Ein Platz an der Sonne
Jensen saß auf dem Sofa, drehte die Bierflasche in seinen Händen und seufzte.
„Alastair“, brachte er dann mit gequältem Unterton vor, seufzte erneut und nahm einen Schluck Bier.
„Alastair“, versuchte er es ein weiteres Mal, aber er schaffte es einfach nicht, den drei Silben so viel Weltuntergangsschmerz beizufügen, wie Eric sich das vorstellte.
Dabei hatte er wirklich verstanden, welche Emotionen Dean mit dem Dämon verband, hatte verstanden, was vierzig Jahre in der Hölle mit ihm angestellt hatten, und wenn Sarah auch noch nichts Derartiges geschrieben und Eric ebenfalls nichts angedeutet hatte, wartete Jensen nur auf die Episode, in der herauskommen würde, welcher Natur die Beziehung zwischen Alastair und Dean wirklich gewesen war. Nach der Geschichte mit der Nixe traute Jensen den Beiden so gut wie alles zu.
Jensen seufzte ein drittes Mal, leerte dann die Bierflasche in einem Zug und stellte sie auf den Tisch zu den drei anderen. Harley, der neben ihm auf dem Sofa lag, brummte unzufrieden, als Jensen sich so weit nach vorn lehnte, dass er ihn empfindlich in seiner Ruhe störte, so dass der Hund sich schließlich schnaufend erhob und am anderen Ende des Zimmers neben Sadie wieder Platz nahm.
„Treulose Tomate“, brummelte Jensen anklagend, maß mit nachdenklichem Blick die vier Flaschen auf dem Tisch und fragte sich unwillkürlich, was zum Teufel Jared noch so lange am Set machte. So unglaublich lange konnte das doch auch nicht dauern, Sams apokalyptisches Gespräch mit Ruby abzudrehen - vor allem nicht, weil es Jared so verboten viel Spaß machte, Sams dunkle Seite zu erforschen, was seine Dreharbeiten in letzter Zeit ungemein beschleunigte.
„Alastair“, sagte Jensen also zu Harley und Sadie, die Deans Drama nicht mehr Beachtung schenkten als der Staubschicht, die sich unter dem Sofa angesammelt hatte, und Jensen beschloss, dass er noch ein Bier brauchte. Er schaffte es vielleicht nicht, dem Zuschauer adäquat zu vermitteln, an welch seidenem Faden Deans geistige Gesundheit hing, er schaffte es aber leider ebenso wenig, all die Emotionen, die Dean ständig mit sich rum schleppte, abzulegen, wenn die Kameras nicht mehr liefen - und dass ihm das inzwischen nicht einmal mehr dabei half, den Charakter, den er seit über vier Jahren spielte, zu portraitieren, empfand Jensen als äußerst schlechten Witz.
„Ich bin ein schlechter Schauspieler“, beschloss er leise, stand auf, um sich ein weiteres Bier aus der Küche zu holen. „Oder zumindest kein besonders guter“, vertraute er dem Kühlschrank an, nachdem er ihn wieder geschlossen hatte, und fügte pflichtbewusst noch ein „Alastair“ hinten an.
„Ich habe Dinge getan … schreckliche Dinge“, murmelte er gedankenverloren auf dem Rückweg ins Wohnzimmer und ließ sich schwer aufs Sofa zurückfallen. „Devour zum Beispiel. Ganz schrecklich. Kein Wunder, dass alle Welt denkt, ich könne allein keinen Film tragen. Ich werde auf ewig nur der lustige Sidekick sein. Mehr kann ich einfach nicht.“
Jensen öffnete die Bierflasche, die er sich mitgebracht hatte und starrte dumpf vor sich hin, während er sie wie die Flasche davor in seinen Händen drehte. Wenn Jared nach Hause kam und sah, wie viel Bier er in der Einsamkeit des Wohnzimmers getrunken hatte, würde er sich bestimmt über ihn lustig machen … oder sich um ihn sorgen. Jensen war sich da nicht ganz sicher. Nein, vermutlich würde Jared sich eher Sorgen um ihn machen. Der machte sich ja sogar Sorgen um Sadie, wenn sie ihr Wasser nach dem Joggen zu schnell geschlabbert hatte und davon Schluckauf bekam.
Jensen giggelte unwillkürlich, biss sich jedoch gleich darauf auf die Unterlippe und schluckte ein paar Mal. Wenn das am Set mit ihm so weiter ging, dann brauchte er bald einen Seelenklempner, bei dem er sich Deans mannigfaltige Komplexe von der Seele reden konnte - angefangen mit dem Bruderkomplex, der immer ominösere Formen annahm und es nach vier Jahren irgendwie geschafft hatte, in sein Privatleben überzugreifen.
Jensen schloss unwillkürlich die Augen und biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie beinahe zu bluten begann. Er wusste, dass es reichlich ungesund war, Deans Gefühle für Sam auf Jared zu übertragen, aber er konnte sich nicht helfen - der Kerl war wie ein jüngerer Bruder für ihn, und seit sie zusammen wohnten, hatte sich ihre Freundschaft zu etwas verschoben, das den unschuldigen Betrachter an eine Ehe erinnern musste … und nicht nur den unschuldigen Betrachter, alle anderen auch.
Danneel, die seine symbiotische Freundschaft zu Jared jahrelang mit Humor genommen hatte, hatte ihm bei ihrem letzten Telefongespräch anvertraut, dass sie sich langsam frage, was er überhaupt noch mit ihr wollte, wenn sie sich inzwischen nur noch bei Filmpremieren trafen - so viel Zeit, wie er mit Jared verbrachte, konnte er ihn dahin dann doch auch gleich noch mitnehmen. Sie hatte sich Mühe gegeben, all das freundlich und mit leichtem Tonfall vorzubringen, aber Jensen kannte sie lange genug, um zu begreifen, dass ihre Beziehung vor dem Aus stand - und das wirklich Tragische an der Sache war, dass es ihm nicht einmal wirklich leid tat. Und das jagte ihm eine Heidenangst ein.
Er hatte sich so sehr an das Zusammenleben mit Jared und den Hunden gewöhnt, fühlte sich in Jareds Haus so sicher, so wohl … dass er sich unwillkürlich fragte, wie er jemals wieder mit einem anderen Menschen zusammenleben sollte. Die vierte Staffel war fast abgedreht, die fünfte war bewilligt worden - aber für mehr hatte Eric keine Pläne gemacht, und Jensen war sich schmerzlich bewusst, wie sehr er Jared vermissen würde, wenn sie sich nicht länger täglich am Set und Zuhause sahen.
„Alastair“, murmelte Jensen missmutig, nahm einen Schluck Bier und wagte es nicht, sich selbst die Frage zu stellen, wie es mit seinen Gefühlen für Jared nun eigentlich aussah. Den besten Freund der Freundin vorzuziehen war vielleicht noch irgendwo verständlich, wenn dieser Freund Jared Padalecki hieß, und die Beziehung zur Freundin schon seit Jahren aus der Ferne geführt wurde … aber so völlig damit zufrieden zu sein, jeden Tag das selbe Gesicht zu sehen und sich niemals zu wünschen, es vielleicht mit dem der Frau seiner Träume zu vertauschen, fand selbst Jensen ein wenig verdächtig. Besonders, da es ihm zunehmend schwer fiel, sich die Frau seiner Träume überhaupt erst auszumalen.
Die Haustür öffnete und schloss sich leise, die Hunde stürmten lärmend in den Flur, und Jensen wurde sich mit plötzlicher Schärfe bewusst, was für ein Bild er abgeben musste - mit den fünf Bierflaschen, so ganz allein auf dem Sofa. Anstatt sich also zu Harley und Sadie in den Flur zu gesellen und Jared zu begrüßen, wie er das vielleicht unter anderen Umständen getan hätte, stand er hastig auf und griff sich die vier leeren Bierflaschen vom Couchtisch, um sie in die Küche zu bringen.
„Jensen?“, scholl Jareds fragende Stimme durch das zuvor so schrecklich stille Haus, und weil Jensen den Kopf wandte, um ihn zu antworten, rannte er vor die Küchenzeile und ließ die Flaschen fallen, die er in der linken Hand gehalten hatte.
„Shit!“, entfuhr es ihm unwillkürlich, er stellte die Flaschen, die er in der rechten Hand gehalten hatte, auf der Küchenzeile ab und ging in die Hocke, um die Scherben vom Boden aufzusammeln, bevor Harley und Sadie sich möglicherweise noch daran verletzten.
„Lass die Hunde nicht in die Küche!“, rief er Jared zu, der inzwischen ein weiteres Mal seinen Namen durchs halbe Haus gebrüllt hatte, und Jensen zuckte doch tatsächlich zusammen, als die Küchentür sich prompt öffnete, um Jared einzulassen.
„Was machst du hier drin?“, erkundigte Jared sich verdutzt, als sei es so abwegig, Jensen in der Küche zu vermuten, und Jensen zog leicht die Schultern hoch. „Müll entsorgen.“
Er griff nach einer etwas größeren Scherbe, hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass Jared direkt neben ihm in die Hocke gehen würde, und schloss seine Hand viel zu fest darum.
„Shit!“, entfuhr es ihm ein weiteres Mal, er ließ die Scherbe eilig fallen und beobachtete mit leisem Unglauben, wie sich einige Tropfen Blut zu dem wenigen Bier gesellten, das sich noch in den jetzt zerbrochenen Flaschen befunden hatte. Es war nun nicht etwa so, dass Jensen kein Blut sehen konnte - nicht nach vier Jahren Supernatural - aber er hatte vielleicht doch ein kleinwenig mehr getrunken, als gut für ihn war, und so taumelte er ein wenig, als das Pochen in seiner Hand zu seinem umnebelten Verstand durchdrang.
„Jen!“, drang Jareds entsetzte Stimme an seine Ohren, im nächsten Augenblick fühlte er sich von einem kräftigen Arm umfangen, der ihn sanft aber unerbittlich in die Höhe zog und dann zum Waschbecken dirigierte. Jensen ließ sich widerstandslos von Jared den Schnitt ausspülen und desinfizieren, den er sich so gedankenlos beigebracht hatte, und als das Stechen in seiner Hand kurz geradezu unerträglich wurde, brachte er endlich ein „Alastair“ zustande, das Eric ganz bestimmt zufriedengestellt hätte.
„Wie bitte?“, fragte ihn Jared, der bis dahin all seine Aufmerksamkeit Jensens Verletzung gewidmet hatte, und Jensen zog einen sturen kleinen Schmollmund. „Nichts.“
Jared zog die Augenbraue in die Höhe und sagte nichts dazu, entließ Jensen aus seinem Griff, um die verbleibenden Scherben vom Küchenfußboden aufzuheben - und zog auch noch die andere Augenbraue in die Höhe, als ihm bewusst wurde, wie viele Flaschen Jensen da als „Müll“ entsorgen wollte.
„Bist du betrunken?“, erkundigte er sich mit einem Hauch von Besorgnis in der Stimme, und Jensen drehte ihm eilig den Rücken zu, um sich ins Wohn- oder besser noch, sein eigenes Zimmer zu flüchten. Jared war jedoch zu Jensens nicht enden wollendem Missfallen nicht nur groß und verfügte somit über eine etwas unfaire Reichweite, er war außerdem sehr viel schneller, als es einem solchen Giganten zustehen sollte, und hatte Jensen recht schnell bei den Schultern gepackt und zu sich herum gedreht.
„Du bist betrunken!“, stellte Jared nach einem genaueren Blick in Jensens große grüne Augen fest, dessen Pupillen momentan ein wenig zu geweitet waren, und ließ seine großen Hände an Jensens Schultern sanft auf und ab gleiten. „Ist es wegen dem, was Eric gesagt hat?“
Jensen biss sich prompt auf die Unterlippe, und Jared legte leicht den Kopf schief, so dass ihm das Haar - inzwischen frei von jeglichen Produkten, die es so grässlich glatt hielten, damit Sam härter wirkte - in die Stirn fiel. „Er hat das nicht so gemeint, Jen. Du warst gut, heute.“
Jensens Züge nahmen einen leicht kindischen Zug von Trotz an. „Woher willst du das wissen? Wir hatten heute kaum Szenen zusammen.“
Jared lächelte ein wenig. „Ich bin so spät dran, weil Eric noch mit mir reden wollte - weil er meint, sich dir gegenüber im Ton vergriffen zu haben. Er hat das wirklich nicht so gemeint, Jen. Er weiß selbst, dass es verdammt viel verlangt ist, drei blöde Silben mit genug Weltschmerz für vierzig Jahre in der Hölle zu belegen.“
Jensen blinzelte ein paar Mal, blickte dabei fortwährend in Jareds große, braune Augen, die ihn wie üblich in dieser Mischung aus treudoofer Zuneigung und redlichem Ernst ansahen, dann schluckte er trocken. „Ich bin ein schlechter Schauspieler!“, platzte es aus ihm heraus, und Jareds Stirn runzelte sich bedrohlich. „Wer hat das gesagt?!“
Er klang so sauer, dass Jensen unwillkürlich zusammenzuckte, und beide Hände zu Fäusten ballte - was eine blöde Idee war. Die gerade erst versorgte Wunde brach wieder auf, und Jared fluchte leise. „Wir müssen das erstmal verbinden - und dann erzählst du mir, wer dir diesen Schwachsinn eingeredet hat.“
Er bugsierte Jensen auf einen der Küchenstühle, um das Verbandszeug zu holen, ging dann vor seinem Freund auf die Knie, um ihm mit diesen grässlich großen Händen unvorstellbar sanft einen viel zu übertriebenen Verband anzulegen, und Jensen saß die ganze Zeit da wie ein Häufchen Elend und kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. Jared war ganz zweifellos wütend auf die Person, die Jensen eingeredet hatte, er sei ein schlechter Schauspieler, und Jensen fragte sich ganz unwillkürlich, ob sich Jareds Wut auf ihn übertragen würde, wenn er erstmal herausbekam, dass Jensen das ganz allein geschafft hatte.
„Also?“, fragte Jared, nachdem er Jensen zu seiner Zufriedenheit bandagiert hatte, blieb vor seinem Freund am Boden hocken und blickte abwartend zu ihm auf. „Wem muss ich Manieren beibringen?“
Er schaffte es, seiner Stimme ein gewisses Maß an Heiterkeit zu verleihen, und Jensen lächelte unwillkürlich ein wenig. „Mir.“
Jared runzelte irritiert die Stirn, dann schien ihm ein Licht aufzugehen, und er machte eine empörte Schnute. „Hätte ich mir denken können! Treibt Dean sich schon wieder in deinem Oberstübchen rum?“
Jensen nickte schuldbewusst, und Jared überraschte ihn damit, sich ihm entgegen zu recken und in eine etwas unbequeme Umarmung zu ziehen. „Was machst du?“, erkundigte Jensen sich perplex bei Jared, und er hörte das Grinsen in der Stimme seines besten Freundes, als der antwortete: „Sam umarmt seinen großen Bruder. Und wir wissen ja, dass Dean nichts so sehr liebt, wie … naja … Sam.“
Jared giggelte leise, und Jensens Gesicht überzog ein warmes Lächeln. „Spinner“, murmelte er leise, beugte sich auf seinem Stuhl weiter nach vorn, um Jareds Umarmung anständig erwidern zu können, legte seinen Kopf auf Jareds Schulter und schloss die Augen.
Er verharrte eine Zeit lang in Jareds Armen, so lange in der Tat, dass er fast eingeschlafen war, als Jared begann, sanft über seinen Rücken zu streicheln.
„Geht’s dir wieder besser?“, fragte er Jensen vorsichtig, und Jensen schmiegte sein Gesicht an Jareds Halsbeuge und murmelte ein verschlafenes „Alastair“, das in Anbetracht der Beziehung, die Dean zu dem Dämon hatte, verdächtig glücklich klang.
Ende
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Plus H/C-Icon. Bin ich toll, oder was? EDIT: Und was nocht toller ist ...
Die Fortsetzung!