Wie es anfängt

May 05, 2017 18:14

Ficathon: summertime sadness
Fandom: Griechische Mythologie
Prompt: Sie lieben dich / Sie hassen dich / Sie wollen dich haben / So ist das Leben in den goldenen Tagen ["Goldene Tage", Prinz Pi]
Promptsteller*in: tears_into_wine

A/N: Entstanden im Rahmen einer Art ... Challenge (?) mit einer lieben Kommilitonin zur Verschönerung langweiliger Vorlesungen. Ich weiß nicht, wie das mit der Perspektive passiert ist oder wie ich darauf gekommen bin, aber der Prompt erinnerte mich unweigerlich an das Goldene Zeitalter - et voilà!



Wie es anfängt

Vielleicht beginnt das Ende so: Ihr seht eine Frau in einem Buchenhain wandeln und sie ist von herzzerreißender Schönheit.

Ihr steht abseits der Bäume und wagt euch nicht näher an sie heran. Obwohl sie greifbar scheint, lauert direkt hinter dem schwindelerregend schnellen Pochen in euren Brustkörben die Erkenntnis: Wenn ihr nicht vorsichtig seid, ist sie ebenso flüchtig wie ein Windhauch. Denn, so viel begreift ihr, vor euch steht keine gewöhnliche Frau.

Vor euch steht eine Göttin. Es ist das Wort, das plötzlich wie von selbst auf eurer Zunge liegt; ein leerer Begriff, den ihr mit allem füllt, was sie verkörpert. Mit ihrem weichen Körper und dem aufrechten Gang, mit den langen Haaren und ihrem perlenden Lachen, mit Ehrfurcht und Perfektion.

Und dann ist sie von einem Augenblick auf den anderen fort. Ihr blinzelt, macht einen Schritt nach vorne, seht euch um. Keine Fußspuren, keine zerbrochenen Zweige oder in Ästen verfangene Haare - nichts deutet darauf hin, dass sie noch einen Moment zuvor hier gestanden hat.

Aber ihr kennt die Wahrheit. Auch wenn ihr sonst nichts über sie wisst - wer sie ist, woher sie gekommen und wohin sie gegangen ist -, so wisst ihr doch das: Sie hat Spuren hinterlassen in eurem Geist und ihr liebt sie dafür.

Nur hat euch niemand gesagt, dass Liebe eine Medaille mit zwei Seiten ist. Ihr seht einzig das Feuer, das in euren Herzen brennt, und den Glanz in euren Augen. Liebe ist warm, sagt ihr, Liebe hält euch zusammen und verleiht dem goldenen Funkeln eurer Tage einen zusätzlichen Schimmer, einen Wert, von dem ihr nie der Meinung gewesen seid, dass er fehlt. Das ist es, was sie euch gebracht hat.

Doch Liebe ist auch unsicher und sät Unruhe in eure Gedanken, eure Gefühle, eure Handlungen. Ihr fangt an, euch zu sehnen, ohne beschreiben zu können, wonach. Es macht euch schreckhaft und angespannt.

Und so schleicht sich die Suche nach Sicherheit in euer Leben - der Wunsch nach ihrer Wiederkehr und ihrem Bleiben, das nagende Bedürfnis, sie dazu bringen zu können. Es ist das Streben danach, die Medaille niemals von der anderen Seite betrachten zu müssen, und ihr gebt ihm einen Platz. Ihr nennt es Notwendigkeit und fangt an, euer Vertrauen zu verlassen und darauf zu bauen - Wohnstätten, Gemeinschaften, neue Fertigkeiten und Wissen.

Ja, vielleicht ist das der Anfang vom Ende: Ihr seht Aphrodite in einem Buchenhain wandeln und liebt sie so sehr, dass ihr sie bei euch behalten wollt.

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Oder - halt, wartet! Vielleicht ist auch alles ganz anders und die Vorboten des Endes kommen in Gestalt eines Mannes.

Er ist ein Fremder, der irgendwann in eurer Mitte steht und euch mit seinem Lächeln blendet. Seine Haare leuchten in dem weichen Licht, das eure Tage umschmeichelt, und der Klang seiner Stimme taucht lange Stunden in das behagliche Gefühl von Glück und tiefer Zufriedenheit. Er liegt zwischen euch, als bemerke er gar nicht, dass er immer etwas anders, etwas mehr ist als ihr.

Niemand fragt nach seinem Namen, weil ihr keinen braucht. Ihr nennt ihn einen Gott und er verleiht diesem Wort Bedeutung - mit Geschichten über andere wie ihn, denen ihr so gebannt lauscht, dass ihr die Zeit vergesst; mit Musik, wohlklingender als der Gesang der Vögel; mit seinem strahlenden Aussehen und seiner Stimme aus goldgelbem Honig.

Er wird zu einem Mittelpunkt, einem festen Bestandteil von euch, geliebt und viel bewundert. Er dreht euer Leben um sich, lenkt es nach seinem Willen, und ihr folgt gerne. Möglicherweise bemerkt er es nicht einmal, so selbstverständlich geschieht es.

Möglicherweise weiß er gar nicht, was sein Fortgehen anrichtet.

Es ist ebenso plötzlich wie seine Ankunft damals, ohne ein Wort des Abschieds oder ein Vorzeichen. Ihr fühlt euch wie aus einem tiefen Schlaf gerissen und in eine andere Welt versetzt - eine mit etwas tristeren Farben, ein wenig trübsinnigeren Stimmen, einem kaum spürbaren Sehnen, das sich in eure Herzen setzt.

Ihr vergesst ihn nicht. Die Äußerlichkeiten verblassen, aber euch bleibt der Nachhall des Gefühls, das er ausgelöst hat, der unausgesprochene Wunsch nach dessen Rückkehr. Ihr blickt einander in die Augen und seht doch nur, worin ihr ihm unähnlich seid. Und da fängt es an - eure Suche nach ihm in euch selbst, eure Bemühungen, euch in seine Form zu pressen.

Ja, vielleicht beginnt es so: Ihr nehmt Apollon in eurer Mitte auf und verzweifelt an eurer eigenen Unvollkommenheit.

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Und das ist es wohl. Die Sache ist: Niemand fragt danach, ob es noch hunderte dieser Geschichten zu berichten gibt, weil es nicht wichtig ist.

Ihr seht die Götter und wollt sie bei euch halten, ihnen ähnlich werden, dem Glanz eurer goldenen Zeit etwas von ihrem überirdischen Schimmern verleihen. Nichts ist euch zu wertvoll, um es diesem Bestreben zu verschreiben, und das strahlende Ziel vor euren Augen macht euch blind.

Das ist es, was ihr nicht seht: Euer Wunsch nach goldenerem Gold nimmt dem, was ihr habt, seine Wärme. Als das Leben in den blühendsten aller Tage sich dem Ende zuneigt, bröckelt der goldene Schleier und legt frei, was immer darunter gewartet hat: Reines, kühles Silber.

ficathon: summertime sadness, character: apoll, fandom: griechische mythologie, character: aphrodite, rating: p6

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