Team: Melpomene
Challenge: Angst + zerbrechlich (Päckchen 5)
Fandom: Original (lesbische Kriegerprinzessinnen)
Anise stand da und starrte ihr Gegenüber an. Orion. Ein Freund, hatte sie gedacht. Vielleicht sogar ein Partner. Und nun hatte er ihr mit wenigen Worten alles zerstört. Alles, auf das sie seit Jahren hin gearbeitet hatte, war nun auf sehr wackligen Füßen, wenn nicht schon unmöglich geworden.
„Ach, Anise, ich wollte es dir noch hier sagen, damit du es nicht gleich vor allen erfährst: Ich unterstütze Cleo!“
Ausgerechnet Cleo. Cleo, mit der nur die geduldigsten der Lehrer auskamen. Die so gut wie nie die Kurse mit den Kleinsten leitete, weil niemand wollte, dass die Kinder traumatisiert wurden. Die in ihrer grenzenlosen Arroganz nicht nur die Angestellten herum kommandierte, sondern auch Krieger und sogar die Gruppe der Ratsherren. Und die, ausgerechnet die, wollte Orion zur Königin machen? Für die wollte er die Prüfungen bestreiten, die er ihr, Anise, versprochen hatte?
Sie starrte einfach nur, zu überwältigt von der Erkenntnis, dass er sie angelogen haben musste. Dass er sie über Jahre angelogen hatte, sie in ihren Träumen unterstützt hatte, nur um sie jetzt, in diesem entscheidenden Moment, zu verraten. Und damit wirklich alles zunichte gemacht hatte. Hätte er ihr das früher gesagt, hätte sie einen anderen Champion wählen können. Auch wenn sie nicht wusste, wer das hätte sein sollen. Aber sie hätte zumindest die Gelegenheit gehabt, einen Ausweg zu finden. Stattdessen hatte er sie jahrelang in dem Glauben gelassen, dass sie das gleiche Ziel verfolgten, gemeinsam kämpfen würden. Nur um ihr jetzt, wo es im Grunde zu spät war, eine Alternative zu finden, den Boden unter den Füßen weg zu ziehen.
Jahrelang hatte sie sich abgemüht, um eine gute Chance auf den Thron zu haben. Hatte sich aufmerksam an sämtlichen Vorträgen und Unterrichtsstunden beteiligt, selbst wenn sie so gähnend langweilig waren wie Haushaltsrechnen. Immerhin musste eine Königin, wenn schon nicht selbst die Bücher führen, sie doch prüfen können, und auch die Eignung derjenigen prüfen, die die Bücher führen würden. Und so war es mit tausenderlei Dingen. Der Herrscher, oder die Herrscherin, Ilyriens musste zwar in wenigen Dingen eine ausgesprochene Koryphäe sein, aber in fast allen Dingen kenntnisreich genug um Experten und Koryphäen auf allen Gebieten zu erkennen, versammeln und anzuleiten. Und deren Ergebnisse zu interpretieren. Entsprechend hatte sie sich dahinter geklemmt alles zu lernen was ihr geboten wurde. Sie sprach mehrere der wichtigsten Nachbarsprachen, zum Teil beinahe fließend.
Das alles sollte ihr gute Chancen für erfolgreich bestandene Prüfungen einräumen. Und damit auch auf den Thron von Ilyrien.
Nur dass kein Herrscher allein regieren konnte. Immer, immer war ein Gegengewicht notwendig, weil die Götter bestimmt hatten dass einer an der Spitze zu instabil war. Zu gefährdet. Und so war das eiserne Gesetz, dass ein jeder Herrscher nur mit Unterstützung des Ersten Ritters regieren konnte. Aber auch das hatte sie gewusst, eingeplant, und vorgesorgt. Mit Orion. Der ihr jetzt, mit seinen Worten, einen Strich durch alle ihre sorgfältig geschmiedeten Pläne machte. Ohne Champion konnte sie nicht einmal die Prüfungen absolvieren, von gewinnen war also gar keine Rede. Wenn sie also unter den Rittern, die an den Prüfungen teilnahmen und die sie nicht kannte, nicht noch einen Champion fand, hatte er mit diesem Manöver alle ihre Träume auf einen Schlag zerbrochen, als wären sie aus Glas.
Und nicht nur ihre Träume, auch ihr Herz wollte fast zerspringen. Sie hatte Orion vertraut, tief und innig, und er hatte sie verraten. Sie konnte nur dastehen, und versuchen zu verhindern dass sie zerfiel.