Die Zeit, die verstrich, war in keiner messbaren Struktur anzugeben. Gefühlte Stunden vergingen, ehe sich wieder etwas zwischen ihnen regte. Sasuke bezeichnete sich selbst selten als unsicher, aber in der gegenwärtigen Situation fand er kein besseres Wort dafür. Itachi direkt neben ihm und er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte so hart gekämpft und er war so weit gekommen. Doch was sollte er jetzt tun?
Im Moment war alles, was er wollte sich schlafen zu legen. Er war so verdammt müde. Eigentlich müsste er schon längst ohnmächtig geworden sein, bei den Anstrengungen die er heute geleistet hatte. Vielleicht war es wirklich nur die Angst von umher streifenden Konoha-nin aufgegriffen zu werden, die ihn wach blieben ließ. Denn er wollte nicht nach Konoha zurück. Keineswegs.
Dieses verlogene Dorf konnte ihm gestohlen bleiben. Einerseits war er ein Nuke-nin, andererseits wollten sie die Sharingan Augen unbedingt wieder in ihrem Dorf wissen. Merkwürdig aussehende Anbu hatten schon während seiner Zeit bei Orochimaru ihm Schriftrollen überbracht, die eine Reihe von lukrativen Angeboten enthielten, aber er hatte alle abgelehnt. Als Folge hatte man mehrfach versucht ihn umzubringen, der neue Shinobi Junge in Team Sieben war nicht der Erste, aber inzwischen wären ihm die Hunter-nin, die heimlich nach ihm suchten sogar lieber als die Squads, die in Scharen und ganz offiziell auf der Suche nach ihm waren.
Angeführt von einem sehr entschlossenen Naruto.
Den wollte er schon gar nicht sehen, denn wenn der Idiot ihn noch einmal nerven und sich in seine Angelegenheiten einmischen würde, dann würde er auch für dessen Gesundheit nicht mehr garantieren. Suigetsu war der Meinung, dass Sasuke immer noch Schwierigkeiten damit hatte, Unschuldige umzubringen, aber Sasuke fand, dass die Zeit noch nicht gekommen war, in der er sich mit dem Blut anderer besudeln musste.
Die Entscheidung, ob er gegen oder für Konoha war, hatte er immer wieder vor sich hergeschoben und war recht erfinderisch darin geworden Konoha-nin aus dem Weg zu gehen. Denn sie waren ihm immer wieder über den Weg gelaufen, besonders dann wenn Orochimaru den Untergrund räumen ließen und weiter zog. Nur in der kurzen Zeit, wo sie von Versteck zu Versteck reisten, waren sie angreifbar. Etwas, dass Sasuke schon damals nicht gefallen hatte und jetzt, in seinem verletzten Zustand noch weniger.
Frustriert über seine Schwäche biss Sasuke die Zähne zusammen und stemmte sich an der Wand hoch. Die Ninja aus Konoha würden nicht draußen stehen bleiben bis er sich von hier entfernt hatte. Er musste irgendwie von dem Ort verschwinden, dem man ansah, dass hier ein Kampf der Giganten stattgefunden hatte. Wenn er es bis zu Karin und den anderen schaffte, dann könnte er sich entspannen und die Wunden versorgen lassen. Aber nicht vorher, niemals. Es würde schwer werden einen einigermaßen passablen Abstand zwischen sich und den Leuten zu bringen, die Naruto immer noch seine Kameraden nannte. Einmal hatte er es bereits geschafft ihm recht nahe zu kommen, aber zu dem Zeitpunkt waren seine Wunden bereits verheilt gewesen, dank Orochimaru, wie er zugeben musste, und hatte nicht am Rande der Erschöpfung gestanden.
Sasuke blickte Itachi stumm an und musterte zum ersten Mal seit langer Zeit seinen großen Bruder genauer. Sein Gesicht wirkte viel erwachsener als früher und Sasuke konnte die starken Muskeln unter Itachis Hemd erahnen. Andererseits sah er auch sehr deutlich die Wunden, die er angerichtet und das Blut, das Itachi über das Gesicht lief.
Es störte Sasuke Itachi so zu sehen. Als er noch klein war, kam Itachi immer unverletzt nach Hause und selbst beim Massaker, war Itachi ohne einen Kratzer davongekommen, was Sasuke als beachtliche Leistung ansah, selbst wenn dieser Madara Itachi geholfen hatte. Auch bei ihrer sehr kurzen Begegnung von vor knapp drei Jahren, hatte sein Bruder Konoha zwar erschöpft, aber unverletzt verlassen. Das Anblick von Blut auf Itachis Körper passte nicht in Sasukes Weltbild. Verletzungen jeglicher Art erschienen ihm irgendwo immer noch absurd.
„Du bist anscheinend im Moment nicht sehr darauf aus mich umzubringen, Sasuke“, durch schnitt Itachis Stimme die Stille und Sasuke musste sich leider eingestehen, dass Itachi recht hatte. Der Gedanke Itachi jetzt ein Kunai ins Herz zu rammen, war nicht das, wonach es ihm verlangte.
Da war dieses nagende Gefühl, das nach Wissen verlangte. Warum Itachi ihren Clan umgebracht hatte, zum Beispiel, aber dies war eine Frage, die Sasuke sich schon seit Langem stellte. Hinzu kam jetzt aber noch, wer Uchiha Madara war und was dessen Motive waren. Itachi hatte Sasukes Gefühlswelt in wenigen Stunden durcheinander geworfen und erneut mit seinem Verstand und mit seinen Gefühlen gespielt.
„Du weißt doch wahrscheinlich besser als ich, dass wir in Schwierigkeiten stecken. Ich persönlich will nicht von Konoha aufgegriffen werden, denn im Moment haben wir wenig Chancen gegen sie. Lieber verschiebe ich meinen Kampf mit dir, als dass ich in einer Zelle lande.“
Itachi schien ein wenig überrascht. Vermutlich hatte er eine bissige Antwort und das Versprechen erwartet, den Umstand, dass Itachi noch lebte, möglichst bald zu ändern.
In der Tat wunderte sich Itachi über Sasukes weises Vorgehen, insgeheim hatte er damit gerechnet seinen kleinen Bruder erst davon überzeugen zu müssen, dass sie gemeinsam höhere Chancen hatten. Itachi nahm sich vor, ein wenig mehr darüber zu erfahren, was Sasuke dazu veranlasst hatte, sein Verhalten zu ändern.
Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass Sasuke sich auf der Suche nach ihm in die eine oder andere Dummheit versteigen würde. Ganz besonders mit anderen Ninja. Immerhin hatte Sasuke auch ohne zu zögern Deidara bekämpft. Itachi selbst wäre eher vorsichtig damit gewesen, Deidara direkt zu bekämpfen. Schließlich waren seine Bomben eine wirklich nicht zu verachtende Fähigkeit gewesen und wenn er daran dachte, was Madara vom Kampf erzählt hatte, dann war es durchaus knapp für Sasuke gewesen.
Doch schließlich hatte sich Madara aus eben jenem Grund an Deidaras Seite aufgehalten, um im Notfall Sasukes Überleben zu sichern. Madara hatte entschieden, dass es Zeit wurde, Deidara loszuwerden. Denn dessen Abneigung auf alle Uchiha, die bestand seit er selbst Deidara für die Akatsuki rekrutiert hatte, war langsam zur Gefahr für Madaras Pläne geworden und Sasuke war eben der beste Kandidat für diesem Job gewesen, also hatte Madara Deidara nicht aufgehalten, als der sich auf machte, um Sasuke zu erledigen.
Madara hatte ihm erzählt, dass Sasukes Augen unglaublich entwickelt waren und sogar die winzigen Mini Bomben hatten erkennen können. Er hatte es nicht glauben wollen, doch Madara hatte leider ein umfangreicheres Wissen als er, was die Sharingan betraf. Hoffentlich würde er ihm auch mit seinen Augen helfen können, denn sein Augenlicht war zwar schwächer geworden, aber bis er den jetzigen Zustand erreicht hätte, wären noch Jahre vergangen.
Doch er musste sich wohl auf Sasuke verlassen müssen, wenn sie hier weg wollten. Lieber wäre ihm Kisames Gesellschaft, aber wählerisch war er jetzt sicherlich nicht. Konoha würde Sasuke vielleicht am Leben lassen und verhören, doch ihn würden sie auf der Stelle enthaupten und seinen Kopf der Hokage auf den Tisch legen. So wollte er, wenn möglich, nicht enden.
„Verstehst du was I-jutsu?“, hörte er Sasuke fragen.
„Nur die Grundlagen. Es reicht für Knochenbrüche und Verletzungen an den lebenswichtigen Organen in Notsituationen. Wieso?“
„Das Schulterblatt ist schließlich immer noch gebrochen und solange du blind bist, ist das ein großes Handikap. Wenn ich es schon jetzt loswerden kann, würde das bei unserer Flucht behilflich sein.“
Itachi stimmte dem zu, aber er würde Sasukes Schulter nicht heilen, solange er nichts sah. Selbst wenn würde er es wahrscheinlich unterlassen. Eine falsch zusammen gewachsene Schulter war noch schlimmer, als eine Gebrochene.
„Das kannst du vergessen, du musst so damit zurecht kommen.“
„Wir sollen zurück zu unseren Partnern.“
Immerhin schien Sasuke nicht weiter darauf einzugehen, dass Itachi ihm die Heilung verweigerte. Aber der zweite Vorschlag hörte sich besser an. Kisame würde ihn zur Ruhe kommen lassen und Sasuke notfalls abhängen können, sollte der es sich in der Kopf setzen sie zu verfolgen. Die kleine Gruppe, die Sasuke um sich geschart hatte, hatte sicher einen Heilkundigen dabei. Also musste er sich um Sasuke weniger Sorgen machen.
„Also gut, wir arbeiten zusammen, bis wir in Sicherheit sind.“
Sasuke nickte.
Seine oberste Priorität war es jetzt vor Konoha zu flüchten und denen nicht in deren Hände fallen.
Alles ist besser als das.
Sasuke hatte sich schließlich umständlich in die Höhe gezogen, da er sich nicht mit dem Arm abstützen konnte, dessen Schulterblatt verletzt war. Auch Itachi schien Probleme zu haben und an jedem anderen Tag hätte das Sasuke zumindest Schadenfreude bereitet. Jetzt war es hinderlich. Das Gefühl des Stolzes, dass er Itachi wirklich bis an den Rand der Erschöpfung getrieben hatte, war nicht eingetreten.
Da war kein großes Hoch der Gefühle oder Erleichterung. Eher im Gegenteil. Er fühlte nur Bedrückung. Warum … dass wusste Sasuke nicht. Es tat ihm nicht Leid, was er getan hatte, doch der nagende Drang Itachi seinen Schmerz Stück für Stück zurück zu zahlen, war weg.
„Wohin“, richtete Sasuke eine sich ihm aufdrängende Frage an Itachi.
Itachi hatte hier auf ihn gewartet, er würde die Gegend kennen. Auch weil es ein verfallenes Versteck seines Clans war, würde er Itachi die Führung überlassen müssen. In seiner Kindheit war er ein paar Mal hier gewesen, doch Itachi würde sich daran bessern erinnern. Damals hatte Itachi schon die Sharingan gehabt, er würde wissen, wo er war. Wenn es nötig wäre, könnte sich Sasuke sicherlich auch noch an die nötigen Gänge und Abzweigungen erinnern, aber erst nach der Aktivierung ihres Bluterbes wurden die Erinnerungen gestochen scharf.
Sakura hatte ihn mal gefragt, warum das Sharingan so besonders war. Er hatte es ihr nicht erklären können. Mit dem erstmaligen Erscheinen der Sharingan, trat die genaue Speicherung aller Erinnerungen in Kraft. Damals war sich Sasuke vorgenommen, als hätte er sein Leben lang eine Brille getragen, die er aber eigentlich nicht benötigte. Aus verschwommenen Formen wurden klare Umrisse und nie da gewesene Konturen in weiter Ferne erschienen deutlich, als würden sie direkt vor ihm sein und nicht hunderte Meter weit entfernt. Abgesehen von der Fähigkeit alle Dinge verlangsamt sehen zu können, sodass der Faktor Geschwindigkeit sich selbst aushebelte, ließen sich auch die Schärfe der Welt in dieser Sichtart einem Außenstehenden einfach nicht erklären.
Sasuke versuchte die Gedanken abzuschütteln. Er hatte alles nur aus Büchern und Schriftrollen seines Clans lernen können. In dem Monat vor der Chu-nin Prüfung hatte Kakashi ihm geholfen, aber sie hatten sich eher damit beschäftigt, dass er die Aktivierung des Seishitsu-Henka richtig beherrschte. Sich auf seine zweitrangige Natur zu konzentrieren war extrem schwer gewesen.
Denn eigentlich war seine Natur Feuer, so wie bei vielen Uchiha. Das kam mit dem Sharingan. Gerade deswegen, weil seine zweite Natur Donner war und nicht Erde, wie bei den Meisten seiner Verwandten, war es extrem beschwerlich gewesen und machte ihn nur noch angreifbarer für Wasser.
Das war der Grund, warum er jetzt absolut nicht begeistert war.
„Regen“, murmelte Sasuke angepisst, als er Itachi gefolgt war, welcher die Frage nach dem 'wohin' nicht beantwortet hatte. „Ausgerechnet jetzt. Großartig. Wirklich großartig.“
Dem Donner machte der Regen nichts aus, seiner Feuernatur aber schon. Itachi hatte es da besser. Musste der Mistkerl auch Erde als zweite Natur haben. So war Sasuke jetzt klar im Nachteil. Durch seine angespannten Nerven nach dem Kirin war Regen so ziemlich das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Aber Itachi schien das nicht zu interessieren. Denn der lief einfach weiter voraus, in den strömenden Regen hinein. Ob blind oder nicht, er hatte wohl nicht vor, auf ihn zu warten. Er sollte ihm wohl nicht zur Last fallen.
Ob es ihm egal ist, dass ich sterben könnte?, dachte Sasuke verwirrt, als er seinem Bruder missmutig folgte.
In seinem Zustand war eine Erkältung vorprogrammiert und konnte im schlimmsten Fall zur Lungenentzündung werden. Nichts, was Sasuke gebrauchen konnte und Itachi eigentlich auch nicht, wenn sie wirklich gemeinsam fliehen wollten. Doch wahrscheinlich galt dieser Waffenstillstand nur bis sie den Haifisch und sein Team erreicht hatten. Fall die überhaupt noch lebten und sich nicht gegenseitig umgebracht hatten.
Was hätte ich auch erwarten sollten, dachte Sasuke bitter. Das er mich stützt und sich um mich sorgt? Ich bin ein Idiot. Selbst wenn er von mir zu einem gewissen Grad beeindruckt gewesen sein muss.
Sonst würde er nicht mehr leben. Vielleicht war das hier auch wieder nur eine Prüfung von Itachi. Dass Sasuke stark genug war, die Konsequenzen eines Kampfes auch tragen zu können. Was sollte schließlich sonst sein Ziel sein?