TITEL weiss
FANDOM Harry Potter
FANFICTION Scandalous [AU]
PAIRING Elle Mayfair x Hannah Abbott
WORD COUNT ~2'400
GESCHRIEBEN FÜR diesen
skin on skin Prompt: Der Schnee, der fiel, war Schuld, und ihre Augen, tiefer als jeder Ozean
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weiss
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(Mum glaubt an Schutzengel, und wenn sie die Arme um dich schlingt, bist du dir ganz sicher, dass sie Recht hat. Über dich wird gewacht, und wenn du auch sonst nichts über deinen Schutzengel weisst, steht eines für dich fest: er hat Mums Lächeln mit den haarfeinen Fältchen in den Mundwinkeln.
Mum wird dir ihre Angst nie zeigen.)
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Es geschieht vor dem Morgengrauen, schwarz vor den kleinen Fenstern und noch kein Vogelgesang zu hören. Sie gleitet so sanft aus dem Schlaf, als wäre sie eine wachgeküsste Märchenfigur, zartes Liderflattern, leise seufzendes Atemholen, und sofort ist dieses Gefühl da, hüllt sie ein und verschluckt sie lebendig. Etwas fehlt, etwas ist anders, alles ist falsch.
Sie ist nicht mehr die Hannah, die sie ihr ganzes Leben lang gewesen ist.
Später, mittags, kommt Professor Sprout auf sie zu, irgendwie geschrumpft und gealtert, die Augen ertrinkend in all dem, was niemand sich zu fühlen wünscht. Da weiss es Hannah; wer fehlt, was anders ist, warum nichts mehr stimmt.
Sie bleibt nicht, um sich das Wie anzuhören.
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(Gottes Wege sind unergründlich, sagt Mum, und unendlich vieles mehr, das du nicht verstehst. Du hörst zu, weil du spürst, dass es wichtige Gespräche sind, Gespräche für grosse, gute Mädchen, und weil Mums Stimme besonders warm und weich klingt, wenn sie von diesem Gott spricht; fast so, wie sie deinen Namen ausspricht, getragen von einer Liebe, die nicht gestohlen und zerstört werden kann.
Mum verschweigt dir ihre Zweifel.)
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Es dauert trotzdem nicht lange, bis sie es erfährt, natürlich; das Dunkle Mal über dem Zuhause ist nichts, dem man einfach die kalte Schulter zeigen kann. Hannah fragt nicht nach Details. Sie hat keine Ahnung, wo der Rachedurst in ihr zu finden ist, und ist zu erschöpft von der weiten Leere, um danach zu suchen. Später, vielleicht.
Sie packt mit der Möglichkeit im Hinterkopf, für immer zu gehen, nimmt alles mit, nur dieses Buch nicht, das unzählige Spuren von den Fingern ihrer Mutter trägt. Die einzigen Fragen, die sie wirklich stellen will, gelten Gott.
Und an ihn glaubt sie nicht.
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(Ich liebe dich, sagt Mum nur, als du schluchzend und zitternd zu beichten versuchst, was dir den ganzen Winter lang Kummer bereitet hat. Ich liebe dich. Immer.
Sie macht euch Tee, breitet die Decke, unter der du dich früher vor Gewittern versteckt hast, über euch aus, und du weisst, Mum kannst du alles erzählen, genau wie gestern und morgen. Du sagst, du hättest dich noch nie so gefühlt, besonders und strahlend. Komplett, irgendwie. Seltsam auf eine gute Art. Du sagst, es hat sich keine Sekunde lang falsch angefühlt, erst danach, als du allein warst und du wieder mit Denken statt Fühlen beschäftigt warst.
Du fragst, was nicht mit dir stimmt, dass du dich zu Hause gefühlt hast in der Umarmung einer Person, die deinen Nachnamen nicht kennt, die dich nicht liebt, nicht einmal sicht selbst liebt, und die ein Mädchen ist.
Mum schweigt lange und dein Magen zieht sich zusammen, aber als sie dir schliesslich antwortet, klingt sie so bestimmt, beinahe feierlich, dass du nicht an ihren Worten zweifelst, nicht das geringste bisschen, nie.
Nichts, sagt sie, gar nichts. Für mich bist du vollkommen.)
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Sie schämt sich.
Sie steht am Grab ihrer Mutter, die Erde locker, die schuldzuweisenden Blicke ihrer Muggelverwandten noch im Rücken, und vermisst und braucht und will sie.
Elle.
Stolze, selbstgrechte Elle. Innendrin so verloren, dass Hannah vielleicht taub für den dumpfen Schmerz werden könnte, würde sie sich nur lang genug an sie schmiegen.
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(Ihr Haar könnte die schimmernde Lache sein, in der ein Verblutender liegt, ihre Augen Ozeane, geschaffen um darin zu ertrinken, aber wenn du an sie denkst, denkst du nie an rot, blau, Blut, Meer, Sterben. Du siehst Schnee, dicke, wirbelnde Flocken, und ihre Erscheinung in diesem weiten Weiss Weiss Weiss ist so unwirklich, dass du zweifelst, sie auch nur mit den Fingerspitzen streifen zu können.
Als du mit elf aus Hogwarts’ Schloss stürmst, um dich lachend dem Schnee hinzugeben, zum ersten Mal mit einem Zauberstab in der Hand, ist Elle ein winziger Punkt hinter ihrem aufgerissenen Fenster weit oben im Ravenclawturm. Es sollte unmöglich sein, sie bei dieser Distanz und diesem dichten Schneefall ausmachen zu können, aber du siehst sie gestochen scharf und bald schon nichts anderes mehr. Du winkst, von Übermut gepackt, und als sie mit den Schultern zuckt, sachte und knapp, glaubst du zu sehen, wie sich ihre Flügel öffnen, weiss wie der Schnee und nicht von dieser Welt.
Du bist zwölf, als dein Schneeball statt Susan Elles beste Freundin trifft. Du stehst kurz davor, auf dem schnellsten Weg in deinen Schlafsaal zu flüchten und nie wieder das Bett zu verlassen, bestens bekannt mit all den abschreckenden Geschichten, die man sich über die Rache einer Pérez erzählt, aber zu deiner Überraschung wischt sich Gwen bloss lachend das weisse Pulver vom Mantel, ohne dabei stehen zu bleiben oder auch nur in deine Richtung zu sehen. Aber Elle starrt dich an und schwört dir mit einem einzigen Blick, dass sie dich in der Luft zerfetzt, solltest du auch nur daran denken, jemals wieder einen Schneeball in ihre Nähe zu werfen. Der Zorn in ihren Augen hat etwas so Allmächtiges, dass du Snape fortan als beinahe harmlos empfindest.
Die Zahl Dreizehn bringt niemandem so viel Pech wie dir, glaubst du, als du verzweifelt versuchst, deine Gliedmasse von Elles zu befreien, aber ihr seid unter euren dicken Winterumhängen und überlangen Schals so miteinander verschlungen, dass du kaum weisst, wo du aufhörst und sie anfängt. Ihr seid beide auf der Seite gelandet, glattes Eis unter euch, und um euch herum gleiten die Schlittschuhe unaufhörlich weiter. Du bist dir sicher, dass dein letztes Stündlein geschlagen hat; niemand fährt Elle Mayfair um - oder lässt sich von Elle Mayfair umfahren, das läuft aufs Gleiche hinaus -, ohne es bitter zu büssen. Endlich helfen euch ein paar Stundenten auf, und natürlich machen sie sich danach sofort aus dem Staub, nicht gewillt, in nächster Nähe zu sein, wenn Elle explodiert. Du fühlst dich unheimlich klein, wie du da mit eingezogenem Kopf vor ihr stehst und wartest, vernichtet zu werden. Sie sieht schweigend auf dich herab, sekundenlang, ewig, und dann winkt sie fahrig ab, sagt: ausnahmsweise, weil Advent ist, seufzt, als könne sie es selbst nicht glauben, und gleitet dann elegant auf ihren massgeschneiderten Schlittschuhen davon. Du staunst die ganzen Winterferien über und länger über das kleine Weihnachtswunder, den dreizehnten Dezember des nächsten Jahres bereits im Kalender eingekreist.
Als du sie zum ersten Mal mit Cedric Diggory siehst, bist du vierzehn und findest dich in Tagträumen manchmal selbst an der Seite des Trimagischen Champions wieder. Du willst nicht lauschen, wo Gossip Girls Annäher ausnahmsweise abwesend zu sein scheinen und so etwas wie Privatsphäre drin wäre, aber es ist dir unmöglich, wegzuschauen, wenn die beiden aussehen, als kämen sie direkt aus einem Märchen, beide unfassbar schön und leuchtend hinter den dicken Schneeflocken, seine Fingerspitzen federleicht auf ihrer zartrosa Wange und ihre rotgeschminkten Lippen leicht geöffnet, als würde sie schwerer als sonst atmen. Du spürst einen kurzen, leichten Stich von Eifersucht, von dem du selber nicht genau sagen kannst, wem oder was er gilt. Cedric bittet Elle, ihn auf den Weihnachtsball zu begleiten, und fast gibst vor Verblüffung du einen erstickten Ausruf von dir, als sie ablehnt. Es ist Advent, sagt sie nur und küsst Cedric rasch auf die Wange, denn er versteht nicht, was sie meint und ihr ist nicht danach, sich ihm zu erklären; du spürst einfach, dass es so ist. Sie verabschiedet sich von ihm und auf ihrem Weg ins Schloss erhascht du einen genauren Blick auf ihr Gesicht, der dir alles verrät, was Cedric entgangen ist. Es ist Advent und Elle will einfach nur wie der Schnee sein, weiss und unbefleckt statt das Kostüm tragend, in das Töchter wie sie für die Öffentlichkeit schlüpfen. Es ist das erste Mal, dass du Heimweh verspürst und dabei nicht an Mum und Tee mit Honig denkst.)
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Ihr Vater ist erleichtert, als sie verkündet, ins Schloss zurück zu kehren, und fragt nicht einmal, warum sie diesen Entschluss eine Woche vor Beginn der Winterferien fasst. Er ist kein Auror oder ein hohes Tier im Ministerium, das nur mit den Fingern schnippen muss, damit andere sein Heim mit allen erdenklichen Schutzbannen sichern; er konnte seine Frau nicht beschützen, also warum die Tochter von dem Ort fernhalten, der als einer der sichersten im Vereinigten Königreich gilt?
Es ist nicht seine Schuld, Hannah hat nie so empfunden, als wäre es das doch, und sie umarmt ihn, so fest sie kann, weil sie es nicht über sich bringt zu sagen, dass alles wieder gut wird, sie zwischendrin aber dennoch einen aberwinzigen Funken Hoffnung verspürt und diesen mit ihm teilen will.
Er bringt sie zum Bahnhof, schafft es dann doch nicht, sie schon gehen zu lassen, als sie ihn noch einmal umarmt, und lässt ihre Hand erst los, als sie sicher auf der anderen Seite des Schultores steht, Professor Sprouts Arm um ihre Schultern gelegt. Hannah ist nicht mehr die Hannah, die sie bis diesen Sommer ihr ganzes Leben lang gewesen ist, aber als sie sich mit ihrer Hand in einem bonbonrosa Fäustling an die Hand ihres Vaters geklammert hat, hat sie sich trotzdem einen Moment lang gefühlt, als könnte ihr nichts geschehen.
Es ist nicht seine Schuld, und er wird nie aufhören, sie zu beschützen so gut er kann; daran glaubt Hannah.
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(Du verbringst die Sommerferien damit, dich nach dem Winter zu sehnen, und hast nur ein trotziges, kindisches Schnauben übrig, als Mum dir rät, die Sonne und dein Leben zu geniessen. Sie nervt dich jeden Tag damit, unbeeindruckt von deiner launischen Teenagerseite und deinen Beteuerungen, dass es nicht mehr sicher ist, das Haus zu verlassen, nicht einmal, wenn man nur kurz ins nächste Schwimmbad will, das praktisch um die Ecke liegt.
Nach zwei Wochen schliesslich siehst du ein, dass Mum auch weiterhin dein Trübsalblasen stören wird und schüttest ihr ergeben dein Herz aus. Du erzählst ihr, wie leid du es bist, dass alle dieses bestimmte Bild von Elle haben und Elle alles tut, damit sich daran nichts ändert; dass sie vorgibt, dich nicht zu kennen, wenn Gwen oder einer ihrer Anhänger in der Nähe ist oder überhaupt irgenjemand, der es bemerken könnte; dass sie dir viel zu wenig gibt, um daraus etwas Richtiges zu machen, aber eben doch mehr als genug mit dir geteilt hat, um sich in deinem Kopf einzunisten und deine Gedanken für sich zu beanspruchen.
Du siehst Mum an, dass sie einerseits amüsiert ist, weil du beim Sprechen dein Kissen malträtiert hast, bis es Federn spuckt, und anderseits verärgert über dieses Mädchen, das du gerade in all seinen negativen Eigenschaften beschrieben hast. Du holst Luft für einen zweiten Anlauf, willst dich dieses Mal auf Elles positive Eigenschaften konzentrieren, damit Mum nicht denkt, du wärst übergeschnappt; aber viel fällt dir nicht ein.
Es ist der Winter, sagst du am Ende. Man sieht Elle nur wirklich, wenn um sie herum nichts als weites Weiss ist.
Vermutlich hast du dich genauso ernst angehört, wie du die Worte gemeint hast, denn Mum lächelt ihr Lächeln mit den haarfeinen Fältchen in den Mundwinkeln und hört dir geduldig zu, als du abwechselnd schwärmst und jammerst, alle Fenster im Zimmer weit offen, damit der Sommer zu euch kommt, ins Haus wo es sicher ist.)
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Hannah befindet sich noch keine fünf Minuten im Schlafsaal, als Gossip Girl auch schon über ihre Rückkehr postet und ein ruhiges Ankommen damit unmöglich macht. Es ist bald Zeit für das Mittagessen und Susan und Ernie und alle werden nach diesem Post mit Sicherheit in den Keller statt in die Grosse Halle stürmen.
Sie kann die warme, reine Liebe ihre Freunde noch nicht ertragen, ohne sich zuerst darauf vorzubereiten. Sie würde auseinanderbrechen und in ihren Tränen ertrinken.
Kurzentschlossen schlüpft sie wieder in ihren Mantel und ihre Fäustlinge, und flüchtet auf dem schnellsten Weg ins Freie. Es hat wieder angefangen zu schneien, so stark, dass sie kaum noch weiss, wo vorne und hinten ist. Sie schlittert einen der selten benutzten Pfade entlang, auf denen der Anti-Frost Zauber nur unregelmässig erneuert wird, und ertappt sich dabei, wie sie stumm betet, nicht geradewegs auf den zugefrorenen Schwarzen See zu zusteuern und dort im Eis einzubrechen. Sie schüttelt den Kopf. Wenn sie nicht glaubt, gehört zu werden, ist das mit dem Beten ganz schön überflüssig.
Trotzdem erhält sie eine Antwort.
»Vorsicht!«, erklingt Elles Stimme von links und in der nächsten Sekunde steht sie direkt hinter Hannah, hält sie am Arm fest. »Hier fängt der See an.«
»Lass nicht los«, murmelt Hannah, und Elle zieht sie an sich, hat den Halt genau so nötig.
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(Du verliebst dich mit fünfzehn, und natürlich ist es kompliziert, verwirrend und mehr Qual als Erfüllung, und natürlich willst du keine einzige Sekunde davon missen.
Du wirst nie wissen, was dich dazu bewogen hat, auf sie zu zugehen und sie anzusprechen, ob es ein Anflug von Mut oder doch eher Irrsinn war, und vielleicht ist auch sie ungewohnt mutig und irrsinnig gewesen, als sie dir zugehört und dich angesehen hat, statt dir wie all die Jahre davor die kalte Schulter zu zeigen.
Jetzt wartest du im Halbdunkeln auf ihr Eintreffen, so wie gestern und vorgestern und die ganze Woche davor, denn es ist Advent und im Schnee offenbart sich eine Elle, die als Bienenkönigin nicht bestehen könnte, dich aber mag und mit dir lacht, als hätte sie sich schon den ganzen Tag lang darauf gefreut. Es ist dieser frühe Abend, der es für dich besiegelt; der dafür sorgt, dass du vor Glück und unerfüllter Sehnsucht platzen könntest; der dich Nacht für Nacht wachhalten wird und dich fürchten lässt, Mum wird es nicht verstehen und dich für falsch halten.
Elles Augen wirken grösser als sonst, ihr Blau tiefer, und sie zeigen dir alles, was niemand ausser dir sehen darf, erzählen dir Geschichten, die zu eurem Geheimnis werden. Du trittst dicht vor sie, du kannst nicht anders, blickst sie an, und sie liest in deinen Augen, wie du in ihren. Ihr Mund auf deinem ist weich und warm und schmeckt nach Minzeplätzchen, ihre Hände sind vorsichtig und gierig und einfach überall, und dort, auf euren Umhängen, unter denen der Schnee knirscht, umgeben von Wärmezaubern, nimmt der Himmel für dich Form und Gestalt an, verwandelt er sich von einer vagen Vorstellung in etwas, an das du glaubst.)
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»Du hast auf mich gewartet«, sagt Hannah. Es ist keine Frage.
»Seit dem ersten Schnee«, erwidert Elle, unbehaglich und widerwillig, aber sie rückt nicht von Hannah ab.
Hannah fragt nicht, was danach sein wird, dann, wenn der Schnee geschmolzen und es Frühling ist. Es ist zu früh am Tag, sie sind nicht von neugierigen Blicken und Handys geschützt, und sie klammern sich trotzdem aneinander, als wäre es noch letztes Jahr zu ihrer Zeit an ihrem Rückzugsort. Es fühlt sich nach mehr als Winter an.
Elle kann nichts versprechen, aber sie versucht es, so gut sie kann; auch daran glaubt Hannah.
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