Team: Aschenputtel
Prompt: Umarmung (Romantik - für mich)
Wörter: 1.165
Original: Uhrwerkträume
Charaktere: Sidean Feder, Uhrmachermeiser Ferdinand Unruh, Emmit Unruh
Inhalt: Auf Emmits drängen hin stellt Sidean Feder seine Theorie über Musik und Zeitmessung direkt dem forschenden Uhrmachermeister Unruh vor.
Kommentar: Das Verhältnis Technobabble zu Romantik ist etwa 5/1, aber hey, das beschreibt die Beziehung zwischen Emmit und Sidean sowieso ganz gut.
Blenstett, Januar 1891
„Dann erzählen Sie mir doch einmal von Ihrer Theorie.“
Sidean Feder fährt sich verlegen durch das Haar. Er versucht dem Uhrmachermeister Ferdinand Unruh in die Augen zu sehen, aber sein Blick flüchtet eilig zu den Bildern an den Wänden von Unruhs Büro. Ein paar Tuscheskizzen, die das hektische Leben in der Hauptstadt mit groben Linien gekonnt einfangen, hängen hinter Glas in schwarzen Holzrahmen. Zwischen ihnen, mittig über der Kommode platziert, das Portrait einer jungen Frau.
Feder räuspert sich.
„Haben Sie meinen Aufsatz nicht gelesen?“, seine Stimme verliert sich in einem Krächzen, als Unruh die Lippen zu einem breiten Lächeln verzieht.
„Ich möchte es gerne von Ihnen selbst hören“, sagt er und faltet seine Hände auf dem Tisch.
„Gut“, Feders Finger finden ihren Weg zurück in seine Haare, er wird sich der Geste bewusst, und bringt sie mit Mühe zurück auf seine Knie.
„Also“, er räuspert sich.
Er müsse gestehen, er wisse natürlich nicht all zu viel über die neuen Uhrwerke. Die Arbeit der forschenden Uhrmacher sei doch nicht allzu zugänglich. Da seine Überlegungen also nur auf Informationen aus dritter, wenn nicht vierter, Hand basierten, könne es durchaus sein, dass es sich bei ihnen um vollkommen unfundierten Unsinn handele.
„Dafür können Sie sich entschuldigen, nachdem Sie mir ihre Überlegungen dargelegt haben“, unterbricht Uhrmachermeister Unruh ihn. Er lächelt noch immer. Wie ein Raubtier, denkt Feder, vor seiner in die Enge getriebenen Beute.
„Natürlich“, Feder nickt. Er versucht seine Haare zu ordnen.
„Die von Pendel in Auftrag gegebenen Uhren arbeiten mit einem nicht hörbaren Puls, wenn ich das richtig verstanden habe, ein Metronom, könnte man sagen, das auf das Unterbewusstsein einwirken soll?“
„So könnte man seinen Auftrag beschreiben.“
„Und auf diese Weise soll ein einheitliches Zeitempfinden ermöglicht werden?“
Unruh nickt.
„Aber die Uhrwerke sind, verzeihen Sie, wenn ich da etwas falsches gehört habe“, Feder senkt seinen Blick, wohl wissentlich, dass der ihm gegenüber sitzende Uhrmachermeister Unruh, selbst an der Entwicklung besagter Uhrwerke forscht und arbeitet.
Zu seiner großen Erleichterung nimmt Unruh ihm das Wort ab.
Die Uhrwerke seien unzuverlässig in ihrem Lauf und nicht vorhersehbar in ihrer Wirkung auf das menschliche Bewusstsein.
Feder sieht verblüfft auf. Dass man seit fünf Jahren nach einem Weg sucht, die neuen Uhrwerke zuverlässig in ihrem Lauf zu machen, ist ein offenes Geheimnis in der Zunft. Dass sie allerdings, auch in ihrer Unzuverlässigkeit, einen Einfluss auf das menschliche Bewusstsein haben können, ist Feder neu.
Unruh geht allerdings nicht weiter darauf ein. Mit einem Wink seiner Hand fordert er Feder auf, seine Ausführungen fortzusetzen.
„M-meine Überlegung war, dem einfachen Taktschlag einen musikalischeren Rhythmus zu geben“, bringt Feder langsam hervor.
Die Idee, gesteht er, sei ihm gekommen als er seine beiden Neffen beim musizieren beaufsichtigte.
Der jüngere von den beiden hatte eine Trommel. Sein älterer Bruder gab ihm den Auftrag, den Takt zu schlagen. Der kleine versuchte also sehr konzentriert einen Schlag hinter den anderen zu setzen. Er war sehr bemüht eine gleichmäßige Form zu wahren, aber sobald sein älterer Bruder mit der Flöte einsetzte und seine Melodie spielte, ließ er sich ablenken, das Trommelspiel verlor jede Gleichmäßigkeit und bald lagen die beiden Jungen sich im Streit in den Haaren.
„Als der Kleine aber begann, auf seiner Trommel selbst so etwas wie eine Melodie zu spielen, bloß indem er den einen Schlag mehr und den anderen weniger betonte, fand er in seinem Spiel die Stabilität, die ihm davor für das Zusammenspiel gefehlt hatte.“
Sidean Feder lächelt verlegen. Unruh hat seinen Kopf ein wenig auf die Seite gelegt, die Augen auf seinen Schreibtisch und Feders Konzeptmappe gerichtet. Mit dem Zeigefinger tippt er einen einfachen Rhythmus auf dem Pappeinband. Nachdenklich lauscht er der Melodie.
„Angenommen, unsere Uhrwerke verhielten sich genau so wie ihr Neffe“, sagt er endlich, „halten Sie den Gebrauch von Musik als Zeitmaß für alltagstauglich?“
„Nun ja“, Feder kratzt sich hinter dem Ohr.
„Natürlich, ein musikalischer Rhythmus hat die Tendenz nicht nur eine Zeit sondern auch eine Stimmung zu diktieren. Angenommen ein musikalischer Rhythmus wäre tatsächlich in der Lage die neuen Uhrwerke zu stabilisieren, dann wäre es für den alltäglichen Gebrauch dieser Uhren doch notwendig, so etwas wie eine neutrale Musik zu finden.“
„Und halten Sie das für möglich?“
Feder überlegt.
Es käme darauf an, wie man den Begriff der Neutralität definiere.
„Heute gehen wir ja davon aus, dass eine nichtssagende Gleichmäßigkeit die größtmögliche Neutraltität bedeutet. Aber wenn wir statt dessen annehmen, dass die ganze Welt eine eigene Musikalität besitzt, eine, nicht unbedingt absolut gleichmäßige, Melodie in der sie schwingt, und in deren Schwingung wir selbst gewissermaßen schwimmen, dann könnte man diesen Rhythmus der Welt als neutral betrachten. Es wäre also herauszufinden, ob sich solch ein Rhythmus reproduzieren lässt.“
Wieder lächelt Unruh, ein Lächeln das Anerkennung sein könnte, aber eben so gut Spott. Drei ganze Minuten lang sagt er kein Wort. Sidean Feder rutscht auf seinem Stuhl hin und her und versucht sehr angestrengt sein Haar nicht noch weiter durcheinander zu bringen.
„Meine Tochter sagt, sie hätten Interesse daran selbst in der Forschung zu arbeiten?“, sagt Unruh endlich.
Sidean Feder nickt, unfähig mit Worten zu antworten.
„Und könnten Sie sich vorstellen, mir zu assistieren?“
Für einen kurzen Moment denkt Feder, nein, denn er glaubt nicht in Unruhs Anwesenheit jemals die nötige Ruhe aufbringen zu können. Doch es gelingt ihm rasch, diese Sorge beiseite zu schieben.
„Mir wurde gesagt, sie würden keinen Assistenten nehmen“, sagt er nur.
Wieder dieses Lächeln.
„Ihr Konzept ist sehr überzeugend“, sagt Unruh.
Sidean Feder merkt, wie ihm das Blut in die Wangen steigt. Er versucht sich für Unruhs Lob zu bedanken, aber bringt nicht mehr als ein unverständliches Gestammel hervor.
Emmit Unruh sitzt im Flur ihres Elternhauses, auf einem Stuhl neben der Garderobe. Sie hat ein Buch auf dem Schoß, aber den Blick die Treppe hinauf zu dem Büro ihres Vaters gerichtet. Als die Bürotür sich endlich öffnet, springt sie auf.
Ihr Herz schlägt schneller, ihre Hände sind ganz zittrig, und sie begreift nicht so recht weshalb, schließlich ging es bei dem Gespräch zwischen dem jungen Uhrmacher Feder und ihrem Vater ja nicht um ihre eigene Zukunft.
„Und?“, fragt sie, während Feder noch dabei ist die Treppe hinunter zu steigen.
Sein blasses Gesicht und seine zerzausten Haare könnten alles mögliche bedeuten.
„Was hat er gesagt?“
Ohne sich dessen so ganz bewusst zu sein greift Emmit nach Feders Händen und zieht ihn näher zu sich heran.
Sie sehen einander in die Augen und endlich schmilzt der verwirrte Ausdruck in Feders Gesicht zu einem Lächeln.
„Wie es aussieht werde ich die nächsten Jahre in Blenstett bleiben“, sagt er.
Sein Lächeln spiegelt sich in Emmits Augen. Sie macht einen weiteren Schritt auf ihn zu, dass ihre Hände kaum mehr Platz zwischen ihren beiden Körpern haben. Dann schlingt sie ihre beiden Arme um seinen Hals.
Ein Räuspern hinter ihr lässt Emmit zurückschrecken.
Ihr Vater scheint ein wenig amüsiert (das schien er lange nicht mehr), während er von seiner Tochter zu seinem zukünftigen Assistenten blickt.
„Emmit“, sagt er dann, „Sei doch so gut, und zeig Herrn Feder, wo er zukünftig wohnen wird.“