Leichenteile

Jul 30, 2012 21:21

Team: Novalis
Challenge: Thriller/Horror - Leichenteile (für mich)
Fandom: Original (Echte Helden hätten sowas nicht nötig!)
Wörter: 1151
Anmerkung: Ich habe es versucht. Aber ich fürchte, für dieses Genre brauche ich mehr Versuche. Die Geschichte steht in gewissem Zusammenhang mit dem Unfall von neulich.


Judith Stein hatte sich immer, nicht direkt wohl damit gefühlt, aber doch eine gewisse Bestätigung für ihre Berufswahl gefunden, dass sie in der Lage war die Denk- und Herangehensweise „ihrer“ Mörder nachzuvollziehen. Wäre sie nicht so ein herzensguter Mensch, scherzte ihr Kollege Jung manchmal,er würde wahrlich Angst vor ihr haben.
In diesem Fall jedoch war es anders. Seit Tagen, so kam es ihr jedenfalls vor, saß sie in ihrem Büro und starrte die Photos der Opfer an. Wobei Opfer hier vielleicht ein wenig viel gesagt war. Sie hatten zwei linke und ein rechtes Bein (das jedoch zu einer dritten Person gehörte), eine linke Hand und einen Kopf gefunden. Die Leichenteile waren erfolgreich drei kürzlich vermisst gemeldeten Kindern zugeordnet worden. Die verbleibenden Körper nach wie vor nicht aufgetaucht.
Hätte ein junger Bauunternehmer nicht die waghalsige Idee gehabt ausgerechnet diese Neuzeitruine wieder bewohnbar zu machen, man hätte nie auch nur eine Spur der Kinder gefunden.

„Bist du schon oder noch hier?“
Mit einem Schrecken fuhr Judith von ihrem Schreibtisch hoch. Auf ihrer Wange fühlte sie den Abdruck ihrer Strickjacke. Sich die Augen reibend blinzelte sie ihren Kollegen an.
„Vielleicht solltest du -“
„Nein!“, fuhr sie ihm ins Wort ehe er seinen guten Ratschlag zu ende führen konnte. Dann machte sie sich schlurfenden Schrittes auf den Weg zur Kaffeemaschine.
„-eine andere Herangehensweise ausprobieren“, beendete Jung seinen Satz.
„Es gibt eben Köpfe, die sind so krank dass nicht mal du sie verstehen kannst.“
Er hatte es sich auf ihrem Schreibtisch bequem gemacht und betrachtete die Kritzeleien, die sie die Nacht über zustande gebracht hatte.
Judith schüttelte ihren Kopf. Es bereitete ihr ja selbst gelegentlich Bauchschmerzen, aber sie verstand sie. Alle. Immer schon. Für sie war die ganze Welt ein Krimi, in dem es keine einzige überraschende Wendung gab. Judith fand das sehr beruhigend. Überraschungen hatte sie nie sonderlich gemocht.

Zwei Stunden später waren sie zurück am Tatort. Jung stapfte missmutig hinter ihr her.
„Ist das dein Ernst?“, fragte er und deutet e auf das Gebäude. Wie aus einem Science-Fiction Film, der eine lange von den Menschen vergessene Welt beschrieb, sah es aus. Die Balkone hingen grün bemoost von der Fassade herab, durch die zerbrochenen Fenster konnte man Deckenbalken in die Zimmer baumeln sehen. Auf dem Dach hatte sich ein kleiner Birkenwald breit gemacht.
Judith zuckte mit den Schultern. Es war ihr egal. Wenn sie dort noch einmal hinein musste um ihren Hinweis zu finden, dann war das eben so.
Sie kletterte die Kellertreppe hinunter, die Taschenlampe in der Hand. Jung blieb hinter ihr.
In jeden Verschlag leuchtete sie. Gebröckelter Putz war da. Rattennester. Blutflecken.
„Das kann doch kein Mensch gewesen sein“, zischt Judith.
„Glaub mir, Judith“, Jung legte ihr eine Hand auf die Schulter. Als wäre sie ein kleines Mädchen.
„Es gibt Menschen, die verstehst selbst du nicht.“
„Aber“, sie schob seine Hand beiseite.
„Schau es dir an. Was muss man denn machen, dass es so rumspritzt. Kannst du mir das erklären?“
„Vielleicht...“, er überlegte. Judith kniete sich hin.
„Hier. Da hat er sie durch die Gegend geschliffen. Einfach so. Von hier nach da“, sie beleuchtete den Pfad.
„Wieso?“
„Weil er ein Psychopath war.“
„Die haben auch eine Logik.“
Sie stand auf, leuchtete Weiter durch die Kellergänge, als Jung sie anstieß.
„Leuchte da noch mal hin!“
„Wo?“
„Da.“
Er nahm ihr die Taschenlampe ab. Und jetzt sah sie es auch. Im hintersten Winkel einer der Verschläge lag etwas und warf das Licht der Taschenlampe zurück.
„Perso“, stellte Judith erstaunt fest, als sie das Ding mit einem Taschentuch vom Boden aufhob.
„Noch ein Opfer?“, fragte Jung.
Judith zuckte mit den Schultern.
„Unser Mörder wird uns wohl kaum seinen Ausweis da gelassen haben...“
„Wohl kaum“, antwortete sie. Sie hielt Jung das Photo vor die Nase. Eine junge Fau, braun gelockt, vereinzelte Sommersprossen, das verhaltene Lächeln von jemandem, der nicht gerne in Kameras guckt.
„Zoe Marten“, las Jung vor.
„Ich frag mal nach, ob sie vermisst wird.“
Judith musste rennen, um mit ihm Schritt zu halten, so eilig hatte er es wieder an die frische Luft zu kommen.
„Hmm...“
Mit nachdenklich gerunzelter Stirn klappte Jung sein Handy wieder zu.
„Nichts?“
„Nichts...“
„Naja“, Judith fischte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel.
„Wieso fahren wir nicht einfach bei ihr vorbei? Ihre Adresse haben wir ja.“

Eine halbe Stunde später standen sie vor einem halb-sanierten Altbau.
„Die können sich wohl keine vernünftigen Klingelschilder leisten“, stellte Jung fest. Er zog eine Lesebrille aus seiner Jackentasche und betrachtete das Chaos aus mit Tesaflim befestigten Papierfetzen genauer.
„Ritter, Álfursdottír, Ludwig, Marten“, er lächelte zufrieden als er den Klingelknopf runter drückte.
Eine Frauenstimme meldete sich durch die Gegensprechanlage, aber was genau sie sagte war schwer auszumachen durch all das Knacken und Rauschen. Der Stimme schien es nicht anders zu gehen. Ein paar „Was?“ und „Ich verstehe Sie nicht!“ später summte die Tür und Jung und Judith folgten knarzenden Holztreppen bis in den dritten Stock.
In einer halb geöffnete Tür lehnte eine junge Frau. Nicht Zoe Marten.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie.
Sie war klein, mit herzförmigem Gesicht und einer spitzen Nase. Ihr blondes Haar fiel glatt auf ihre Schultern, und ihre mandelförmigen Augen waren nachtschwarz.
„Jung, das ist meine Kollegin Stein“, stellte Jung sie vor. Er hielt der Frau seinen Ausweis hin.
„Wir sind von der Mordkommission. Ist Frau Marten zufällig zuhause?“
Die Frau blinzelte. Sie betrachtete die beiden Polizisten eingehend, als habe sie alle Zeit der Welt. Irgendetwas an ihrem Blick machte Judith unruhig. Das war nicht, wie es sein sollte. Normalerweise waren es die Menschen, bei denen sie klingelten, die unruhig wurden.
„Worum geht es denn?“
„Nichts weiter“, versicherte ihr Judith mit einem Lächeln.
„Wir hätten da nur ein paar Fragen.“
„Tut mir leid. Zoe ist nicht da.“
„Wann haben sie sie denn zuletzt gesehen?“
„Heute Morgen.“
„Aha...“, Judith versuchte einen unauffälligen Blick mit Jung zu wechseln, aber dessen Augen klebten fest an der Fremden.
„War das alles?“
„Ja. Das war alles“, antwortete Jung, noch ehe Judith einwerfen konnte, dass es das nicht war.
„Gut. Dann noch einen schönen Tag“, die Fremde streckte ihnen ihre linke Hand entgegen. Jung erwiderte die Geste sofort, Judith hatte schon ihre Rechte ausgestreckt, entschied dann, dass die Diskriminierung von Linkshändern schon lange nicht mehr Zeitgemäß war und tat es ihm gleich.
Sie waren schon wieder auf der Treppe, als die Fremde ihnen etwas hinterher rief. Es klang nicht als spräche sie Deutsch.

Am nächsten Morgen war es Judith die ihren Kollegen im Büro weckte. Die Pin-Wand war leer, ihre beiden Schreibtische so ordentlich wie lange nicht mehr.
„Was hast du denn hier gemacht?“, fragte Judith, als sie einen dampfenden Becher Kaffee vor Jung abstellte.
„Hm?“, er sah sie aus verschlafenen Augen an.
„Es ist doch seit Wochen nichts mehr los. Da musst du doch keine Nachtschicht einlegen.“
Jung streckte sich ausgiebig. Dann prostete er Judith mit seiner Kaffeetasse zu.
„Ach du“, gähnte er.
„Es kommt einmal der Zeitpunkt, an dem man gründlich aufräumen muss!“

leni, original, team: novalis, inspiration

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