(wyd-wichteln) caedes & nayati » let me be the one you use

Oct 10, 2017 16:45

Prosa: Atrahor - Modernverse mit Lynire-verlässt-die-Stadt-AU
Genre: ichhabdochauchkeine Ahnung
Warnings: Uhmmm wir kennen mittlerweile alle Caes Standardwarnings, oder? Blut, Masochismus, hints of self harm, all so'n Kram.
Rating: P16/P18, idk

Wichtelaktion: WYD-Wichteln
Wichtelkind: schattenmahr <3
Wichtelwunsch: Caedes x Nayati, Prompt #_1886 aus daswaisenhaus

Sonstiges: Hallo Jay, dieses Iri hat hier was für dich geschrieben und hofft sehr, dass das so okay ist. Obwohl es irgendwie sehr am Prompt vorbeigeht. Und ich eigentlich viel mehr angry stuff & Hassliebe & so beabsichtigt hatte, aber es jetzt doch irgendwie sehr angsty & cute geworden ist. & idk if you're even here at all for weird modern AUs, buuuut ok. Jeeedenfalls hab ich mir über die Vorgaben fast nen Ast abgefreut und hatte super viel Spaß beim Schreiben und ja. Much love, my beloved king of gore. <3

let me be the one you use
Caedes & Nayati

»Nenn mir einen Grund, dir nicht einfach den Schädel einzuschlagen!«
»Charmantes Lächeln.«



I.

Grau in Grau. Der Himmel sieht aus wie eine schmutzige Milchglasscheibe, das Meer wie flüssiger Beton. Du stehst stundenlang am Hafen und fragst dich, wann du angefangen hast, sie so sehr zu lieben, dass noch nicht einmal dieser Anblick dich trösten kann, wenn sie nicht bei dir ist.

Lynire ist weg. Es fühlt sich an, als wäre es dieses Mal für immer.

II.

»Nenn mir einen Grund, dir nicht einfach den Schädel einzuschlagen.«

(Jetzt, da Lynire nicht mehr zwischen euch steht, gibt es keinen Grund mehr, denkst du. Keinen Grund dagegen. Keinen Grund dafür. Keinen Grund mehr für irgendwas.)

Einen Moment lang scheint er ernsthaft zu überlegen.

»Charmantes Lächeln?«, schlägt er dann vor. Du realisierst erst, dass du ihn wohl eine ganze Weile schweigend angestarrt hast, als er hinzufügt: »Deinem Schweigen entnehme ich, dass das als Grund genügt?«

III.

Lynire ist weg.

Zurück bleibst du - du, der sich sein Leben lang hinter einer sorgsam errichteten Fassade versteckt und die Mauern, die ihm so lange Schutz geboten haben, letzten Endes für nichts und wieder nichts niedergerissen hat.

Zurück bleibst du - einsam und wütend.

Und dann ist da noch Caedes.

Dass du ihn nicht ausstehen kannst, hat nichts mit Lynire zu tun. Du würdest ihn auch hassen, hätte er sie niemals angesehen, nie berührt, nie geküsst und vor allem nie geliebt. (Oder zumindest redest du dir das erfolgreich ein.)
   Dass du trotzdem gelernt hast, seine Anwesenheit zu tolerieren, hat sehr viel mit Lynire zu tun. Du würdest nie Zeit mit ihm verbringen, wäre es nicht ihretwegen. (Auch das redest du dir schon so lange ein, dass du längst angefangen hast, es selbst zu glauben.)

»Hi«, sagt er, als er seine Jacke über den Barhocker neben deinem hängt. Er setzt sich, ohne eine Antwort abzuwarten.
   »Danke«, sagt er, als ihr die dritte Bestellung seit seiner Ankunft aufgebt, ohne in der Zwischenzeit ein weiteres Wort miteinander gewechselt zu haben. Du verstehst sofort, was er meint, aber es klingt ungewohnt. So … aufrichtig.
   Ihr könnt jetzt beide nicht allein sein. Niemand kann gut mit der Leere allein sein, die die große Liebe hinterlässt, wenn sie ohne Vorwarnung verschwindet. Selbst dann nicht, wenn man sich - wie du - hartnäckig dagegen wehrt, zu glauben, dass es wirklich für immer sein soll. Im Grunde genommen tut ihr euch gegenseitig einen Gefallen. Du winkst ab und verkneifst es dir, ihm ebenfalls zu danken.
   »Nicht der Rede wert«, sagst du stattdessen, als du zum ersten Mal an diesem Abend - und überhaupt zum ersten Mal, wenn du dich recht entsinnst - dein Glas hebst, um mit ihm anzustoßen. Auf die Trümmer eurer selbst, denkst du. Auf die Frau, die euer beider Herzen in Schutt und Asche gelegt und euch in diesem heillosen Chaos zurückgelassen hat. (Auf das Einzige, was euch wirklich verbindet.)

IV.

»Ich weiß, dass sie dir fehlt.« Caedes geht neben dir her. Seinen Blick hält er gesenkt, betrachtet nachdenklich den Boden, wo mit jedem eurer Schritte gelbbraune Laubblätter umherwirbeln. Er vergräbt die Hände in seinen Manteltaschen und sagt: »Du musst nicht so tun als würde es dir nichts ausmachen.«
   »Es macht mir aber nichts aus«, protestierst du. »Ich meine, was soll ich schon vermissen? Wir haben uns sowieso kaum gesehen. Und wenn, dann haben wir nur gestritten. Oder …« Du zögerst, aber dann sprichst du den Gedanken doch aus: »Oder sie hatte dich dabei.«
   »Manchmal auch beides«, ergänzt er. »Eigentlich ziemlich oft beides.«
   »Siehst du.« Dein Seufzen zeichnet sich in weißen Schlieren in der kalten Herbstluft vor dir ab. »Nichts, was man vermisst.«
   »Stimmt. Die meisten Leute würden das nicht vermissen.« Du spürst, dass er dich jetzt ansieht, auch wenn du deinen Blick stur auf den graublauen Horizont gerichtet hältst, um seinem bloß nicht zu begegnen. »Wir schon.«

V.

Du denkst gerade daran, ihm den Kiefer zu brechen. Oder vielleicht die Nase oder einen Arm oder irgendwas. Aus keinem bestimmten Grund, sondern bloß, weil dir danach ist. Weil da diese Wut in dir kocht, die dich nicht loslassen will und die an manchen Tagen so allgegenwärtig scheint, dass du dich nur mit Mühe davon abhalten kannst, auf eine Wand einzuschlagen, bis du deine Hand nicht mehr bewegen kannst. Weil du deine Wut an irgendetwas auslassen musst, und zwar dringend, und wer, wenn nicht er, wäre perfekt dafür geeignet?
   Du malst es dir bis ins kleinste Detail aus - das Knacken, den schmerzverzerrten Ausdruck, dein eigenes Herz, das einen nervösen Satz macht -, als er plötzlich sagt: »Tu es.«
   Irritiert blinzelst du ihn an. »Was?«
   »Ich weiß genau, woran du gerade denkst.«
   »Und woher willst du das bitte wissen?«
   »Ich erkenne Gewaltfantasien, wenn sie jemandem ins Gesicht geschrieben stehen. Glaub mir - wenn ich mich mit irgendetwas auskenne, dann damit.«
   Du beißt dir auf die Zunge und verkneifst dir eine Antwort.
   »Wenn du mir wehtun willst«, sagt er ganz ruhig, »tu es einfach. Was hält dich davon ab? Wäre ja nicht das erste Mal.«
Aber das erste Mal, seitdem sie weg ist, denkst du. Das erste Mal, dass es einen anderen Grund hätte. Abgesehen davon: Das erste Mal, dass er anscheinend nichts dagegen einzuwenden hat.
   Du schweigst beharrlich.
   »Irgendetwas wirst du brauchen, um das alles zu verarbeiten. Irgendetwas, was du als Ventil benutzen kannst.« Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen. »Ich wäre gerne dieses irgendetwas. Und, hey, ich scheine bestens dafür geeignet zu sein, ich meine … du weißt ja -«
   Und eigentlich willst du ihm den Gefallen nicht tun; aber du schlägst lieber zu, bevor er ihren Namen ausspricht. Alles würdest du gerade lieber hören als das.
Du weißt ja, Lynire hat das auch so gesehen.
   »Geht es dir jetzt besser?«, fragt er, als er sich ein paar Augenblicke später wieder gefangen hat.
   »Ein Bisschen«, gestehst du. Und es stimmt. Deine Hand schmerzt, aber statt der kochenden Wut, die irgendwann die Leere in deinem Inneren ersetzt hat, strömt jetzt ein seltsam vertrautes Gefühl der Befriedigung durch deinen Körper. Du öffnest deine Hand, schließt sie wieder zu einer Faust, ein paar Mal, und fühlst dem Schmerz in deinen Knöcheln nach.
   »Mir auch«, stellt er fest. Ein leichtes Grinsen. Ein gewisses Funkeln in den blaugrünen Augen.
    Eure Blicke treffen sich für einen flüchtigen Moment und du denkst zum ersten Mal, dass er dich versteht. Vielleicht besser als alle anderen.

VI.

Die Nächte mit Caedes sind dein sicheres Verhängnis; aber das hast du dir selbst ausgesucht. Lynire ist weg und du füllst die Leere, die sie hinterlassen hat, lieber mit seiner Gesellschaft als mit irgendetwas anderem.

Es sind so viele Kleinigkeiten -

Melancholische Blicke aus diesen furchtbar schönen Augen, die dieselbe Farbe haben wie helles Meerwasser (und in denen du genauso gut versinken könntest; ertrinken gar, denkst du manchmal, wenn du für einen Moment unachtsam wärst).

Beiläufige Berührungen, die nicht sein müssten (und die sich anfühlen wie ein Strick um deinen Hals, der sich immer enger zuzieht; den du selbst immer enger zuziehst).

Ein vages Halblächeln, das deinen Blick ständig auf sich zieht (und aufblitzt wie eine frisch geschliffene Klinge, von der du dich gleichermaßen bedroht und angezogen fühlst).

Ein weißer Hemdkragen, an dem du ihn jederzeit packen könntest (jetzt und hier, wenn du es wolltest, und du willst; du weißt nur noch nicht, was danach käme, und eigentlich willst du es gar nicht herausfinden, aber -)

Du weißt nicht, wie lange du das alles - ihn - noch ertragen kannst. Aber du beschließt, dass es immer noch besser ist als die Alternative. Besser als Leere und besser als Wut und besser als Trauer.

VII.

Du siehst ihm schon eine ganze Weile dabei zu, wie er durch das verregnete Fensterglas nach draußen starrt. Es ist immer noch ungewohnt, dass er hier ist - hier, in deiner Wohnung und hier, in deiner Nähe -, aber du fängst langsam an, dich daran zu gewöhnen. In den letzten Wochen ist er häufiger hier gewesen als zu Hause, vermutest du. Es ist ungewohnt, aber es ist okay, irgendwie.
   Er ist deine neue Art, die Dinge zu verarbeiten. Und du hast im Moment verdammt viel zu verarbeiten.
   Caedes hat dir den Rücken zugewandt und sieht nach draußen auf die dunklen Straßen der Stadt, als wäre das ein Ort, den er lieber für immer von hier aus beobachten würde als selbst dort zu sein.
   »Du kannst hier bleiben.« Die Worte erklingen so leise, dass du dir im ersten Moment nicht sicher bist, ob er dich gehört hat.
   »Was?« Langsam dreht er sich zu dir um. Eine seltsam vertraute Silhouette vor dem Fenster, das von schwachem Mondlicht zwischen zwei Gewitterwolken und dem fernen Schein der Straßenbeleuchtung erhellt wird.
   »Ich sagte, du kannst hier bleiben«, wiederholst du widerwillig. Die Worte kommen nur mühsam hervor, weil es sich fast anhört, als wolltest du etwas Nettes sagen. »Für heute Nacht. Ist ja schon spät. Keine Ahnung, ob du um die Uhrzeit überhaupt noch irgendwie nach Hause kommst.«
   »Was so ein charmantes Lächeln nicht alles bewirken kann.« Er durchquert den Raum und lässt sich neben dir auf die Bettkante sinken. Rückt an die Wand, lehnt sich dagegen, zieht die Beine an. »Zuerst siehst du gnädigerweise davon ab, mir den Schädel einzuschlagen. Dann stimmst du einem Treffen zu. Dann einer Abmachung. Regelmäßigen Treffen. Ein paar Wochen später darf ich schon bei dir übernachten. Unglaublich.«
   Der selbstironische Unterton ringt dir ein Lachen ab, bevor du ihm über die Schulter hinweg einen warnenden Blick zuwirfst, der vermutlich nicht ganz so ernsthaft wirkt wie du es beabsichtigt hast. »Das hat nichts mit deinem charmanten Lächeln zu tun.«
   »Heißt das, du gibst zu, dass es wirklich ziemlich charmant ist? Und womit hat es sonst zu tun?«
   Du seufzt und rollst mit den Augen. War ja klar, dass er nicht einfach froh und dankbar sein und die Klappe halten würde. Das hätte nicht zu ihm gepasst.

VIII.

Solange er damit beschäftigt ist, schmerzerfüllte Geräusche von sich zu geben, sein eigenes Blut auszuspucken oder deinen Namen zu seufzen, kann er nicht versuchen, ein Gespräch mit dir zu führen. Oder dich anlächeln. Oder dich anderweitig verwirren. Das macht es einfacher. Vielleicht macht es dir deshalb so viel Spaß, deine Knöchel an ihm zu ruinieren, obwohl du weißt, dass du dir selbst damit mehr schadest als ihm.
   Deine Wut an ihm auszulassen ist einfach, aber sobald ihr etwas anderes tut, wird es kompliziert. Und du magst es nicht, wenn Beziehungen kompliziert werden. Schließlich kannst du noch nicht einmal mit den vermeintlich einfachen sonderlich gut umgehen.
   »Warum tust du das?«, fragst du, während du skeptisch auf deine blutige Hand hinabblickst. Deine Hand, die er festhält und gerade mit einem provisorischen Verband umwickelt. Die Frage lautet eigentlich: Warum machst du es komplizierter als es ist?
   »Das -« Er deutet auf deine Knöchel, die unter dem frischen Verband viel schlimmer aussehen als sie sich anfühlen. »- muss ordentlich verheilen. Zumindest, wenn du deine Hand noch ein bisschen länger behalten und vor allem benutzen willst. Falls du es vergessen hast: Im Gegensatz zu mir hast du keine Wundheilung, die so was innerhalb weniger Stunden von alleine regelt. Hast du in all den Jahren des vor-Wut-gegen-Wände-Schlagens denn gar nichts gelernt?«
»Das ist nicht dein Problem«, murmelst du. Du starrst auf eure Hände, damit du ihn nicht direkt ansehen musst. Die Berührung - seine Finger, die deine Hand immer noch in der Position halten, in der er sie gerade verarztet hat - brennt auf einmal wie Feuer, aber du kannst dich nicht dazu durchringen, davor zurückzuweichen.
   »Du bist schon seit einer ganzen Weile mein Problem«, entgegnet er. Und deine Wangen glühen plötzlich genauso wie die kleine Stelle an deiner Hand, an der du seine Haut direkt auf deiner spüren kannst. »Eins meiner vielen Probleme, besser gesagt. Und ich gedenke nicht, daran in absehbarer Zeit etwas zu ändern.«

IX.

Durch die Jalousien fällt bläuliches Licht in dein Schlafzimmer. Helle Streifen, dunkle Streifen, verschwommene Konturen auf dem Boden, dem Teppich, der Bettwäsche, dem Kissen. Und auf Caedes' Schultern.
   Der Wecker auf deinem Nachttisch zeigt fünf Uhr morgens. Ihr seid seit etwa drei Stunden zu Hause. Und eigentlich bist du viel zu klar im Kopf, um das zu denken, aber du denkst, dass du froh bist, neben ihm aufgewacht zu sein anstatt allein.
   »Bist du noch wach?«, fragst du in die kühle Stille hinein.
   »Nimm's mir nicht übel«, murmelt er, »aber wie soll ich schlafen können, wenn du mich die ganze Zeit anstarrst?«
   Du rollst mit den Augen. »Ich hab dich nicht angestarrt, sondern geschlafen.«
   »Und davor hast du mich stundenlang angestarrt. Weil du anscheinend dachtest, ich würde schon schlafen.«
   »Stimmt gar nicht«, murrst du. Und wenig später: »Als hätte ich irgendeinen Grund dazu.«
   »Red dir ruhig ein, dass du den Grund nicht kennst.«
   »Ach, sein einfach still.«
   Du hättest wissen müssen, dass er exakt das sagen würde, was man nie zu dir sagen sollte: »Bring mich doch dazu.«
   Du könntest nicht abstreiten, dass es sich gut anfühlt, deine Hände um seinen Hals zu legen. Ihn unter dir zu spüren, wie er sich windet, obwohl ihr beide genau wisst, dass er eigentlich gar nicht entkommen will. Du könntest nicht abstreiten, dass du all das zwischen euch viel mehr genießt als du solltest. (Und doch versuchst du es immer wieder.)

X.

Zeit mit ihm zu verbringen bedeutet meistens:
Ein paar Küsse zu viel. Ein paar Stunden Schlaf zu wenig. Einen Verrat an dir selbst und allem, woran du lange Zeit geglaubt hast.

Aber es bedeutet auch:
Ein paar Glücksmomente mehr. Ein paar Stunden weniger Gedankenchaos. Deine Rettung in Nächten, in denen du sonst hoffnungslos in einem Meer von Gefühlen, die du nicht haben willst, untergehen würdest.

XI.

»Hi.« Da ist dieses Halblächeln, dieser nervöse Blick. Dieser Moment, in dem du plötzlich dieses lästige Kribbeln im Bauch hast, nur, weil du die Tür öffnest und ausgerechnet ihn dort im Flur stehen siehst. »Ich hoffe, ich störe nicht?«
   »Du störst immer«, sagst du. Ohne Begrüßung, dafür mit einem leichten Schmunzeln. »Besonders, wenn ich versuche, zu schlafen.«
   »Ich schätze, die Betonung liegt auf versuchen?«
   »Siehst du ja«, schnaubst du. Du lässt deinen Blick an ihm herabwandern. »Was willst du überhaupt hier? So gegen zwei Uhr morgens? Nass bis auf die Knochen?«
   »Ich hab dich seit Wochen nicht gesehen und dachte mir, ich schau mal vorbei.«
   »Willst du damit sagen, du hast mich vermisst?« Du kannst dir den amüsierten Unterton nicht verkneifen.
   »Ich will damit sagen, dass ich mir Sorgen gemacht habe«, korrigiert er.
   »Und da kannst du nicht einfach anrufen oder so? Wie ein normaler Mensch?«
   »Falls das bisher an dir vorbeigegangen ist: Ich bin kein normaler Mensch.« Nun ist da wieder das neckische Grinsen, das du von ihm gewohnt bist. Obwohl dir seine verunsicherten Momente fast genauso gut gefallen, hat es dir irgendwie gefehlt. »Abgesehen davon würdest du nicht rangehen, würde ich dich anrufen. Und würde ich dich zum Reden auf nen Kaffee einladen, weil ich mir Sorgen um dich mache -«
   »Ja, ich würde dich definitiv für verrückt erklären.«
   »- würde das schwer nach 'nem Date aussehen, wollte ich eigentlich sagen.«
   Auf einmal fühlt sich dein Gesicht ganz heiß an und verschluckst dich fast an deinen eigenen Worten, als du entgegnest: »Und wonach sieht es aus, wenn du ohne Schirm durch die diese Sintflut da draußen rennst, um mitten in der Nacht vor meiner Tür aufzukreuzen?«
   Caedes zuckt mit den Schultern. »Sag du's mir.«
   Du lehnst dich gegen den Türrahmen und lässt deinen Blick erneut über das Bild wandern, das sich dir da bietet: Caedes. An deiner Türschwelle. Klamotten und Haare triefnass. Blick herausfordernd. Und … von einer Sekunde auf die andere im Dunkeln, denn das Licht im Flur geht aus, wie immer nach einer gewissen Zeit. Du siehst gerade noch genug, um zu erahnen, dass er einen Schritt auf dich zugeht und neben der Tür nach dem Lichtschalter tastet.
   Doch bevor er diesen erreichen kann, fängst du seine Hand ab.
   Er erstarrt mitten in der Bewegung.
   »Sieht so aus«, raunst du, während du deine Finger um sein Handgelenk legst und ihn sanft, aber bestimmt, mit dir nach drinnen ziehst, »als solltest du erst mal reinkommen.«
   »Ich dachte schon, du würdest nie fragen«, antwortet er. Du kannst das süffisante Grinsen regelrecht aus seiner Stimme heraushören.

XII.

Die Nächte mit Caedes fühlen sich nicht für immer an wie dein sicheres Verhängnis. Irgendwann fangen sie an, sich gut anzufühlen; als solltest du nirgendwo anders sein und nichts anderes tun und vor allem mit niemand anderem.

Als dir das zum ersten Mal auffällt, ist es längst zu spät, um irgendetwas davon rückgängig zu machen. Oder damit aufzuhören. (Und du wünschst dir, es wäre dir niemals aufgefallen.)

XIII.

»Soll ich ehrlich zu dir sein?«
   Über euch spannt sich ein einheitlich wolkengrauer Himmel. Regeln prasselt stetig auf das Meer und den Strand nieder. Ihr seid so weit weg von dem Ort, den ihr die letzten Jahre über euer Zuhause nanntet, dass man meinen sollte, es sei alles anders, aber in Wirklichkeit ist es überall gleich; ihr sitzt am Meer und lasst den Sturm über euch hinwegfegen, wartend, vielleicht hoffend, nur ein ganz kleines Bisschen.
   Du wünschtest, du könntest fragen: Was meinst du?
   Oder vielleicht: Ehrlich im Bezug worauf?
   Eigentlich wärst du auch mit einem sarkastischen Kommentar zufrieden. Als könntest du ehrlich sein, ausgespuckt wie eine Beleidigung, erzähl den Scheiß jemand anderem.
   Aber die Wahrheit ist, dass du sofort weiß, worum es geht. Weil du weißt, was die eine Sache ist, bei der er nicht lügen kann. Oder will.
   Bevor du darüber nachdenken kannst, greifst du nach seiner Hand. Sie fühlt sich kalt an, feucht vom Abstützen im nassen Sand, nichts, was man normalerweise als tröstlich empfinden würde, aber du klammerst dich daran fest wie an einem Rettungsring.
   Du würdest das, was er zu sagen hat, gerne hören. Ein ehrliches Wort aus seinem Mund. Eigentlich mehrere. Du ahnst bereits, wie sie lauten würden. Aber es ist einfacher, wenn er es nicht ausspricht, denkst du. Es ist einfacher, wenn du weiter so tun kannst, als sei das zwischen euch nur eine Vereinbarung. Nur ein Ventil für das, was ihr beide anders nicht bewältigen könntet. Du verstehst zum ersten Mal, was er dir schon seit Jahren zu erklären versucht: Manchmal ist es einfacher, mit einer guten Lüge zu leben als mit der Wahrheit.
   Die eine Sache, bei der er nicht lügen kann, ist die eine Sache, bei der du nicht ehrlich sein kannst.
   »Lieber nicht«, flüsterst du. So leise, dass es beinahe in einem nahenden Donnergrollen untergeht.

XIV.

Es gibt sie immer wieder, diese kleinen Momente. Die, in denen er dich ansieht, als sehe er mehr in dir als das Wrack, das du bist. Die, in denen er sich auf die Unterlippe beißt und Worte zurückhält, die so unbedingt gesagt werden wollen, dass du ihm den Schmerz, den es kostet, sie zu verschweigen, förmlich ansiehst.
   Du rechnest jedes Mal damit, dass er, sobald der Moment vorbei ist, geht. Dass es eine dieser Angelegenheiten wird, die mir einem traurigen für immer und einer Lücke in deinem Leben enden.
   Aber das passiert nicht. Nie.
   »Tut mir leid«, sagst du irgendwann, als die Enttäuschung in seinem Blick zu viel wird, als dass du sie weiterhin schweigend ertragen könntest. Und du meinst es so.
   »Muss es nicht«, erwidert er. »Ich habe mit nichts anderem gerechnet.«
   Regen trommelt gegen die Fenster. Du hältst schon wieder Caedes' Hand, wie du es so oft in letzter Zeit tust, ohne genau zu wissen, warum.
   »Darf ich dich trotzdem küssen?«, fragt er und durchbricht damit das angespannte Schweigen.
   Du zuckst mit den Schultern. »Wenn du das immer noch willst.«
   »Wenn es dir nichts ausmacht …«
   »Cae …« Du hältst für einen Moment inne, als du bemerkst, dass du ihn zum ersten Mal so nennst. »Ich würde dich wirklich gern küssen.« Du ignorierst das kleine Lächeln, das über sein Gesicht huscht. »Es ist nur …«
   »Ich weiß«, sagt er, bevor du den Satz beenden kannst. »Ich weiß. Und es ist okay. Ich sagte bereits: ich habe mit nichts anderem gerechnet.«
   Statt der unerträglichen Enttäuschung ist da endlich wieder dieses gewisse Funkeln in seinen Augen, und du kannst deinen Blick nicht davon abwenden, während er dir immer näher kommt. Erst, als seine Lippen deine berühren (endlich, denkst du, endlich), schließt du die Augen. Und nimmst mit einem Mal nur noch eins wahr: Er lächelt in den Kuss hinein.
   (In seinen Küssen liegt so viel mehr Ehrlichkeit als er seinen Worten je verleihen könnte.)

XV.

Grau in Grau. Das Meer liegt seltsam friedlich und trüb vor euch - ohne Sturm, aber auch ohne Licht -, und du sagst: »Ich glaube, könnte mich daran gewöhnen. An das hier … und an dich.«
   »Hast du längst«, antwortet er. Grinsend wie eh und je.
   »Sei still«, knurrst du. Aber vielleicht hat er recht.
   Lynire ist weg. So lange schon, dass es sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlt.
   Aber Caedes ist da. Bei dir. Und er wird bleiben. Für den Rest der Ewigkeit, hat er dir versprochen (und du weißt, dass du ihn beim Wort nehmen kannst, was das angeht), oder zumindest so lange wie du mich ertragen kannst.
   Du wagst es beinahe, daran zu glauben, dass das tatsächlich das erste schöne für immer in deinem Leben werden könnte.

oc: nayati, tw masochism, wyd wichteln, oc: caedes, pairing: caedes x nayati, prosa: atrahor, #_1886, atrahor: modernverse, ficathon: waisenhaus, tw blood, ot3: caedes x lynire x nayati, rating: p16/p18, atrahor: au

Previous post Next post
Up