Während Hope das dünne Schläuchlein, das vermehrt mit Sauerstoff angereicherte Luft zu Deans Nase transportierte, vorsichtig hinter seinen Ohren befestigte, redete sie weiter auf ihn ein: "Sam schläft zur Zeit. Ich werde ihn dann wecken. Er ist hochgradig paranoid, er glaubt, ich würde euch schaden wollen. Keine Ahnung, ob das etwas mit der Gehirnerschütterung zu tun hat, oder mit dieser Präsenz in ihm. Bitte sprich mit ihm. Versuche rauszufinden, was passiert ist. Ich werde gleich draußen vor der Türe warten. Falls irgendetwas ist, falls du Hilfe brauchst, dann mußt du nur meinen Namen sagen. Ok?" Dean antwortete mit einem breiten Grinsen, Lider auf Halbmast und Hopes Hoffung sank. Verdammt, was hatte sie sich dabei nur gedacht? Der Junge war schwer verletzt und jetzt auch noch total zugedröhnt. Der ganze Plan war Scheisse. Aber nun gab es kein zurück mehr. Sam würde jeden Moment aufwachen.
Sam kam so schlagartig wieder zu sich, wie er weg gewesen war. Eben hatte er noch gestanden und war mitten drin gewesen, Hope zu exorzieren, jetzt lag er am Bett, als hätte er ganz normal geschlafen. Nur dieses urplötzliche Erwachen und der pochende Schmerz in seiner rechten Wange ließ ihn darauf schließen, daß der Exorzismus recht unsanft unterbrochen worden und er wohl am Boden gelandet sein mußte. Vorsichtig richtete sich Sam auf. Er hatte immerhin eine Gehirnerschütterung und war ja offensichtlich erneut mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Keine Ahnung, was das für Überraschungen mit sich zog. Aber glücklicherweise fühlte er nur den dumpfen Schmerz, der von einem ordentlichen blauen Fleck kündete. Irgendetwas war anders. Der jüngere Winchester brauchte einige Augenblicke, bis ihm klar wurde, was es war. Dean beobachtete ihn. Dean war wach! "Dean!" Sams Mund formte ein erleichtertes Grinsen, als er mit zwei großen Schritten zum Bett seines Bruders eilte. Auch Dean grinste, aber der jüngere Winchester stellte entgeistert fest, daß der ältere Jäger nicht nur einen unsteten Blick mit kaum mehr als Stecknadelkopf großen Pupillen hatte, sondern offensichtlich ziemlich high war. "Ssmmy" Sein Bruder blinzelte ein paar Mal und versuchte es dann nochmals: "Ssaaammy" Auch wenn er das gar nicht für möglich gehalten hätte, so konnte Sam beobachte, wie das Grinsen seines Bruders noch mehr in die Breite wuchs. Er ging langsam neben seinem Kopf in die Knie und betrachtete Dean von oben bis unten. Sein Bruder war noch immer blaß, die Augen blutunterlaufen, die Wangen eingefallen, aber er war wach und was auch immer er für Medikamente intus hatte, sein Blick schien aufmerksam. "Ja, Dean...?"
"Sammy, bisssukey?" Der ältere Winchester gab sich offensichtlich Mühe deutlich zu sprechen - mit mäßigem Erfolg.
"Ja, Dean. Mir geht's gut." Ein schiefes Grinsen huschte über Sams Gesicht. Natürlich hatte er gewußt, was Deans erste Frage sein würde. "Wie sieht's mit dir aus? Wie fühlst du dich?"
"Guut."
"Ja, das hab ich mir gedacht. Du siehst so aus, als wärst du ziemlich zugedröhnt. Schön dort oben auf deiner Wolke?"
"Ja. Aba... füdiich is aunoch Platzz." Dean machte tatsächlich anstalten, auf die Seite zu rücken, damit sich Sam abenfalls aufs Bett setzen konnte.
"Hey, Alter, bleib liegen. Bitte." Sam wußte, daß er ein wenig panisch klang. Aber erstens würde Dean das zur Zeit sowieso nicht mitbekommen und zweitens wußte Sam nicht, was für Verletzungen er wirklich hatte. Vielleicht machte er eine falsche Bewegung und... fiel tot um oder so. Mehr oder weniger... "Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Es sah eine Weile gar nicht gut um dich aus... Ich dachte schon, du würdest dem hellen Licht folgen..." Sam schluckte und versuchte das Gefühl, das gerade seine Kehle zuschnürte wieder los zu werden. Wenn er jetzt zu heulen begann, würde das Dean auch nicht helfen.
"Ja... nurs is nich hell."
"Was meinst du? Was ist nicht hell?" Sam blickte sich um. Ja, es war recht düster im Raum. Nur die Lampe neben dem Spiegel am anderen Ende des Raumes war aufgedreht.
"Nah... 's helle Licht isnich hell. 's dunkl und... warm... und wie'n Bett... und..." Dean stockte und schluckte ein paar Mal. Erst dachte Sam, seinem Bruder wäre schlecht, aber dann bemerkte er dessen feuchte Augen. Was hatte Dean in seinem Drogenrausch geträumt, das ihn so mitnehmen konnte?
"Dean, was auch immer es war, es war nur ein Traum. Ok? Kein Grund für... was auch immer."
Aber Dean schüttelte vehement den Kopf. "Sam, das war echt. Wirlich. Ich... hab..." Der ältere Winchester schluckte erneut und Sam stellt entgeistert fest, daß langsam Tränen über Deans Wangen hinunter liefen. "Mom war da..."
Oh Gott, wie erleichtert war Dean doch, als er Sam gesund im Bett schlafen sah. Er hatte zwar schon wieder vergessen, was genau geschehen war, aber der ältere Winchester erinnerte sich sehr wohl noch, daß Sam irgendetwas zugestoßen war. Dann öffnete sein kleiner Bruder auch noch die Augen, trat sogar zu ihm ans Bett und Dean war beinahe glücklich. Ein zufriedenes Grinsen umspielte seine Lippen - zumindest hoffte er das. Irgendeines der Medikamente hatte wohl seltsame Nebenwirkungen, denn er fühlte sich ein wenig, als würde er einem Film zusehen. Es war fast so, als läge nicht er da im Bett, sondern irgendeine fremde Person. Außerdem glaubte Dean, daß etwas mit seinen Gefühlen nicht stimmte. Gerade jetzt hätte er Sammy am liebsten in den Arm genommen und ihm einen dicken Kuß auf die Wange gegeben. Einen Kuß. Auf die Wange. Und Knuddeln. Ernsthaft, er doch nicht! Dean Winchester knuddelt nicht. Dean hörte sich selbst irgendetwas über Licht brabbeln. Sein Mund gehörte anscheinend auch einer anderen Person. Jemanden, der so gerne redete wie Sam. Der ältere Wochester überlegte, ob er nicht wieder einschlafen und seinen Bruder einfach mit dem Rest von sich unterhalten lassen sollte. Licht... was war das eben mit Licht gewesen? Das helle Licht... Geh nicht ins helle Licht... Das helle Licht. Nur war es nicht hell gewesen. Dunkelnheit, Geborgenheit und das Gefühl unendlicher Liebe... und... Mom... Dean fühlte es in sich brodeln, fühlte die Verzweiflung und Sehnsucht erneut. Er hatte seine Mutter heute zum zweiten Mal verloren. Mom war weg, Dad war weg und Sam... Sam würde ihn vielleicht auch verlassen, wenn er es nicht schaffte, die Pläne, die der gelbäugige Dämon offensichtlich für seinen kleinen Bruder hatte, zu durchkreuzen. Dean fühlte die Tränen in seinen Augen und auf seinen Wange. Er konnte nichts dagegen tun. Er wollte Sammy nicht zeigen, wie sehr er unter dem Tod ihres Vaters litt. Er mußte doch stark sein für Sammy... Aber er konnte nicht. Dean begann zu schluchtzen - zu schluchtzen wie ein kleines Mädchen, verdammt! Und dann plötzlich grub sich sein Gesicht in das Shirt seines Bruders und er fühlte dessen starke Arme um sich. Es war ein eigenartiges Gefühlt. Vertauschte Rollen. Aber es war auch verdammt angenehm. Dean fühlte sich sicher und der Damm in ihm brach endgültig.
Kapitel 19»