WHEEL THE WORLD
Copyright: CLAMP
Autor: les_lenne
Beta/Testleser: Cyel (ff.de), darkcloe (LJ),
seelentherapie (LJ)
Subaru nahm das Thermometer aus der Wanne, schüttelte den Schaum ab und las davon ab, dass das Wasser ideal für Babys wäre. „Fertig“, sagte er.
Seishirou saß nackt und von Subaru abgewandt in seinem Rollstuhl. Wenigstens hatte er sich dazu überreden lassen, ein Bad zu nehmen und nicht erneut eine lange Diskussion angefangen. Subaru hätte dazu an diesem Tag keine Kraft gehabt. Womöglich hätte er auch wieder das Abendessen gestrichen.
Als Seishirou in der Wanne saß, setzte sich Subaru auf den Rand und schaut auf ihn herab. Seishirou sah zu, wie sich der Schaum auf der Wasseroberfläche von ihm wegbewegte. Die Wellen, die es gegeben hatte, als er ins Wasser gestiegen war, schoben den Schaum ans andere Ende der Wanne.
Subaru spritzte ihm an die Brust. Er lächelte. „Na? Ist es angenehm?“
„Ja, danke.“ Seishirou lehnte sich zurück. Seit Subaru die Antirutschmatte ausgelegt hatte ging das auch, ohne dass Seishirou dabei beinahe ertrank.
„Ich war gestern bei meiner Großmutter“, sagte Subaru. Er ließ die Hand weiter ins Wasser hängen. Seine Fingerspitzen berührten fast Seishirous Brust.
„Aha?“ Seishirou spannte sich an. Er ahnte wohl schon, welche Art Gespräch jetzt kommen würde. Und es gefiel ihm nicht.
„Du hast mich als Baby gekannt. Oma und deine Mama waren Halbschwestern. Wir sind verwandt.“
Seishirou hob die Hände aus dem Wasser und klatschte.
„Wie bist du aufgewachsen?“ Subaru streckte die Hand aus und legte sie über Seishirous. „Was haben sie mit dir gemacht? Und mit deiner Mutter.“ ‚Und wie kann es sein, dass mein Vater der Sakurazukamori war…’
„Wir sind verwandt, hm. Wie unanständig. Hokuto wäre begeistert.“
„Sprich nicht von ihr“, sagte Subaru.
„Aber von mir und meiner Mutter soll ich sprechen?“ Er ließ den Kopf kreisen. Es knackte. Aber er wollte sich ja nicht massieren lassen.
Subaru setzte sich hinter ihn und legte die Hände auf seine Schultern. In der Badewanne konnte Seishirou sich ja nicht wehren. Er knetete die Muskeln. „Sollst du. Denn über Hokuto wissen wir doch beide bescheid. Darüber müssen wir nicht reden.“
Seishirou nickte langsam. „Meine Mutter hieß Setsuka.“
‚Ich weiß’, dachte Subaru, doch er sagte es nicht laut. Selbst wenn ihm Seishirou Dinge erzählte, die er schon längst wusste, es war besser, ihn nicht abzuschrecken. „War sie hübsch?“
„Sehr hübsch.“ Seishirou seufzte leise. „Sie liebte Kamelien. Sie war mein erstes Opfer.“
„Ist das immer so?“
Seishirou wandte den Kopf zu ihm um so gut es ging. „Ja. Hat sie dir auch das Auswahlverfahren geschildert?“
Subaru zuckte mit den Schultern. „Wenn sie es hätte? Ich wäre mir nicht sicher, ob es nicht nur eine Legende wäre.“
„Soll ich dir eine Legende erzählen?“
‚Ich will die Wahrheit’, dachte Subaru. Er nickte.
„Die Sakurazukamori werden von der Person getötet, die sie mehr als alles andere lieben.“
Subaru wurde heiß. Der Dampf ließ ihn schwitzen. Sein Hals schien anzuschwellen, sein Gesicht zu stark durchblutet zu werden. „Oh.“
„Sie hat deinen Vater getötet.“ Seishirou lächelte. „Was das wohl über das Verhältnis deiner Eltern sagt?“
Er hatte seine Eltern nie kennen gelernt. Seine Mutter hätte genauso gut fremdgehen können. Vielleicht war es nur eine Zwangshochzeit gewesen. Angesichts der Familienverhältnisse war es sogar wahrscheinlich. „Was sagt es über unser Verhältnis? Du wolltest, dass ich dich töte.“
Seishirou drehte sich wieder um. „Die Welt geht unter.“
„Ach, und ich schien dir da die letzte Wahl?“
„Es gibt nicht mehr viele Onmiyouji.“
Subaru beugte sich vor und stützte das Kinn auf Seishirous Kopf. „Ich war also nur das kleinste Übel…“
„Legenden sind nur Geschichten.“ Seishirou nahm Schaum auf die Hand und blies ihn weg. „Sie scheinen zu existieren, aber das tun sie nicht.“
„So wie deine Gefühle?“ Subaru zog die Nase hoch. Er sah verschwommen, wie Seishirou die Hand zu ihm hob und sie auf seine Wange legte. Er schmiegte sich in die Berührung.
„Ganz genau.“ Seishirou streichelte mit dem Daumen über seine Wange.
Das Badezimmer wurde zu einer weißen Einheit aus Dampf und Kacheln. Subaru zuckte und zitterte. „Legenden existieren. Sie müssen existieren.“
„Glaubst du an Amaterasu? Denkst du, sie saß in ihrer Höhle und schämte sich für ihren Bruder?“
Subaru schüttelte den Kopf.
„Na siehst du. Legenden“, er schnaubte, „sind nichts anderes als Märchen.“
Subaru presste die Lippen zusammen und wischte sich das Gesicht an seinem Ärmel ab. Er wollte nachher sowieso noch duschen. „Dann erzähl mir jetzt das Märchen ‚Wie die Sakurazukamori aufwachsen’.“
„Es gibt ein kleines Häuschen im Wald“, sagte Seishirou.
‚Wie bei Hänsel und Gretel?’ Er ließ ihn weiterreden. Wenn das Teil einer Aufführung sein sollte und nur Bruchstücke verwendbar waren, dann musste das für heute wohl genügen. Subaru ging zur Toilette, riss Papier ab und schnäuzte.
„Dort wohnt der Waldmahr.“ Seishirou lächelte sein grünes Wasserspiegelbild an. „Wenn er noch ganz klein ist bringen sie ihn dorthin, damit er alles lernt, was ein Waldmahr wissen muss.“
‚Metaphern?’ Subaru runzelte die Stirn. Er klappte den Deckel der Toilette zu und setzte sich.
„Der kleine Waldmahr ist immer ganz allein und muss sich um alles selber kümmern. Im Haus sind viele Spiegel, an jeder Wand sogar, damit er sich nicht so einsam fühlen muss.“
Subaru knabberte an einem Daumennagel.
„Er lernt die Hasen und die Rehe auszuweiden, nachdem er gelernt hat, die Hasen und die Rehe zu betören. Er muss sie nicht schießen, sie kommen zu ihm, sie lassen sich von ihm streicheln und dann holt er ihnen das Herz aus der Brust.“
Die Temperatur schien von fast 40° auf -10° zu sinken. Subaru bekam eine Gänsehaut und rieb sich über die Oberarme. „Die Sumeragi lassen Kinder ganz allein? Ohne Hilfe? Ohne jemanden, der auf sie Acht gibt?“ Subaru stand auf und ging zu ihm. „Stimmt das?“
„Es ist eine Legende“, sagte Seishirou. Sein Mund lächelte; seine Augen nicht.
Subaru schluckte schwer. „An Legenden ist oft viel Wahres dran. Es tut mir so leid…“
„Raus.“
„Was?!“ Subaru sah ihn alarmiert an.
„Raus“, sagte Seishirou. Er starrte ihn an.
„Aber du kommst nicht alleine aus der Wanne.“
„Geh!“
Subaru zuckte zusammen. Er erhob sich und verließ das Badezimmer. Vor der Tür sank er auf den Boden. „Wenn… wenn ich wieder reinkommen darf…“
Seishirou sagte nichts mehr. Eine Stunde, zwei Stunden vergingen und die dritte brach an.
‚Er wird sich verkühlen’, dachte Subaru. ‚Er wird eine Lungenentzündung bekommen und sterben.’ Aber er wagte es nicht, einfach den Raum zu betreten. Nicht dass es etwas zu befürchten gegeben hätte. Seishirou war ihm schutzlos ausgeliefert. Dennoch lief es Subaru jedes Mal eiskalt den Rücken herunter, wenn er daran dachte, wie ihn Seishirou angestarrt hatte.
Es ging ihm nicht gut. Aber es kam nicht in Frage, getröstet zu werden. Wegen einer Legende doch nicht. Subaru lachte leise und klopfte an die Tür. „Heute fällt das Abendessen aus, ja? Du musst nichts essen. Lass mich dich nur ins Bett bringen. Nur anziehen. Bitte.“
Er schob die Tür vorsichtig auf. Seishirou saß noch immer in der Wanne.
„Es ist sicher sehr kalt geworden.“ Subaru nahm ein großes Badetuch und setzte Seishirou wieder in den Rollstuhl. Er ließ sich abtrocknen, ohne etwas zu sagen. „Seishirou, lass uns schlafen gehen, ja?“
Das Wasser konnte von alleine in den Abfluss laufen, beschloss Subaru. Er schob Seishirou ins Schlafzimmer, wo er ihn in einen dicken, warmen Pyjama steckte.
„Ich bin nicht müde“, sagte Seishirou. Er sah auf und direkt in Subarus Augen.
Wenn er etwas nicht erwarte hatte, dann dass Seishirou ihn an diesem Tag noch einmal ansprach. Aber genau das war geschehen. Subaru legte den Kopf schief und knöpfte den Pyjama zu, den er für Seishirou ausgesucht hatte. „Du musst aber schlafen. Du brauchst jetzt Energie.“
„Ich werde mich nicht in dieses Bett legen.“
Subaru zog die Augenbrauen hoch. „Ich werde dich ja auch reinlegen, du musst nur ein bisschen mithelfen…“
„Ich bin nicht müde.“ Seishirou lächelte.
„Das ist mir egal.“ Subaru zog einen zweiten Schlafanzug aus dem Schrank. Bevor er einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, was er gerade tat, zog er sich vor Seishirou aus. „Ich werde dich aufs Bett heben und du wirst schlafen. Wie die Nächte zuvor. Da hat es doch auch geklappt.“
Subaru drehte sich um, nur in Boxershorts. Er schüttelte das Oberteil des Schlafanzugs. „Seishirou?“ Subaru zog das Hemd über seinen Kopf und strich es glatt.
Seishirou starrte ihn an. Nicht so aggressiv wie zuvor in der Wanne. Er wirkte eher erschrocken. Seine Augen waren weit aufgerissen und seine Lippen lagen nicht ganz aufeinander. Sein Mund war leicht geöffnet und er atmete hörbar ein und aus.
Die Pyjamahose wollte sich nicht anziehen lassen. Subaru strampelte sich aus dem falschen Bein frei, drehte die Hose um und fand endlich hinein. Sein Gesicht schien zu glühen. ‚Ich habe ihn schon so oft nackt gesehen, das sollte mir nicht peinlich sein. Aber ich habe ihn nie so… so gierig angeschaut.’ Subaru blinzelte. ‚Gierig?’
Er schluckte schwer und setzte sich auf die Bettkante. „Also, wirst du dich jetzt ins Bett bringen lassen oder nicht?“
„Nein.“ Seishirou rollte sich an die Wand und reckte den Kopf. „Ich werde über deinen Schlaf wachen, Subaru. Du bist süß, wenn du schläfst. So friedlich, als könnte nichts Böses mehr geschehen in deinem Leben.“
„Das kann es auch nicht.“ Subaru zog die Decke um sich. „Du bist ja schließlich außer Verkehr gezogen.“
Seishirou schenkte ihm ein hauchdünnes Lächeln. „Richtig.“
„Mich in der Gegend herumzukicken ist dir ja leider nicht mehr möglich.“
Seishirous Augen weiteten sich.
„Wenn du Schmerzmittel nimmst bist du erstaunlich bereit, deine Gefühle zu zeigen. Oder zumindest gehorchen dir deine Gesichtsmuskeln nicht mehr besonders gut“, sagte Subaru.
„Schlaf jetzt.“ Seishirou lehnte sich zurück. „Wenn du dir ohnehin so sicher bist, dass dir nichts passieren wird.“
„Willst du mich mit deinen Stümpfen zu Tode stupsen?“ Sein Kopf enthielt immer mehr Blei und andere schwere Metalle, die ihn herunterzogen. Er rutschte aufs Bett und legte seufzend den Kopf aufs Kissen. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Subaru.“
Es war nicht einfach einzuschlafen, wenn man von einem Killer beobachtet wurde, merkte Subaru. Immer wenn er die Augen aufschlug sah er Seishirou, der ihn noch immer fixierte als wäre eine besonders leckere Beute. Subaru drehte sich auf die andere Seite, rückte das Kissen hoch und fiel bald in einen ruhigen Schlaf. Es passte schließlich jemand auf ihn auf.
Am nächsten Morgen wachte er dennoch wieder so auf, dass er in Seishirous Gesicht sah. Es war schwer zu sagen, ob sich Seishirou nachts einmal gerührt hatte; zumindest roch es nicht nach Urin.
Subaru gähnte und streckte sich. Bei genaurer Betrachtung sah er, dass Seishirou nicht nur dunkle Augenringe hatte sondern auch aufgeplatzte Gefäße im Auge. Er sah aus wie ein Drogensüchtiger auf Entzug. Subaru setzte sich auf und sah zu ihm herüber. „Du könntest jetzt noch etwas schlafen. Ich stehe auf… muss arbeiten. Dafür fällt dann eben das Frühstück aus.“
„Ich weiß. Deine Regeln.“ Seishirous Stimme klang kratzig.
Subaru betete still, dass er sich nicht erkältet hatte. Sein Kopf schlug schon laut Alarm indem seine Gedanken um das Thema Lungenentzündung und Tod kreisten.
„Also?“, sagte Subaru.
„Weder bin ich müde, noch habe ich Hunger.“
Subaru seufzte tief. Er zählte bis zehn. Dann zählte er bis dreißig. „Ich muss weg.“ Er stand auf und ging zu ihm, kniete sich vor den Rollstuhl und tätschelte Seishirous Stümpfe. „Mach mir keinen Ärger.“
Seishirou schnaubte. Hätte er mehr Platz gehabt, hätte er vielleicht die Flucht nach hinten gesucht. Doch hinter ihm war nur die Wand und ohne magische Kräfte war sie ein unüberwindliches Hindernis.
Subaru hob die Hand und versuchte über seine Wange zu streicheln, doch Seishirou drehte den Kopf weg. „Fein. Ich gehe duschen und bin weg.“
Wasser half erstaunlich gut den Kopf von Blei zu Aluminium werden zu lassen. Subaru rieb sich das Shampoo in die Kopfhaut und spülte es wieder aus. Er verwendete nicht das Kirschshampoo.
Die Handtücher vom Vorabend lagen noch immer auf dem Boden. Er klaubte sie auf und roch an ihnen. ‚Seishirou.’ Er warf sie in den Wäschekorb und holte sich frische Handtücher aus dem Schrank.
Zu duschen hatte gerade Mal eine Viertelstunde gedauert, dennoch hatte Subaru vermutet, dass Seishirou in dieser Zeit schon irgendwie ins Bett gekrochen war. Als er noch einmal kurz ins Schlafzimmer sah, saß Seishirou immer noch an der gleichen Stelle wie zuvor.
Subaru verließ eilig die Wohnung. Wenn Seishirou nicht schlafen wollte, wenn noch jemand anderes in der Wohnung war, bitte. Vielleicht fand er seine Ruhe, wenn Subaru nicht da war. Heute war ohnehin wieder ein Tag, an dem er an der Brückenrettung beteiligt war. Umso besser, wenn er davor einen Spaziergang machen konnte, um sich auf die nagenden Fragen vorzubereiten. Sein Kopf fühlte sich voll und schwer an.
Er betrat eine Drogerie. Bei den Regalen mit den Baldrianpräparaten blieb er stehen. Er nahm ein paar der Packungen heraus, stellte sie aber nach kurzem Überfliegen der Rückseite wieder zurück. Es würde nicht helfen. Mit gesenktem Kopf schlich er zur Kasse.
Subaru hob neugierig den Kopf, als er angesprochen wurde. Er blickte in ein bekanntes, strahlendes Gesicht. Kanda wirkte erfrischt und die Zivilkleidung, die sie trug, unterstrich das noch. Das Männerhemd im Hawaiistil wirkte, als ob sie gerade aus einem Flugzeug gestiegen wäre.
„Kanda, das freut mich aber“, sagte Subaru. Er erschrak beinahe über sich selbst, denn er freute sich tatsächlich. Mit Kanda konnte er wenigstens offen reden und auch über Dinge, die Kamui und Arashi wahrscheinlich nicht im Traum einfielen, die aber dennoch Teil seiner Aufgaben geworden waren. „Du siehst gut aus.“
Sie errötete und schubste ihn sanft. „Du alter Charmeur. Wie geht’s dem Spatz?“
Subaru runzelte die Stirn.
„Seishirou“, sagte Kanda und nickte.
„Oh.“ Subaru räusperte sich. „Seishirou geht es, wie soll ich sagen… mittelmäßig?“
Kanda verzog das Gesicht. „Das ist schade. Habt ihr schon mein Geschenk ausprobiert?“
„Nein.“ Subaru legte ihr eine Hand auf die Schulter und führte sie aus dem Laden. Sie mussten dieses Gespräch nicht unbedingt unter allen möglichen Menschen führen. Die meisten davon alt und wohl genauso altmodisch. Subaru wollte vor den netten Damen lieber nicht von Gleitmittel reden.
Er kaufte Kanda ein Eis und setzte sich mit ihr auf eine nahe gelegene Bank. „Er ist sehr abweisend. Zumindest meistens. Es gibt auch Momente, da ist es schön.“
Kanda kramte in ihrer Papiertüte.
‚Hat sie mir überhaupt zugehört?’, dachte Subaru. Eine lange Verpackung landete in seinem Schoß. Er hob das silberne Band hoch und starrte den riesigen Titel an. „Lust Gum?“ Es sah aus wie die Verpackung von Süßigkeiten.
„Das sind Kondome.“ Kanda zwinkerte ihm zu. „Für die schönen Momente.“
Subaru klappte der Mund auf, doch Kanda kam ihm zuvor. Sie hatte einen erstaunlich flinken Mund.
„Du musst einfach ein bisschen dominanter werden!“
Dominanter - er ließ sich das Wort im Kopf herumgehen. Es spukte nach kurzer Zeit in Regionen, von denen er nicht gedacht hatte, sie zu besitzen. Er kratzte seinen Nacken; plötzlich schienen die Haare dort zu kitzeln.
„Subaru, jetzt hör mir mal zu, der Sakurazuka…“
Sie hatte noch ‚-mori’ anhängen wollen. Subaru sah sie streng an.
„Seishirou ist ein bisschen schwierig.“
„Ein bisschen?“ Subaru lachte hohl. „Von einer Sekunde auf die andere scheint er sich komplett auszuwechseln. Ist er überhaupt da?“
„Das ist eine gute Frage.“ Kanda leckte an ihrer Kugel Zitroneneis. „Wahrscheinlich nicht.“
„Nicht?“
„Kompliziert.“ Kanda nickte gedankenverloren.
‚Sie ist nicht besser als Seishirou.’ Subaru faltete die Hände. „Er will nicht mal auf die Toilette gehen, wenn ich da bin.“
„Hast du ihn schon mal waschen können?“
„Oh ja.“ Er seufzte. „Trotzdem. Er vertraut mir wohl nicht. Dazu hätte ich viel mehr Grund als er.“ Seine Finger krampften und die Nägel schoben sich in seine Haut.
Kanda legte ihre freie Hand auf sein Knie. „Subaru, hör mir gut zu, ja?“
„Das tue ich doch schon die ganze Zeit.“
„Nein, wirklich zuhören.“ Sie lächelte schief. „Du hörst es, aber du denkst nicht darüber nach.“
„So viele Leute sagen so viele Sachen zu mir in letzter Zeit.“
„Nur der, der etwas sagen soll, der sagt nix.“
Subaru beugte sich vor. „Ganz genau.“
Sie war bei der Waffel angelangt. Subaru konnte die Krümel zu Boden spritzen sehen, wenn sie abbiss. Die Menschen gingen an ihnen vorbei und lachten. Manche flüsterten sich Sachen zu. Andere kicherten; die Schulmädchen besonders häufig, obwohl sie zu dieser Uhrzeit nichts mehr draußen zu suchen hatten. Niemand schien ein Problem zu haben und die Welt ging natürlich auch nicht unter. Warum sollte sie? Es gab keinen Grund, sich Sorgen wegen so etwas zu machen. Der Tag an sich war soviel wichtiger.
Subaru rieb sich über die Augen. ‚Nur für mich ist es nicht so einfach.’
Kanda hatte ihr Eis aufgegessen. Sie rieb sich die Hände an ihrer Jeans ab und stand auf. „Jetzt ist es soweit, Subaru. Du hörst die Antwort auf all deine Fragen.“
„Sex?“ Er hatte schneller geantwortet als gedacht. Beschämt senkte er den Kopf.
„Subaru!“ Kanda kicherte, nur trug sie keine passende Schuluniform. „Das kommt an zweiter Stelle.“
Er sah sie abwartend an.
„Binde ihn in deinen Alltag ein. Mach ihm klar, dass er nicht nutzlos ist. Lass ihn dir helfen. Er soll das Geschirr abtrocknen, die Schränke abstauben, die er erreichen kann. Die Heizung entlüften.“ Sie lachte. „Normale Dinge eben!“
Subaru legte den Kopf schief. „Ich soll ihn wie eine Haushaltshilfe behandeln?“
Kanda schlug sich die Hand vors Gesicht. „Du sollst ihn einbinden. Einbinden! Nicht benutzen.“
Bei ihrem letzten Wort drehte sich Subaru der Magen um. Benutzte er ihn nicht jetzt schon? Zwar mit wenig Erfolg, da Seishirou ja keine weiteren Informationen über den Clan preisgeben wollte, aber das tat nichts zur Sache. Andererseits gab es ein Ziel, das zu erreichen war.
Subaru verdrängte das Wort. „Ich wollte ihn vor den schlimmen Sachen bewahren, die draußen passieren.“ Das war nur die halbe Wahrheit. Oder vielleicht ein Viertel von der halben Wahrheit. Aber er konnte trotzdem die Antwort auf ein Problem erhalten, also musste das reichen.
„Das ist lieb gemeint, Subaru, aber die meisten Menschen wollen immer noch alles wissen. Weil sie noch Menschen sind und es sie sehr wohl etwas angeht.“
„Aber es interessiert ihn doch gar nicht!“, sagte Subaru. „Er ist der… er war…“ Sie wusste doch, wovon er sprach. Er musste es nicht laut sagen.
„Ach ja? Wieso hat er mir dann, als ich ihm die Sonde entfernte, einen philosophischen Vortrag über die Erderwärmung gehalten?“ Sie schmunzelte. „Dafür, dass er sich für nichts interessiert und ihm alles egal ist hat er ein ganz schön mächtiges Allgemeinwissen. Und eine sehr leidenschaftliche Art, für seine Meinung einzutreten.“
Subaru blinzelte. Er erinnerte sich, wie Seishirou ihm damals, als Tierarzt noch, Vorträge über Tokyo gehalten hatte und die Menschen an sich. Selbst beim Beenden der Wette hatte er eine kleine Rede gehalten. „Er hat zu allem eine Meinung.“
Kanda zuckte mit den Schultern. „Er ist wie mein Opa. Schimpft ständig über alle anderen, nur er kann richtig liegen. Gott, wie ich das hasse. Oh, aber ich hab meinen Opa natürlich trotzdem lieb!“
Subaru verstaute die Kondome in seiner Manteltasche. „Ich habe noch was zu tun, also sollten wir uns voneinander verabschieden.“
„Klar.“ Kanda umarmte ihn stürmisch. „Komm jederzeit im Krankenhaus vorbei, wenn du noch nen Rat brauchen solltest!“
„Ja, danke.“ Subaru drückte sie kurz an sich, verabschiedete sich von ihr und machte sich auf den Weg zur Brücke.
***
Arashi, Kamui und die anderen warteten dort schon auf ihn. Heute war der vorletzte Tag, und am letzten würden nur die Bauarbeiter gebraucht werden. Alle Himmelsdrachen standen versammelt am Nordende der Brücke.
Yuzuriha kam auf ihn zugesprungen, Kamui machte den Mund auf, als er ihn sah und Seiichirou hob wie Karen die Hand zum Gruß.
„Wissen alle, was zu tun ist?“, sagte Arashi, bevor die Himmelsdrachen ihn begrüßen konnten.
Subaru spürte, wie ihm jemand auf die Schulter schlug. Sorata stand hinter ihm und grinste.
„Nimm es ihr nicht übel“, sagte Sorata. „Schwesterchen ist durch den Wind.“
„Und wieso?“ Subaru sah sie an. Sie wirkte auf ihn nicht besonders aufgewühlt, obwohl es auffällig war, dass sie so bereitwillig die Rolle des Leiters übernommen hatte. Kamui wirkte neben ihr wie eine sehr unauffällige rechte Hand. Vielleicht eher eine linke.
„Sie ist verliebt.“ Er klimperte mit den Wimpern. „In mich natürlich!“
Subaru lachte leise. „Ja, natürlich.“
Die letzten Dämonen verließen die Brücke fast freiwillig, nur ein seltener Katzendämon machte mehr Ärger und benötigte ein lautes Kläffen von Inuki, um endgültig von dem schiefstehenden Pfeiler abzulassen. Kamui stand keuchend da. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das war anstrengend.“
Subaru horte es Knacken und Knirschen. ‚Es ist eine Baustelle’, dachte er.
Der Pfeiler bewegte sich nach vorne. ‚Ziehen sie ihn jetzt schon hoch?’ Er suchte nach den Bauarbeitern, die immer gekonnt an den Metallpfosten hochgeklettert waren. Es war kein einziger von ihnen in Sicht. Subaru starrte den Pfosten an.
„Kamui!“
Der Pfosten knallte auf den Boden. Alle Himmelsdrachen schrieen durcheinander. Das Geräusch, als der Pfosten auf die Straße traf war ohrenbetäubend. Subaru kannte es noch von Seishirous Unfall.
Er hob den Kopf und hustete. „Pass gefälligst besser auf!“
„Du hast mich gerettet“, sagte Kamui.
„Wie kannst du!? Du hast doch gesehen, was passiert ist, das letzte Mal, um Gottes Willen, willst du auch so enden und dich selbst vollpinkeln!?“
Kamui wand sich unter ihm. Seine Augen waren geweitet und starrten direkt in Subarus. „Was? Wieso? Mir ist doch nichts passiert!“
„Wieso nehmt ihr das nicht ernst!?“ Subaru schlug mit den Fäusten auf den Beton. Staub wirbelte auf. Als ob nicht genug davon in der Luft lag.
Sorata zog ihn auf die Beine. „Hey, Kumpel.“
„Nein!“ Subaru stieß ihm in die Rippen. „Nein, vergesst es. Wie könnt ihr nur! Wie könnt ihr nur!“
Sein Gesicht war staubig. Der Dreck sammelte sich in seinen Tränen.
Arashi streckte die Hand nach ihm aus. „Subaru…“
Kamui umarmte sich selbst. Seiichirou legte ihm eine Decke aus warmem Wind um die Schultern. Als Subaru auf ihn zugehen wollte, hielt ihn Sorata davon ab.
„Du wirst ihn nicht weiter anschreien.“
„Weil er die letzte Hoffnung für diese Welt ist?“ Subaru ließ sich in Soratas Armen hängen. „Das ist mir egal. Alles ist egal.“
Sie ließen ihn nach Hause gehen.
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