Team: Schneewittchen
Challenge: Angst - “Ich kann nie mehr zurück”
Fandom: Tumbling
Charaktere: Tsukimori Ryôsuke, Azuma Wataru, Mizusawa Taku
Wörter: 1244
Im.Perfect 1,
Teil 2 Es war nur noch ein Tisch besetzt, als sie nach unten kamen. Ein Junge saß dort, auf seinen noch halb vollen Teller starrend. Er musste etwa in Ryôsukes und Watarus Alter sein. 17, vielleicht 18 Jahre. Seit einem halben Jahr kam er regelmäßig her. Kam spät, bestellte sein Essen, starrte es nieder und ließ sich den Rest immer einpacken, wenn das Kamome schloss. Vor einem Monat war ein anderer Junge dabeigewesen. Hatte erst leise auf ihn eingeredet und hatte dann nichts mehr gesagt. Danach hatte Ryôsuke ihn nicht mehr gesehen.
Natsuko wischte gerade den Tresen ab, als sie Ryôsuke bemerkte und sie lächelte. “Geht es dir wieder besser? Dann solltest du etwas essen.”
Das war ihre Lösung für fast alles. Ihre Jungs füttern und nebenbei zuhören, wenn jemand etwas auf dem Herzen hatte. Vermutlich hoffte sie, dass dieser schweigsame Junge auch noch auftauen würde. Bisher war es nicht passiert.
“Sein Freund war wieder da”, sagte sie leise, als sie eine Portion Omurice vor Ryôsuke stellte, nachdem Wataru etwas zu sehr darauf aufgepasst hatte, dass er sich auch wirklich hinsetzte. Jetzt warf der seiner Mutter einen beleidigten Blick zu. “Und ich?”
“Du hattest vorhin schon etwas.”
“Aber zu wenig! Ich wachse noch!”
“Untersteh dich!”
Mit einem sehr heimlichen Lächeln begann Ryôsuke zu essen, aber sah dabei wieder zu dem Jungen. Erst jetzt bemerkte er die zweite Schüssel, in der wohl mal Ramen gewesen waren. Eine zweite Tasse. Als hätte er seinen Blick bemerkt, hob der Junge den Kopf und sah ihn durch einen etwas zu langen Pony an. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann sah er schon wieder weg, als wäre er über seinen eigenen Mut erschrocken.
“Sein Freund war ziemlich sauer”, murmelte Wataru. “Hat anscheinend rausbekommen, warum er hier ist.”
Womit er allen, die Ryôsuke kannte, voraus war. “Und er ist trotzdem hier aufgetaucht?” Das erste Mal hatte ihn ja schon überrascht. Normalerweise machten die normalen Leute keinen Schritt hier rein. Nicht freiwillig jedenfalls. Der Anzugträger vom Nachmittag war vermutlich beruflich hiergewesen. Irgendeine Schikane der Behörden.
“Scheint so…?” Wataru zuckte mit den Schultern. Etwas unsicher wirkte er dabei. Klar, es kam selten genug vor, dass jemand sich auf die Suche nach Angehörigen oder Freunden machte. Warum auch? Besser, man vergaß sie ganz schnell. Redete nicht darüber, dann färbte es auch nicht ab. Man lebte weiter in seiner schönen, perfekten Welt, wo alle funktionierten.
Etwas polterte. Der Junge war aufgestanden, so abrupt, dass sein Stuhl umkippte. “Ist doch egal, warum er hier war. Ich kann nie mehr zurück.” War seine Stimme anfangs noch aufgebracht gewesen, wurde sie dann immer kleiner. Das letzte Wort verstand Ryôsuke kaum mehr. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, hatte der Junge das Restaurant fluchtartig verlassen.
“Ups…”, murmelte Wataru verlegen.
“Das ist das erste Mal, dass er was zu uns gesagt hat, das keine Bestellung war”, meinte Ryôsuke. Vielleicht sollte es ihn mehr beschäftigen, was dieser Junge gesagt hatte, aber irgendwie… sie saßen alle hier fest. Alle hier mussten damit klarkommen, dass sie der Gesellschaft egal waren.
“Ich frage mich wirklich, warum er hierherkommen musste.” Wataru sah Ryôsuke nicht an, sondern in die Richtung, in die der Junge verschwunden war.
Natsuko seufzte. “Vielleicht erzählt er es uns irgendwann.” Sie ging an den Tisch und räumte ihn ab. Als sie dann an Ryôsuke vorbeikam, sagte sie streng: “Du wirst dein Essen nicht auch noch stehen lassen.”
Erst jetzt fiel Ryôsuke auf, dass er sein Essen jetzt sehr vernachlässigt hatte. Als er weiteraß, stellte er fest, dass es schon merklich abgekühlt war, aber das machte nichts.
Er fragte sich, ob seine Familie noch manchmal an ihn dachte. Vermutlich nicht. Die waren ja froh gewesen, ihn loszusein. Vermutlich hatten sie direkt nachdem sie ihn losgeworden waren, alle Fotos mit ihm in den Müll geworfen. Sich eine nette Geschichte für die ältere seiner Schwestern ausgedacht. Die jüngere war noch zu klein gewesen, um zu wissen, dass sie einen Bruder gehabt hatte. Ryôsuke war sich nicht einmal sicher, ob er sich richtig an ihren Namen erinnerte. Shizuka… glaubte er. Er erinnerte sich nicht einmal mehr wirklich daran, wie sie ausgesehen hatte. Ein Baby wie alle anderen vermutlich. Fast ein Jahr alt. Akiko war drei gewesen, als sie zum ältesten Kind geworden war. Wie es ihnen wohl ging… ob sie zu ihm kommen würden, wüssten sie von ihm? Wo er war? Vermutlich nicht. Wer auch immer dieser Freund des Stammgastes war, der kannte den Jungen schon länger. Ryôsuke war sich nicht sicher, wie er reagieren würde, wenn jemand aus seinem alten Leben plötzlich auftauchen würde. Und… ja was eigentlich?
“Hör auf zu grübeln. Das steht dir nicht.” Wataru schnippste gegen seine Hand und Ryôsuke warf ihm einen beleidigten Blick zu. “Was soll der Scheiß?”
“Du hast vergessen zu essen.”
“Nerv nicht. Hoffst du auf den Rest?”
Wataru schnaubte und Ryôsuke schob ihm den Teller hin. Allzu viel war ohnehin nicht mehr übrig, Wataru würde es also vernichten ohne ihn daran zu erinnern, dass er gefälligst vernünftig essen sollte.
Einen Augenblick lang schien es, als würde seine Hoffnung sich nicht bewahrheiten, aber dann zuckte Wataru nur mit den Schultern und nahm sich den Rest vor. Natsuko dagegen warf Ryôsuke einen tadelnden Blick zu, kam aber zum Glück nicht dazu, etwas zu sagen, was ihm nicht gefallen würde.
“Entschuldigung…”
Es war unmöglich zu sagen, wer überraschter war, als der Junge wieder in der Tür stand. Dabei wirkte er ein wenig wie eines der Babykaninchen, die Shige hielt und die im Kochtopf enden würden, wenn sie groß genug waren. Wataru weigerte sich strikt, sie zu essen. Aber die wirkten genauso verschreckt, wenn jemand den Stall aufmachte.
Natsuko erholte sich als erstes wieder und lächelte. “Da bist du ja wieder. Ich habe dir den Rest eingepackt.”
Das Kaninchen… der Junge hob überrascht den Kopf und blinzelte ein paar Mal, bevor er sich tief verbeugte. Etwas zu lange, als würde er die Gelegenheit nutzen, um sich wieder zu fangen. Ein Teil von Ryôsuke konnte es verstehen.
“Ich wollte nur… ich habe vergessen, zu bezahlen…”
Als klar wurde, dass der Junge keinen Schritt auf sie zumachen würde, nahm Natsuko die Schachtel mit seinen Resten und ging zu ihm. Im ersten Moment schien es, als wäre er selbst zu erstarrt, um sie anzunehmen, aber dann schloss er seine schmalen Hände darum und murmelte etwas, was Ryôsuke nicht verstand. Die ganze Situation schien ihn ziemlich zu überfordern. Wann war das letzte Mal jemand einfach nett zu ihm gewesen?
Diese Frage musste Wataru sich auch stellen, denn in seinem Gesicht arbeitete es. Und zu welchen Schlüssen er auch kam, sie gefielen ihm nicht. “Wie heißt du eigentlich?”, fragte er laut. Was eine gute Frage war. Nur schien er ihren Gast damit erst Recht auf dem falschen Fuß zu erwischen. Das Babykaninchen dessen Stall unvermittelt geöffnet worden war, wurde zu einem Babykaninchen mit einem hungrigen Raubtier vor der Nase. Dann fing der Junge sich aber wieder. “Mizusawa…” Das war alles. Aber wenigstens hatten sie jetzt einen Namen und Wataru wirkte sehr zufrieden mit diesem Ergebnis. “Azuma Wataru, das da” Ryôsuke gab ihm einen Tritt, als er so betitelt wurde, was ihm nur ein Grinsen einbrachte und ein: “Sorry, der Idiot da ist Tsukimori Ryôsuke.” Gespielt beleidigt verschränkte Ryôsuke die Arme. “Das kriegst du sowas von zurück…”
Mizusawa wirkte nun ziemlich überfordert. Irgendetwas murmelnd, was vermutlich eine höfliche Floskel war, bezahlte er sein Essen und vergaß das Wechselgeld, als er wieder die Flucht ergriff.