Der erste Tanz

Aug 10, 2021 13:50


Prompt: Reverse - der erste Tanz
Team: Enterprise
Fandom: Agatha Christie's Poirot
Rating: P 6
Genre: Freundschaft, Angst
Handlung: Poirot ist zu Gast auf einer Hochzeit.
Länge: ~ 800 Wörter
Zeit: ~ 60 Minuten


***

Poirot war schon auf genügend britischen Hochzeiten zu Gast gewesen um zu wissen, was der nächste Programmpunkt sein würde. Der Eröffnungstanz. Der erste Tanz des frisch gebackenen Brautpaares - oder war es das frisch gebackene Ehepaar? Nie war Hastings da, wenn man ihn für solche Fragen brauchte. Er unterdrückte ein Seufzen. Natürlich hatte Hastings gute Gründe, in diesem Moment nicht an seiner Seite zu sein. Und dann erklangen auch schon die ersten Töne eines Walzers, und Miss Lemon betupfte zum wiederholten Mal ihre Augen mit einem Taschentuch. Bislang hatte er keine Ahnung gehabt, daß seine Sekretärin eine solch sentimentale Seite besaß. Ob sich diese auf Hochzeiten im allgemeinen oder auf diese Hochzeit im speziellen bezog, wußte er nicht zu sagen. Er hatte ja immer den Verdacht gehabt, daß Miss Lemon durchaus mehr als freundschaftliche Gefühle für den guten Hastings hegte - während der seinerseits der albernen Vorstellung nachhing, Miss Lemon habe Gefühle für ihn. Für ihn, mon dieu! Was für eine absurde Idee. Nein, vermutlich lagen sie beide falsch und es war schlichtweg diese weibliche Neigung, bei Hochzeiten emotional zu werden.

Nicht, daß ihn selbst das alles völlig ungerührt ließ. Immerhin war dies ein wichtiger Moment für Hastings, seinen treuen Freund und Begleiter durch so viele gemeinsame Jahre. Vor Gott und den Menschen einen solchen Bund einzugehen, das war ein großer Schritt. Und da waren die beiden auch schon auf der Tanzfläche, Hastings aufrecht und stattlich in seinem Hochzeitsanzug und seine junge Frau strahlend wie das frische Leben. Die beiden glitten über die Tanzfläche, als hätten sie nie etwas anderes getan. Hastings war immer ein guter Tänzer gewesen, im Gegensatz zu ihm selbst, der diese Kunst zwar beherrschte, aber wahrhaftig nicht liebte. Und Miss Duveen - Mrs Hastings, korrigierte er sich in Gedanken - war eine geborene Tänzerin. Aber es war nicht nur das. Als er diesen beiden Menschen zusah, die sich so harmonisch zusammen bewegten, bekam er doch tatsächlich selbst feuchte Augen. Miss Lemon drückte ihm kommentarlos ein Taschentuch in die Hand. Anscheinend hatte sie sich gut vorbereitet auf diesen Tag, besser als er jedenfalls. Dezent schneuzte er sich.

Und dann sagte Miss Lemon mit ihrem unglaublichen Talent, den Nagel auf den Kopf zu treffen, genau das, was er den ganzen Tag schon vermieden hatte zu denken.

"Jetzt haben wir ihn wirklich verloren."

Und er wußte genau, wie sie sich fühlte. Seit Hastings ihm erzählt hatte, daß er mit Miss ... seiner Frau nach Argentinien ziehen wollte, fühlte er sich schon so. Natürlich war ihm auch vorher schon klar gewesen, daß die Dinge sich ändern würden, wenn Hastings nun seßhaft wurde. Daß er ausziehen würde, selbstverständlich. Daß er vermutlich nicht mehr Tag und Nacht zur Verfügung stehen würde, wenn es galt, eine Spur aufzunehmen und ein Verbrechen aufzuklären. Aber dennoch hatte er geglaubt, daß er ihn nicht ganz verlieren würde. Daß sie drei weiter zusammenarbeiten würden. Daß er vielleicht nicht mehr jeden Morgen, aber doch hin und wieder Hastings auf seinem Sofa hinter der Zeitung vorfinden würde, wenn er nach der Morgentoilette aus dem Bad kam. Daß Hastings da sein würde, wenn es gefährlich wurde. Daß sie sich im Club treffen würden auf einen Drink, was die Briten so liebten, oder daß sie zusammen ins Kino oder ins Theater gehen würden.

Und dann ... Argentinien.

Ich werde oft zu Besuch kommen, hatte Hastings gesagt und ihn angesehen mit seinen blauen Augen. Ganz sicher hatte er das in dem Moment auch so gemeint, aber Poirot wußte, wie schnell sich so etwas ändern würde. Die Reise war lang, beschwerlich und teuer. Und das neue Leben, das die beiden sich aufbauen würden, würde Hastings mehr und mehr in Beschlag nehmen. Kinder würden kommen. Sein Freund würde ein guter Vater werden, da war er sich sicher. Kein Vater, der sich nicht um seine Kinder kümmerte und weiter seinen Hobbies und Neigungen nachging, wie es so viele Briten seiner Schicht machten. Natürlich konnte man über Briefe in Kontakt bleiben, aber Hastings war kein großer Briefeschreiber. Schon bald würden sie sich nur noch Weihnachtskarten zuschicken. Der Schmerz, der ihn bei diesem Gedanken durchfuhr, war so stark, daß ihm beinahe übel wurde.

Die ganze Zeit hatte er es geschafft, diese Gedanken zu verdrängen, während der Vorbereitungen am Morgen, als er Hastings Krawatte gebunden hatte - der Gute war viel zu aufgeregt gewesen, um das selbst zu tun, und ohnehin wurde der Knoten bei ihm nie so symmetrisch, wie es sich gehörte - , in der Kirche, als er als Trauzeuge an Hastings Seite gestanden hatte, während die beiden sich das Jawort gaben und Miss Lemon zum ersten Mal ihr Taschentuch zückte.

Das Brautpaar tanzte an ihrem Tisch vorbei. Für einen Moment sah Hastings auf und ihre Blicke trafen sich. Hastings strahlte. Und er ... lächelte, obwohl ihm das Herz so schwer war wie zuletzt an dem Tag, als er Belgien verließ ohne zu wissen, wann er seine Heimat wiedersehen würde.

* Fin *

g: fanfic, p: hastings/poirot, !120 minuten, f: agatha christie's poirot

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