Oct 22, 2010 23:50
Kapitel 1: Die Nachricht
Miranda Priestly war eine perfekte Vertreterin absoluter Kontrolle. Nichts und niemand konnte sie aus der Fassung bringen. Nicht einmal ihre Stimme brauchte sich zu erheben. Seit nun schon über 2 Jahrzehnten war sie die Chefredakteurin des bedeutendsten Mode-Magazins der Welt.
Jeder kannte sie. Was auch immer Miranda Priestly wollte, bekam Miranda Priestly umgehend. Ja, Miranda Priestly war ganz oben. Dieser Name allein schon strahlte Macht aus. Deswegen hatte sie ihn gewählt.
Die geborene Miriam Princhek, Londoner Oberschicht, war schon längst vergessen. Sie war tot. Für Miranda Priestly war sie es. Tot und vergessen. Oder nur fast vergessen.
Denn nun lag der Beweis vor ihr in Form eines Telegrams auf dem Tisch.
Mary Ann Princheck gestorben.
Mehr hatte sie nicht gelesen, als sie den Zettel auf ihren Schreibtisch legte. Nicht wann und wo die Beerdigung war. Das Telegramm war an Miranda Priestly adressiert, aber es schrie Miriam Princhek mit jedem einzelnen Buchstaben.
Miranda erhob sich von ihrem Stuhl und ging zum Fenster. Zum ersten Mal seit Jahren blickte sie einfach nur nach draußen, auf die belebte Strasse. Sie schloss kurz die Augen.
Es musste so kommen, sagte sie zu sich selbst. Egal wie weit man von der Zeit wegläuft, sie holt einen doch immer wieder ein.
Ihr Gesicht bewegte sich keinen Zentimeter. Kein Zucken der Mundwinkel, keine Tränen, nur ein leerer Blick. Nein, hier konnte und wollte sie nicht weinen, falls sie es überhaupt konnte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Unbewusst wurde der Druck ihrer Hände stärker.
London. Die Beerdigung wird in London sein. Das wusste sie auch ohne das Telegramm weiter zu studieren. Das hieße, dass sie vermutlich auch kommen würde.
Sie. Nach all den unendlichen Jahren würde sie sie wieder sehen. Sie, mit der alles angefangen hat. Sie mit der sie als Miriam alles geteilt hatte, die einzige Person, die nun nur noch übrig ist, die sie als Miriam kennt.
Kein Tag verging, ohne dass sie nicht an sie gedacht hat. Ihr Gesicht, ihr Lachen, ihre Stimme… Alles war ihr so lebhaft im Gedächtnis geblieben. Kein Wunder, denn sie brauchte nur in den Spi….
Plötzlich wurde ihr unfreiwilliger Gedankengang durch die Vergangenheit durch eine ihr sehr vertraute Stimme unterbrochen.
„Hier sind die Fotos vom Valentino-Shooting. Die Kleider sehen recht ansprechend aus, aber mit den Leuten der Accessoire-Abteilung müssen wir uns noch einmal auseinander setzen. Anscheinend haben sie die Blätter durcheinander gemischt. So ziemlich nichts stimmt.“
Nigel war wie immer ohne Ankündigung mit einem Stapel Fotos bewaffnet in ihr Büro gerauscht und knallte sie auf den Tisch. Er war der einzige ihrer unzähligen Mitarbeiter, der das bei ihr durfte.
Durch die Wucht des Aufschlags flog das Telegramm vom Tisch und in die Nähe von Mirandas Füßen.
Zu Nigels fast schon übertriebenem Entsetzen ging Miranda sofort auf die Knie und hob den Zettel eilig auf. Nie im Leben hätte er gedacht, dass er miterlebt, wie Miranda eigenhändig einen „Zettel“ aufhebt, ohne Emily oder die neue Emily damit zu beauftragen.
Geistesabwesend strich sie das Telegramm glatt.
„Miranda?“ fragte Nigel sichtlich besorgt. „Geht es dir gut?“
Auch die „Frag-Miranda-niemals-etwas“-Regel galt für ihn nicht
Mirandas Augen glitten ein paar Mal über die wenigen Zeilen, dann faltete sie ihn zusammen und steckte ihn einfach in die Brusttasche ihres Chanel Kostüms.
„Nigel“ sagte sie mit gewohnt ruhiger Stimme. „Ich werde ab morgen ein paar Tage in London sein.“
Nun war er erst recht verwirrt über ihr Verhalten. Zuerst das Aufheben eines „Zettels“ und nun ein spontaner Trip nach London?
„London? Ist denn schon Fashion Week? Oder hast du sie wieder vorverlegen lassen?“
Sekunden verstrichen, ohne dass Miranda antwortete.
„Geschäftlich oder privat?“ fragte Nigel schließlich.
Sie zögerte. „Privat.“
Nigel nickte. Privat hieß Privat und keine weiteren Fragen.
„Nimmst du die Mädchen mit?“
Wieder zögerte sie. „Nein, sie werden hier bleiben. Sie haben bald Prüfungen.“
Ich muss diese Reise allein machen. Ich muss.
„Gut…“ sein Blick ging wieder zu den Fotos. „Was ist mit dem Shooting?“
Erst jetzt betrachtete sie die Bilder auf ihrem Tisch. Schon beim ersten Bild kräuselten sich ihre Lippen. Nigel grinste innerlich. Er kannte sie.
„Kümmere du dich bitte darum. Das war’s.“
Wieder lächelte er. Das war alles, was er hören wollte.
„Gut, dann schicke ich dir die neusten Bilder sofort zu….“ Er zögerte. „Gute Reise.“
Ohne eine Reaktion abzuwarten, nahm ihr die Aufnahmen vom Tisch und war auch schon aus dem Büro.
Miranda atmete tief durch.
„Emily.“
Die rothaarige Britin war zum Essen gegangen, stattdessen kam ein blutjunges blondes Mädchen, das eigentlich Brittany hieß sofort herein.
„Ja, Miranda?“
Sie nannte sie noch immer „Emily“, egal wie lange (2-3 Monate?) sie schon bei ihr angestellt war. Sie musterte das Mädchen kurz. Perfekt gestylt von oben bis unten. Angst- und erwartungsvoll blickte sie zu ihr. Obwohl sie noch immer ein bewunderndes Glitzern für die mächtigste Frau der Modewelt zeigte.
Wenn sie nur wüsste…
„Emily, rufen Sie umgehend in der Dalton School an und lassen Sie meine Töchter vom Unterricht befreien und nach Hause schicken. Das war’s.“
„Natürlich Miranda, sofort!“
Bevor sie auch nur blinzeln konnte war die neue Emily schon aus dem Büro verschwunden.
Sie flitze hinter ihrem Schreibtisch, schnappte sich das Telefon und begann zu Wählen.
Sie hatte dem Mädchen natürlich nicht aufgetragen, welchen Grund sie angeben sollte. Ihr würde schon, so hoffte sie jedenfalls, etwas Intelligentes einfallen.
Miranda setzte sich zurück an ihrem Schreibtisch. Sie atmete leicht aus. Beinahe hätte sie das Mädchen noch beauftragt, für den Flug und das Hotel in London zu sorgen.
Nein, das musste sie dieses Mal selbst erledigen. Es war zwar so gut wie unmöglich für sie unerkannt nach London zu fliegen, aber vielleicht nicht für Miriam Princhek.
Zum ersten Mal, seit sie diesen Namen offiziell abgelegt hatte, war sie froh, ihn inoffiziell, für genau diesen Anlass noch weitergeführt zu haben. Miriam Princhek’s Pass war nach wie vor gültig. Das war nun auch die letzte Reise, die sie als Miriam antreten würde. Ein für alle mal.
Ein verzweifelter Ausdruck von Hilflosigkeit machte sich im Gesicht des Mädchens breit, als sie mit der Person, vermutlich der Sekretärin des Direktors der Schule, am anderem Ende zu erklären versuchte, warum Mirandas Zwillingstöchter unverzüglich vom Unterricht befreit und nach Hause geschickt werden sollten.
Sie fluchte leise. Andrea hätte sie schon längst überzeugt…
Miranda zuckte kaum merklich zusammen.
Verflucht! Schon wieder musste sie an ihre ehemalige Assistentin, die hübsche Brünette denken. Sie hatte sie in Paris verlassen. Einfach sitzengelassen. Natürlich hatte sie Andrea sofort gefeuert und dennoch…. Und dennoch konnte sie nicht anders, als ihr eine persönliche Referenz mit zugeben, damit sie beim Mirror anfangen konnte.
So sehr sich es Miranda auch wünschte, sie bekam dieses Mädchen mit den wunderschönen braunen Augen einfach nicht aus dem Kopf.
Energisch schüttelte sie trotzdem die Gedanken fort.
Das blonde Mädchen am Telefon war nahe dran aus dem Fenster zu springen, nachdem sie nur noch das Freizeichen des Telefons hörte.
Sie musste Ruhe bewahren. „Emily, legen Sie auf, wählen Sie die Nummer erneut und dann leiten sie diese Person umgehend an mich weiter. Haben sie das verstanden?“ sagte sie mit leicht genervter Stimme.
Das Mädchen wäre fast von ihrem Sitz auf- und an die Decke gesprungen, als sie bemerkt hat, dass Miranda sie beobachtet hatte. „Se.. selbstverständlich Miranda!“
Binnen weniger Minuten waren Caroline und Cassidy vom Unterricht befreit und unterwegs nach Hause.
„Ich hoffe Sie besitzen noch genug Verstand meinen Wagen vorfahren zu lassen.“
Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach Mittag. „Ich werde gegen 14 Uhr wieder zurück sein. Ich erwarte, dass Sie bis dahin alle anliegenden Bestellungen abgeholt haben. Das war’s.“
Das Mädchen konnte nur nicken. Sofort sprang sie auf und gab Miranda ihren Mantel und ihre Tasche. Sie informierte umgehend ihren Chauffeur.
Roy wartete bereits auf Miranda, als diese gewohnt eiligen Schrittes aus dem Gebäude auf ihn zu steuerte. Sie öffnete die Wagentür und stieg ein.
„Nach Hause, Roy.“ sagte sie schlicht.
„Sehr wohl.“ antwortete er nur und gab Gas.
Langsam lehnte sich Miranda in ihrem Sitz zurück. Roy’s Augen waren strickt auf die Straße gerichtet.
Vorsichtig nahm sie das Telegramm aus ihrer Brusttasche und las es erneut. Dann atmete sie tief aus.
Das Unausweichliche nahm seinen Weg.
crossover,
fanfiction,
language: german,
titel:the better life