Abhängig - Teil 2 - Criminal Minds

Dec 22, 2012 01:20

Titel: Abhängig - Teil 2
Beta-Leser: artemis10002000
Vielen lieben Dank für Deine Mühe. Alle verbliebenen Fehler sind meine eigenen. :)
Artist: mella68
Vielen lieben Dank für die wundervolle Kunst.
Mellas Fanart:
Ao3
Rating: PG
Pairing: Gideon/Reid, Hotch/Reid
Genre: Slash
Warnings: Nicht viel passiert. Hotch und Reid grübeln, unterhalten sich ein wenig, grübeln weiter.
Disclaimer: Nichts davon gehört mir und ich verdiene kein Geld.
Anmerkungen: Geschrieben für den deutsch_bigbang in LJ.
*
Inhalt: Nachdem Gideon die BAU verlassen hat, fällt Reid zurück in seine Drogensucht. Es gelingt ihm, die vor den anderen zu verbergen, bis seine Entführung alte Dämonen weckt.
Hotch begibt sich auf die Suche, doch als er Reid findet, hat der sich aufgegeben.
Hotch unternimmt alles, um ihm zu helfen. Doch es liegt ein langer Weg vor ihnen beiden, bevor sie sich schließlich zu ihren Gefühlen bekennen und zueinander finden.

*

Die Fahrt verlief schweigend. Ab und an glaubte Hotch zu hören, wie Reids Zähne aufeinander klapperten und er widerstand der Versuchung, die Hand des anderen zu ergreifen. Ohnehin kam ihm bereits alles ein wenig absonderlich, fast schon merkwürdig vor.
Zwar versuchte er weiterhin sich einzureden, dass er im Fall, dass es Derek oder Emily oder einen der anderen träfe, ebenso handelte, doch seine Überzeugung geriet sofort ins Wanken, betrachtete er das Szenario näher. Keiner der anderen käme je in eine solche Lage. Im Nachhinein war es deutlich, dass nur Reid Gefahr lief, sich in sich selbst zurückzuziehen und auf diese Weise ihnen allen zu entgleiten.
In der Klinik angekommen, gelang es Reid kaum noch aufrecht zu stehen. Er schlang die Arme um seinen Körper, als wollte er sich festhalten, sein Zittern eindämmen. Doch nützte es nichts. Von Sekunde zu Sekunde schien er stärker zu beben und als er sich vornüber beugte, sein Atem schneller ging und ihm kalter Schweiß auf der Stirn stand, gab Hotch dem Pfleger ein Zeichen. Er murmelte dem Arzt, auf den sie warteten, eine Entschuldigung zu, und legte den Arm um den Jungen, führte ihn zu seinem Zimmer.
Reid lehnte sich in seinen Griff. Seine Füße hoben sich kaum vom Boden, die kalte Hand krallte sich in den Stoff von Hotchs Jacke.
Es fühlte sich beunruhigend an, unangenehm mit dem Wissen, dass noch Tage zuvor ein gesunder junger Mann sein Team verstärkt hatte. Doch zugleich spürte Hotch ein fremdes Prickeln auf seiner Haut, dort wo Reids Hände sich durch den Stoff gegen sie pressten. Ungewohnt und verwirrend. Es war neu und zugleich vertraut, und Hotch kam nicht dahinter, was es bedeutete.
Bis sie das Zimmer erreichten, der Pfleger die Tasche auf den Tisch setzte und das Bett aufschlug, in das Reid sank, sobald Hotch ihm die Richtung wies.
Der Pfleger blätterte durch die Krankenakte, nickte, sah erst Hotch und dann Reid an. „Sind Sie sicher, was den Entzug angeht?“, fragte er. „Das wird nicht leicht. Wir haben Möglichkeiten, die es leichter für Sie machen werden.“ Jetzt wandte er sich an Reid, der auf der Seite lag, die Füße noch in seinen Schuhen und am Boden, die Augen geschlossen. „Keine Medikamente“, stöhnte er leise und Hotch kniff die Augen zusammen.
„Spencer“, sagte er langsam. „Du spritzt dir Gift und machst dir Sorgen, dass Medikamente, die dir helfen können, dasselbe loszuwerden, einen schizophrenen Schub auslösen?“
Er schüttelte den Kopf, als Reid aufsah, so viel Trauer und Verwirrung in seinem Blick, dass Hotch dieselben Gefühle kalt in seinem Herzen spürte.
„Ist gut“, seufzte er. „Ich erkundige mich.“ Er hob die Hand, bevor Reid sich zu einem weiteren Einspruch aufrappeln konnte. „Und niemand wird davon erfahren. Auch nicht die Klinik in Las Vegas.“
Reid schloss die Augen, doch er antwortete nicht und Hotch akzeptierte sein Schweigen als Einverständnis.

Die Medikamente verbesserten seinen Zustand, wenngleich nicht wesentlich. Die Minuten dehnten sich zu Stunden und Stunden zu Tagen und Wochen. Am Ende glaubte Reid durchzudrehen, nur weil er auf die Uhr sah und feststellte, dass erst ein Tag vergangen war, seitdem Hotch ihn abgesetzt hatte. Abgeladen, losgeworden. Und wer wollte ihm das verdenken?
Er war so dumm gewesen, hätte sich besser verstecken, weiter fort flüchten sollen. Keine derart durchschaubare Tarnung wählen.
Und dann wiederum war Reid trotz der Krämpfe und Schmerzen immer noch rational genug, um zu sehen, dass ein Teil von ihm hatte gefunden werden wollten.
Doch welch ein Teil sollte das sein, wenn ein anderer offensichtlich versucht hatte, seinem Leben ein Ende zu bereiten, den einfachsten Ausweg zu nehmen. Und dann doch nicht den Mumm gehabt hatte, es durchzuziehen.
Wie ein Feigling, wie der jämmerliche Versager in allem, was mit dem wirklichen Leben zu tun hatte, hatte er versucht, sich zu verkriechen und war gescheitert.
Weil Hotch auf ihn geachtet hatte. Weil Hotch zu klug und zu schnell war. Und weil er, Reid, das hätte wissen müssen.
Kannte er Hotch doch, sah ihn fast jeden Tag. Wusste, dass dessen Augen alles durchschauten, dass die sich tief in seine Seele bohrten, wenn er nicht achtgab.
Reid rollte sich auf dem Sofa zusammen und presste die Fäuste gegen den Magen.
Als der Therapeut mit ihm sprechen wollte, hatte er kaum ein Wort herausgebracht. Der Mann sah ihn an, wie Rossi ihn manchmal ansah. Als wüsste er genau, was ihn ihm vorging. Nicht so wie Hotch, der nicht nur wusste, der zugleich auch urteilte, dessen Analyse unverrückbar festzustehen schien, zusammen mit dessen Neutralität.
Der Therapeut schien wie Rossi etwas zu empfinden, doch Reid konnte nicht greifen, was es war. Vielleicht Mitgefühl, vielleicht den Versuch, Worte zurückzuhalten, die albern und nichtssagend wirkten. Reid hatte es in den Augen beider bereits gesehen. Das Bedürfnis, einen Trost auszusprechen, und zugleich die professionelle Zurückhaltung, die nichts dergleichen erlaubte.
Das Gefühl quälte ihn mehr, als das Wissen, dass Hotch enttäuscht von ihm war, ihn verurteilte, wahrscheinlich gerade einen Weg suchte, wie er ihn aus der BAU entlassen konnte.
Reid zweifelte nicht daran, dass Hotch sein Wort hielt und den anderen nichts verriet. Aber keinesfalls würde er jemanden wie ihn weiterhin in seinem Team dulden.
Und dieses Wissen schmerzte Reid mehr als die Überzeugung, dass er sein Leben nun für alle Zeit verkorkst hatte, mehr als die Stiche, die seine Eingeweide durchfuhren, oder die Übelkeit, die lediglich aufgrund eingenommener Tabletten keine weitere Wirkung zeigten.
Etwas anderes noch hatte er im Blick des Therapeuten erkannt. Es lag ebenso in den Augen der Ärzte, der Pfleger und Schwestern.
Reid wusste, dass Hotch denen die Wahrheit hatte berichten müssen. So wie er wusste, dass jede Kleinigkeit half, ein Bild zu entwerfen, ein Profil, woraufhin sie seine Behandlung gestalteten. Dennoch ertrug er den Gedanken nur schwer. Nicht nur seine Entführung, seine beiden Entführungen, die Krankheit seiner Mutter waren ausgebreitet worden, auch sein Versagen in der Ermordung Ethans. Natürlich hätte er nichts davon verhindern können, doch die Worte zu denken, selbst sie auszusprechen, machte es nicht leichter.
Neben den anderen Dingen, die er nicht denken, nicht aussprechen konnte. Die er nicht zu erahnen wagte.
Wie die Tatsache, dass ihm, als der Therapeut ihn nach Hotch gefragt hatte und nach dem Grund, den er vermutete, warum der ihn überredet hatte, sich für den Klinikaufenthalt zu entscheiden, inmitten all der Verwirrung und des Schmerzes ein Verdacht gekommen war. Der sich bestätigte, je weiter der Tag voranschritt und je weniger er dazu imstande war, Hotchs Augen aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Es war, als verfolgten ihn die überall hin, ließen ihn nicht mehr los. Sahen ihn mal kritisch und mal traurig an, doch blickten immer so tief in seine Seele, dass Reid glaubte, sein Herz zittern zu fühlen.
Und das war es nicht allein. Hob er seine Hand, betrachtete seine Finger, dann sah er Hotchs, die sie berührten, die sich warm um seine kalte Hand schlossen und ihn festhielten. Er erinnerte sich bitter und peinlich berührt daran, dass Hotch ihn vom Boden gehoben hatte, dass er nicht zurückgescheut war, dass er die Hilfe erst geholt hatte, als Reid wieder bei sich war.
Es war fast gruselig, wie genau er sich daran erinnerte, obwohl er kaum zurechnungsfähig gewesen sein konnte, obwohl er nicht einmal in der Lage gewesen war aufzustehen oder sich ansonsten in irgendeiner Weise selbst zu helfen.
Und jenseits der Scham und der Übelkeit, die bereits zu seinem ständigen Begleiter geworden war, ahnte er, dass all das mehr bedeutete, als er zu begreifen bereit war.
Denn Hotch kam wieder.
Manchmal hielt Reid ihn für eine durch den Entzug verursachte Halluzination. Manchmal glaubte er, ihn nur am Ende der Halle zu entdecken, wie er mit jemandem in weißer Uniform sprach, wie er das Telefon aus der Tasche nahm und hineinsprach, während sein Blick den Raum scannte, nicht länger als eine Sekunde an Reid hängen blieb, bevor er sich umdrehte und hinaus eilte. Reid wagte nie zu fragen, ob er einem Trugbild aufgesessen war, ob er sich getäuscht hatte. Der Schlussfolgerung, die sich zwangsläufig ergab, konnte er nicht ins Auge sehen.
Und die Alternative fühlte sich zu wirklich an. Dass er aufwachte und Hotch in dem einzelnen Stuhl in seinem Zimmer saß und in seinen Laptop schrieb, bevor er aufsah, Reid prüfend ansah.
Der sich aus der Decke wühlte, das Haar abstehend, die Übelkeit immer präsent, die Erschöpfung gegenwärtig. Und der doch die Wärme spürte, die sich in ihm ausbreitete, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit vertrieb. Wenn, was er sah, denn der Wahrheit entsprach.
Denn manchmal sprach Hotch kaum. Manchmal murmelte er eine Entschuldigung, noch während er auf den Monitor starrte, sein Head-Set abnahm, und mit zwei Griffen zusammenpackte. Nicht mehr als ein Nicken zum Abschied übrig hatte.
Wenn der Mann keine Halluzination war, dann wuchs das Rätsel umso mehr. Und Reid war nie gut darin gewesen, das Verhalten derer zu deuten, die mit ihm zu tun hatten. Er benötigte die Entfernung, den Abstand und den Überblick, damit sein Verstand Schlüsse ziehen konnte.
Wie es aussah, stockten seine Gedanken immer wieder an der Frage, ob, was er sah, real sein konnte.
Einmal erwähnte er es in der Therapie und sein Gegenüber runzelte die Stirn und machte sich Notizen. Reid fragte nicht weiter. Er war feige, fürchtete die Bilder und die Stimmen, die nur in seinem Kopf existierten, mehr, als dass er bereit war, sich ihnen zu stellen.
Nicht wenn sein Körper schmerzte und jeder Schritt zur Qual wurde.
Später vielleicht.
Doch später wartete ein anderer Mann auf ihn und Reid stoppte in der Tür zum Besuchsraum. Beinahe hätte er wieder umgedreht. Die Freiheit musste er besitzen, sie war sein Anspruch.
Es konnte nicht sein, Hotch hatte versprochen, nichts zu erzählen. Niemandem, und schon gar nicht Gideon.
Jason stand auf, ging auf ihn zu. Ein wenig langsamer als er es vermochte, ein wenig zögernd vielleicht. Doch die Hand, die er ausstreckte, zitterte nicht. Und als Reid noch immer im Zweifel gefangen, die eigene hob, da zog Gideon ihn an sich und Reid spürte das breite Lächeln mehr als dass er es sah. Er behielt die Augen geschlossen, spürte dem Lächeln nach, wusste auf einmal wieder, wie sehr er es vermisst hatte.
Gideon ließ ihn los, behielt jedoch seine Hand, um ihn zu dem Stuhl zu ziehen, bevor er sich dem Jüngeren gegenüber niederließ.
„Spencer“, sagte er, immer noch lächelnd. „Keine Angst. Ich werde nicht fragen, wie es dir geht.“
Reid blinzelte, merkte wie das Lächeln ansteckte, wie Gideons natürliche Selbstsicherheit der Luft im Raum das Drückende nahm, wie seine Muskeln und Sehnen sich entspannten.
Er sah Gideon an, musterte den Mann, der sich nicht verändert hatte, nicht um eine Falte, nicht in der Haltung oder der Art, wie er seine Kleidung trug.
Der erwiderte den Blick. „Du siehst fürchterlich aus“, bemerkte er schließlich und sein Lächeln verschwand, als er sich vorbeugte.
„Du kommst damit klar“, sagte er eindringlich und Reid schlug automatisch die Augen nieder.
„Spencer.“ Gideons Stimme wurde leiser, bewies, dass auch er nervös war. „Du wirst nicht wollen, dass ich mich dafür verantwortlich mache.“
Reids Blick schnellte hoch, fand den des anderen. „Aber … das … das bist du nicht.“
Gideons Kinn schob sich nach vorne. Seine Nasenflügel blähten sich auf und die Wangenknochen traten nach vorne, als er die Zähne aufeinanderbiss.
„Du bist klug genug, um zu wissen, dass ich genau das bin. Dass ich nie …“ Er brach ab und senkte den Blick, während Reid begann, wie wild seinen Kopf zu schütteln.
„Das hast du nicht. Ich wollte es. Ich wollte nichts mehr, nichts anderes.“
„Ich weiß.“ Gideons Lächeln war bitter. „Du warst zu jung, um zu begreifen, dass es keine Zukunft hatte. Und ich war alt genug, um es hätte besser wissen müssen, als dir das anzutun. Als Hotch mich anrief, wusste ich …“
„Hotch?“ Reid unterbrach ihn, die eigene Stimme schrill in seinen Ohren. „Er sollte nicht … hätte nie …“
Gideons Augenbrauen zogen sich zusammen, seine Erwiderung kam langsam, bedacht. „Er wollte einen Rat, brauchte Klarheit. Du hast ihm einen Schrecken eingejagt. Nicht, dass Hotch das je zugäbe.“
Die Luft wich aus Reids Lungen und er senkte den Kopf, sah auf die Finger in seinem Schoß, die sich ineinander verschlangen. Nervös, unsicher, nicht fähig jemand anderem seine Gefühle zu verdeutlichen. Schon gar nicht, wenn er sich derer selbst nicht bewusst war.
„Du hättest nicht kommen brauchen“, sagte er leise.
Gideon lehnte sich zurück, faltete die Hände auf dem Tisch. „Ich denke doch“, sagte er. „Spencer, du machst das nicht alleine durch. Selbst, wenn du das glauben möchtest. Unsere Geschichten hängen zusammen. Und ich musste dir sagen, dass es mir leid tut. Dass ich hätte anders handeln sollen. Selbst wenn ich weiß, dass keiner von uns zurück kann, und dass, selbst wenn, die Wahrscheinlichkeitslehre uns sagt, dass wir dieselben Fehler erneut begingen.“
„Es hat nichts mit dir zu tun.“
Nun sah Reid auf. „Ich schwöre, du warst mit das Beste und Schönste, auf das ich zurückblicken kann. Du oder dein Weggang haben nichts mit all dem hier zu tun.“ Sein Blick wanderte zur Decke.
„Dann lag es an …“
Reid schüttelte den Kopf. „Es lag an allem. An meiner Mutter, meinem Vater, an meinen Gedanken. An dem Wunsch, ihnen zu entkommen. Wenn auch nur für einen Moment, für einen Augenblick Ruhe zu haben vor dem ständigen Karussell in meinem Kopf.“
Gideon nickte langsam. „Aber dir war bewusst, dass es so nicht weiterging.“
Spencer atmete aus. „Wir sehen ständig, dass alles von einem auf den anderen Tag, von einer auf die andere Minute ein Ende finden kann. Ich habe Ethans Ende gesehen.“
Er beugte sich vornüber, bis sein Kopf sich über die Tischplatte neigte, umklammerte wieder seinen Oberkörper und ertappte sich zu spät dabei, wie er vor und zurück schaukelte. Er war dankbar dafür, dass Gideon schwieg, ihm einen Augenblick erlaubte, sich zu sammeln.
„Ich verstehe“, sagte der schließlich, und Reid glaubte ihm. Wenn jemand verstand, dann Gideon. Und plötzlich war er unendlich froh darüber, dass Hotch ihn angerufen hatte.
Er sah wieder auf. Gideon hatte sich zur Seite gelehnt, seinen Arm auf die Stuhllehne gelegt und den Kopf abgestützt.
„Alles hängt zusammen“, sagte er. „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Mein Verhalten hat ebenso viel oder so wenig mit deiner Reaktion zu tun, wie die Krankheit deiner Mutter, wie die Entwicklung deines Verstandes, wie die Tatsache, dass dir Phasen und Schritte deiner Kindheit genommen wurden, die du nicht nachholen kannst. Und wie Ethans Tod.“ Er schwieg einen Augenblick, beobachtete Reid, der sich nun ruhig hielt, doch immer noch die Arme um den Körper schlang.
„Dass du eine Auszeit brauchst, wird jeder nachempfinden können. Mit Sicherheit jeder, der dich kennt.“
„Ich brauche keine Auszeit.“ Reid sah auf und zur Seite. „Wenn das hier vorbei ist, gehe ich wieder an die Arbeit. Niemand muss davon erfahren.“
Gideon nickte langsam. „Hotch würde dich für jede gewünschte Zeit freistellen.“
Reid schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Ich will nicht …“
„… nachdenken?“ Gideon kniff unmerklich die Augen zusammen.
„Nachdenken“, sagte Reid leise und Gideon seufzte. „Aber gerade das solltest du tun. Und über deine Gedanken sprechen.“
Reid atmete aus. „Ich habe einen Doktor in Psychologie. Was glaubst du, worüber ich noch nachdenken sollte oder sprechen?“
Er blinzelte hoch und sah zu, wie Gideons Mund sich zu diesem breiten, unwiderstehlichen Lachen verzog, das seine Augen erreichte und sie funkeln ließ.
„Über eine Menge, Spencer“, antwortete er. „Du weißt so viel, aber so wenig über dich.“
„Weil ich uninteressant bin.“
Gideons Augenbrauen wanderten in die Höhe, doch sein Lächeln blieb. „Das glaubst du nicht wirklich.“ Er wartete, bis Reids Blick seinen erwiderte. „Du bist außergewöhnlich, so wie wir alle. So wie jeder Mensch außergewöhnlich ist, für sich und für andere. Der Kreis derer, auf die dein Leben Einfluss nimmt, ist groß. Jeder Fall, an dessen Lösung du mitarbeitest, vergrößert ihn. Und das Ergebnis zieht wieder Kreise, berührt andere, die wieder Einfluss nehmen.“ Er wartete einen Moment, bis die Worte einsanken. „Dabei spreche ich noch nicht von der Bedeutung, die du für das Team besitzt, für jeden einzelnen. Sie alle wären hier, wenn du es zuließest.“
Reid schüttelte den Kopf, schluckte trocken, als Gideon sich zu ihm neigte. „Hotch ist öfter hier, als ich ihm zugestanden hätte. Hast du dich je gefragt, woran das liegt?“
Reid biss sich auf die Unterlippe und sah auf seine Hände, während Gideon sich wieder zurücklehnte.
„Denke auch darüber nach.“ Als Reid aufsah, flackerte ein neues Lächeln über Gideons Gesicht, weniger strahlend, doch seltsam verheißungsvoll.
„Also gut.“ Gideon legte seine Hände auf den Tisch und verschränkte sie ineinander. „Du möchtest sicher wissen, womit ich die letzten Jahre beschäftigt war.“
Reid atmete aus. Die Anspannung verließ seine Schultern. „Ich habe dein Buch gelesen“, antwortete er und Gideon lachte. „Das sind nur Worte. Nein, ich erzähle dir, was ich in Nepal erlebt habe.“
*
Als Gideon aufstand, fühlte Reid sich besser. Es war seltsam, wie Jason immer diese Wirkung auf ihn ausübte, immer ausgeübt hatte.
Als der ihn in den Arm nahm, lehnte Reid seinen Kopf an dessen Schulter und schloss die Augen. Es fühlte sich gut an, vertraut. Und doch nicht mehr. Er spürte nichts von der unvergessenen, beinahe schmerzhaften Sehnsucht, die ihn vor Jahren bei jeder Berührung durchdrungen hatte. Sie war verschwunden, so wie seine Zeit als Anfänger bei der BAU sich aufgelöst hatte, scheinbar ohne Spuren zu hinterlassen, geblieben kaum mehr als eine vage Erinnerung.
‚Hotch‘, dachte er entfernt. ‚Ich sollte über Hotch nachdenken.‘ Gideons Worte klangen in seinem Kopf nach, als der längst aus der Tür war. Reid begann damit, an seiner Unterlippe zu kauen und sein Haar um den Finger zu wickeln, während er aus dem Fenster starrte. In die Richtung, in der er den Parkplatz vermutete, und sich vorstellte, wie Gideon seinen Jeep bestieg, sich aufmachte, ein anderes Land zu entdecken, ein neues Geheimnis zu ergründen, ein Rätsel aufzuspüren, das ihn mehr fesselte als die Abgründe der menschlichen Seele.
Er ließ die Hand sinken, als ihm einfiel, dass er ein Verhalten wie dieses bereits in seiner Kindheit abgelegt hatte, und schob stattdessen beide Hände in seine Hosentaschen, sah an sich herunter.
Die Waffe fehlte ihm, er zog Selbstsicherheit daraus, wenn er sie bei sich wusste, sie wie ein Schild vor sich hertrug. Vielleicht, weil es schwer gefallen war, die Berechtigung zu erwerben, sie mit sich zu führen, sie zu benutzen. Auch wenn es hart war und ihn noch Tage und Wochen danach belastete, wenn er gezwungen wurde, sie abzufeuern.
Aber letztendlich war auch Hotch es gewesen, der ihm ihre Bedeutung so wie das Fehlen derselben beigebracht hatte.
Und vage, undeutlich, nur aus der Ferne näherte sich ein Bild. Reid sah sich selbst und Hotch, nebeneinander stehen, einander zugewandt, wie zuvor Gideon ihm zugewandt gewesen war. Diesmal legte er seinen Kopf an Hotchs Schulter und dessen Hände fanden seinen Rücken. Er roch Hotchs Aftershave und fühlte den steifen Stoff des Anzugs, fühlte eine Hand in seinem Haar.
Reid trat hastig einen Schritt zurück, riss die Augen auf, ohne sich bewusst gewesen zu sein, dass er sie geschlossen hatte. Nervös fuhr er sich über den Mund, sah sich um, als fürchtete er, dass jemand ihn beobachtete, dass derjenige zudem in der Lage war, seine Gedanken zu lesen.
Fast hätte er gelacht, so absurd war die Vorstellung. Ebenso absurd wie die Vorstellung, dass Hotch ihn in den Arm nähme.
Reid presste die Lippen zusammen. Selbst wenn der es schon einmal getan hatte.
Nicht wirklich umarmt, eher vom Boden hochgezerrt, damit er nicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. Reid fühlte, wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg. Nichtsdestotrotz war er bei ihm geblieben, länger als notwendig, länger als Reid sich erklären konnte. Und irgendwo spürte er, dass auch Hotch keine Erklärung für sein eigenes Verhalten parat hatte.
*
„Es geht dir besser“, stellte Hotch fest, als sie durch den Park der Klinik gingen, als er beobachtete, wie Reid den Kopf in den Nacken legte, um einen Vogel zu beobachten, der auf einem der Bäume saß und aus vollem Hals gegen eine unsichtbare Bedrohung protestierte.
Reid neigte den Kopf und sah ihn an. „Ja. Ich kann bald zurück.“
Hotch zog eine Augenbraue in die Höhe. „Bist du sicher? Und du weißt, dass ich die Ärzte fragen werde.“
Reid rollte mit den Augen. „Frag nur. Ich bin entgiftet, moralisch gefestigt, bereit und willens, bis an mein Lebensende clean zu bleiben.“
Hotch kniff die Augen zusammen. „Und behaupten das nicht alle, die hier Patient sind?“
Reid zuckte mit den Schultern. „Ich bin nicht gut in der Interaktion. Die Gruppentherapien sind eher verwirrend. Was die anderen behaupten, kann ich analysieren, aber nicht verstehen.“
Er schwieg einen Moment. „Sicher sagen die einen das Gegenteil von dem, was sie meinen. Andere besitzen den festen Willen, aber es ist abzusehen, dass ihre Schwäche den besiegen wird.“ Er sah Hotch an. „Aber bei mir ist es anders.“
„Was macht dich sicher?“
Reid wandte den Blick ab. Seine Stimme wurde leiser. „Ich habe nicht vor, dich zu enttäuschen.“
„Mich?“ Hotch klang ungläubig. „Du musst es wegen dir tun, nicht wegen mir.“
„Ich weiß.“ Reid betrachtete das Muster, das die Zeit in die Rinde des Baumes gegraben hatte.
„Du bist erst ein paar Tage hier“, gab Hotch zu bedenken. „Ein Problem wie dieses benötigt für gewöhnlich mehr Zeit.“
„Mag sein.“ Reid fuhr sich durch sein Haar, strich es zurück, bevor er Hotch ansah. „Wenn du nicht willst, dass ich zurückkomme, sag es.“
Hotchs Augen weiteten sich. „Natürlich will ich das. Aber du solltest gesund zurückkommen. Stabil.“
„Das bin ich“, nickte Reid und lächelte schmal. „Oder ich werde es sein. Denn das alles hier - die Klinik - hilft mir nicht.“
Hotch wischte ein unsichtbares Staubkorn von seinem Ärmel, lächelte ungewohnt. „Ist gut. Dann kommst du zurück.“
Reid lächelte zurück und für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und alles, was Reid geahnt hatte, bestätigte sich innerhalb eines einzigen Herzschlages. Hotchs dunkle, unergründliche Augen lachten und verströmten zur gleichen Zeit den Ernst, den jede seiner Bewegungen, seiner Worte und Handlungen atmete. Gerade als könnte der sich nicht freuen, ohne zugleich einen stummen Schwur abzuleisten, zu bestätigen, dass diese Freude bewusst und sinnvoll durchdacht erlebt wurde.
Reids Blick fiel auf Hotchs Lippen und er fragte sich, wie die schmeckten, fragte sich, wie sich dessen Haar unter seinen Fingern anfühlte. Hastig sah er zu Boden und dann zur Seite. Das war mehr als unangebracht. Hotch war sein Boss und er verdankte ihm gerade jetzt mehr, als er ihm je zurückzahlen konnte. Fantasien hatten da nichts verloren. Erst recht nicht, nachdem sein Therapeut ihm erklärt hatte, worin die Gefahr lag, wenn er sich zu älteren Männern hingezogen fühlte. Auch wenn Hotch nicht viel älter war und gewiss nichts mit einer Vaterfigur gemein hatte.
Ohne Reids Erlaubnis wanderten seine Augen zurück, erhaschten einen Eindruck von Hotchs Ausdruck, von dessen Blick, der an ihm hing, der ihn festhielt.
Nicht studierte, nicht prüfte oder kontrollierte, wie Reid es erwartet hatte. Sondern ihn einfach hielt, ihn ansah, als bedeutete er dem anderen etwas. Ein Blick, der ihn daran erinnerte, wie Hotch ausgesehen hatte, wenn er von seiner Frau gesprochen hatte. Vor einer langen Zeit, vor deren Trennung, noch vor Jack.
Reid schluckte. Vielleicht sah Hotch auch nur aus wie damals, jünger, weniger beschwert. So als wäre alles leichter.
Doch da wandte der seinen Blick ab und Reids Gedankenstrudel fand einen Halt.
*

Nicht lange danach wurde er entlassen. Und traf am selben Tag bei der BAU ein. Die anderen beglückwünschten ihn zu seinem Spontan-Urlaub, bevor sie sich ihrem alten Trott widmeten.
Reid sah Hotch an, bedankte sich stumm für dessen Schweigen, bevor er den Stapel Akten begutachtete, der sich auf seinem Schreibtisch angehäuft hatte. Er spürte Hotchs Augen auf sich, doch immer, wenn er aufsah, blickte der in eine andere Richtung.
Reid bräuchte kein Fachmann zu sein, um in dessen Verhalten zu lesen. Doch was er hineininterpretieren sollte, das erkannte er nicht, dafür war die unsichtbare Barriere, geformt aus seinen eigenen Unsicherheiten, zu hoch.
So bemühte er sich ebenfalls, sowohl den Blick als auch den Kontakt zu meiden. Auch wenn es sich seltsam anfühlte, unangenehm, schwerer noch durch die Auflage, alles Geschehene vor den forschenden Augen der anderen zu verbergen.
Zurückzufallen in seine Aufgaben, sich in die Arbeit zu vertiefen, stellte eine willkommene Abwechslung dar, hinderte ihn daran, zu viel nachzudenken, sich in Erinnerungen zu verlieren und sich in der Konsequenz nach der Droge zu sehnen oder der unvermeidlichen und stets vorhandenen Sehnsucht die Bedeutung zuzumessen, die seine Sucht sich sichern wollte.
Manchmal wünschte er, darüber sprechen zu können, nicht auf seine Termine mit Therapeuten und Gruppe angewiesen zu sein, doch zu viel hielt ihn ab. Er sah sie vor sich, fühlte J.J.‘s tröstenden Blick, Morgans sichernde Hand auf seiner Schulter und hörte Garcias Redeschwall ebenso deutlich wie Emily’s stumme Unterstützung. Und doch wusste er, dass keiner von ihnen es ihm erleichtern konnte. Im Gegenteil, dass der Druck, ihnen allen Tag für Tag zu beweisen, dass er sich im Griff behielt, schwer auf ihm lasten würde. Gerade der Druck wäre es, der einer Flucht ins Nichts die Verlockung verliehe, der auszusetzen er sich nicht erlauben durfte. Nicht, solange die Wunden frisch waren, seine Seele sich rau und empfindlich anfühlte, gerade so als könnte jede Erschütterung ihm den Grund unter den Füßen wegreißen, ihn in einen endlosen Fall stürzen, der ihm Atem, Verstand und Zuversicht raubte.
Er versuchte, nicht an Hotch zu denken, nicht an das, was ihm sein Unterbewusstsein stets enthüllen wollte. Er versuchte, weiterzumachen wie zuvor. Lachte, wenn andere lachten, konzentrierte sich und suchte nach Lösungen wie nach Ergebnissen.
Bis zu dem Tag, an dem Hotch angeschossen wurde.

Es geschah direkt vor der BAU. Hotch kehrte von einer Besprechung zurück. Sie alle hörten die Schüsse, den Aufschrei einer Passantin.
Hotch lag am Boden, seine Waffe in der Hand, immer noch auf den Angreifer gerichtet, dessen Blut auf den Asphalt sickerte.
„Ein Glück, dass du ein besserer Schütze bist als unser Verdächtiger“, stieß Morgan hervor, der als erster bei Hotch angekommen war und dessen Wunden untersuchte, die Blutung zu stillen suchte.
Der Krankenwagen bog bereits um die Ecke, als Reid sie erreichte, sich und sein mangelndes Training verwünschte, während er sich zugleich vornahm, Morgans Angebot, ihm beim Muskelaufbau zu helfen, anzunehmen. Und darüber wunderte, wie leicht es ihm fiel, derart viele, durcheinanderwirbelnde Gedankengänge und Emotionen in einem Augenblick zu durchleben.
Von der Panik, die drohte, seinen Verstand zu sprengen, bis zu der Erleichterung, die diesen tatsächlich sprengte. Die ihm das breiteste Lächeln ins Gesicht malte, an das er sich erinnern konnte, so weit, dass seine Haut schmerzte, während sein Herz, das eben noch damit gedroht hatte, aufzuhören zu schlagen, nun in seiner Brust galoppierte.
Für einen Augenblick sah Hotch auf, fand seinen Blick, wich diesem aus. Doch dieses Mal spielte das keine Rolle, denn Hotch war bleich, eine Schramme zierte seine Stirn und er atmete schwer, während die Sanitäter Morgan beiseiteschoben. Doch er lebte und die Wunden waren ungefährlich, beschränkten sich auf Bein und Hüfte, der Angreifer außer Gefecht gesetzt. Und Reid wusste nun, wusste mit absoluter Sicherheit, dass er handeln musste, handeln würde, wollte er nicht verrückt werden.
*
Das Krankenzimmer leerte sich, während Reid unauffällig im Hintergrund wartete, darauf wartete, dass der Letzte ging, Morgans Angebot, ihn mitzunehmen, ablehnte und dessen fragenden Blick ignorierte.
Er hatte Jack beobachtet, das unbedingte Vertrauen, dass der Junge Hotchs Lächeln und dessen Versicherungen schenkte, dass alles in Ordnung sei und zu seinem Job gehörte. Er hatte die Bewunderung gesehen, die der Junge für seinen Vater bewahrte, und die Liebe und Sorge, die nicht nur der für ihn bereithielt, sondern die das gesamte Team ausstrahlte.
Hotchs Kopf war zurückgesunken, seine Augen geschlossen. Dennoch spürte er Reids Blick und damit dessen Anwesenheit. Langsam schlug er die Augen auf und Reid kam, als habe er darauf gewartet, einen Schritt näher.
„Wollte Derek dich nicht mitnehmen?“ Eine kleine Falte bildete sich zwischen Hotchs Brauen.
Reid nickte, schüttelte gleich darauf den Kopf. Er wirkte blass, die Schatten unter seinen Augen hatten sich unmerklich vergrößert, Hemd und Weste gelang es nicht, der schlaksigen Gestalt den Anschein der Stärke zu verleihen, die, wie Hotch wusste, in dem schmalen Körper wohnte.
„Ich bleibe“, sagte er schlicht und kam einen weiteren Schritt auf Hotch zu.
„Es ist keine Besuchszeit mehr“, wandte Hotch ein, worauf sich ein schmales Lächeln auf Reids Lippen bildete.
„Ich kenne Techniken. Klinikpersonal lässt mir alles durchgehen.“
„Alles?“ Hotch fühlte ein verdächtiges Zucken um seine Mundwinkel. Fast hatte er vergessen, wie sich ein Lächeln anfühlte. Doch im Augenblick erkannte er auch keine Veranlassung, dem Impuls zu folgen, sondern blieb stattdessen ernst.
Reid setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und legte langsam, zögernd, als warte er auf einen Einwand, seine Hand auf Hotchs, welche auf dem Laken ruhte.
„Nicht alles“, meinte er und senkte den Blick auf seine schmalen, weißen Finger, die nur leicht, kaum fühlbar Hotchs dunklere berührten. Seine Hand war kalt, Hotchs fühlte sich wider Erwarten warm an.
Wenigstens dies war gleichgeblieben, auch wenn ihre Rollen sich vertauscht hatten und nun Reid es war, der den Patienten ansah. „Du hättest heute sterben können“, sagte er leise.
Hotch wich seinem Blick nicht aus. „Das gehört zum Job“, sagte er nur und Reid schlug die Augen nieder. Seine Wimpern bebten leicht. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn …“
Hotch hob den Kopf, verzog mit der Bewegung schmerzerfüllt das Gesicht und ließ ihn wieder herabsinken. „Was willst du sagen“, keuchte er erschöpft.
„Nichts.“ Reid schüttelte den Kopf, nahm Hotchs Hand in festeren Griff. „Bleib liegen“, mahnte er.
Hotch schloss die Augen. „Wir hatten das“, murmelte er. „Du bist stark und du wirst stark bleiben. Für dich. Unabhängig davon, was geschieht oder was um dich herum vorgeht.“
„Aaron“, flüsterte Reid anstelle einer Antwort und Hotchs Lider hoben sich, ohne dass er ihnen den Befehl dazu gab.
„Ich weiß das doch“, wisperte Reid, „aber es macht keinen Unterschied. Auch wenn ich es dir versprochen habe und dir alles versprechen werde, was du dir von mir wünscht, so kann ich doch nicht leben ohne … ohne …“
„Ohne was?“
Reid senkte den Kopf. „Ohne dir gesagt zu haben, wie ich empfinde.“

„Was wird das denn hier?“ Die Schwester stemmte ihre Arme in die Hüften.
„Junger Mann, ich weiß, dass Sie mit den Kolleginnen gesprochen haben, aber das hier ist meine Schicht. Und in der werde ich dafür sorgen, dass der Patient die notwendige Ruhe erhält.“ Sie beäugte Reid kritisch. Ihr Blick fiel auf die verbundenen Hände auf dem Laken und sie rollte mit den Augen.
„Los jetzt. Hier ist weder Ort noch Zeit für emotionales Geplänkel. Ich dachte, ich hätte es hier mit FBI zu tun.“
„Das haben Sie.“ Hotch sah Reid an und der zog langsam, zögernd, seine Hand zurück. Langsamer und zögernder noch stand er auf, sah Hotch an, bevor er ohne ein weiteres Wort der schwesterlichen Autorität gehorchte.
Hotch sah ihm nach, beobachtete, wie die Schultern tiefer sanken, wie der Rücken sich leicht beugte und er presste die Lippen zusammen.
„Unhöflicher Junge“, brummte die Schwester, bevor sie den Beutel an Hotchs Infusionsständer abhängte und einen neuen befestigte. „Und Sie ruhen sich jetzt aus. Dann bin ich Sie nämlich auch umso schneller wieder los.“
Hotch hob die Augenbrauen, erhaschte dennoch einen Blick auf das leicht amüsierte Zucken, das ihre Mundwinkel bewegte, sobald sie sich von ihm abwandte.
Nachdem sie das Licht gelöscht hatte, starrte er lange an die Zimmerdecke. Vor sich konnte er zugeben, dass er genau wusste, wovon Reid sprach. Dass es sich lediglich um eine Wiederholung der Gefühle handeln dürfte, die ihn selbst erfassten und verwirrten, seit er Reid am Rande zwischen Leben und Tod gefunden hatte.
Er gab auch zu, dass er sich fragte, ob er bei jedem anderen seiner Teammitglieder auf die gleiche Weise und mit vergleichbarer Intensität gehandelt hätte. Und nun fragte er sich, ob es Reid ebenso ging. Zweifelte daran, ob er richtig gehandelt hatte, ob Reid eine Fixierung entwickelte, die dem Jungen im Wege stand, die dessen Gesundheit von Hotch abhängig machte, und ihn daran hinderte, sich tatsächlich und für immer von der Droge zu lösen.
Doch setzten zu seiner Erleichterung die Medikamente ein und verschoben Zweifel und Ahnungen auf unbestimmte Zeit.
Denn als er erwachte, blieb ihm keine Zeit, Grübeleien nachzuhängen.
Bis zum Nachmittag konnte er bereits wieder aufstehen, und wenngleich auf Krücken, dann doch verhältnismäßig sicher den Gang entlang humpeln. Er bewies Jack, dass es ihm gut ging, vermied es, Reid in die Augen zu sehen, und schickte mit eindeutigen Worten seine Besucher fort. Auch wenn er sich dabei ertappte, erneut Reid nachzublicken, als der sich zögernd entfernte, hielt er diese Lösung für die beste.
Selbst als er Rossi entdeckte, den er bereits verschwunden geglaubt hatte, doch der am Fahrstuhl auf Reid wartete und einen irritierend scharfen Blick zwischen ihnen beiden hin und her wandern ließ, schob Hotch Bedenken beiseite.
Die Wahrheit war, dass er sich nicht mit all dem beschäftigen konnte. Nicht mit Reids Fragilität, erst recht nicht, wenn seine Wunde schmerzte, und wenn die Frage, wie es weitergehen sollte, wie er den nächsten und übernächsten Tag überstehen konnte, seine Lungen zusammenpresste, seine Atmung erschwerte, während sein Herz sich anfühlte, als befände es sich im Griff einer eisernen Klammer. Er konnte nicht zulassen, dass Reid seine Selbstständigkeit aufgab, dass er versuchte, die Droge durch ihn zu ersetzen. Selbst wenn die Klarheit dieses Gedankens wie die Wunde eines Messerstichs schmerzte, der sich nicht schließen wollte.
*

„Was ist das mit dir und Hotch?“, fragte Rossi, als sich die Fahrstuhltür hinter ihnen schloss.
Reid fuhr zusammen. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
Rossi kniff die Augen zusammen. „Es geht mich nichts an, keinen von uns, aber seit deinem Urlaub verhaltet ihr euch anders.“ Er schwieg einen Augenblick. „Es verändert die Dynamik“, fuhr er leiser fort, als der Fahrstuhl hielt, und sie in die Eingangshalle traten.
Reid räusperte sich verlegen. „Da ist gar nichts.“
Rossi streckte seine Hand aus, und streifte Reids Arm, bevor der sich abwenden konnte. „Wir sind alle erschrocken“, fuhr er fort. „Doch keinen von uns erschütterte der Angriff so wie dich. Und ich dachte daran, wie Hotch auf deine Entführung reagierte.“
Rossi schüttelte den Kopf. „Er war nicht mehr er selbst, lief Gefahr, unüberlegt und zu schnell zu handeln. Seitdem scheint er keine Ruhe mehr zu finden. Vielleicht ist er deshalb auf der Straße erwischt worden.“
Reid versteifte sich. „Willst du damit sagen, dass ich die Schuld trage?“
Rossi strich sich über das Kinn. „Selbstverständlich nicht. Doch was es auch ist, was zwischen euch gärt, ihr müsst es aus der Welt schaffen.“
Reid senkte den Blick, seine Stimme war kaum hörbar. „Das versuche ich doch.“
Rossi nickte. „Das ist gut, denn Hotch kommt offensichtlich nicht klar damit.“
Reid schob die Hände in seine Hosentaschen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn er … abblockt.“
Rossi lächelte kurz, so kurz, dass Reid es nicht bemerkte.
„Offenheit“, sagte der Ältere. „Sei und bleibe ehrlich. Das ist auch die beste Möglichkeit, wenn nicht die einzige, um dir weitere ‚Urlaubsaufenthalte‘ zu ersparen.“
Reid fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.
„Du weißt?“
Das entstehende Lächeln setzte sich in Rossis Gesicht fest. „Wir alle wissen mehr als du oder als auch Hotch ahnt. Und wir sind für dich da, egal was geschieht.“
Reid sah auf, sah Wärme im Blick des anderen und die Röte in seinem Gesicht vertiefte sich.
„Für euch beide“, fuhr Rossi fort. „Daran dürft ihr nie zweifeln.“
*
Hotch sagte es keinem, dass er früher entlassen wurde. Er wollte kein Aufheben und dass sich niemand verpflichtet fühlte, ihn abzuholen. Vor allem wollte er nicht, dass Jack zusah, wie er sich die Stufen zu ihrer Wohnung hochquälte.
Er bezahlte den Taxifahrer, schulterte die Tasche und begab sich an den Aufstieg.
Hüfte und Bein schmerzten, doch er weigerte sich, an die Krücken auch nur zu denken. Als er in seinem Stockwerk ankam, war er in Schweiß gebadet. Er wischte sich über die Stirn, blinzelte, doch das Bild blieb bestehen. Auf dem Boden vor seiner Tür, den Kopf gegen die Wand gelehnt, die Knie angezogen, saß Reid und döste. Doch beim nächsten Schritt, den Hotch tat, sprang der Jüngere auf, sah sich einen Moment desorientiert um, bevor sein Blick Hotch fand und er nervös lächelte.
„Jack?“, fragte der, noch ein wenig atemlos, mehr jedoch verwundert.
Reid zuckte mit den Schultern. „Mit seiner Tante unterwegs. Er wollte wohl in dieses Kinderparadies mit Bällen und Trampolins.“
„Und was machst du hier?“ Hotch suchte in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel.
„Ich bin Profiler“, antwortete Reid und legte den Kopf schief. „Ich wusste, dass du früher kommst als geplant.“
Hotch verdrehte die Augen. „Du weißt schon, dass wir uns gegenseitig nicht analysieren wollten.“
Reids Lächeln verbreiterte sich. „Alle tun es, nur gibt es keiner zu.“ Er holte tief Luft. „Und ich habe Rossi versprochen, die Wahrheit zu sagen.“
Hotchs Hände zitterten und er redete sich ein, dass der Grund in seiner Erschöpfung lag. Vielleicht hätte er doch noch in der Klinik bleiben sollen. Doch da nahm Reid seine Hand und entwand ihm sanft den Schlüssel, öffnete die Tür, als habe er dies bereits unzählige Male zuvor getan.
„Die Wahrheit“, murmelte Hotch und ließ es zu, dass Reid seinen Arm um ihn legte, vorsichtig vermied, der Wunde zu nahe zu kommen, während er ihn stützte und ihm so in das Innere der Wohnung half.
Hotch ließ die Tasche aus seinen Händen gleiten und lehnte sich gegen die Holzvertäfelung.
„Die Wahrheit ist“, fuhr Reid fort, „dass ich mit dir zusammen sein will. Nicht aus Hilflosigkeit, nicht um eine Stütze oder jemanden bei mir zu haben, der mir Halt gibt, sondern weil das Leben kurz ist. Weil es jeden Tag zu Ende sein kann. Und weil ich mir in nichts so sicher bin, wie darin, dass ich für dich mehr empfinde, als für jeden anderen in meinem Leben.“
Hotch schloss die Augen, sein Atem ging schneller. „Das reicht nicht“, flüsterte er. „Nicht bei jemandem wie mir. Der nie Zeit findet, dessen Privatleben keine Lücken oder Freiräume kennt. Der voller Zweifel ist.“
„Wir alle sind voller Zweifel“, fügte Reid ein und Hotch nickte langsam, bevor er die Augen wieder öffnete und Reid ansah. In diesem Augenblick erfasste ihn die Gesamtheit und die Bedeutung dessen, was der ihm anbot, und zugleich von ihm verlangte. Eine Erkenntnis, die drohte, ihm den ohnehin bereits unsicheren Stand zu rauben. Doch sofort war Reid bei ihm, hielt ihn aufrecht, presste seinen Körper gegen Hotchs und Hitze durchflutete den, trotz der Kälte, die Reids Finger ausstrahlten, als sie sich auf seine Wangen legten, über seine Schläfe strichen.
„Du weißt es doch“, wisperte Reid, seine Lippen so nah an Hotchs, dass er seinen Atem fühlte. „Ich muss es nicht aussprechen.“
„Ich liebe dich“, fiel es von Hotchs Lippen, bevor er wusste, was er sagte.
„Ich sagte doch, dass wir es nicht aussprechen müssen“, flüsterte Reid. „Nicht, wenn wir uns sicher sind.“
Es zuckte um Hotchs Mundwinkel und Reid berührte diese mit seinen Lippen.
„Ich bin mir sicher, Spencer“, sagte Hotch. „Und was ist mit dir?“
Reid lachte und verschloss Hotchs Mund mit einem Kuss. „Es gibt nichts, dessen ich mir so sicher bin, nichts auf der Welt.“
*

Ende

slash, fanfic, fandom: criminal minds 1-100, autor: callisto24 1-100

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