Titel: Without remorse
Teil: Oneshot
Autorin: Alexis/
mistress_vivi (Letzteres mein Schreibjournal)
Fandom: Yu-Gi-Oh!
Hauptcharaktere/Pairing: Seto Kaiba, Mokuba Kaiba
Thema: #049 Kreuz (
34/100)
Word Count: 1.071
Rating: PG
Disclaimer: Keiner der Charaktere gehört mir und ich verdiene auch kein Geld damit.
Without remorse
Auf dem Gipfel des Erfolgs steht auch ein Kreuz: für die Leichen, über die man gegangen ist. (Prof. Dr. med. Gerhard Uhlenbruck)
Seto seufzte. Es gab Tage, die wären am schönsten, wenn man sie einfach streichen oder überschlafen könnte.
„Seto, du hast mir versprochen, dass du mit mir spielst“, beklagte sich Mokuba, sein kleiner Bruder, bei ihm. Er stand in der Tür, einen ausgesteckten Controller in der Hand; das lose Kabel lag hinter ihm auf dem Boden. Für einen winzigen Moment fragte sich Seto, von welcher der vielen Spielkonsolen in Mokubas Besitz der Controller wohl stammte.
„Tut mir leid, kleiner Bruder.“ Seto ging zu ihm und fuhr ihm liebevoll durch die Haare. „Es geht nicht. Da ist etwas, zu dem ich unbedingt hin muss.“
„Kann ich nicht mit?“ Ein neuer Hoffnungsschimmer hatte sich in Mokubas Augen gestohlen.
„Das wird schrecklich langweilig für dich werden“, sagte Seto und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. „Ich glaube nicht, dass dich Beerdigungen sehr interessieren.“
„Eine Beerdigung? Wer ist denn gestorben?“
Seto verzog den Mund und zögerte eine paar Sekunden zu lang.
„Wer ist gestorben?“, fragte Mokuba noch einmal. Ernste Sorge zeichnete jetzt sein Gesicht. Seto sah äußerst interessiert ein paar Dokumente durch.
„Erinnerst du dich an Mrs. Misaki? Die Frau an der Rezeption?“
Für einige Momente blieb Mokuba erkenntnislos, dann wurden seine Augen weit.
„Ayano? Nein! Seto, nein!“
Seto umarmte seinen kleinen Bruder. Zwar weinte Mokuba nicht, doch er zitterte ein wenig und Seto hielt ihn, bis er sich wieder beruhigt hatte. Hin und hergerissen warf er einen Blick auf die digitale Uhr an seinem Schreibtisch. Verzweifelt schaute er wieder hinunter auf die schwarze Haarmähne seines Bruders, der sich an sein Bein klammerte.
Mokuba schien sich zusammen zu reißen und trat ein paar Schritte zurück.
„Gehen wir.“
„Willst du wirklich…?“
„Ich mochte Ayano. Natürlich will ich auf ihre Beerdigung und mich von ihr verabschieden.” Mokubas Augen blieben trocken, doch die Art und Weise, wie er Seto ansah, war fast genauso schlimm. Seto konnte es ihm einfach nicht verwehren.
Kaum zehn Minuten später schlenderten die beiden den langen Weg zur Straße hinunter. Der Friedhof war nicht weit entfernt und Seto war überzeugt davon, dass ein kleiner Spaziergang Mokuba gut tun würde. Die kühle Frühlingsluft erfrischte und trug einen schweren Blütengeruch mit sich.
Er selbst hatte bis auf ein paar Anweisungen und das eine Mal in der vergangenen Woche eigentlich kaum mit Mrs. Misaki zu tun gehabt.
Der Friedhof lag in einem größeren Park, in dem sich endlos Reihe um Reihe von Grabsteinen erstreckte. Ein schwacher Windhauch ließ die Blätter der Bäume rascheln. Eine kleine Prozession trug einen Sarg schweren Schritts den Weg von der Kirche ins Innere des Friedhofs. Die beiden betrachteten die schwarzen Banner.
In Ewigkeit
Ruhe in Frieden, Ayano Misaki
Möge deine Seele Ruhe finden
Schweigend schlossen sich Seto und Mokuba der Prozession an.
Seto war seit seinem Einstieg in die Firma auf vielen Begräbnissen gewesen, doch das war das erste, das ihn nicht völlig unberührt ließ. Auch wenn er mit ausdruckslosem Gesicht hinter den schwarzgekleideten Leuten ging, spürte er tief in seiner Brust einen kleinen Stich der Reue.
Sowohl Mokuba, als auch er hatten sich jeweils einen schwarzen Mantel übergeworfen um der Etikette wenigstens halbwegs gerecht zu werden. Eigentlich hatte Seto vorgehabt, einen schwarzen Anzug zu tragen, doch die Einladung zur Beerdigung war so überraschend gekommen, dass dafür keine Zeit geblieben war. Vermutlich hätte er hier nicht auftauchen sollen. Die Einladung war auch nur reine Formsache gewesen. Schließlich hatte er Ayano Misaki nicht gekannt und dies hier war ein Fest der trauernden Hinterbliebenen.
Warum bin ich überhaupt hergekommen?, fragte sich Seto, als sie sich mit der Prozession dem Grab näherten. Aber er wusste es. Tief in sich wusste er es.
Sie blieben etwas außerhalb stehen und jetzt wurden sie auch von den anderen bemerkt. Seto war vollkommen klar, dass die feindseligen, hasserfüllten Blicke ihm galten, doch es berührte ihn nicht.
Es wäre falsch gewesen, anzunehmen, dass Seto andächtig den Worten des Priesters lauschte. Es war nicht einmal ganz klar, ob Mokuba das tat, der auf den Sarg starrte und sich fest auf die Unterlippe gebissen hatte.
Setos Blick fiel auf die vielen Blumensträuße und er dachte daran, dass er wenigstens beim kleinen Blumenstand gegenüber des Friedhofs einen hätte kaufen können. Den Worten des Priesters schenkte er schon nach den ersten zwei Sätzen keine Beachtung mehr.
Er hatte diese Frau als laut, hysterisch und verzweifelt in Erinnerung, jedenfalls, als er sie zuletzt gesehen hatte. Letzten Dienstag muss das gewesen sein, überlegte Seto. Es ist noch gar nicht so lange her. Seto erinnerte sich genau. Es war der Tag, als seine Limousine eine Reifenpanne gehabt und er eine dreiviertel Stunde lang auf ein Ersatzauto gewartet hatte. Als er schließlich am späten Abend in die Firma gekommen war, waren Mrs. Misaki und er die einzigen Leute im gesamten Gebäude gewesen. Sie war ganz nahe an ihn herangetreten, hatte ihn mit lauter, verbitterter Stimme beschimpft und er, er hatte den Alkohol aus ihrem Atem riechen können.
Der Sarg wurde langsam in die Erde gelegt. Seto versuchte, das kleine Mädchen nicht anzusehen, das in ein schlichtes, verwaschenes Kleidchen gehüllt beim Grabstein stand und hemmungslos schluchzte. Mehr noch als alles andere schnürte ihr Anblick ihm die Brust ein. Sie war kaum sieben Jahre alt. Bestimmt würde man sie jetzt ins Waisenhaus geben.
Andererseits war Seto ein Geschäftsmann. Mrs. Misaki hatte doch gewusst, was passieren würde, wenn sie betrunken zur Arbeit ging - egal, was ihr auch Dramatisches passiert sein mochte. Es lag sicherlich nicht an ihm, sich schuldig zu fühlen. Er drehte Mokuba an der Schulter herum, um ihn zum Gehen zu bewegen.
Er hätte doch keine Ausnahme für sie machen können, selbst, wenn er gewusst hatte, dass sie eine verschuldete, alleinerziehende Mutter war und das Geld brauchte. Seto war ein Geschäftsmann. Die persönlichen Probleme seiner Angestellten hatten ihn kalt zu lassen. Er wäre niemals so weit gekommen, hätte er sich von so etwas aufhalten lassen.
„Wenn du möchtest, nehme ich mir den Nachmittag für dich frei“, sagte Seto leise zu seinem Bruder, als sie den Weg zur Straße zurückschlenderten. Es war seltsam still. Das einzige Geräusch war der säuselnde Wind und der Kies, der unter ihren Schuhen knirschte.
Seto musste keine Reue haben. Er konnte nichts dafür, dass sich Mrs. Misaki die Pulsadern ein paar Stunden später in jener Nacht aufgeschnitten hatte.
Mokuba lächelte ihn schwach an.
„Das wäre schön.“
Seto erwiderte das Lächeln. Aber dennoch verfolgte ihn das Bild des kleinen Mädchens, das vor dem Grabstein ihrer Mutter mit dem großen Kreuz kniete und weinte, noch wochenlang.