Mir schmerzen meine Freunde

Jan 09, 2009 08:35

http://metusbekhet.livejournal.com/">eine russische Frau aus St.-Petersburg schreibt:

Ich würde gerne lange, leichtsinnige, tagebuchartige Posts schreiben. Wie eine Kurzschrift des weiblichen Telefonplapperns - über Lammfleisch und Pfannkuchen, über die verschneite erfrorene Stadt St. Petersburg, über das Russische Museum, über Filme, über Warteschlangegespräche vor der Damentoilette, über Handtaschen, Nagellack, Grinsekatze, über das clementinfarbene Laternenlicht und bunte Lichter der Winterstadt… Aber da blinkt blau ein Briefumschlagsymbol in der Ecke meines Bildschirms - in meinem Posteingang befindet sich eine Email aus Ashdod. Und da sind Einträge der Freunde im Livejournal. Aber hier bei uns ist alles in Ordnung, außer der Krise - es schneit, und das Licht ist da, und der blaue Briefumschlag in der Ecke des Bildschirms…

Mir schmerzen meine Freunde. Mir schmerzen ihre Briefe und Nachrichten. Und ihnen schmerzt Israel.
Ihnen schmerzt der Krieg zwischen „diesen, die leben wollen“ und „diesen, die töten und sterben wollen“. Mir schmerzen sie, ihr Gefühl der nackten Wehrlosigkeit, wenn die Fotos ihrer Soldaten und Fotos der Mütter mit ihren Söhnen während eines Luftalarms veröffentlicht werden und die satte Biomasse, die noch nie eine Alarmsirene gehört und die 15 Sekunden danach überlebt hat, urteilt mit der müßigen Faulheit darüber, wer recht hat und wer Schuld trägt. Ihr Erklärungsdrang schmerzt mir, da ich der Meinung bin, dass falls etwas erklärt werden muss, dann soll es nicht erklärt werden. Das ist aber mein Glaube, und sie haben einen anderen. Es schmerzt mir dieses Gefühl der Ausweglosigkeit, wenn nach vielen hundert Erläuterungen weiterhin hier und dort Erklärungen wie „Hallo, ich bin euer Zielpublikum und ich glaube, ihr habt da und da unrecht“ abgegeben werden. Und schon wieder sind sie am Erläutern, Erläutern, Erläutern... Es schmerzt mir ihr Streben danach, gemocht zu werden, es schmerzt mir ihr Wunsch, im eigenen Lande zu leben und dort frei zu sein - ihr einziger Wunsch, der in leiser, kurzer, nicht lobpreisender Nationalhymne erwähnt wird. Es schmerzt mir ihr Verzweiflung vor der Dostojewski´schen „Träne eines Kindes“ und dem europäischen Humanismus gegenüber der armen Zivilisten - das, was die „aufgeklärte Gesellschaft“ ihnen vor die Nase setzt und was sie in Monster verwandelt. „Monster“, die nicht durch diese Wand durchdringen können, da nur diejenigen über Kinder und Zivilisten zu singen aufhören, die von diesen Kindern unter lobenden Ausrufen ihrer Mütter beschossen werden. Nur diejenigen werden es nachvollziehen können, die von einem Zivilisten, dem man gerade einen Verband anlegt, beschossen werden; nur die, die auch nur für eine Sekunde sich wie auf einer Insel gefühlt haben, einer Insel, die von einem Meer der Hass und des einzigen Wunsches umgeben ist - des Wunsches, dass du, deine Kinder und jede Spur euerer Anwesenheit von diesem Land verschwinden.
In dieser fernen nördlichen Stadt, in diesem relativen alltäglichen Wohl schmerzt mir ihr gespanntes Lauschen auf die Nachrichten, mir schmerzen ihre Telefonate mit den Angehörigen, mir schmerzen ihre Gebete und Wünsche der baldigen Rückkehr, mir schmerzen ihre Worte, ihre müden Stimmen und ihre schlaflose Augen.
Und ihnen schmerzt das Israel.

Danke
nadkos für die Übersetzung
Previous post Next post
Up