Titel: Abhängig - Teil 1
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artemis10002000 Vielen lieben Dank für Deine Mühe. Alle verbliebenen Fehler sind meine eigenen. :)
Artist:
mella68Fanart:
Ao3 Vielen lieben Dank für die wundervolle Kunst. :)
Rating: PG
Pairing: Gideon/Reid, Hotch/Reid
Genre: Slash
Warnings: Nicht viel passiert. Hotch und Reid grübeln, unterhalten sich ein wenig, grübeln weiter.
Disclaimer: Nichts davon gehört mir und ich verdiene kein Geld.
Anmerkungen: Geschrieben für den
deutsch_bigbang in LJ.
*
Inhalt: Nachdem Gideon die BAU verlassen hat, fällt Reid zurück in seine Drogensucht. Es gelingt ihm, die vor den anderen zu verbergen, bis seine Entführung alte Dämonen weckt.
Hotch begibt sich auf die Suche, doch als er Reid findet, hat der sich aufgegeben.
Hotch unternimmt alles, um ihm zu helfen. Doch es liegt ein langer Weg vor ihnen beiden, bevor sie sich schließlich zu ihren Gefühlen bekennen und zueinander finden.
*
Reid sortierte die Bleistifte auf seinem Tisch. Es war eine beruhigende Tätigkeit. Mochte der eine oder andere beim Vorbeigehen kritische Blicke auf ihn werfen, das störte nicht wirklich.
Gleichförmige, sich wiederholende Bewegungsabläufe verliehen Sicherheit, ordneten neben den Stiften auch die Gedanken, die manchmal Gefahr liefen, davon zu galoppieren.
Es war bereits Jahre her, dass Gideon das Team verlassen hatte, doch Spencer spürte immer noch die Lücke, die er hinterlassen hatte. Spürte sie als Schmerz, der zur gleichen Zeit ungewohnt und vertraut war.
Dass es mit seinem Vater zu tun hatte, sagte seine Mutter, wenn Reid nicht aufpasste und ihm eine Bemerkung herausrutschte, die ihr in mancher Beziehung allzu scharfer Verstand aufgriff. Dass Reid Gideon als Ersatz für das fehlende, männliche Vorbild gesehen habe. Dass sie das verstünde, und froh war, dass er sich einen Menschen ausgesucht hatte, der seiner, Spencers Genialität entsprach. Dass sie nur bedauerte, wie sang und klanglos der Mann verschwunden war, wie sehr sein Verhalten dem ähnelte, was Spencer bereits in seiner Kindheit traumatisiert haben musste.
Reid biss sich auf die Zunge, hörte zu und nickte an den passenden Stellen. Was für einen Sinn hätte es auch, sie unnötig zu beunruhigen. Zu wissen, was er wirklich für Gideon empfand, würde sie unnötig belasten, vielleicht zusätzlich verwirren, und wenn es schlimmer kam, eine ihrer Episoden auslösen, von der niemand genau wusste, was sie verursachte.
Damit konnte er jetzt nicht umgehen. Es war schwer genug, für sich alleine durchzuhalten. Tag um Tag zu überstehen und die Maske zu tragen, die er sich selbst verordnet hatte. Weil es niemanden etwas anging, wie er sich fühlte. Weil das eine Sache zwischen ihm und Gideon war, von der Reid nicht sicher war, ob auch nur einer von ihnen beiden sie wirklich begriff.
Genie hin oder her. Wenn zwei sich fanden, deren Verstand sowohl ihren Körper als auch ihre Emotionen in jeder Beziehung weit hinter sich zurückließen, dann war die Katastrophe vorprogrammiert.
Gideon behielt wenigstens den Vorteil des Alters und der Lebenserfahrung auf seiner Seite. Er war sich sicher und von Anfang an klar gewesen. Er hatte Reid nie im Ungewissen gelassen, ihm nie Grund für Hoffnungen irgendwelcher Art gegeben, nie vorgegeben, dass er etwas anderes für ihn war, als eine Abwechslung zu den Frauen, mit denen er sich gelegentlich traf. Auch wenn sie auf eine Weise harmonierten, die sich nur durch ihren Intellekt, durch das rasante Schlussfolgern und Erkennen der angedeuteten Botschaften, die sie aussanden, erklären ließ, so existierten doch nie Zweifel, dass gerade die Frequenz, auf der sie kommunizierten, es unmöglich machte, länger als ein paar Stunden miteinander zu verbringen.
Trotz Reids Versicherung, trotz seiner Beteuerungen, sah Gideon durch ihn hindurch, als bestünde er aus Glas. Sah, dass Reid mehr wollte, selbst wenn er es zu leugnen suchte, sah die Gefahr der Abhängigkeit, in die der Jüngere sich im Begriff war zu begeben.
Reid konnte nicht anders, als sich für Gideons Weggang mitschuldig zu fühlen. Er konnte nicht anders als glauben, dass er zu all dem anderen, was ihr Beruf mit sich brachte, Gideon noch zusätzlich bedrängt, vielleicht, ohne es zu bemerken, unter Druck gesetzt hatte, bis der keine andere Möglichkeit mehr sah, als dem anstrengenden, fordernden, pathetischen Jungen zu entfliehen.
Die Drogensucht hatte allem die Krone aufgesetzt. Reid hatte nie gewollt, dass es herauskam, dass Gideon davon erfuhr. Doch ein Teil von ihm war froh zu wissen, dass der auf seiner Seite stand, dass er ihn stützte und hielt, während ihn die Krämpfe schüttelten. Und ihm auch nach dem Entzug eine Schulter bot und ein offenes Ohr. Selbst wenn sie nicht viel sprachen, Worte nicht notwendig waren.
Doch dann war Gideon weg und ließ nichts als Leere zurück. Es fühlte sich an, als habe der andere ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Als hinge er nun in der Luft, ohne zu wissen, ob oder wie es weiterging.
Aber natürlich zeigte er nichts davon, nichts von dem Schmerz, der die Leere ersetzte, als die Wahrheit eingesunken war, als er ein letztes, klärendes Gespräch mit ihm geführt hatte. Als er zum ersten Mal sein Gesicht zu einem Lächeln erstarren fühlte, als sein Kopf selbsttätig nickte. Und all dies so überzeugend, dass selbst ein Profi wie Gideon nicht hinter die Maske sah. Oder nicht dahinter sehen wollte.
Reid war gegangen und hatte versucht, damit klarzukommen. Sein Verstand arbeitete für ihn. Er begriff Gideons Argumente, begriff, dass der nicht zurückkonnte. Verstand auch, dass Gideon ihm anbot, es ihm gleichzutun. Dass Reid mit ihm ging und somit sicher sein konnte, dass Gideon für ihn da war, dass der ihm blieb. Denn so wie er von Reids Schmerz um den Verlust seines Vaters wusste, so wusste er auch, dass er nichts auch nur annähernd Vergleichbares zustande brächte. Er würde bleiben, auch wenn es ihn umbrachte.
Allein der Gedanke beförderte Reid einem Nervenzusammenbruch näher.
Zudem liebte er seinen Job, er mochte die Menschen, mit denen er arbeitete. Die ihn verstanden, und selbst wenn nicht, sich nie über ihn lustig machten. Es fühlte sich gut an, als einer von ihnen angesehen zu werden, als Mitglied eines Teams, in dem jeder seine Funktion erfüllte, jeder wichtig war, und doch das Zusammenspiel alleine den Erfolg garantierte.
Doch was noch schwerer wog, er hatte nicht vor, Ethan zu enttäuschen. Dem er versprochen hatte, weiterhin sein Bestes zu geben. Der ihm seit seinem Weggang, seit ihrer Trennung ohne es zu wissen die Verantwortung auferlegte, seine Aufgabe für zwei zu erfüllen. Dass dem nicht so war, wusste er so deutlich, wie ihm sein Gefühl anderes suggerierte. Und das bezeichnete nur einen der Fälle, in denen unlogische, unerklärte und unerklärliche Gefühle seinen Verstand regierten. Der regelmäßig aussetzte, wenn er mit Ethan oder mit Gideon zu tun hatte, mit den einzigen beiden Menschen, die ihm je nahe gekommen waren. Denen er erlaubt hatte, ihm nahezukommen. Auch wenn Ethan ihm damals in Chicago den Kopf zurecht gerückt hatte und den Anstoß dafür gegeben, dass er sich seinem Problem stellte, war es doch bei dieser einen Nacht geblieben. Selbst Reid hatte begriffen, dass Vergangenes nicht wieder belebt werden konnte, dass das, was sie einst geteilt hatten, mit ihrer räumlichen und beruflichen Trennung gestorben war.
Und es hatte ihn bei Weitem nicht so geschmerzt wie Gideons Weggang.
Im Endeffekt spielte nichts davon eine Rolle, denn er befand sich beinahe wieder an dem Punkt, den er damals überwunden glaubte. Nicht ganz, denn er war nun besser darin, sich zu verstellen, weitaus besser. In den anderen las er nichts. Weder Zweifel, noch Sorge, noch die unausgesprochene Frage, die ihm seine Mutter entgegen schleuderte, wenn er sie besuchte. Was in Ordnung war, seine Mutter hatte immer schon mehr gesehen als andere.
Alles war in Ordnung, er musste es sich nur immer wieder einreden. Der Neue, Rossi, war sympathisch. Selbst das Drama um Hotch brachte das Team nicht auseinander. Sie blieben Familie. Jeder für sich und doch, wenn es darauf ankam, kämpften sie zusammen.
Nur mit der Droge kämpfte er alleine. Dass er sie nie unter Kontrolle haben würde, verriet ihm sein Verstand. Doch sein Wille war stark genug, erlaubte ihm, die Wahrheit zu leugnen.
Reid sah auf, als J.J., schön und energiegeladen wie immer, den Raum betrat und mit Papieren winkte.
Nur einen Moment später fanden sie sich im Besprechungszimmer wieder. Und eine Stunde darauf im Flugzeug.
Der Fall war keineswegs außergewöhnlich. Nicht mehr als ihre anderen Fälle es waren. Reid zog nichts in Zweifel oder in Betracht. Noch nie hatten sich für ihn Beruf und Privates wirklich vermischt. Nicht so, wie es bei Hotch der Fall gewesen war. Worüber nicht mehr gesprochen wurde, fühlte doch jeder die Bürde des Versagens auf seine Weise, wenn auch gleichermaßen unerträglich.
Umso tiefer war der Sturz, als Reid den Stoff hob, mit dem der Leichnam verhüllt war, und in Ethans attraktive Züge blickte. Er sah aus, als schliefe er, wäre da nicht die hässliche Wunde an seiner Stirn gewesen und die unnatürliche Blässe seines Gesichtes.
Zuerst weigerte er sich, es zu glauben. Mehrfach wurde er angesprochen, doch erst als Rossi ihm die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen und wandte sich ab, dieses Mal unfähig, den Schock und den Schmerz zu verbergen. Seine Fassungslosigkeit fiel niemandem auf, es ergab Sinn für ihn, um einen Schulfreund zu trauern, nicht bei sich zu sein, nicht in der Lage den Job konzentriert genug zu erledigen.
Rossi führte ihn zu einer Bank und Reid umfasste seine Knie und beugte sich vor, um zu vermeiden, dass ihm schwindelig wurde. Er sah auf seine Füße, vermied den Blick auf die anderen, auf den Leichentransport, die Beamten und die Presse, die J.J. bereits belagerte.
„Ist alles in Ordnung?“ Reid zuckte zusammen. Am wenigsten hätte er erwartet, dass Hotch sich nach seinem Wohlbefinden erkundigte. Hatte der doch genug Verantwortung, genug dringende Angelegenheiten, um die er sich kümmern musste.
Ethan war der dritte Tote innerhalb einer Woche, und immer traf es Musiker. Künstler, die sich außerhalb der Stadt, in der sie für gewöhnlich auftraten, befanden. Natürlich hatte Reid nicht gewusst, dass Ethan hier aufgetaucht war. Seit Monaten, Jahren hatten sie mit Ausnahme der obligatorischen Geburtstagskarte nichts voneinander gehört. Keinesfalls hätte er etwas ahnen, den anderen warnen können. Das wusste er, das bestätigte er sich in einem Kreislauf wiederkehrender Gedanken immer und immer wieder.
„Reid?“
Hotch stand immer noch vor ihm, wartete auf Antwort, und Reid hob den Kopf, bevor er merkte, dass seine Augen brannten. Er fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht, fühlte Feuchtigkeit an seinen Fingern.
„Es geht mir gut“, sagte er und schluckte gegen den Kloß in seinem Hals.
Hotch sah ihn an, mit dieser unnachahmlichen Mischung aus bitterem Ernst und konzentrierter Aufmerksamkeit. Wenn ihn jemand verstand, wenn jemand wusste, wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, von dem er geglaubt, gewusst hatte, dass er ihn liebte, dann war es Hotch.
Und gerade aus diesem Grund brachte Reid kein weiteres Wort heraus.
„Du bist befreit“, sagte Hotch nur. „Ruh dich aus. Wenn es dir besser geht, melde dich.“
Reid nickte und stand auf. Seine Beine fühlten sich an, als bestünden sie aus Gummi. Doch irgendwie schaffte er es zurück in ihr Hotel und auf sein Zimmer.
Er setzte sich eine Spritze und fiel in Bewusstlosigkeit.
Als er aufwachte, bewegten seine Beine sich von selbst. Erst einen Moment später bemerkte er, dass er es war, der einen Fuß vor den anderen setzte. Automatisch und ohne nachzudenken, eine Reaktion auf die Bewegungen des Mannes neben ihm. Der ihn aufrecht hielt, während Reids Kopf an seiner Schulter lehnte, an der eines Fremden, der ihn stillschweigend zwang, sich seinem Schritt anzupassen.
Es gelang Reid weder, seinen Kopf zu heben, noch zu begreifen, was vor sich ging. Nur als sie plötzlich auf der Straße standen, die grellen Lichter ihn blendeten, obwohl seine Augen geschlossen blieben, und das Pflaster sich hart und unbarmherzig unter seinen Schuhsohlen anfühlte, wurde es ihm mit Eiseskälte bewusst. Ebenso wie die Tatsache, dass er sich gegen seinen Willen hier befand.
Doch reichte seine Kraft nicht aus, um sich den Armen des anderen zu entziehen, reichte für keine Bewegung, außer der, sich zusammenzurollen, nachdem er das Klappen einer Autotür gehört und die Polster gespürt hatte, auf die er gestoßen wurde.
Der Wagen fuhr und er verlor erneut das Bewusstsein.
Beim Erwachen schmerzte sein Körper, und er wusste sofort, dass es nicht an der Droge lag. Dass ihm eine andere, weitaus unmittelbarer schädigende Substanz verabreicht worden war.
Der Druck auf seiner Brust rief ihm das Vergessene in Erinnerung, den Anblick Ethans, an den er nicht mehr gedacht hatte, doch dessen Ermordung ihn mehr erschütterte, als es bei einem Profi wie ihm der Fall sein sollte.
Nicht nach allem, was er gesehen und erlebt hatte. Auch sollte es ihn nicht aus der Fassung bringen, dass er sich in einem Keller wiederfand, in einem Raum, der ihn zu empfindlich an den erinnerte, in dem er vor Jahren gefangen gehalten worden war.
Das Wissen half nicht. Auch nicht die Stimme, die aus der Decke zu dringen schien, die ihn verfolgte und ihn nicht losließ. Die sich über ihn lustig machte, über sein Unvermögen, seine Schwäche, seine Einsamkeit. Bevor sie von anderen sprach. Von den Kollegen, bevor sie die beim Namen nannte, und Reid erkannte, dass hinter seiner Entführung mehr steckte. Dass es sich um einen Plan handelte, um eine Falle, der nicht nur er zum Opfer fallen sollte.
*
Von dem Moment an, als er Reid fortgeschickt hatte, konnte Hotch die Ahnung künftigen Unheils nicht mehr abschütteln. Als seine Augen einen Augenblick zu lange an dem unsicheren Gang des Kollegen hängenblieben, als er sich wider besseren Wissens fragte, was es sein konnte, dass der andere noch vor ihnen verbarg, begann Hotch sich auf mehreren Ebenen zur gleichen Zeit schuldig zu fühlen. Unabhängig von seiner Rationalität, der Konzentration auf Wesentliches und der Ausschaltung all dessen, was nebensächlich war und sie in den Ermittlungen nicht voran brachte, gelang es ihm nicht, das Bild Reids aus seinen Gedanken zu verbannen. Als der den Toten erblickt hatte, war jede Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Die ohnehin stets vorhandenen Schatten unter seinen Augen hatten sich vertieft. Sie waren so dunkel geworden, als erblickten sie einen Abgrund, aus dem es kein Entrinnen gab.
Nach allem, was Hotch gelernt und erlebt hatte, nach allem, was er über Reid wusste, sollte der auf die Ermordung eines Mitschülers, Mitstudenten nicht derart fassungslos reagieren.
Da steckte mehr dahinter. Es ging ihn nichts an, sagte er sich. Und dann wieder doch, das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter, deren Gesundheit gehörte zu den Gegebenheiten, die er nicht als selbstverständlich nehmen durfte, denen er Beachtung schenken musste. Doch der eisige Schreck, der ihm bei Reids Anblick durch die Glieder gefahren war, fühlte sich übertrieben an, sah ihm nicht ähnlich. Und die Mühe, die er aufwenden musste, um seine stoische Miene, seine zielbewusste Haltung zu wahren, entsprach nicht seiner Natur. Manchmal fragte Hotch sich, ob der dem allen wirklich noch gewachsen war. Der doppelten Verantwortung, der Sorge um seinen Sohn und der um sein Team, das, so erfolgreich sie auch arbeiteten, bei näherem Hinsehen fragiler war, als es sich den Anschein gab. Jeder trug seine Geheimnisse, jeder seine Schwächen mit sich. Jeder wusste dies, und jeder erwartete, dass der andere Stillschweigen bewahrte. Weil es niemanden weiterhalf, weil sie sehr genau wussten, dass sie sich auch gegenseitig nicht weiterhelfen konnten. Nicht bei all dem Grauen und den menschlichen Abgründen, die sie täglich mit ansahen.
Und Reid war ein Fall für sich. Der Doktortitel in Psychologie half ihm nicht weiter, sobald es seine eigene Seele betraf. Er verfügte über einen Reichtum an Wissen, der für die meisten Menschen, Hotch eingeschlossen, unvorstellbar war. Und dennoch konnte er nichts davon auf sich selbst anwenden. Als ob ihm sein Wissen den klaren Blick verstellte, und er sich weit entfernt der Fähigkeit befand zu erkennen, was gut für ihn war und was nicht.
Hotch schluckte Sorgen und Bedenken hinunter, konzentrierte sich auf den Fall. Er musste sich darauf verlassen, dass der andere sich wieder fing. Denn dass er eben noch keineswegs dazu imstande gewesen war, daran zweifelte Hotch ebenso wenig wie daran, dass Reid alles unternähme, um so schnell wie möglich wieder einsatzfähig zu sein.
Hotch teilte das Team auf, so dass sie gleichzeitig mit der Befragung von Polizei und Behörden auch die anderen Tatorte untersuchen konnten.
Das Profil zu erstellen war schwerer als zuerst geglaubt. Die Suche in Musikerkreisen, ausgedehnt auf frustrierte oder kürzlich abgelehnte Künstler, verlief ergebnislos.
Einzig der letzte Fall wies Besonderheiten auf, nicht nur die, dass Reid das Opfer gekannt hatte.
Hotch erinnerte sich an Chicago, erinnerte sich an das, was Rossi ihm damals erzählt, vielmehr angedeutet hatte, und konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass das, was er für Reids Privatangelegenheit gehalten hatte, weitere Kreise zog.
Als Reid verschwunden blieb, als sie die Tür zu seinem Zimmer öffnen ließen und dieses leer vorfanden, verdichtete sich sein Verdacht.
Es fanden sich zwei Einwegspritzen im Papierkorb, die Hotch eintüten und ins Labor schicken ließ. Inzwischen jedoch hegte er keinen Zweifel mehr daran, dass Reid betäubt worden war. Nicht zuletzt, weil der Gedanke, er habe die Spritzen aus freiem Willen benutzt ebenso erschreckend erschien.
Sein Team blieb professionell und so ruhig wie unter den Umständen möglich. Lediglich Garcia trug ihr Herz auf der Zunge, während Morgan vor unterdrückter Aggression buchstäblich vibrierte. Erst jetzt wurde Hotch bewusst, wie stark Dereks Beschützerinstinkt Reid gegenüber ausgeprägt war. Ihnen allen gegenüber, aber dass er Reid in der Rolle eines kleinen Bruders sah, war nie zuvor derart deutlich gewesen.
Als die erste Forderung eintraf, wusste Hotch bereits, dass es sich um eine Falle handelte. Und sein Verdacht bestätigte sich, je mehr hasserfüllte Botschaften eintrafen.
Die sprachen von Rache und vom Versagen der BAU, davon, wie leicht es gewesen war, sie in die Stadt zu locken. Welch krankes Vergnügen es bereitet hatte, den einen Menschen aus Reids Vergangenheit auszuspüren, dessen Tod ihn wirklich erschüttern konnte. Und was es sie kosten würde, Spencer zurückzubekommen.
Hotch ging jeden ihrer Fälle durch. Er schlief nicht, aß nicht, ruhte nicht, bis er die Suche eingegrenzt hatte. Mit Garcias Hilfe und unter Einbeziehung der Verwandtschaft gefasster und verstorbener Krimineller, fand er die Ermittlung, während der Reid sich einen Namen gemacht hatte, während der dessen Schlussfolgerungen ihren Weg in die Medien genommen hatten. Und in deren Folge ein mehrfacher Mörder sein Leben verlor. Jedoch ließ er jemanden zurück, einen Bruder, der bis vor wenigen Monaten in einer Haftanstalt eingesessen hatte. Dessen Liste an Delikten erstreckte sich über unzählige Seiten.
Das Profil stimmte, der Name ließ sich verfolgen. Die verfügbaren Kontakte und Adressen waren rasch gefunden.
Über kurz oder lang befanden sie sich in dem Haus, teilten sich auf. Während Hotch auf den Keller zusteuerte, vernahm er Schüsse über sich, kurz danach Dereks Meldung. Nun war nur noch Reid zu finden, und zu hoffen, dass der gesund war.
„Eine Falle“, krächzte Reid, als es ihm gelang, die verklebten Augen aufzureißen. „Es ist eine Falle. Verschwindet.“
Seine Lippen zeigten Risse, waren ausgetrocknet wie nie zuvor. Seine Haut unnatürlich weiß und die Augen dunkel und leer.
„Es ist in Ordnung“, versicherte ihm Hotch und gab Rossi ein Zeichen, lauschte auf dessen Stimme, die den Sanitäter in den Keller orderte.
Sein Blick fiel auf die schwere Eisentür, die sie gesprengt hatten und wanderte zurück auf den grauen Staub in Reids Haar. Er nahm die kalten Hände fest in seine und ließ den Jungen erst wieder los, als die Sanitäter sich an ihm vorbei drängten.
Der Albtraum hatte ein Ende genommen, so dachte er. Das Risiko ihres Berufs, von dem sie alle wussten, das jeder von ihnen es akzeptierte, hatte diesmal Reid eingeholt.
Doch mehr war nicht geschehen und alles gut gegangen. Hotch beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Derek und Emily neben Reid liefen, der kaum die Augen öffnete. Deren Erleichterung dennoch in Wellen von ihnen ausströmte, während sie Reids Schulter berührten oder sein Haar streiften. Als wollten sie sich vergewissern, dass sie ihn tatsächlich gesund wieder hatten.
Garcia weinte, er hörte ihr Schluchzen durch die Übertragung und schüttelte unwillkürlich den Kopf, erwiderte dennoch J.J.‘s Lächeln und fing einen ernsten Blick Rossis auf.
Recht hatte der, auch wenn das Schlimmste vorbei war, so wartete noch ein nicht zu unterschätzender Papierkrieg auf ihn, ganz zu schweigen von der abschließenden Klärung letzter Fragen.
Als Emily einen Tag später an seinem Büro vorbeiging, rief er sie herein, um nach Reids Zustand zu fragen.
Sie antwortete zögernd, ein wenig unsicher, als wüsste sie selbst nicht, was sie von dessen Verhalten denken sollte. Und Hotch erinnerte sich sofort an die Fragen, die er sich stets stellte, wenn es um sie ging. Worüber niemand sprach, über die Lücken in ihrem Lebenslauf, die auf eine Weise gefüllt waren, die keinen Zweifel an einem oder mehreren verdeckten Einsätzen erlaubten. An all das, was sie zu verbergen gewohnt war, und wie selbstverständlich sie damit umging. Woran er nicht zweifelte, das war ihre Loyalität, die Freundschaft, die sie mit den Kollegen verband, die ihr schwerer fallen musste, mit dem Wissen, dass jeder eine Rolle spielen konnte, dass es unmöglich war, einem anderen Menschen wirklich zu vertrauen. Weil jeder von ihnen bereits seit Jahren eine Lüge leben konnte.
Nachdem Reid wieder zu sich gekommen, mit Infusionen und Medikamenten stabilisiert worden war, hatte er darauf bestanden, auf eigene Verantwortung entlassen zu werden. Eine Zusammenfassung der Ermittlungen, eine kurze Beschreibung der Verfolgung, war ihm genug gewesen, um keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Die Ärzte wollten weitere Tests anordnen, doch Reid weigerte sich, erklärte, dass er nichts als die Ruhe in seinen eigenen vier Wänden wollte. Sogar Dereks Angebot, ihn zu fahren, lehnte er ab. Und sicher war es verständlich, dass er alleine sein wollte, sich in Ruhe über das Geschehene klar werden. Emily verstand, aber ihr Gesichtsausdruck sagte Hotch, dass sie nicht einverstanden war, dass ihr eine ähnlich dunkle Ahnung durch den Kopf ging, wie Hotch selbst.
Dieser Ahnung ging er nach, als er sich nach Reid erkundigen ließ, nur um zu erfahren, dass der nach Las Vegas gefahren war, um seine Mutter zu sehen.
Was Sinn ergab, was vielleicht eine gute Idee darstellte, zumal er für die nächsten Tage nicht bei der Arbeit erwartet worden war. Dennoch blieb der üble Beigeschmack, der Hotch durch die Nacht und bis in den folgenden Tag begleitete. Bis er das tat, was er sich geschworen hatte, sich niemals herauszunehmen. Das ungeschriebene Gesetz, keinen der Kollegen zu analysieren, ging einher mit der Vorschrift, sich aus deren Privatleben herauszuhalten.
Hotch handelte entgegen seines Vorsatzes, und rief bei der Klinik an, nur um zu erfahren, was er insgeheim bereits gefürchtet hatte. Dass Reid weder dort angemeldet war, noch aufgetaucht. Dass kein Hinweis darauf schließen ließ, dass er vorhatte, dort einzutreffen.
Der Geschmack auf Hotchs Zunge verwandelte sich in Galle, als er auflegte, rasch genug aufstand, dass der Stuhl drohte umzustürzen.
Und er zum zweiten Mal an diesem Tag entgegen seiner Vernunft und seiner Prinzipien handelte.
Rossi nickte, als er ihm die Verantwortung übertrug. Er schwieg und sah Hotch nur an, als der die Gründe seines überstürzten Aufbruchs lediglich andeutete. Doch in den dunklen Augen erkannte Hotch mehr als er wissen wollte. Erkannte seine eigenen Befürchtungen und war dankbar, dass Rossi die nicht aussprach.
Dass niemand die Tür zu Reids Wohnung öffnete, überraschte ihn nicht. Mehr überraschte ihn die rohe Gewalt, mit der er gegen das Schloss trat. Wie er war, in Anzug und Krawatte, benötigte er zwei gezielte Tritte und die Tür flog auf.
Der Raum war verdunkelt und im ersten Augenblick konnte Hotch nichts erkennen. Er rief erneut nach Reid, seine Ahnung verstärkte sich, als er die muffige, abgestandene Luft roch, die Hitze, und den deutlichen Gestank nach Erbrochenem.
Das Licht flackerte einen Augenblick, bevor es aufflammte, und damit sah Hotch Reid auf dem Boden liegen, gegenüber des Eingangs, gegen die Wand gepresst.
Mit einem Fluch auf den Lippen, stürzte er vorwärts, tastete nach dem Puls, atmete auf, als Reids Lider flatterten, dessen Lippen zuckten.
„Verdammt, was tust du?“, stieß er hervor, nur um zu beobachten, wie Reid seine Augen öffnete, der unstete Blick hilflos umher schweifte, bevor er Hotch fand und seine Lider wieder senkte, den Kopf abwandte. Was sich schwierig darstellte, da Hotch nicht nur neben ihm kauerte, sondern auch Reids Oberkörper an sich gezogen hatte und ihn mit beiden Armen umschlang.
Als er sich seiner Position bewusst wurde, atmete er angestrengt aus, und lockerte seinen Griff, jedoch ohne den anderen loszulassen.
„Was für eine Frage“, murmelte er, während er seinen Blick kurz durch das Zimmer schickte, die Einzelheiten registrierte und speicherte.
Was Reid tat, getan hatte, war offensichtlich, und jede Zelle in Hotch schrie, dass er es hätte wissen können, ahnen müssen. Dass ein Auslöser wie der Verlust eines Freundes oder die überraschende Konfrontation mit der Ermordung desselben jeden aus der Bahn werfe. Wenn er nur einen Hauch der Fähigkeiten besaß, die er von seinen Mitarbeitern erwartete, dann hätte er sehen müssen, dass Reid durch Flucht in die Droge reagierte.
Egal wie häufig der bestätigt hatte, dass das Kapitel abgeschlossen war. Jeder von ihnen wusste, dass eine Versuchung wie die nie wirklich aufhörte. Dass es zu leicht war, ihr nachzugeben. Solange kein Netz bestand, dass den Betreffenden auffing. Er hätte für dieses Netz sorgen können.
„Lass mich los.“ Reids Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, sein Versuch, sich zu befreien, kraftlos, lachhaft, wenn er nicht so tragisch gewesen wäre.
„Spencer, wie lange …“ Hotch schüttelte den Kopf, weigerte sich dennoch, seine Arme von dem Jungen zu nehmen.
Da zuckte ein Lächeln um Reids Lippen. „Ich habe doch nie aufgehört.“
Hotch schloss die Augen. Das konnte, durfte nicht wahr sein. Der andere musste im Delirium sprechen. Es wäre ihm doch aufgefallen. Oder Gideon.
Er erinnerte sich an seine wenigen Fragen und an Gideons kurze, nichtssagende Antworten, denen dennoch alles zu entnehmen war, was er hatte hören wollen.
Dass er sich so geirrt haben konnte, war unglaublich.
Reid schien seine Gedanken zu teilen. Eine zitternde Hand hob sich, verfehlte und landete dann doch an Hotchs Wange, kalt und blutleer.
„Ihr seid so blind“, flüsterte Reid und lächelte erneut. Doch der Ausdruck erstarb, als er sich hochzukämpfen suchte, bevor Hotch begriff und ihm Raum gab, sich zur Seite zu drehen und auf den Boden zu erbrechen.
Hotch atmete durch den Mund, während er Reid so hielt, dass der weder fiel noch erstickte. Er wartete, bis der andere nur noch schlaff in seinen Armen hing, bevor er mit einer Hand das Telefon aus seiner Jacke fischte und die Ambulanz herbestellte.
Sein Ausweis reichte aus, um ihm zu erlauben mitzufahren. Reid wirkte klein und schmal zwischen den Apparaten, die zusammengepfercht den Krankenwagen ausfüllten. Hotch beobachtete, wie die Sanitäter Reids Ärmel hochrollten und presste die Lippen zusammen, als sie die Male enthüllten, die sich den Unterarm hochzogen, und an der Innenseite des Ellbogens verdichteten.
Spencer wandte sein Gesicht ab, doch seine Haltung verriet Hotch, dass der Jüngere sich seiner Anwesenheit schmerzlich bewusst war.
Als sie in der Klinik eintrafen, sorgte er dafür, dass die Aufnahme diskret erfolgte, versorgte die Ärzte mit notwendigen Informationen und ordnete an, über Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten zu werden.
Zurück in der BAU haderte er mit sich, zweifelte daran, dass er den anderen die Wahrheit sagen sollte. Doch die Erinnerung an Reid, der sich von ihm weggedreht, seine Schultern hochgezogen hatte, bestärkte seine Annahme, dass der nicht bereit war, jemanden zu sehen. Dass es für ihn schlimm genug war zu wissen, dass Hotch ihn gefunden hatte.
Eine neutrale Maske zu bewahren war Hotch nie schwer gefallen. Dass er sich in seinem Büro vergrub, fiel höchstens Rossi auf. Und der sagte nichts.
Sie alle waren mit Recherchen und Analysen beschäftigt. Kein Fall drängte sich in den Vordergrund oder verlangte ihren ungeteilten Einsatz. Hotch schickte Morgan und Emily nach New York, schließlich J.J. und Rossi nach Philadelphia.
Der aktuelle Fall zwang sie in der Luft zu hängen. Die losen Enden, die Garcia gefunden hatte, ließen sich nicht zusammenfügen. So wunderte es niemanden, dass er zurück blieb, fragte niemand nach Reid, wofür Hotch dankbarer war, als er vor sich selbst zugab.
Auf den Anruf von der Klinik hin, verließ er das Gebäude, ohne sich umzusehen.
Reid wirkte bleich und verloren inmitten der grell-weißen Bettwäsche. Die Schatten unter seinen Augen hatten eine bläuliche Färbung angenommen, der Flaum an Kinn und Oberlippe war kaum mehr als der Hauch eines Beweises für das Fehlen einer Rasur. Hotch fühlte sich empfindlich daran erinnert, wie jung der andere war, wie zerbrechlich. Und was sie ihm alles abverlangten, was der Job ihm abverlangte.
Ihm wurde bewusst, dass Reid nie eine Kindheit, nie eine Jugend erlebt hatte, dass weite Teile seiner Entwicklung der Anhäufung von Wissen zum Opfer gefallen waren. Und wenn jemand wusste, was ein solcher Verlust in einem Menschen anrichten konnte, dann war das ein Profiler. Nur dass sie alle - wie Reid in einem Moment, an den er sich entweder nicht mehr erinnerte, oder den er verdrängt haben mochte, erwähnt hatte - blind gewesen waren, zu nah an der Person, die in eine Abwärtsspirale gerutscht war, die sich hätte vorhersehen lassen.
Reids Augen waren geschlossen, in seinem Arm die Nadel einer Infusion befestigt.
Hotch zog sich einen Stuhl heran und in Folge des Geräuschs hob Reid die Lider, schloss sie sofort wieder. Seine Wimpern zitterten.
„Du weigerst dich, in eine Entzugsklinik zu gehen.“ Hotch sah keinen Anlass, dem Thema auszuweichen.
„Ich schaff das alleine.“ Reids Augen blieben geschlossen. Lediglich die Bewegung, die sich darunter abzeichnete, zeugte von seiner Nervosität.
Hotch nickte. „Wie du es bereits zuvor geschafft hast.“
„Ganz recht.“ Nun öffnete Reid doch seine Augen, richtete den Blick prüfend auf Hotch. Zu dessen Erleichterung wirkte der klar.
Hotch schüttelte den Kopf. „Versuch es nicht. Du weißt es besser.“
Reids Augen huschten über Hotchs Gesicht, blieben an dem ernsten Zug um dessen Mund hängen und wandten sich rasch zur Seite und schließlich zur Wand.
„Was willst du hier?“
Seine Stimme klang müde, was alles andere als ein Wunder war, und Hotch zögerte nur kurz, bevor er Spencers Hand nahm, die neben ihm auf der Bettdecke ruhte.
„Auch das weißt du“, stellte er klar. „Bis du das zugibst, bleibe ich hier.“
Reid blinzelte. Seine kalten Finger zuckten in Hotchs Hand und der erwartete halb, dass der andere zu protestieren begann, sich erneut abwandte, vielleicht die Schwester rief, um ihn hinaus zu komplimentieren. Immerhin und trotz seiner jugendlichen Erscheinung war Reid ein erwachsener und selbstständiger Mann. Wenn er es nicht gestattete, besaß Hotch kein Recht dazu, zu bleiben.
Doch dass nichts davon geschah, war fast schwieriger zu verkraften. Reid schwieg. Ob er nachgab, oder sich zu geschwächt fühlte, um zu widersprechen, darüber konnte Hotch nur spekulieren.
Doch er blieb, sah auf ihre verschlungenen Hände, fühlte, wie sich Reids Finger in seinen erwärmten, und fragte sich zunehmend, was er hier tat.
Wie es aussah teilte Reid tatsächlich seine Gedanken, denn als er sich Hotch wieder zuwandte, räusperte er sich, bevor sein Blick flackerte, [. Es war das einzige] einziges Anzeichen der Unsicherheit, die er verspürte.
„Solltest du nicht bei Jack sein?“
Hotch atmete aus, nickte zögernd, schüttelte zugleich den Kopf. „Er ist in guten Händen“, sagte er und zog die Augenbrauen nur kurz zusammen. „Bei dir bin ich mir nicht sicher.“
Reid wich seinem Blick aus, entzog dann plötzlich, ruckartig seine Hand, drehte sich zur Seite. „Ist gut“, sagte er, die Stimme belegt. „Ich mache den Entzug.“
Hotch war schon drauf und dran aufzuspringen und die Nachricht weiterzugeben, als Reid weitersprach. „Aber ich will nicht, dass die anderen davon erfahren.“
Hotch sank zurück in seinem Stuhl. „Du weißt, dass sie es alle verstehen würden. Sie alle würden dir helfen wollen.“
„Ich weiß.“ Reids Stimme klang tonlos.
„Du solltest auf diese Hilfe nicht leichtfertig verzichten“, erinnerte ihn Hotch, doch Reid zog seine Schultern an, sprach in sein Kissen.
„Niemand, Aaron. Niemand soll es erfahren. Nicht meine Mutter und keiner von den anderen.“
„Reid …“ Hotch massierte seine Schläfe, seufzte leise. „Es ist deine Entscheidung“, meinte er schließlich. „Aber ich werde da sein.“
Ein in den Laken erstickter Laut war die Antwort und Hotch wartete, bis Reids Atem sich beruhigte. „Das solltest du nicht“, murmelte er, „ich will nicht, dass …“
„In diesem Fall handelt es sich um meine Entscheidung“, unterbrach ihn Hotch. „Solange du für mich arbeitest, gehe ich kein Risiko mehr ein.“
Wenn überhaupt möglich, drehte sich Reid weiter in die Wand und Hotch biss sich auf die Zunge, wusste es jedoch besser, als sich zu korrigieren. Und es stimmte ja auch. Was für einen Grund sollte er haben, sich um Reid zu sorgen, wenn der einmal nicht mehr zu seinem Team gehören sollte? Was ebenso denkbar war - inzwischen mehr denn je - wie die die Möglichkeit, dass er selbst die Gruppe verließ. Gerne würde er dem anderen versichern, dass sie sich nicht aus den Augen verlören, dass die Bindung zwischen ihnen allen mehr bedeutete als kollegialen Zusammenhalt. Doch Reid wusste ebenso gut wie er selbst, dass keine Garantien existierten. Erst recht nicht für Menschen, die sich ihrer Arbeit derart verschrieben hatten, wie sie beide.
Und doch - wohin hatte sie das geführt? Wohin hatte es Reid gebracht?
Hotchs Blick hing an dem starren Körper vor ihm, dessen Reglosigkeit besser als alles andere davon sprach, dass Reid sich seiner Anwesenheit bewusst war. Doch auch wenn Hotch ahnte, dass der andere lieber alleine wäre, so brachte er es nicht über sich, den Raum zu verlassen, ihm damit zu bestätigen, was der bereits zu wissen glaubte. Dass ihn früher oder später jeder verließ.
Er rieb sich erneut die Schläfen, dann die Stirn und begann zu grübeln, fing an sich ernsthaft zu fragen, was es sein konnte, das ihn hielt. Längst war es an der Zeit, dass Reid professionelle Hilfe erhielt und Hotch zweifelte nicht daran, dass - sofern Reid diese annahm - er rasch wieder auf den Beinen und fraglos einsatzfähig war. Ein heller Kopf wie er sollte auch dazu in der Lage sein, das eigene Dilemma zu durchschauen und einen Weg aus dem Tief zu finden.
Zumindest nach allem, woran Hotch glaubte und was er gelernt hatte.
Nur, dass ihn all sein Wissen nicht gewarnt hatte, dass er das Problem nicht gesehen oder auch absichtlich ignoriert hatte.
Endlich stand er auf und leitete die Überweisung in die Wege. Er sah durch die Tür, als Reid die Papiere unterschrieb, beobachtete wie der seinen Blick kurz anhob, als wollte er sich vergewissern, dass Hotch noch da war. Nicht lange danach schlief er ein und Hotch antwortete auf die Frage des Arztes, dass er vorhatte, den Patienten am folgenden Tag zu begleiten.
Nachdem er Jack ins Bett gebracht hatte, starrte er lange auf die einsame Flasche Whiskey, die er hervorgeholt hatte, drehte das Glas in den Händen und dachte nach. Bevor er schließlich beides wegräumte und den kommenden Tag erwartete.
Reid sah nicht unbedingt besser aus, doch die Infusion war verschwunden. Und er stand aufrecht, während der Arzt mit ihm sprach. Als er Hotch sah, bildete sich kurz ein schiefes Lächeln auf seinem Gesicht, bevor er den Blick abwandte.
Hotch setzte die Tasche auf den Stuhl, die er in Reids Wohnung gefunden und gepackt hatte.
Als der Arzt ging, flog eine leichte Röte über das Gesicht des Jüngeren. „Du hättest nicht …“
Die Farbe vertiefte sich, als Reid offensichtlich einfiel, wie der Zustand seiner Wohnung auf Hotch wirken musste.
Der zuckte mit den Schultern. „Du wolltest nicht, dass jemand anderes Bescheid weiß.“ Er verriet nicht, dass er der bestellten Reinigungskraft einen extra Scheck ausgestellt hatte, dass sich in der Wohnung bereits kein Anzeichen mehr von Drogenmissbrauch oder auch nur entfernt dorthin deutenden Hinweisen befand.
Reid nickte und murmelte seinen Dank mit gesenkten Lidern. Ein leises Zittern ließ Hotch erkennen, dass die Medikamente, die verhinderten, dass der Entzug einsetzte, aufhörten zu wirken. Es wurde höchste Zeit, dass sie aufbrachen.