Suture - An den Säumen der Identität

Jun 22, 2015 18:25

Lacan bezeichnet mit Suture eine Pseudo-Identifikation, eine nur täuschende, eine erlogene, eine scheinhafte Identifikation. Identifikation ist ein Abwehrmechanismus, zur Abwehr von Fremdheit, ein Schutzmechanismus. Es wird etwas identisch gemacht, wovon man zunächst noch nichts Genaueres weiß. Identifikation hat ihr Vorbild in der Aufnahme von Nahrung, beim Verschlingen, dem Aneignen, dem Zueigenmachen von außerhalb des Körpers Seiendem. Das Fremde wird identifiziert. Es wird ent-fremdet. Oder es wird etwas gesehen als real vorhanden, wo zunächst nichts von Bedeutung ist. Das verweist auf den grundsätzlich halluzinatorischen Zug der Wahrnehmung.
Die von Lacan so genannte Pseudo-Identifikation liegt also zwischen der imaginären des Spiegelstadiums und der symbolischen mit dem Vater oder später mit dem Signifikant.
[...]
Suture wird zunächst als anatomische, botanische, medizinische Metapher im Französischen benutzt. Das zugrundeliegende Bild ist eine nicht ganz feste, zumindest nicht ganz schlüssige Verbindung, die mittels eines Fadens hergestellt wird, der mit einer Nadel geführt wurde. Die Konnotation geht bis zur vom Nähen hinterlassenen Spur, der Naht, und im anatomischen bis zur Narbe. Suture ist räumlich und zeitlich dimensioniert. Das Nähen selber wird mitgedacht und, daß vor dem Nähen etwas aufklaffte, ein Loch da war, zwei getrennte Seiten. Diese werden nicht restlos oder spurlos geschlossen. Mehr noch: Um die Naht, eine Verbindung, herzustellen, werden neue Löcher gestochen, um einen Haltepunkt für die Überbrückung zur anderen Seite mittels eines Fadens zu schaffen, der das Loch zusammenzieht.
Das Subjekt entsteht aus einer Spaltung, dessen Überwindungsversuch das Bewußtsein aufscheinen läßt als Differenz von Vorstellung und aktuellem durch Sprache formulierten Zustand.
Es geht dann um den immer wieder neuen Versuch, beide "Seiten" zu vernähen aus der Not einer Öffnung, eines Loches, eines Fehlens, das sich nicht von selber schließt zur Ganzheit. Es wird etwa durch Bilder zusammengehalten, die bei ihrer Einbindung kleinere Perforationen setzen, über einen Faden von Signifikanten, die ihre Wirkung im Realen tun, nämlich den Körper angreifen, Gefühle entstehen lassen. Der Faden geht durch und durch. Das Subjekt wird von den Signifikanten gekreuzt und so in Existenz gesetzt.

- aus: Karl-Joseph Pazzini: Suture - Bilder in den Medien als Nähmaschinen. In: RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse. 39/40 September/ Oktober 1997. S. 198f.

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