommen. Denn die große Moorlandschaft hier im Süden Hokkaidos ist das letzte Rückzugsgebiet der anmutigen Vögel. Sie galten vor einigen Jahrzehnten sogar als ausgestorben in Japan, bis man sie hier in der nur schwer zugänglichen Moorlandschaft wieder entdeckte und fortan schützte. Ansonsten gibt es diese Art nur noch in einem Areal Ostchinas. Etwa 2.000 Vögel leben mittlerweile wieder in Japan aber eben nur in diesem Moor und in den angrenzenden Arealen. Sie zu finden würde also nicht so einfach werden.

Unter gekommen sind wir in den nächsten Tagen im kleinen Toro, das außer unserer Jugendherberge und ja, tatsächlich steht auf unserer Unterkunft fett „Jugendherberge“ geschrieben, nicht viel außer einem kleinen Bahnhof und einen Fahrradverleih zu bieten hat. Ach ja und ein Pasta-Restaurant, dass schon sehr früh schließt, uns gestern aber am Abend noch rettete. Es gibt hier keine Läden und selbst manche Getränkeautomaten sind außer Betrieb. Was soll man sagen…hier ist wirklich nichts los.
Um 13:00 Uhr kamen wir bereits in diesem überschaubaren Dörfchen an und da wir noch nicht einchecken konnten, nahmen wir den Ort mal genauer unter die Lupe. Insgesamt fanden wir hier drei Gebäude, die irgendwie nach Kanu-Verleih aussahen, geöffnet hatte aber nur eines. Wir spazierten also direkt rein und fragten mal nach.
Nun ja 30 Minuten später saßen wir schon mit dicker Schwimmweste in einem Kanu und wurden von einem Japaner über einen Fluss mitten durch die moorige Landschaft geschippert. Wir fanden die Aktion zwar etwas übervorsichtig, letztendlich war das aber ziemlich praktisch weil mal so Zeit hatte nach Tieren Ausschau zu halten und Fotos zu machen. Und so einen tiefen Einblick in die Welt dieser Landschaft bekommt man sonst nirgends, denn es gibt keine Wanderwege durch diese Landschaft, nur ab und an ein paar Aussichtspunkte von angrenzenden Anhöhen aus.


 

Peenefeeling & wenigstens eine Ansicht, die es so nicht an der Peene gibt ;)


 

Eisvogel & Schwarzmilan mit Fisch




Flussansicht & Mink

Die Kanufahrt war total schön und gleichzeitig kam man sich wirklich vor wie in Vorpommern. Nach all der Zeit hier in Japan fand ich dieses heimatliche Gefühl unglaublich schön. Ich habe mich gefühlt wie zu Hause und auch die Tiere waren wie zu Hause. Wir sahen wieder Sikawild, was ja unseren Rothirschen gar nicht unähnlich ist, einen blitzschnellen Eisvogel, einen stattlichen Seeadler mit einem fetten Fisch im Baum, direkt vor uns angelte sich ein Schwarzmilan einen Fisch aus dem Fluss und wir konnten sogar kurz einen Mink sehen, der zwar in Japan eingeschleppt wurde, in Deutschland aber genauso und deswegen auch kein richtiger Exot war. Den viel größeren Trauerfischer (der ist ca. 3x so groß wie ein Eisvogel) haben wir leider nicht gesehen aber dafür dass wir nur 1,5h unterwegs waren, wurde uns wirklich jede Menge geboten. Ich habe einen Seeadler beispielsweise noch nie so nah gesehen und dann auch noch mit einem dicken Fisch in den Klauen und dass Schwarzmilane Fische fangen können, war mir auch nie klar. Vielleicht ist das aber auch eine Spezialität dieser Unterart hier in Japan. Es war wirklich eine super Idee die Fahrt zu buchen und so konnten wir den gestrigen Tag schon wunderbar nutzen.
Am späten Nachmittag sind wir dann noch zu einem Aussichtspunkt gewandert um mal einen Überblick über die Moore zu bekommen und auch das war eindrucksvoll. Ich kenne Sumpflandschaften zwar auch aus meiner Heimat aber die Sümpfe hier sind schier endlos und wirken so wild. Ich habe mich gleich an die Totensümpfe aus dem Herrn der Ringe erinnert gefühlt. Was für eine eindrucksvolle Landschaft.



Und weil ich vom Seeadler kein Foto habe, noch mal der Schwarzmilan in all seiner Pracht =) (Foto: Christian)


 

Sikahirsche, ich kann einfach nicht genug von ihnen bekommen :D



Sicht übers Moor - die kleinen weißen Punkte im Hintergrund sind übrigens Toro

Am Abend fragten wir unseren Hotelfrau dann noch wo man denn am besten die Kraniche sehen könnte, denn die hatten wir gestern leider nicht entdeckt und jetzt nach der Brutzeit vermuteten wir sie auch eher auf den Feldern, statt inmitten des Moores. Und in Utoro war der Tipp der Hotelbesitzerin ja auch goldwert gewesen und was einmal klappt, funktioniert vllt auch ein zweites Mal, dachten wir uns. Tatsächlich lief die Situation sehr ähnlich ab. Die Hotelfrau holte Karte und Stift und versuchte uns zu erklären, wo wir die Kraniche am besten finden könnten. Da sie nicht wegziehen, daher meist nur als Familienverband unterwegs sind und obendrein riesige Reviere haben, würde das aber gar nicht so leicht werden. Die nette Dame empfahl uns Fahrräder auszuleihen und die Orte anzusteuern, die sie uns einzeichnete. Und eben genau das taten wir heute.



Wir am Eingang zum Nationalpark :)

Es ging früh aus den Federn und tatsächlich hörten wir schon zum Frühstück den magischen Ruf dieser wundervollen Geschöpfe und sahen zwei von ihnen über das Moor hinwegziehen. Und dieser Kranichruf macht süchtig - ehrlich! Hört man einmal den Klang durch die Landschaft schallen, möchte man ihn immer wieder hören.
Mit den Fahrrädern ging es dann über eine Schotterpiste, die mich doch sehr an Namibia erinnerte, in Richtung Tsurui, den Ort an dem wir gute Chancen haben sollten Kraniche zu erblicken. Den ersten Stopp legten wir an einem Aussichtspunkt ein, kletterten einen Hügel hinauf und sahen wieder in die schier endlosen Weiten des Moores. Und dort verharrten wir glücklicherweise auch eine Weile, denn plötzlich hörten wir es wieder - das magische Rufen der Kraniche. Und dann sahen wir sie auch, wie sie über die wilde Landschaft segelten. Was für ein Anblick. Die Tancho, wie sie auf Japanisch genannt werden, wirken fast geisterhaft in dieser sonst so grünen Landschaft. Ihr schwarzweißes Federkleid sticht so heraus und gleichzeitig passt es so unglaublich gut in diese wilde Welt. Ich liebe diese Vögel. Das tat ich schon vorher und nicht umsonst habe ich ihnen bereits ein Bild gewidmet, aber nun habe ich das Gefühl diesen Tieren noch so viel näher gekommen zu sein.
Nach diesem magischen Moment fuhren wir schon vollends zufrieden weiter, nun konnte kommen was wollte, der Tag war ohnehin schon der Wahnsinn! Es kam aber noch viel besser. Nach einiger Zeit erreichten wir Feuchtwiesen, die mit Gräben durchzogen waren und immer mal von einem kleinen Bruchwald unterbrochen wurden. Heimat pur. Hätte sich kein Vulkan im Hintergrund aufgetan, hätte ich gedacht ich wäre in den Schwingewiesen. Und da war er dann wieder, der Ruf, der uns lockte. Also fuhren wir einen kleinen Feldweg in die Wiesen und suchten das Areal ab - leider ohne Erfolg. Als wir dann nach einer Weile umkehrten, sahen wir dann in der Ferne aber tatsächlich einen weißen Punkt leuchten und der Blick durchs Fernglas bestätigte es. Tancho!

Es folgte ein langsames Heranpirschen an die zwei Kraniche: über Wiesen, Kuhkoppeln und Gräben und irgendwann saßen wir dann vllt. 100 m von ihnen entfernt und beobachteten wie sie durch die Wiesen schritten, nach Nahrung suchten und immer mal wieder riefen. Aus der Ferne riefen auch weitere Kraniche, einmal flogen welche über uns hinweg. Wir waren im Kranichparadies gelandet! Dort saßen wir auch sicher eine halbe Stunde und in dieser Zeit, in der wir einfach nur diesen herrlichen Tieren zusahen, war all die negative Energie, die ich gestern noch hatte, wie weggeflogen. Das war Balsam für die Seele und Entspannung pur. ♥

Es war nicht leicht diesen Tieren auf Wiedersehen zu sagen aber letztendlich wollten wir dann doch noch Tsurui einen Besuch abstatten und den weiter entfernten Kranichrufen auf den Grund gehen. Und das taten wir zu guter Letzt dann auch noch und das war wirklich das Sahnehäubchen unseres heutigen Trips. Wir fuhren zu einer Farm und drum herum standen überall Kraniche auf Feldern und Wiesen, mindestens 10-15 Tiere überall verteilt. Einmal fraßen sogar zwei von ihnen direkt an einem Futtertrog, gemeinsam mit den Kühen und wir standen vielleicht 20 m entfernt und sahen ihnen zu. Wie surreal! Nun war den Tieren aber auch deutlich anzumerken, dass sie im Winter an verschiedenen Orten zugefüttert werden, da sie sonst verhungern würden. Da dies bereits seit mehreren Jahren so gemacht wird, sind die Mandschurenkraniche nun wesentlich zahmer als die Europäischen Kraniche in heimatlichen Gefilden. An diesem Ort konnten wir auch noch mal einen Jungvogel mit den Elterntieren beobachten und traumhafte Fotos machen, weil die Kraniche sich kaum an uns störten. Unfassbar!

Ich hätte NIE gedacht dass wir so viele Kraniche sehen würden und vor allem nicht SO nah. Also dieser Tag…unvergesslich und keinesfalls weniger beeindruckend als unsere Bärenbegegnung. Es ist als wäre man der Seele Japans hier tatsächlich ein wenig näher gekommen. Der Bär ist für die Ainu das, was der Tancho für die Japaner ist - mehr als nur ein Symboltier! Diese Vögel haben definitiv etwas Göttliches an sich, wenn sie wie Geister durch die wilde Landschaft Japans schreiten.

Das soll es für heute auch gewesen sein. Nun folgt nur noch die Magie der Kraniche <3 (Die folgenden Fotos sind übrigens alle von Christian, weil mein Kamerazoom eine Katastrophe ist).




 


 


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