#087 Wasser

Feb 16, 2007 23:07

Titel: Adélaïde: Die Anfänge
Autorin: mistress_vivi
Welt: Virana (Name des Hauptcharas, Welt selbst namenlos)
Prompt: #087 Wasser ( 1/100)
Word Count: 2.033
Rating: PG
Anmerkungen: Adélaïde sollte als Nebencharakter in einer größeren Geschichte vorkommen (tut sie aber leider noch nicht) - und ja, der abstruse Name hat einen Grund in der Hauptstory. Das hier beschreibt die erste Zeit ihres Lebens. :)

Adélaïde: Die Anfänge

Das erste schwierige Aufgabe, die Adélaïde in ihrem Leben erwartete, ließ sich beim Auftauchen nicht lange Zeit. Kaum ein paar Wochen nach dem Anfang ihrer Existenz wurde sie vor das schier unlösbare Problem gestellt, aus ihrem Ei herauszukommen. Für einen kleinen Fisch nicht einfach zu bewältigen - auch wenn Adélaïde kein richtiger Fisch war.

Kein Rufen und kein Schreien half ihr in dieser Lage (hätte sie denn schreien gekonnt), sie musste es selbst schaffen; stemmte sich gegen ihr Gefängnis, bewegte sich und hämmerte dagegen. Nichts passierte.
War es ihr etwa nicht bestimmt zu leben? Gab ihr der große Meeresgott nicht einmal eine Chance? Adélaïde weinte nicht - allerdings auch nur deshalb, weil sie es nicht konnte.

Trotzdem gab sie nicht auf, drückte und schob so fest, bis die Hülle Bruchstellen bekam. Risse zogen sich durch das Ei und schließlich brach sie auf. Verblüfft über ihren Erfolg starrte sie in das Wasser außerhalb. So recht traute sie sich noch nicht heraus; was würde sie da draußen wohl erwarten? Vielleicht irgendetwas ganz Schreckliches, das ihr nach dem Leben trachtete! Dann kam ihr in den Sinn, dass der große Meeresgott ihr eine Chance gegeben hatte und alleine schon um ihn nicht zu verärgern, musste wohl auch Adélaïde diese Chance wahrnehmen. Sie presste das Wasser schneller durch ihre Kiemen als eigentlich erforderlich, aber schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und verließ ihr Ei.

Rund herum war ein Wald; hohe, verzweigte Pflanzen waren weit hinauf gewachsen. Um sie herum waren ihresgleichen; das alte Meeresvolk erwachte. Eine andere kleine, gerade erst geschlüpfte Nixe tauchte aus den Blättern einer Pflanze und bedeutete Adélaïde ihr zu folgen.
Eifrig mit den Armen schlagend bewegten sich auch die verhältnismäßig großen Flossen und Adélaïde glitt am Anfang noch unbeholfen und zuckend durch das Wasser. Es dauerte eine Weile, bis sie herausbekommen hatte, wie sie die sich an den Außenseiten ihrer Armen befindenden Brustflossen, die Rückenflosse und ihre Schwanzflosse steuerte.

Wo war die andere Nixe hin? Wohin sollte sie kommen? Einfach ins Gebüsch hinein, dachte sich Adélaïde. Doch dort drinnen war es dunkler und die Pflanzen waren überall.
Adélaïde schauderte; wie kam sie hier nur wieder raus? Eine Schlingpflanze trieb um sie herum und überall waren lange Algenfäden, die ihr wie aus dem Nichts den Weg abschnitten und sie umfingen. Adélaïde strampelte voller Panik.

Da! War das nicht eine kleine Schwanzflosse gewesen? Lange, schwärzlich grüne Algenfäden verdeckten die Sicht. Adélaïde zögerte kurz und stürzte sich dann in den Algenteppich - großer Fehler! Hätte sie nur gewusst, wie tückisch die Algenfäden waren, sie hätte es nicht getan. Sie schlangen sich um sie, um ihren gesamten Körper, hielten sie in ihrer tödlichen Lage fest.

Verzweifelt wand sie sich, was aber nur zur Folge hatte, dass sie noch fester ins Gewirr sank. Als sie den Kopf wandte, sah sie, dass nun auch der Rückweg ihr verwehrt blieb, denn hinter ihr schloss sich der Algenvorhang wieder. Ihre Kiemen flatterten schnell; sie wehrte sich noch heftiger. Ihre dünnen, bleichen Arme waren von den schwarzen Fäden umwickelt.

Wieder sah sie die Spitze einer kleinen Schwanzflosse. Und diesmal hatte Adélaïde sich nicht getäuscht; ein Kopf erschien vor ihr im Wirrwarr und die Algen wurden auseinandergerissen. Die kurzen, dünnen Fortsätze an ihren schwimmhäutigen Hände, die bei einem Menschen wohl Finger gewesen wären, hielten einen scharfen Stein. Die kleine Nixe lächelte, was möglich war, indem sie die Mundwinkel nach oben zog, jedoch das beständige Einatmen niemals unterbrach. Dann schnitt sie eilig die Fäden durch.

Adélaïde folgte der schnell davonschwimmenden Nixe durch die durchgeschnittenen Algen, die durch die Strömung bewegt immer noch nach ihnen zu greifen schienen. Bald kamen sie endlich aus dem dichten Tang- und Algenwald heraus, durch den sie pfeilschnell geschwommen waren. Sie hielten sich jedoch noch immer im Schatten der letzten Tangstränge. Verstohlen schaute Adélaïde hinaus ins freie Wasser - oder anders gesagt, es war kein freies Wasser, doch es waren auch keine Wälder. Vor ihnen lag ein Riff.

Neugierig warf sie einen Blick zu ihrem Retter - es musste eine männliche Nixe sein, doch so genau konnte Adélaïde das nicht sagen, war jene doch kaum einen halben Meter lang und hatte damit noch keine typischen männlichen Merkmale. Er - Adélaïde betitelte ihn so, denn er roch männlich, wenn auch nur ganz schwach - machte einen sympathischen Eindruck auf sie.
Er war von bläulicher Farbe. Der kleine Schleier, der sich an der Oberseite seines Kopfes befand, hatte allerdings genauso wie seine Schwanzflosse eher einen gräulichen Stich. Er unterschied sich damit von Adélaïde, die, wie sie mit einem Blick auf ihre eigene Flosse feststellte, von einem Beige-Ton war - ihre Arme waren allerdings eine schmutzige Mischung aus Grau und Weiß.

Er zeigte auf eine kleine Einkerbung im Fels an einer Stelle des Riffs. Sie nickte und die beiden schwammen zusammen dorthin. Anemonen wiegten sich wie in einem Beet in der Strömung hin und her, Schwämme ragten in die Höhe und kleine, verschiedenfarbige und sehr bunte Fische tummelten sich dort.
Die beiden Nixen ließen sich bei der Einkerbung hinuntersinken. Eine schmale Spalte kündigte das Innere einer Höhle an. Kurz zögerte Adélaïde, bevor sie ihm auch ins Innere der Höhle folgte.

Es war beengend und dunkel. Fast ein wenig so, wie es in ihrem Ei gewesen war. Es dauerte ein wenig, bis Adélaïde sich an die neuen Verhältnisse gewöhnt hatte, dann fing sie an, auch andere Gestalten in der Finsternis ausmachen zukönnen. Sie erschrak. Wer oder was waren all diese Wesen? Würden sie ihr etwas tun? War es dumm von ihr gewesen, ihrem Retter einfach so zu vertrauen?

Doch sie beruhigte sich ziemlich schnell wieder, als sie den Geruch von noch mehr jungen Nixen ausmachen konnte. Adélaïde schätzte viele davon auf etwa das gleiche Alter wie sie selbst - einfach aufgrund ihrer Länge. Es gab aber auch etwas Größere - der Größte war fast einen und einen halben Meter lang! Es schien so etwas wie ein... Jungtierschwarm zu sein, denn eine ausgewachsene Nixe war nicht zu entdecken.
Neugierig besah sie sich die Truppe genauer. Sie waren allesamt bunt, auch wenn die meisten dunkle oder schmutzige Farben (wie Adélaïde selbst) hatten. Es waren sieben.

Adélaïde fühlte sich sofort in der Gruppe aufgenommen und durch den vertrauten Geruch auch zugehörig. Sie waren ein Schwarm - deswegen hatte sie ihr Retter auch eigentlich gerettet, vermutete sie. Die Nixen hatten sich auf ihre Weise unterhalten - indem sie das Wasser mit ihren Schwanzflossen in Schwingung versetzten. Sie hatten Adélaïde mitgeteilt, dass sie jetzt ein Teil der Gruppe sein würde. Adélaïde lächelte glücklich.

Bald plagte Adélaïde etwas, das wohl das Natürlichste in der Welt war, gegenwärtig für sie aber eine fast unüberwindbare Herausforderung darstellte: Der Hunger. Ein unbändiger Hunger nach Fleisch stieg in ihr auf und sie konnte riechen, dass es den anderen genauso ging. Doch kleine Nixen schlossen sich nicht umsonst zusammen - im freien Wasser, ja, selbst im Riff konnte es gefährlich sein. Die anderen hatten sie vor riesigen Fischen mit unstillbarem Blutdurst gewarnt, die eine Nixe in Stücke reißen konnten. Adélaïde schauderte. Das Wasser schien plötzlich viel kälter zu sein. Mit der Beharrlichkeit, die der Tod bisher gezeigt hatte, sie an sich zu reißen, war es da vielleicht ihr Schicksal, von einem Ungeheuer zerfleischt zu werden?

Schließlich zogen sie aus um Beute zu machen. Die Opfer, auf die sie es abgesehen hatten, waren kleinere Fische und Krebse. Adélaïde hatte Probleme mit den anderen mitzuhalten, als sie durch das Wasser zischten, hinaus ins offene Wasser. Um die großen Schwärme von Fischen zu finden, musste man in Riffnähe, jedoch nicht im Riff selbst suchen, wo es vor allem Kleinere gab, die den Nixen als Notration dienten, wenn sie an die Schwarmfische draußen nicht herankamen.

Sie geriet ein Stückchen ins Hintertreffen; war langsamer als die anderen, da sie weniger Schwimmerfahrung hatte. Wie brachten die anderen es nur fertig so schnell zu sein? Der Abstand vergrößerte sich, als sie das Riff verliefen, über Seeanemonen, Seesterne, Felsen, Korallen und eine endlose Zahl von kleinen und sehr bunten Fischen hinwegsausten. Sie hatte nun vollkommen den Anschluss verloren - die Nixen entfernten sich immer weiter und Adélaïde konnte nur mehr ihren Schwanzflossen verzweifelt hinterher schauen. Schließlich verschwanden auch die - Adélaïde stoppte und die Flossen, die sich an ihren Armen befanden, zitterten.
Das Wasser war hier dunkler - natürlich, schließlich war sie jetzt im tiefen, offenen Gebiet. Sie wandte sich um, denn sie hielt es für eine gute Idee zum Riff zurückzukehren. Wenn die Nixen wiederkamen, würden sie Adélaïde hoffentlich wiederfinden.

Es schien ewig zu dauern, wieder zum Riff zurück zu kommen. Adélaïde hatte dabei ein sehr ungutes Gefühl. War der große Meeresgott unzufrieden mit ihr? Startete das Schicksal einen neuerlichen Versuch, sie zu sich zu holen? Sie blickte über ihre Schulter, ihr war, als hätte sie eben einen Schatten hinter sich gesehen. Davon angetrieben schlug sie jetzt kräftiger mit den Flossen, kam schneller voran. Sie war sich ganz sicher, dass da irgendetwas war.

Die ersten Korallen kamen schon in Sicht. Kleine Fische vor ihr drehten schnell ab; irgendetwas war hier los. Doch sie konnte nur Schatten am Rande ihres Blickfelds weiter weg ausmachen. Große Schatten. Adélaïde beeilte sich, die Höhle wiederzufinden, doch das war gar nicht so leicht - immerhin hatte sie diesmal keinen Begleiter, der ihr den Weg wies.
Eine leichte Veränderung ging im Wasser vor. Adélaïde konnte spüren, dass sie die Höhle besser bald fand; etwas braute sich hinter ihr zusammen. Das Riff war plötzlich irgendwie dunkler, leerer - jedenfalls kam ihr das so vor. Endlich entdeckte sie die Spalte im Fels wieder. Mit hastigen, unbeholfenen Bewegungen zischte sie darauf zu.

Adélaïde keuchte; das Wasser strömte schnell durch ihre Kiemen. Als sie sich umdrehte und verängstigt hinaussah, schwamm nur wenige Meter von ihrem Versteck entfernt ein Ungeheuer vorbei, das ihr riesig erschien. Es war grau, lang, seine Unterseite weiß und seine Schwanzspitze schwarz - nicht zu vergessen das riesige Maul. Vor Angst wie gelähmt schaute Adélaïde es an. Es durchstreifte ruhig das Riff. Von einer anderen Seite näherte sich noch eins der Wesen.

Schaudernd zog sich Adélaïde wieder in die Höhle zurück und wartete. Es waren die längsten Stunden seit sie geschlüpft war. Sie zuckte bei jedem Geräusch, das von draußen hereindrang, zusammen, denn sie konnte nicht anders als sich auszumalen, wie die schrecklichen Ungeheuer versuchten in die Höhle zu gelangen.

Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen; Minute um Minute zog sie sich dahin und wurde immer träger und dickflüssiger. Es schien so unendlich lange zu dauern bis die Nixen in die Höhle zurückkehrten. Doch sie taten es und sie waren ausgelassener als zuvor. Sie setzten das Wasser in wilde Bewegung und sammelten sich um Adélaïde.
Ein stilles, vollkommen wortloses, aber trotzdem aufgeregtes Gespräch entbrannte - Adélaïde fühlte sich damit ein wenig überfordert; so viele Wellen und Wasserbewegungen von so vielen Nixen auf einmal! Sie verstand kaum noch etwas.

Ihr bläulicher Retter kam zu ihr herüber geschwommen. In seinen schwimmhäutigen Händen trug er drei der erbeuteten, silbernen Fische. Er lächelte. Adélaïde konnte einfach nicht anders als zurück zu lächeln, als sie das Geschenk dankbar annahm.
Die übrigen Nixen schienen schon ihren Fang verspeist zu haben und begannen sich langsam zur Ruhe zu begeben. Gesättigt und in Sicherheit kuschelten sie sich an einen Felsen, ihre Flossen bewegten sich träge in der Strömung. Auch während des Schlafes blieben ihre schwarzen Knopfaugen geöffnet.

Allein die Gegenwart ihres Retters gab Adélaïde schon das Gefühl, dass alles gut war - dass sie es beim nächsten Mal schaffen würde. Statt zurückzubleiben würde sie im Zentrum des Schwarms schwimmen und sich zum ersten Mal an der Jagd versuchen.

Das Wasser war warm. Sie begann mit Eifer und Appetit, große Stücke aus den Fischen zu reißen und er beobachtete sie voller Zufriedenheit dabei.

Das Treffen, bei dem sie schlussendlich ihren Namen bekommen sollte, mit dem sie hier der Einfachheit halber schon betitelt wurde, ereignete sich erst viel später. Denn keine Nixe, die unter ihresgleichen blieb, war je auf die Idee gekommen, sich einen Namen zuzulegen - auch sie nicht.
Erst als sie durch eine Fügung ihren natürlichen Lebensraum verließ, wurde sie zu Adélaïde. Doch die Zeit, in der sie im Schwarm der jungen Nixen aufwuchs war anders. Noch war sie eine von ihnen und ahnte nichts von den späteren Ereignissen. Denn eines Tages würde sie der Macht des großen Meeresgottes entrinnen und nur vom allgegenwärtigen Schicksal begleitet ihre ersten zaghaften Schritte an Land machen.

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