Tod im Glas [Angst: Spitze Gegenstände - Für mich]

Jul 24, 2018 20:50

Titel: Tod im Glas
Team: Sonne
Challenge: Angst: Spitze Gegenstände - Für mich
Fandom: Tatort Münster
Rating: P16
Genre: Gen, Angst,
Warnungen: Spoiler für "Eine Leiche zu viel"
Zusammenfassung: Boerne wird als Geisel gehalten...
Wörter: ~2200
Anmerkungen: Das Ende war ein bisschen widerspenstig und der Herr Professor auch, aber irgendwie habe ich beide dann doch gebändigt bekommen.


„Jedenfalls werde ich mich genauso wenig in Luft auflösen, wie Amélie Blanc.“

Das war vermutlich nicht unbedingt das, was man gegenüber einer offensichtlich zu allem entschlossenen Doppelmörderin bemerken sollte, wenn man sich gefesselt und zusätzlich inkommodiert durch eine Kopfverletzung in ihrer Gewalt befand, aber Boerne hielt es trotzdem für seine Pflicht, Carla Hanke darauf hinzuweisen, dass ihre Chancen auch mit einem dritten Mord davon zu kommen, verschwindend gering waren. Erst recht jetzt, wo Thiel auf ihrer Fährte war. Er würde es dem Herrn Hauptkommissar niemals sagen, aber wenn es eine Sache gab, die er an Thiel wirklich bewunderte, dann war es dessen Unbeirrbarkeit eine einmal aufgenommene Spur gegen alle Widerstände bis zu ihrem Ende zu verfolgen.

Boerne folgte Carla mit den Blicken als die langsam zu dem Instrumententisch neben der Mazerationsanlage herüber ging. So rational und logisch, wie Carla ihm ihre Motivation für den Mord an Amélie auseinandergesetzt hatte, hatte er eigentlich erwartet, dass sie klarsichtig genug war, dass selbst zu erkennen, aber sie schien seine Worte gar nicht richtig wahrzunehmen. Gedankenverloren, fast zärtlich strich sie mit einem Finger über den einsamen Oberschenkelknochen, der dort lag und betrachtete die beiden Anzeigen an der Mazerationsanlage.

„Die Mazerationsanlage hätte wirklich ein paar Wochen früher hier sein können.“

Der Ton, in dem Carla das bemerkte war genauso neutral und bar jeder Emotion, so völlig rational, wie er schon die ganze Zeit gewesen war, aber als die sich zu ihm herumdrehte und ihn anschaute mit diesem kühlen, kalkulierten Blick, musste Boerne erkennen, dass Carla Hanke längst weit jenseits jeder Logik war, die vernünftige Menschen noch in irgendeiner Weise nachvollziehen konnten. Er seufzte ergeben. Was hätte er auch erwidern können? In ihrer Logik gab es kein Argument für sein Leben und sie schien auch keine Antwort von ihm zu erwarten.

„Dann würden wir in unseren Betten liegen und den Schlaf der Gerechten schlafen.“
„Ja, stimmt.“

Es hätte sarkastisch klingen sollen, aber es kam doch eher resigniert heraus. Boerne musste gestehen, dass ihm die Situation so langsam doch zu schaffen machte. Er hatte sich mit Carla Hanke auf einer Stufe gewähnt, immerhin waren sie doch beide Mediziner, Forscher, Wissenschaftler und er war sich sicher gewesen, dass er sie auf einem intellektuellen Level irgendwie erreichen konnte, aber sie hatte sich auf eine Ebene begeben, auf die er ihr weder folgen konnte noch wollte. Und damit hatte er keinen Ansatzpunkt mehr, wie er sich aus dieser Situation herauswinden konnte.

Er ließ den Kopf leicht nach vorne fallen, beobachtete ihre Schritte, wie die langsam zu dem stählernen Tisch hinten in der Ecke herüberging. Fast gelangweilt griff sie nach der großen Glasspritze und der Ampulle, die sie dort bereitgelegt hatte. Sie stach mit Nadel durch den Gummideckel und begann die Spritze aufzuziehen.

„Ein sauberes Skelett mehr würde hier wirklich nicht auffallen.“

Boerne schluckte trocken. Zu gerne hätte er jetzt eine passende Erwiderung gegeben, irgendeinen bissigen Kommentar, um seine Hilflosigkeit zu überspielen, aber er konnte nicht. Er sah nur diesen unschuldigen kleinen Glaszylinder, der sich langsam, Milliliter um Milliliter mit der tödlichen Flüssigkeit füllte. Nembutal, da war er sich sicher, und die Dosis würde reichen um einen Elefanten einzuschläfern. Er spürte, wie seine Hände langsam feucht wurden, ballte sie zu Fäusten, drehte und wand die Handgelenke hin und her, versuchte sich irgendwie aus seinen Fesseln zu winden, aber das silberne Gewebeklebeband ließ ihm keinen Spielraum, den er irgendwie hätte nutzen können und Carla wusste das auch. Sie ließ sich Zeit, ging langsam und methodisch vor.

Sie zog die Spritze aus der Ampulle, hielt sie sich senkrecht vor die Augen, schnipste leicht mit dem Finger dagegen, drückte den Kolben ein wenig hoch um auch noch die letzten Luftblasen aus der Injektion herauszudrücken. Ein feiner Strahl Nembutal schoss aus der Spitze der Nadel, tröpfelte zu Boden. Wenn es nicht so schrecklich makaber gewesen wäre, Boerne hätte fast bitter auflachen können. Abgesehen davon, dass er nach Anschauung der Leichen von Amélie und Thierry bezweifelte, dass Carla überhaupt vorhatte, ihm das Nembutal in die Vene zu injizieren, war es bei dieser Dosis ohnehin nicht mehr von Bedeutung war, ob Luft in seine Venen geriet. Bevor die ihm würde gefährlich werden können, hätte das Nembutal längst seine tödliche Wirkung entfaltet. Hämolyse, Atemlähmung, Exitus fünf bis maximal zehn Minuten nach der Injektion. Vielleicht tat sie das nur aus Gewohnheit, weil es jeder Mediziner eben so lernte, vielleicht war es aber auch Absicht um ihren Triumph noch einmal richtig auskosten zu können, in jedem Fall verfehlte es seine Wirkung nicht. Wieder schluckte er trocken, räusperte sich, suchte fieberhaft nach Worten, Argumenten, irgendetwas, womit er sie vielleicht doch noch ablenken oder wenigstens so lange hinhalten konnte, bis Thiel kam. Doch ihm wollte einfach nichts einfallen. Sein Kopf war wie leergefegt.

Sie drehte sich zu ihm herum, kam gemessenen Schrittes auf ihn zu, so ruhig und kontrolliert, wie sie den ganzen Abend schon gewesen war. Nur der leicht erhobenen Mundwinkel deutete an, dass in diesem Fall vielleicht doch ein bisschen mehr als nur kühle Logik ihre Hand führte. Boerne biss die Zähne zusammen, starrte ihr entgegen. Wenigstens diesen letzten Triumph, dass er wegschaute, womöglich die Augen schloss, in Panik geriet, den wollte er ihr nicht gönnen. Er hätte auch nicht wegschauen können, selbst wenn er gewollt hätte. Die Spritze in ihrer erhobenen rechten Hand zog unweigerlich seinen Blick auf sich. Der Glaszylinder mit der trüben, rötlichen Flüssigkeit, der metallene Verschluss mit dem Kolben, die Ringe, damit die Finger nicht abrutschten beim Injizieren und die scharfe, spitze Nadel, viel zu groß für eine menschliche Vene, aber das war in diesem Fall ziemlich unerheblich. Ein einzelner Tropfen der tödlichen Flüssigkeit drückte sich langsam, wie in Zeitlupe aus der angeschrägten Nadelspitze heraus. Erst nur eine leichte Wölbung, dann immer runder bis er schließlich zur Seite kippte. Für den Bruchteil eines Augenblicks blieb er oben an der Nadel hängen, dann rann er hinab, zerfloss schließlich zwischen Carlas Fingern, löste sich auf, wie seine roten Blutkörperchen sich auflösen würden, sobald sie mit diesem Tropfen in Berührung kommen würden.

Ein Geräusch hallte plötzlich durch die Kellerräume, das Schlagen eine Tür, unnatürlich laut in der tödlichen Stille. Carla blieb stehen, schaute ihn prüfend an, ob er der Verursacher war, blickte dann zu der Tür hinüber, die den Geräteraum vom Präparationssaal trennte. Für einen Augenblick war da doch so etwas wie eine emotionale Regung auf ihrem Gesicht. Boerne meinte einen Hauch von Panik zu erkenne, doch er verschwand genauso schnell, wie er gekommen war. Sie wartete reglos, horchte konzentriert. Das Geräusch wiederholte sich nicht mehr und wahrscheinlich hatte es auch gar nichts zu bedeuten gehabt, aber es hatte Carla daran erinnerte, dass sie sich trotz allem beeilen sollte. Sie warf einen Blick auf die Spritze in ihrer Hand und dann zu ihm hinüber und er konnte die Entschlossenheit in ihren Augen lesen, die Sache jetzt endlich zu Ende zu bringen. Sie wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als wieder in Geräusch aus dem Präparationssaal herüberklang. Leiser dieses Mal, raschelnd, schlurfend, wie das Geräusch bemüht leiser Schritte auf Fliesenboden. Sie waren nicht allein hier, irgendjemand schlich dort draußen herum.

Carlas Blick glitt wieder zur Tür, verharrte dort einen Moment, kehrte dann zurück zu ihm. Aber der Ausdruck in ihren Augen hatte sich verändert. Er war immer noch kühl und kalkuliert, aber es lag noch etwas anderes darin. Wenn Boerne es nicht besser gewusst hätte, er hätte es Resignation nennen wollen, aber die Carla Hanke, die er kannte, resignierte nicht. Eine Stimme in seinen Hinterkopf erinnerte ihn daran, dass die Carla Hanke, die er zu kennen geglaubt hatte auch nicht für Forschungsmittel über Leichen gegangen wäre und dass diese Frau hier im völlig fremd war. Boerne beobachtete sie stumm, lehnte sich ein wenig zurück, bewegte seine Hände in dem Versuch, die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. Sie schien jetzt einen Entschluss gefasst zu haben, trat die letzten paar Schritte auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Hände weg von Boerne, sonst passiert was!“

Alberich! In seinem ganzen Leben war Boerne noch nie so froh gewesen, ihre Stimme zu hören - und hinter ihr trat Thiel zwischen den Pfeilern hervor, die eine Hand beschwichtigend erhoben, die andere in der Jackentasche vergraben. Boerne hätte jubilieren können vor Erleichterung. Eine Bewegung in seinem Augenwinkel allerdings sagte ihm, dass die Sache noch lange nicht ausgestanden war. Carla hatte die Spritze mit einer schnellen Bewegung in der Hand gedreht, umfasste jetzt den Glaszylinder mit den Fingen und hatte den Daumen auf dem Kolben liegen. Drohend hob sie den Arm, zielte mit der Nadel genau auf Boernes Hals. Boerne schluckte leicht, versuchte die spitze Nadel, die da so gefährlich nah in seinem Sichtfeld hing, dass er sie sogar ohne Brille problemlos gestochen scharf erkennen konnte, zu ignorieren.

„Frau Dr. Hanke, legen Sie die Spritze weg.“

Thiel. Ruhig, nordisch kühl, wie immer. Nicht das kleinste bisschen Gefühl gab seine Stimme preis. Im Gegensatz zu Carla, deren kalkulierte Fassade mit einem Mal zu bröckeln begann. Sie setzte ihm die Spritze an den Hals, gleich neben der Halsschlagader, noch ohne wirklich Druck auszuüben. Trotzdem spürte er die Nadelspitze überdeutlich auf seiner Haut.

„Bleiben Sie da, wo Sie sind.“
„Die Spritze weg, hab‘ ich gesagt!“

Carla nahm die Spitze natürlich nicht weg, warum auch? Eine kleinwüchsige Universitätsassistentin und ein untersetzter, aktuell gehbehinderter Hauptkommissar waren jetzt nicht unbedingt eine Drohkulisse. Wenn Thiel wenigstens seine Waffe dabeigehabt hätte. Hatte er aber mal wieder nicht. Ganz langsam drückte Carla die Spitze fester gegen seinen Hals, als könnte Sie Thiel damit zwingen doch noch eine Waffe hervorzuzaubern, wo keine war. Boerne überlegte fieberhaft, was er tun konnte, um Carla vielleicht abzulenken, Thiel einen Vorteil zu verschaffen, aber ihm wollte nichts einfallen.

„Was ist das?“

Die Frage war wohl so ungefähr die dümmste, die er stellen konnte, schließlich war ganz offensichtlich, was sich in der Spritze befand, aber mit einer riesigen, scharfen Nadel direkt neben seiner Halsschlagader, die sich langsam aber sicher durch seine Haut bohrte, hatte sogar er Probleme mit dem Denken. Carlas Antwort aber sagte ihm mehr, als er jemals wissen wollte.

„Es wird dir nichts passieren, Boerne.“

Sie hoffte darauf, dass Thiel sie erschießen würde, wenn sie ihn bedrohte, realisierte Boerne mit einem Schlag. Das war ihr Entschluss gewesen. Sie wollte sich davor drücken, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, und hatte dann noch nicht einmal den Mut, es selbst zu tun. In diesem Moment war Boerne fast dankbar, dass Thiel mal wieder keine Waffe dabeihatte, auch wenn es seine Situation nicht verbesserte. Carla wusste nicht, dass Thiel offiziell gar nicht im Dienst war und auch sonst selten eine Waffe bei sich trug. Sie versuchte ihn zu provozieren, drückte die Spitze noch fester gegen seinen Hals.

Sein ganzes Denken, sein ganzes Fühlen, seine ganze Existenz reduzierte sich in diesem Moment auf diesen winzigen, schmerzhaften Punkt neben seinem Kehlkopf. Ihm war, als könnte er fühlen, wie sich die messerscharfe Spitze Micrometer um Micrometer durch seine Hautschichten bohrte. Der Druck wurde stärker, die Einstichstelle wurde feucht, vielleicht Blut, vielleicht Nembutal, vielleicht beides, er wusste es nicht. Er spürte, wie sich ein Tropfen löste, langsamen seinen Hals hinabrann, in seinem Hemdkragen versickerte. Endlose Sekunden vergingen, dann spürte er wie Carla sich aufrichtete.

„Verdammt nochmal, nun schießen Sie doch endlich, Sie Idiot!“

Sie schrie Thiel an, doch Thiel sagte gar nichts, reagierte nicht mal wirklich, wie Boerne aus dem Augenwinkel sehen konnte, blieb einfach stehen und wartete. Was sollte er auch tun, ohne Waffe? Auch wenn Carla im Moment nicht mehr so überzeugt davon schien, ihn umbringen zu wollen, war sie doch immer noch in der besseren Position. Boerne bog den Kopf zur Seite, versuchte dem Druck der Nadel zu entkommen. Carla bemerkte seine Bewegung, schaute zu ihm herunter. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, hielten einander, dann sah Boerne, wie etwas in ihren Augen brach. Sie hatte erkannt, dass ihr Plan nicht funktionieren würde.

„Jetzt gucken Sie sich das mal an, Boerne. Da kommt ein Bulle endlich mal rechtzeitig und dann hat er nicht mal ‘ne Waffe bei sich, um die Sache ganz ordentlich zu Ende zu bringen.“

Sie ließ die Spritze sinken und bedachte Thiel mit einem langen Blick irgendwo zwischen tiefster Enttäuschung und Verachtung. Boerne atmete auf, rollte die Schultern, setzte sich wieder gerade hin.

„Man, das ist doch zum Verzweifeln. Das ist doch Mittelmaß, oder? Das ist das, woran ihr alle krepieren werdet. Kapiert?“

Sie seufzte resigniert, schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Ganz langsam, die totbringende Spritze noch immer in der Hand entfernte sie sich von Boerne. Er schaute ihre einen Moment nach, überlegte, ob sie die Spritze jetzt doch noch gegen sich selbst richten würde, ob er irgendetwas sagen sollte, aber ihm wollte nichts einfallen und Thiel war sowieso schneller.

„Bleiben Sie stehen.“

Boerne ließ den Kopf sinken. Wenn er in bessere Verfassung gewesen wäre, er hätte sich glatt zu einer sarkastischen Bemerkung hinreißen lassen, aber er spürte noch immer den Schatten der Nadel als brennenden Punkt an seinem Hals und das zog gerade seine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

„Stehen bleiben, hab‘ ich gesagt.“

Thiels Stimme donnerte durch den Keller. Carla hob die Spitze in einer Geste, die eindeutiger nicht hätte sein können, wenn sie ihm den Mittelfinger gezeigt hätte. Ein Schuss krachte und die Spitze zerbarst in einem Schauer aus Nembutal und Glassplittern.

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