Titel: Heimweg
Team: Sonne
Challenge: Angst: unheimliche Bewegungen aus den Augenwinkeln - Für mich
Fandom: Original
Rating: P16
Genre: Angst
Warnungen: Implied domestic violence!
Zusammenfassung: Sie muss einfach nur schnell nach Hause...
Wörter: ~1200
Anmerkungen: Und noch so eine Idee, von der ich keine Ahnung habe, wo sie hergekommen ist. Sie war plötzlich da und wollte raus, sonst hätte ich nicht pennen können. Wieder 2. Person; es könnte also tendeziell etwas verstörend sein, wenn der Text funktioniert.
Es spät geworden, viel später als du eigentlich wolltest. Ihr habt euch so gut unterhalten und dann hast du die Zeit vollkommen vergessen. Jetzt musst du dich beeilen, damit du noch pünktlich nach Hause kommst. Und du musst pünktlich sein. Unbedingt.
Du stehst an der Ampel, wartest, dass sie endlich grün wird. Eigentlich ist es unsinnig, mitten in der Nacht hier an der Ampel zu warten. Es ist kein Auto weit und breit zu sehen. Du trittst von einem Bein auf das andere, vergräbst du Hände in den Taschen, ziehst die Schultern hoch. Der Wind pfeift eisig, dir ist kalt in deiner viel zu dünnen Jacke. Aber das ist nicht der einzige Grund. Du überlegst kurz, ob du nicht einfach über die Straße gegen sollst. Du bist sowieso der einzige Mensch, der jetzt noch unterwegs ist. Gerade hast du dich entschlossen zu gehen, da springt die Ampel um.
Du überquerst die Straße. Jetzt musst du dich entscheiden. Nimmst du den kurzen Weg quer über den Friedhof, schlecht beleuchtet und düster, oder den hell erleuchteten drum herum, der aber fast dreimal so lange dauert. Du überlegst nicht wirklich, du bist schon viel zu spät. Du hast keine Wahl, selbst über den Friedhof wirst du es kaum noch pünktlich nach Hause schaffen.
Du biegst nach recht ab, verlässt den Bürgersteig, trittst auf den schmalen Weg, der hinauf zum Tor führt. Sofort wird es dunkler um dich. Die hohen Lebensbäume schlucken das Licht der Straßenlaternen. Du zögerst einen halben Schritt lang, doch dann rufst du dich zur Ordnung. Es sind nur die paar Meter bis zum Tor, danach wird es wieder heller. Jetzt im Winter tragen die großen Platanen kein Laub und die Straßenlaternen strahlen bis weit auf den Friedhof. Du beschleunigst deine Schritte, erreichst schließlich das große, eiserne Tor.
Der runde Griff ist eisig kalt unter deiner Hand. Du versuchst ihn zu drehen, doch er bewegt sich nicht. Verzweifelt betest du, dass nicht ausgerechnet heute der Friedhofswärter auf die Idee gekommen ist, abzuschließen, und drehst noch einmal mit aller Kraft. Endlich bewegt der Knopf sich, langsam, mit einem gequälten Kreischen lässt er sich drehen. Du drückst das Tor auf, schlüpfst hindurch und lässt es hinter dir wieder zufallen. Wieder vergräbst du deine Hände in den Jackentaschen und eilst den Weg entlang.
Hier ist es wirklich wieder etwas heller, nicht so hell wie an der Straße, aber besser als zwischen den hohen Lebensbäumen. Der Weg erstreckt sich vor dir als ein gerades helles Band, die riesigen Platanen erheben sich wie schwarze Gerippe rechts und links davon. Von den uralten Gräbern kannst du kaum mehr als vage Schemen erkennen und das ist dir auch ganz recht so. Du weißt, dass es Unsinn ist, dass die Toten, dir Einzigen sind, die du ganz sicher nicht fürchten musst und doch spürst du wie dein Herzschlag sich beschleunigt. Das ist wieder dieses komische Gefühl ihm Nacken, als ob da verborgen in der Dunkelheit jemand, etwas hinter dir steht, nur darauf wartet, dich anzuspringen. Du weißt, dass es nicht stimmt, dass du allein bist. Es sind nur deine eigenen Schritte, die da auf dem Kies knirschen. Trotzdem ziehst du die Schultern hoch, beschleunigst deinen Schritt. Du musst pünktlich zuhause sein, nur das zählt. Du schaust stur gerade aus, siehst schon das Ende der Platanenallee, wo der neu Teil des Friedhofs beginnt. Nur noch hundert Meter, vielleicht ein bisschen mehr. Du hast es gleich geschafft.
Einen Moment meinst du da etwas in deinem Augenwinkel wahrzunehmen, ein Schatten gerade am Rand deines Gesichtsfeldes, eine Bewegung, zu deutlich, zu gezielt um nur der Wind zu sein. Du schaust nicht richtig hin, drehst den Kopf nicht, schielst nur etwas mehr aus dem Augenwinkel. Doch da ist nichts mehr, die Bewegung wiederholt sich nicht. Alles nur Einbildung. Du konzentrierst dich wieder auf den Weg, schaust wieder nach vorn, dorthin, wo die Bäume sich endlich öffnen, die Gräber neuer und weniger sind, die Steine kleiner, wo das Licht der Straßenlaternen noch besser über die Wiese scheinen kann. Noch einmal versuchst du deinen Schritt zu beschleunigen. Du musst pünktlich zu Hause sein. Das allein zählt.
Die Bewegung ist wieder da, der Schatten, knapp außerhalb deines Gesichtsfeldes. Er folgt dir. Da, hinter dem Grab mit dem hohen Stein und dieser komischen Engelsstatue. In den Büschen direkt dahinter. Die Zweige bewegen sich noch. Oder war das nur der eisige Wind?
Du verzögerst einen Schritt, drehst du den Kopf, versuchst etwas zu erkennen. Wieder verschwindet der Schatten, kaum dass du versuchst, ihn ins Visier zu nehmen. Du lauscht, doch alles was du hörst ist nur dein eigener Atem, ein wenig schnaufend und abgehackt. Du schüttelst den Kopf über deine Einbildung und eilst weiter. Du hast keine Zeit für solche Sperenzchen. Du musst pünktlich zu Hause sein. In der Jackentasche umklammerst du deinen Schlüsselbund in der Faust, schiebst die Schlüssel wie Klingen zwischen den Finger hervor.
Dieses Mal wartet der Schatten gar nicht erst, bis du dich wieder auf den Weg konzentrierst. Er erscheint in deinem Augenwinkel, kaum dass du den Kopf wegdrehst. Er spielt mit dir, will dich herausfordern. Du erinnerst dich wieder an die Geschichte, die vor ein paar Monaten kursierte. Über die junge Frau, die sie nach der Kirmes hier auf dem Friedhof überfallen haben sollen. Du hast sie nie geglaubt, es gab ja keine offizielle Bestätigung, nur Hörensagen und Gerüchte. Ein Überfall soll es gewesen sein, Raub, Körperverletzung, dann eine Vergewaltigung, am Ende gar ein Mord. Spätestens da war dir klar, dass nur Gerede sein konnte. Oder doch nicht? War da doch etwas dran?
Du straffst die Schultern, starrst stur geradeaus. Einfach ignorieren, weitergehen, nur nicht beeindrucken lassen. Das Herz schlägt dir bis zu Hals und du weißt, dass es nichts mit der Anstrengung zutun hat. Du lauschst angestrengt auf ein Geräusch, doch alles was du hörst, ist das Blut, dass dröhnend laut in deinen Ohren rauscht und dein eigener Atem. Es bleibt still, und der Schatten ist plötzlich verschwunden. Du willst schon aufatmen, als plötzlich doch noch ein Geräusch hörst.
Hinter dir, ganz leise nur, ein Rascheln im Laub, ein Knirschen im Kies. Es könnte nur ein Tier sein, eine Maus, eine Ratte, ein Eichhörnchen. Es könnte auch etwas anderes sein, größer, gefährlicher. Du willst es nicht herausfinden, schaust dich gar nicht erst um, sondern rennst einfach los. Blindlings, einfach geradeaus, nur schnell weg von hier, nur schnell in Sicherheit.
Du rennst den ganzen Weg bis nach Hause, auch als du den Friedhof längst hinter dir gelassen hast, hältst du nicht inne. Du rennst die Straßen entlang, stürmst die Auffahrt hinauf, die Treppen empor, den Flur hinunter, bis du endlich vor deiner Tür stehst. Mit zitternden Fingern versuchst du die Tür aufzuschließen, doch du brauchst drei Versuche, bis der Schlüssel endlich richtig im Schloss sitzt. So leise wie irgend möglich öffnest du die Tür, schleichst dich hindurch, drückst sie ins Schloss und lehnst dich dagegen.
Du versuchst, deinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen, deinen Herzschlag zu beruhigen. Du hast es geschafft, bis heile zu Hause angekommen. Es ist alles gutgegangen. Leise löst du dich von der Tür und schleichst hinüber zur Garderobe, schließlich willst du ja niemanden wecken. Du lässt deine Jacke von den Schultern gleiten - und die Bewegung, die du noch so eben aus dem Augenwinkel wahrnimmst ist deine einzige Warnung.
„Du bist zu spät!“
Die Stimme klingt wütend, aggressiv, nach zu viel Alkohol. Du lässt die Jacke fallen und reißt den Arm hoch, doch du bist zu spät. Und als der erste Schlag dich trifft, erinnerst du dich wieder, dass die echten Monster sich nicht auf dem Friedhof hinter Grabsteinen verstecken.