Ernie und Bert

Feb 05, 2012 19:42

Die Idee zu dieser Geschichte kam mir, als ich vor einigen Wochen den Artikel "Das Erfolgsgeheimnis von Thiel und Boerne" las, obwohl ich weiß, dass zumindest Axel Prahl Thiel und Boerne selbst mal mit Ernie und Bert verglichen hat.

Titel: Ernie und Bert
Inhalt: Zwei Stoffpuppen werfen ein ganz neues Licht auf Thiels und Boernes Beziehung.
Länge: ca. 2400 Wörter
Genre: Pre-Slash
Rechtserklärung: Thiel und Boerne gehören dem WDR; Ernie und Bert gehören, glaube ich, dem Sesame Workshop. Ich habe sie mir nur mal kurz ausgeliehen.

Vielen Dank an notcolourblind für's Betalesen!


Ernie und Bert

Romanzen und Bettgeschichten sucht man
- im Unterschied zu anderen Tatorten - vergebens.
Und irgendwie wäre es auch unpassend.
Denn am Ende geht Ernie schließlich auch immer nur mit Bert ins Bett.
Ganz unschuldig natürlich.

Bremerich, Stephanie: „,Tatort' aus Münster -
Das Erfolgsgeheimnis von Thiel und Boerne“, in: news.de, 2. Mai 2011

Den ganzen Vormittag über hatte Thiel Zeugen vernommen, aber er war nicht einen Schritt weitergekommen. Missmutig starrte er auf seinen Computerbildschirm, als seine Bürotür aufgerissen wurde und ein offensichtlich fröhlicher Boerne eintrat. Hoffentlich bedeutete die gute Laune des Rechtsmediziners auch gute Nachrichten. Die konnte er wirklich gebrauchen.

„Guten Tag, Herr Thiel“, sagte Boerne und wartete Thiels gemurmeltes „Moin“ kaum ab, bevor er fortfuhr: „Ich habe hier etwas, das Sie interessieren dürfte.“

Er zog einen dünnen Ordner aus einer Aktentasche, blätterte darin und legte zwei aufgeschlagene Seiten vor Thiel auf den Schreibtisch. Thiel erkannte, dass es Messkurven von chemischen Untersuchungen waren, aber was sie besagten, wusste er nicht.

„Sehen Sie hier?“ Boerne deutete auf zwei auffällige Spitzen in der mittleren Kurve. „Ein Barbiturat. Und zwar deutlich mehr als die übliche Dosis.“

„Sie meinen, Annika Schrader wurde vergiftet?“

Boerne schüttelte den Kopf. „Aber betäubt. Bei der großen Menge in ihrem Blut kann sie nicht bei Bewusstsein gewesen sein, als sie vom Balkon fiel.“

Thiel nickte nachdenklich. Das bestätigte zwar seine Theorie, dass es Mord war, aber so richtig brachte ihn Boernes Mitteilung trotzdem noch nicht weiter. Er war weit davon entfernt, den Täter zu ermitteln.

Und zu allem Überfluss hatte die Staatsanwältin ihm schon den ganzen Morgen über im Nacken gesessen und auf Ergebnisse gedrängt.

Während Thiel immer noch die ausschlagenden Spitzen der Messkurve betrachtete, als müsste er sie nur lange genug ansehen, bevor sie ihm noch weitere Geheimnisse verrieten, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war.

Boerne hatte sich auf den Besucherstuhl gesetzt und schien sich so bald nicht wieder verabschieden zu wollen.

„Ich sehe, Sie haben auch so ein Stoffpüppchen.“

„Wie?“, fragte Thiel und langte nach einer der Zeugenaussagen. Ihm kam da gerade ein Gedanke.

„Dort, Ihre Puppe.“

Thiel blickte auf und sah, wie Boerne auf eine Figur mit orangefarbenem Kopf zeigte, die an der Schreibtischlampe lehnte.

„Ach so, das ist Ernie.“ Er griff wieder nach der Zeugenaussage, setzte aber hinzu: „Ich weiß nicht, wie er hierher kommt. Muss mir jemand gestern Abend oder heute Früh dahin gesetzt haben.“

„Aha“, machte Boerne nur und holte eine Stofffigur mit gelbem Kopf aus seiner Aktentasche. „Ich habe heute Morgen auch eine Puppe auf meinem Schreibtisch gefunden. Sehen Sie, sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihrer.“ Boerne hielt ihm die Puppe so dicht vor die Nase, dass Thiel ihm jetzt doch seine volle Aufmerksamkeit zuwandte.

Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. „Ja klar, weil das Bert ist.“

„Aha“, sagte Boerne erneut, wobei sein Tonfall komplettes Unverständnis ausdrückte.

„Sie wissen schon, Ernie und Bert.“

„Nein, weiß ich nicht.“

Thiel konnte sich kaum vorstellen, dass es irgendjemanden gab, der die zwei nicht kannte. Andererseits war er von Boerne viel eigenartigere Dinge gewöhnt. „Ernie und Bert“, sagte er schließlich noch einmal und betonte beide Namen überdeutlich.

Boerne sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der zu sagen schien, dass eher Thiel der Eigenartige von ihnen beiden war, wenn er so merkwürdige bunte Puppen sogar namentlich kannte.

„Aus der Sesamstraße.“

„Das ist eine Kindersendung, Thiel! Woher soll ich denn, bitte schön, Puppen aus einer Kindersendung kennen?“

„Weil nun wirklich jeder Ernie und Bert kennt. Dazu muss man keine eigenen Kinder haben“, behauptete Thiel standhaft.

„Wenn Sie das sagen“, antwortete Boerne. Es war kaum zu überhören, wie sehr er dies anzweifelte.

Thiel sah auf seine Uhr. Es war Mittagszeit. Da würde ihm eine kleine Ablenkung von der Arbeit gut tun - selbst wenn sie in Form von Boerne daherkam. „Was haben Sie gesagt, wo Sie Bert gefunden haben? Auch auf Ihrem Schreibtisch?“

Boerne nickte. „Ich verstehe aber beim besten Willen nicht, warum uns jemand die Puppen schenken sollte. Was hat das zu bedeuten?“, fragte er, während er seinen Bert neben Thiels Ernie platzierte.

Nun saßen die beiden Stoffpuppen einträchtig nebeneinander unter der Schreibtischlampe - Bert einen halben Kopf größer als Ernie - und gaben ein sehr vertrautes Bild ab.

Plötzlich machte es „Klick“ bei Thiel, und er glaubte zu wissen, was ihnen jemand mit den Figuren sagen wollte. Die Erkenntnis traf ihn so unerwartet, dass er in lautes Lachen ausbrach.

Boerne sah ihn erst fragend und dann aufgebracht an, als er nicht aufhörte zu lachen. Aber je aufgebrachter Boerne guckte, desto mehr musste Thiel lachen. Erst als seine Seiten anfingen, weh zu tun, gelang es ihm, sich wieder zu beruhigen.

„Haben Sie sich jetzt endlich unter Kontrolle?“, fragte Boerne. In seiner Stimme klang ein gereizter Unterton mit, der Thiel beinahe zu einem neuen Lachanfall animierte, aber er konnte sich gerade noch zurückhalten.

Boerne starrte Thiel noch einen Moment verdrießlich an, bevor er wissen wollte: „Würden Sie mich wohl auch an Ihrer guten Stimmung teilhaben lassen?“

Thiel zögerte. Er hatte den Eindruck, dass Boerne den Humor seiner Erkenntnis wahrscheinlich nicht teilen würde. Denn wenn Boerne schon Ernie und Bert nicht kannte, würde er von der anderen Sache erst recht nichts wissen.

Aber als Boerne ihn weiter eindringlich ansah, gab er nach. „Es gibt da so Gerüchte über die beiden.“

„Über die Puppen? Wie kann es denn über Stoffpuppen Gerüchte geben?“

„Naja.“

„Jetzt sagen Sie es schon, Thiel.“

„Also, Ernie und Bert sind Freunde und wohnen zusammen, aber manche Leute meinen, dass die zwei eben nicht nur Freunde sind.“

Thiel betrachtete Boernes Gesichtsausdruck, als dieser langsam zu begreifen schien.

„Schön, dann sind dieser Ernie und dieser Bert also ein Paar. Ich kann mir schon vorstellen, dass da einige Eltern auf die Barrikaden gehen. Aber was hat das mit uns zu tun?“

Nein, Boerne hatte wohl doch nichts verstanden. Thiel seufzte. „Boerne, Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriff. Schauen Sie sich die beiden doch mal an. Der eine kleiner, der andere größer; der eine ...“

„Nein!“, rief Boerne. „Nein, nein!“

„Anscheinend doch.“

Boerne war rot angelaufen und schien nach Atem zu ringen. Sein Blick wanderte zwischen den Puppen und Thiel hin und her.

Thiel fragte sich, ob er vielleicht ebenso empört sein sollte wie Boerne. Aber erstens konnte er sich dann doch schlimmere Gerüchte über sich vorstellen und zweitens widerstrebte es ihm aus Prinzip, einer Meinung mit Boerne zu sein.

Der atmete immer noch schwer. Er hatte Bert an sich genommen und sah der Puppe prüfend ins Gesicht.

„Jetzt beruhigen Sie sich mal wieder. Da hat sich doch wohl jemand nur einen Scherz mit uns erlauben wollen“, sagte Thiel.

Boernes Gesichtsfarbe normalisierte sich langsam, und er setzte Bert neben Ernie zurück. Er warf Thiel einen unsicheren Blick zu. „Aber ich verstehe einfach nicht …“, setzte er an. „Sie meinen, wir werden so wahrgenommen?“

„Anscheinend.“

„Anscheinend, anscheinend“, äffte Boerne ihn nach. „Sie sagen das so ungerührt. Stört Sie das gar nicht?“

Im ersten Moment wollte Thiel „nein“ sagen, denn es war ja offensichtlich, dass ihn diese Anspielung weniger überraschte als Boerne. Er konnte sich zwar nicht erinnern, je Gedanken in dieser Richtung gehabt zu haben, aber er verspürte auch keine reflexhafte Abwehrhaltung. „Ich weiß nicht. Ich habe noch nie über uns ...“ Bei dem Wort „uns“ hielt er inne. Es schien plötzlich eine Bedeutung zu bekommen, die es vor diesem Tag nie gehabt hatte. „Ich meine, wir sind Kollegen, wir sind Nachbarn, aber wir sind noch etwas anderes, oder nicht?“, bemühte er sich, etwas in Worte zu fassen, von dem er so spontan gar nicht wusste, wie er es definieren sollte.

Thiel konnte geradezu sehen, wie sich etwas in Boerne bei dem Gedanken sträubte. „Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Das ist ja nun fast ein bisschen beleidigend, dachte Thiel. Wer war es denn, der regelmäßig bei dem anderen mit einer Flasche Wein vor der Tür stand und sich auf eine Stunde oder auch zwei einlud? Er, Thiel, war es bestimmt nicht.

„Jetzt werden Sie bloß nicht komisch, Boerne, und tun so, als ob ich Unrecht hätte. Dazu verbringen wir wirklich viel zu viel Zeit miteinander.“

Boerne antwortete nicht, sondern starrte Thiel an, als wollte er ihn dazu bringen, das Gesagte wieder zurückzunehmen.

Aber darauf ließ Thiel sich nicht ein. „Ist Ihnen wirklich noch nie aufgefallen, wie oft wir uns sehen?“

Boernes Stimme klang ausdruckslos, als er antwortete: „Sie haben es doch gerade selbst gesagt. Wir sind schließlich Kollegen. Und Nachbarn.“

Thiel wartete darauf, dass Boerne weiter sprach und einen Begriff fand, für das, was sie verband, aber Boerne verstummte. Stattdessen wandte er seinen Blick von Thiel ab und betrachtete die Wand hinter ihm.

Thiels Magen verkrampfte sich. Er war selbst überrascht, wie wichtig es ihm war, dass Boerne ihm zustimmte, aber der konnte oder wollte anscheinend nicht sehen, was sogar andere Menschen gesehen haben mussten und ihnen deswegen die Stofffiguren präsentiert hatten.

Vielleicht sollte er das Thema auf sich beruhen lassen, wenn Boerne sich so dagegen wehrte, dachte Thiel, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Denn einen Boerne, der gezielt mit unbewegter Miene an ihm vorbeischaute, konnte er nicht ertragen. Er musste Boerne dazu bewegen, die Situation nicht einfach zu ignorieren und ihn nicht mit seinem Schweigen abzublocken.

„Sie haben natürlich Recht, Boerne“, sagte er mit einem ironischen Unterton in der Stimme, von dem er hoffte, dass er Boerne nicht kalt lassen würde. „Und wie Kollegen und Nachbarn das üblicherweise tun, haben Sie mich in der letzten Woche zweimal im Auto zum Präsidium mitgenommen, am Dienstag waren wir zusammen in der Kantine essen, Donnerstagabend haben wir bei mir gekocht, am Freitag musste ich mir einen Ihrer Vorträge über Wagner anhören, und dann waren wir auch noch zusammen im Möbelhaus und haben eine neue Stehlampe für Ihr Wohnzimmer gekauft.“

Während er noch ihre gemeinsamen Aktivitäten der letzten Tage aufzählte, sah Thiel, wie Boerne immer blasser wurde, aber auch ihm selbst wurde mit einem Mal ein bisschen flau und ihm fiel das Atmen ein wenig schwerer.

Das waren ja noch viel mehr Gelegenheiten, als er gedacht hatte. Es gab kaum einen Tag, an dem sie sich nicht auch außerhalb der Arbeit sahen - manchmal nur, um ein paar Worte zu wechseln, aber immer öfter, um gleich mehrere Stunden miteinander zu verbringen.

Wie eigenartig, dass ihm das bis zu diesem Tag nie bewusst geworden war, dachte Thiel. Dabei war es doch schier unmöglich, sich nicht ständig darüber im Klaren zu sein, dass man Zeit mit einer Nervensäge wie Boerne …

Nur dass Boerne schon lange nicht mehr so nervtötend war wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft.

Thiel atmete tief ein. Das mulmige Gefühl im Magen ließ etwas nach.

„Was ist denn, Thiel?“, unterbrach Boerne Thiels Gedanken. Sein Blick wirkte unsicher, aber Thiel war froh, dass Boerne ihn zumindest wieder ansah.

„Wir sind Ernie und Bert.“ Thiel hörte, wie ungläubig seine eigene Stimme klang.

„Das haben Sie doch gerade schon behauptet. Da brauchen Sie doch jetzt nicht so verdattert zu tun.“

„Aber jetzt weiß ich, dass es tatsächlich wahr ist“, sagte Thiel mit Bestimmtheit.

Boernes Blick umwölkte sich erneut, und Thiels Stimmung sank.

Aber ein paar Augenblicke später guckte Boerne schon wieder viel freundlicher und sagte beinahe fröhlich: „Da ist übrigens ein Fehler in Ihrer Schlussfolgerung, Thiel.“

„Wieso?“

„Sie haben doch gesagt, es würde sich lediglich um Gerüchte handeln, dass dieser Ernie und dieser Bert ein schwules Pärchen sind. Woher wollen Sie also wissen, dass jemand uns mitteilen wollte, dass wir auch ...“ Boernes Stimme brach ab.

„Was hätte man uns denn sonst mitteilen wollen? Dass ich gern mit einem Quietscheentchen spiele? Oder dass Sie immer über mich den Kopf schütteln?“ Thiel lachte bitter auf. „Na, das letzte stimmt ja wahrscheinlich sogar.“

„Ich weiß zwar nicht, was es mit dem Quietscheentchen auf sich hat, aber Sie können mir wohl kaum unterstellen, dass ich Sie nie ernst nehmen würde.“

„Naja“, murmelte Thiel. Boerne sah tatsächlich ein bisschen betroffen aus, sodass er seinen Blick abwandte und beschloss, erst einmal nichts weiter dazu zu sagen.

Thiel fuhr sich über die Augen. Das war doch einfach absurd, dass er hier saß und versuchte, Boerne davon zu überzeugen, dass da mehr zwischen ihnen war. Wenn bloß nie jemand die beiden Puppen auf ihren Schreibtischen platziert hätte; dann wäre er doch niemals auf so eine Idee gekommen.

Er blickte wieder zu Boerne hinüber, der mit seinem Stuhl nach hinten gekippt war und ebenfalls in Gedanken versunken zu sein schien. Er sah sehr ernst aus, als ob er sich gerade dazu durchringen würde, einen unwiederbringlichen Entschluss zu fassen.

Thiel konnte sich schon vorstellen, welcher Entschluss das sein würde.

Denn es gab wahrhaftig nicht viele Menschen, die er so gut kannte wie Boerne. Boerne - dessen Gefühle er ihm meist vom Gesicht ablesen konnte, dessen Gemütszustände er kannte, den er in fröhlich triumphierenden Momenten gesehen hatte, aber auch in Momenten, wo der andere betroffen oder verletzlich gewesen war.

Und wenn er es sich genau überlegte, musste es Boerne andersherum genauso gehen.

Mit einem lauten Knall kippte Boerne mit seinem Stuhl wieder nach vorn und riss Thiel aus seinen Überlegungen.

„Ernie und Bert also, ja?“, fragte er leise.

Thiel nickte. Er wusste einfach nicht mehr, was er noch sagen sollte, damit auch Boerne sah, was zwischen ihnen vorging. Wie sollte er auch, wenn er es bis vor kurzem selbst nicht gewusst hatte?

Mit einem Gefühl der Hilflosigkeit schaute er Boerne an, der seinen Blick zwar prüfend, aber offen und direkt erwiderte.

Nach Minuten oder vielleicht auch nur Sekunden ging ein Ruck durch Boernes Körper. Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und trat hinter Thiel. Er deutete auf die Stoffpuppen. „Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich Ernie und Bert nicht kenne. Daher weiß ich nicht, ob die beiden ein gutes Paar abgeben. Aber da Ihnen die zwei vertraut sind, könnten Sie mir vielleicht dabei helfen...“, Boerne räusperte sich, „... helfen, zu verstehen, was die beiden verbindet? Denken Sie, das wäre möglich?“

Thiel lächelte. „Ich denke schon.“

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