Er schwebte in völliger Dunkelheit, in einem Meer aus Geborgenheit, Wärme, Friede... Etwas berührte sanft seine Wange und er wußte, daß er nicht mehr alleine war - nie mehr sein würde. Er lehnte seinen Kopf in diese Hand, wollte das Gefühl auskosten. Tränen schossen in Deans Augen, als ihm klar wurde, wer ihn da liebkoste und umarmte, als wäre er erneut ein kleiner Junge. Endlich hatte er seine Mutter wieder.
Hope ging mit weichen Knien neben Sam in die Hocke. Er lag wieder auf seinem Bett und war bewußtlos. Sie atmete ein mal tief durch und versuchte sich ein wenig zu sammeln. Dann legte sie dem jungen Mann eine Hand auf die Stirn und eine zweite auf das Herz. Langsam und vorsichtig tastete sie sich vor. Sie wußte, daß er psychische Fähigleiten hatte, aber sie wußte weder welche - irgendetwas in ihr ließ sie glauben, daß da noch mehr als nur Visionen waren - noch zu welchem Ausmaß. Ein Pochen erfüllte sie, wie ein stetiger Rythmus, wie die Wellen eines riesigen Meeres. Langsam und mit kleinen Schritten drang sie weiter in Sam ein. Es wurde wärmer, heiß und dann stand sie vor eine hohen Wand aus Feuer, die sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Hope streckte die Hand aus, zog sie aber zurück, bevor sie die Flammen berührte. Ihre Finger fühlten sich taub und abgestorben an. Was auch immer dieses Hindernis errichtete hatte, war böse gewesen. Sie wußte nicht, was sich dahinter befand. Aber ihr Bauchgefühl riet, sich in eine andere Richtung zu wenden. Die Feuerwand war schon lange hier. Wahrscheinlich seit Sams Geburt. Auch wenn die Neugierde sie beinahe umbrachte, sie würde Sams Lage nicht ausnutzen und dem armen Jungen Geheimnisse entreißen, die er nicht freiwillig zu teilen bereit war.
Dean fühlte eine weitere Berührung. Sie war anders. Weniger sanft, fordernder... Von ihr ging keine Liebe aus, nur Entschlossenheit. Das Etwas packte ihn fester und zog. Es versuchte ihn von seiner Mutter zu trennen! Sobald Dean das klar wurde, kämpfte er mit allem, das er hatte, dagegen an. Er würde sie nicht nochmals verlieren. Er konnte nicht zulassen, daß ihn jemand ein zweites Mal von seiner Mutter trennte! Er würde den erneuten Schmerz nicht aushalten können...
Hope ging zum xten Mal innerhalb der letzten 10 Minuten die Anzeigen der Geräte durch. Alles war im grünen Bereich. Mehr oder weniger. Wenn sie Dean einfach schlafen lassen könnte, er würde wahrscheinlich wieder fast ganz gesund werden. Sie wußte zwar nicht genau, wie gut sich sein Herz erholen würde, aber... Sie konnte nicht. Hope brauchte Dean, Sam brauchte Dean! Sie wußte, was sie in ihm gesehen hatte und sie wußte auch, daß sie Sam nicht alleine helfen konnte. Er würde es nicht zulassen. Einzig Dean konnte verhindern, daß sein Bruder zu etwas wurde, das getötet werden mußte. Hope warf erneut einen Blick auf den Blutdruck und Puls. Alles in Ordnung. Sie seuftzte und machte sich daran, Dean endgültig wieder zurück zu holen.
Das Ziehen verwandelte sich in einen richtigen Sog. Dean trat und schrieh, er klammerte sich fest, bohrte seine Finger in den Boden, bis sie blutig sein mußten, doch das Etwas war unerbittlich. Langsam aber unabwendbar entfernte sich der ältere Winchester wieder von seiner Mutter. Als er den Kontakt endgültig verlohr, hörte er auf zu kämpfen. Verzweiflung und Resignation packte ihn gleichermaßen. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen, aber es war ihm egal. Selbst wenn ihn Sammy so sehen würde... Sammy... Er versuchte sich zu erinnern. Wo war Sam? Schmerzen durchdrangen ihn und erschwerten das Denken ungemein. Jeder Atemzug sand brennende Wogen durch seinen Brustkorb. Aber Dean erinnerte sich wieder. Sam hatte den Eissiedler bekämpft... Sam war verletzt gewesen! Er mußte wieder zu Bewußtsein kommen und seinem Bruder helfen! Sammy... Er fühlte, daß etwas in seinem Hals steckte und Panik machte sich breit - und ein deja-vu Gefühl. Dean versuchte die Augen zu öffnen, aber das war anscheinend viel schwieriger als erwartet. Sam braucht mich. Er blinzelte kurz, doch sein Gehirn konnte nichts mit dem Bild anfangen, das es erhielt. Er fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Sam? ""Schhh... Dean, langsam." Nein, das war nicht Sam... Das war Hope. "Du hast einen Tubus in deinem Hals. Versuche nicht zu sprechen, ich nehm das Ding gleich heraus. Öffne erst mal die Augen, ok?" Können vor lachen... Wenn meine Wimpern mit Superkleber zusammengeklebt sind, kann ich auch nichts dagegen machen! Aber Dean versuchte es erneut. Er mußte wissen, wie es Sam ging. Danach war noch immer Zeit für alles andere. Tatsachlich klappte es beim vierten oder fünften Anlauf. Das helle Licht stach in seinen Augen und er mußte ein paar Mal blinzeln, bevor er sie länger als einen Moment offen halten konnte.
Während Hope die Monitore mit den verschiedenen Werten im Auge hielt, versuchte sie Dean zu beruhigen, sobald er wieder zu sich kam. Sie wußte zwar nur aus zweiter Hand, wie verstörend das Gefühl einen Fremdkörper im Hals zu haben sein konnte, aber sie hatte schon genug intubierte Personen aufwachen sehen um die Anzeichen der aufkeimenden Panik zu erkennen. Zum Glück ließ sich der ältere Winchester leicht ablenken und öffnete mit einigen Schwierigkeiten seine Augen. Obwohl sie die Beleuchtung auf ein Minimum reduziert hatte, rannen ihm Tränen die Wangen hinunter und er blinzelte etliche Male, bevor er sich an das Licht gewöhnt hatte. Dean richtete seinen Blick auf sie und wurde sich anscheinend des Tubus in seinem Hals wieder bewußt, denn plötzlich begann er zu würgen und die Panik war wieder da. Verdammt, so hatte sich Hope das nicht vorgestellt. "Dean, hör mir zu. Ich möchte, daß du ganz normal ausatmest. Und dann versuchst du nicht zu husten. Verstanden? Deine Lunge ist verletzt und du willst wirklich nicht husten, glaub mir." Mit einer vorsichtigen und zügigen Bewegung entfernte sie den Tubus, worauf sich die Augen des älteren Winchester weiteten. Er gab einige erstickte Geräusche von sich und ein paar Augenblicke lang war sich Hope nicht sicher, ob er ins Bett kotzen oder doch zu Husten beginnen würde, aber dann normalisierte sich seine Atmung wieder und er schloß erschöpft seine Augen. Leider konnte sie ihn nicht schlafen lassen. Sie hatte ihn aus einem Grund zurückgeholt.
Schweißperlen glitzerten auf Deans Stirn und er fühlte jegliche Kraft aus sich weichen. Seine Augen schlossen sich ganz ohne sein Zutun, als er wieder versuchte zu Atem zu kommen. Er mußte einfach wissen, was mit Sam war. Aber dafür mußte er Sprechen. Und gerade jetzt schien ihm das so leicht machbar, wie den Impala nur mit seinen beiden Händen zu stämmen. Er hatte einfach nicht die Kraft dazu. Dean fühlte, wie Hope ihm mit etwas feuchtem über die Stirn wischte und es dauerte nicht lange, da begann sie zu reden. "Dean, es tut mit leid, daß ich dich geweckt habe... aber du mußt mir helfen. Es geht um deinen Bruder..." Panik stieg in Dean auf. Sammy war etwas passiert! Er fühlte wie sein Herz schneller schlug, wie jeder Atemzug flacher aber dennoch nicht weniger schmerzhaft wurde. "Es geht ihm gut, Dean. Er ist hier, in Sicherheit, gleich neben dir. Beruhige dich wieder, bitte!" das war leichter gesagt als getan. Hope hatte doch eben gemeint, er müßte seinem Bruder helfen, also wie zum Teufel konnte dann mit Sammy alles in Ordnung sein? Das war wieder nur Ärztegeschwafel! Dean öffente die Augen erneut und sah, wie Hope gerade einen Tropf an seinen intravenösen Zugang am rechten Handrücken anschloß. Hope, was ist los? Sag mir, was mit Sam ist und rede nicht drum herum! Er versuchte so viel wie möglich davon mit seinem Blick zu transportieren, aber die Frau erwiederte ihn nicht. Dennoch sprach sie weiter: "Es geht ihm körperlich gut. Er hat eine Gehirnerschütternug und eine Platzwunde an der Stirn, aber was mir mehr Sorgen macht ist, was ich in seinem Geist gefunden habe. Irgendetwas ist in ihm drinnen. Irgendetwas Böses. Er läßt sich von mir nicht helfen und ich habe gehofft, daß er auf dich besser reagieren würde..." Seltsamerweise beunruhigte ihn diese Enthüllung nur marginal. Dean fühlte, wie sich Wärme in ihm ausbreitete und sich langsam ein Gefühl der Schwerelosigkeit in seinem Bauch breit machte. Es war echt angenehm. Eine Mischung aus Achterbahnfahrt, Sex und Schwips. Seine Lippen formten langsam ein immer breiter werdendendes Grinsen, ohne daß er dabei ein Mitspracherecht hatte.
Kapitel 18»